Kolumne: Das Altpapier am 9. April 2025 "Die Gewalt trägt keine Maske mehr"
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09. April 2025, 13:01 Uhr
Auch US-Medien mögen keine Massendemonstrationen gegen rechts. Holger Friedrich hält Trump für "vernünftig". In Gaza wurden seit Oktober 2023 mehr Journalisten getötet als in beiden Weltkriegen zusammen. Heute kommentiert René Martens die Medienberichterstattung.
Inhalt des Artikels:
- Warum werden die Proteste heruntergespielt?
- Wenn Faschisten ihre Unmenschlichkeit zelebrieren
- Der tödlichste Krieg
- Demokratische Parteien in Gänsefüßchen
- Altpapierkorb (Massakerleugnung in der "Jungen Welt", Aggressive Altkanzler-Anwälte vs. "Falter", Journalisten mit PR-Nebenjobs, Nominierungen für den Roman-Brodmann-Preis)
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Warum werden die Proteste heruntergespielt?
Als in Deutschland 2024 Millionen Menschen demonstrierten und die Bundesrepublik "die größte Protestbewegung gegen Rechtsextremismus in ihrer gesamten Geschichte" erlebte (taz), zeigte der deutsche Journalismus an einer qualitativ und quantitativ angemessenen Berichterstattung kein sonderlich ausgeprägtes Interesse (Altpapier, Altpapier, Altpapier). Die US-amerikanischen Medien scheinen auf die Massenproteste gegen Trump nun ähnlich zu reagieren. Die Medienkritikerinnen Margaret Sullivan und Parker Molloy gehen darauf in ihren aktuellen Substacks ein. Sullivan fragt:
"Warum war die Berichterstattung in manchen Medien so leise – oder fast nicht vorhanden?"
Und Molloy konstatiert:
"CNN berichtete, dass die Organisatoren schätzten, dass 'Millionen' von Küste zu Küste zu diesen Protesten kamen, die Bürgerrechtsorganisationen, Veteranen, Frauenrechtsgruppen, Gewerkschaften und LGBTQ-Befürworter vereinten. Selbst bei konservativen Schätzungen sprechen wir von einer der größten Mobilisierungen in der jüngeren amerikanischen Geschichte. Aber wenn Sie am nächsten Tag eine große Printzeitung in die Hand nehmen? Sie würden kaum wissen, dass es passiert ist."
Zur "großen Frage, (…) warum die Proteste in den Medien so sehr heruntergespielt wurden", bietet Sullivan "drei Theorien" an. Eine davon lautet:
"Obwohl sie es nicht so ausdrücken würden, sehen viele Mainstream-Nachrichtenorganisationen dies im Grunde genauso wie Fox News: Nur die üblichen Verdächtigen (…) machen ihr Ding. Hier gibt es nichts zu sehen, gehen Sie weiter. Ich glaube nicht, dass das der Fall war; die Menge schien Menschen vieler politischer Richtungen zu umfassen."
Ich würde in dem Zusammenhang als Anregung noch die Frage in den Raum werfen wollen, ob sich die Berichterstattung - sowohl in Deutschland als auch in den USA - nicht zu einem Teil dadurch erklären lässt, dass sich die Entscheider unter den Journalisten jenen, gegen die demonstriert wird, näher fühlen als jenen, die demonstrieren.
Wenn Faschisten ihre Unmenschlichkeit zelebrieren
Der Hochschullehrer Jeff Jarvis, dem das Magazin "journalist" vor einem halben Jahr bescheinigte, "seit 20 Jahren zu den einflussreichsten Visionären im Journalismus" zu gehören, hat Ende März Propagandabilder der US-Heimatschutzministerin Kristi Noem in El Salvador folgendermaßen kommentiert:
"Die Nazis haben ihre Konzentrationslager versteckt. Diese Faschisten halten in ihren Lagern Fototermine ab."
Annekathrin Kohout hat dieses Video in ihrer taz-Kolumne "Feed Interrupted" nun ausführlich eingeordnet:
"Unweigerlich muss man wahlweise an die Konzentrationslager der NS‑Zeit oder Lynndie England im Abu-Ghraib-Gefängnis denken – Dutzende Memes gingen diesen Assoziationen nach."
Kohout weiter:
"Was das Video so erschütternd macht, ist die Tatsache, dass nicht einmal versucht wird, die Unmenschlichkeit zu verbergen. Die Gewalt trägt keine Maske mehr. Die moralische Grenzüberschreitung wird nicht kaschiert – sondern sogar zelebriert. Denn Noem hat dieses Video nicht nur zur Abschreckung gepostet. Sie präsentiert es vor allem ihren eigenen Anhängern als Einladung, sich an der Härte und Entwürdigung visuell zu berauschen – vor den Augen der Öffentlichkeit."
Möge Kohouts Text gelesen werden zum Beispiel von den Verantwortlichen des Instagram-Accounts der "Heute"-Redaktion des ZDF, der diese Bilder in einer Weise verwendete, die mit distanzlos noch vornehm beschrieben ist.
Der tödlichste Krieg
Am Dienstagmorgen ist der palästinensische Journalist Ahmed Mansour an den Verbrennungen gestorben, die er bei einem Angriff der israelischen Armee erlitten hat. Mansour befand sich in Khan Younis im Süden des Gaza-Streifens in einem Zelt, in dem Journalisten untergebracht waren.
Über Mansours Tod schreibt zum Beispiel middleeasteye.net.Des Weiteren berichten das Committee to Protect Journalists und NBC. Der US-Sender berichtet dabei auch in eigener Sache - weil bei dem Angriff auf das Zelt auch ein 27-jähriger Familienvater getötet wurde, der einem NBC-Team Treibstoff und Vorräte verschafft hatte.
middleeasteye.net zitiert in dem Artikel eine zentrale Passage aus der Untersuchung "News Graveyards: How Dangers to War Reporters Endanger the World", veröffentlicht vor rund einer Woche vom Watson Institute for International and Public Affairs an der Brown University in Providence, Rhode Island (Zusammenfassung, Langfassung):
"Der Krieg in Gaza hat seit dem 7. Oktober 2023 mehr Journalisten getötet als der US-Bürgerkrieg, der Erste und Zweite Weltkrieg, der Koreakrieg, der Vietnamkrieg (einschließlich der Konflikte in Kambodscha und Laos), die Kriege in Jugoslawien in den 1990er und 2000er Jahren und der Krieg in Afghanistan nach dem 11. September 2001 zusammen."
Wer die Dimension der aktuellen Tötungen in einem kürzeren Vergleich veranschaulicht haben möchte (unten auf Seite 3 der Langfassung zu finden): In Gaza wurden im genannten Zeitraum 232 Journalisten getötet und während des Ersten und Zweiten Weltkriegs 69.
Dem Papier des Watson Institute ist dasselbe Zitat vorangestellt wie dem "Aktionsplan der Vereinten Nationen zur Sicherheit von Journalisten und zur Frage der Straflosigkeit":
"Jeder Journalist, der durch Terror getötet oder ausgeschaltet wird, ist einer weniger, der sich mit dem Schicksal von Menschen befasst. Jeder Anschlag verzerrt die Wirklichkeit, indem er ein Klima der Angst und der Selbstzensur schafft."
Der Autor Nick Turse schreibt:
"Es ist unklar, wie viele palästinensische Reporter im Gazastreifen absichtlich wegen ihrer Arbeit getötet wurden und wie viele einfach Opfer der israelischen Bombardierung eines dicht besiedelten, 140 Quadratkilometer großen Landstreifens wurden, wie Zehntausende andere Zivilisten auch. Aber seit Oktober 2023 gab es mindestens 35 Fälle, in denen es genügend Informationen gibt, um zu bestätigen, dass die getöteten Journalisten aufgrund ihrer Arbeit direkt von Israel angegriffen wurden, so Reporter ohne Grenzen."
Demokratische Parteien in Gänsefüßchen
Eine sehr berühmte Definition der Pressefreiheit stammt aus einem Leserbrief an den "Spiegel", 1965 verfasst vom Publizisten Paul Sethe (Altpapier):
"Pressefreiheit ist die Freiheit von zweihundert reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten. Frei ist, wer reich ist. Das Verhängnis besteht darin, dass die Besitzer der Zeitungen den Redakteuren immer weniger Freiheit lassen, dass sie ihnen immer mehr ihren Willen aufzwingen."
Noch freier sind die Reichen, die nicht nur auf ihren eigenen Plattformen, sondern auch auf Plattformen, die anderen Reichen gehören, ihre Meinung verbreiten können. Die höchste Form dieses Freiheitsgefühls erlebt man als Reicher womöglich, wenn man das in einem sogenannten Ressort tun darf, das sich "Meinungsfreiheit" nennt.
Um jetzt mal konkret zu werden: Holger Friedrich - selbst Inhaber von etwas, für das Zeitung ein sehr, sehr großes Wort wäre - hat in der "Welt" einen "Gastkommentar" unter der Überschrift "Europas Hochmut – und die Vernunft des Donald Trump" veröffentlicht. Die Headline erweckt den Eindruck, Trumps Kritiker säßen in Europa - obwohl doch der Ton in den USA wesentlich schärfer ist als hier. Der MSNBC-Kolumnist Michael A. Cohen schrieb zum Beispiel in seinem Substack:
"Donald Trump's 'Liberation Day’ might be the single stupidest moment in American history (and this is a country that invaded Iraq in 2003 and spent nearly a decade fighting a pointless guerrilla war in Vietnam)."
Wie auch immer: Springers Meinungsfreiheit genießender Gastautor meint:
"Mittel- und langfristig führen (Trumps Maßnahmen) zur strukturellen Gesundung der US-amerikanischen Volkswirtschaft."
Dieser "Gastkommentar" hat den Vorteil, dass man nach der Lektüre alles weiß, was man über den Autor wissen muss. Zum Beispiel wegen folgender These: Trumps "konsequentes" Handeln "anzuerkennen, scheint europäischen Politikern, auch Medien, schwerzufallen. Noch schwerer fällt es dem Führungspersonal ‚demokratischer Parteien‘, für Deutschland und die EU angemessene, kooperierende Zielbilder zu entwickeln", schreibt Friedrich. Dass die demokratischen Parteien hier in Gänsefüßchen auftauchen, ist jedenfalls ein eindrucksvoller Beleg für die Gesinnung des Verlegers, zumal angesichts der Gänsefüßchen-Tradition des Hauses, in dem seine Trump-Eloge erscheint. Was Großgeist Friedrich außerdem auf Lager hat.
"Zwar hat der Westen den Kalten Krieg gewonnen, aber (…) eskalierende Sozialleistungen (...) ließen die Grundlage einer freiheitlichen, demokratischen Marktwirtschaft erodieren. In Deutschland sei an Bürgergeld, Mütterrente, Subventionsorgien oder einen aufgeblähten Verwaltungsapparat erinnert."
Fazit: In Friedrichs Text haben die Gastbeitrags-Akquisiteure der "Welt" eine strategisch stimmige Ergänzung zu Elon Musks AfD-Wahlwerbung gefunden.
Altpapierkorb (Massakerleugnung in der "Jungen Welt", Aggressive Altkanzler-Anwälte vs. "Falter", Journalisten mit PR-Nebenjobs, Nominierungen für den Roman-Brodmann-Preis)
+++ Yelizaveta Landenberger hat sich die Lektüre des Stinkkäseblatts "Junge Welt" angetan und schreibt für die FAZ nun über zwei sehr üble Texte zu den Geschehnissen im ukrainischen Butscha vor drei Jahren, die ein Autor verfasst hat, der Stefan Schmitt heißt oder sich so nennt. Landenberger schreibt: "Am 3. April erschien der Artikel 'Der Waffenruhe so nah' und tags darauf die Fortsetzung 'Doppelte Täuschung'. Die Texte stellen die Behauptung auf, die russische Armee hätte in Butscha gar nicht gemordet. Und sie setzen noch eins drauf: Es seien eigentlich die Ukrainer selbst gewesen (…) Schmitt setzt mit einem verschwörerischen Raunen im zweiten Absatz seines ersten Artikels den Ton für seine weiteren Ausführungen zu Butscha: 'Die Hintergründe des Ereignisses waren damals einer breiten Öffentlichkeit im Westen nicht bekannt. Doch russischsprachige und andere Medien berichteten bereits über einige wichtige Fakten.’ Landenberger dazu: "Unglaublich – da scheint jemand an 'Geheimwissen' gekommen zu sein, das die bösen westlichen Regierungen, Medien, aber auch Menschenrechts-NGOs und die UN den Menschen vorenthalten!"
+++ Darüber, "wie uns der Altkanzler mit US-Anwälten einzuschüchtern versucht, weil wir zu seinen privaten Geschäften recherchieren", informiert das österreichische Wochenmagazin "Falter". Der gemeinte Altkanzler ist in diesem Fall der biologisch gar nicht mal fürchterlich alte Sebastian Kurz. Chefredakteur Florian Klenk: "Ich gestehe: Ich habe so einen Brief noch nie erhalten. Es ist ein Einschüchterungsbrief, frech und aggressiv. Kurioserweise verlangt die Kanzlei, dass wir nicht aus dem Schreiben zitieren. Sie droht, will aber nicht, dass die Drohung öffentlich wird." Hintergrund dieses "Einschüchterungsbriefs": Recherchen von "Falter" und "Follow the money" zu Kurz’ Firma Dream Security, die er mit dem Spyware-Entwickler Shalev Hulio gegründet hat.
+++ "Wie unabhängig sind Medienschaffende, die auch PR machen?" - über Fragen aus diesem Themenfeld hat Ex-Altpapier-Autorin Johanna Bernklau für "Übermedien" mit der Freischreiber-Vorständin Eva Bodenmüller gesprochen. Eine der Fragen lautet: "Wo ziehen Sie die Grenze? Finden Sie es richtig, dass die ARD-Moderatorin Aminata Belli eine Veranstaltung eines Drogeriemarkts moderiert und dafür Werbung auf ihrem Instagram-Account macht?" Bodenmüller dazu: "Das ist eine schwierige Abwägung. Thematisch hat diese Werbung nichts mit dem zu tun, was sie sonst macht. Aber als Gesicht des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wird sie mit dessen Unabhängigkeit und Neutralität in Verbindung gebracht. Deswegen sehe ich das kritisch. Gerade ARD und ZDF müssten doch in der Lage sein, so hohe Honorare zu zahlen, dass ihre Mitarbeiter:innen keine PR-Aufträge nötig haben."
+++ Am 7. Mai wird in Berlin zum vierten Mal der zur Würdigung des politischen Dokumentarfilms ins Leben gerufene Roman-Brodmann-Preis vergeben. Nun hat das Haus des Dokumentarfilms Stuttgart, das den Preis gemeinsam mit dem Institut für Medien- und Kommunikationspolitik veranstaltet, die Nominierungen bekannt gegeben (Offenlegung: Ich war Mitglied der Vorjury). Es handelt sich fast ausnahmslos um Filme, die bisher nur im Kino laufen bzw. dort liefen oder noch laufen werden. Von den nominierten Dokumentarfilmen derzeit frei in der ARD-Mediathek: "Masterplan– Das Potsdamer Treffen und seine Folgen". Auf den Film sind wir bereits in der vergangenen Woche an dieser Stelle eingegangen.
Das Altpapier am Donnerstag schreibt Ralf Heimann.