Kolumne: Das Altpapier am 21. Februar 2025 Politik im Sendemodus
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21. Februar 2025, 10:38 Uhr
Zwei Tage vor dem Wahltag blicken viele Medien noch einmal auf die AfD. Der Umgang mit der Partei ist in der letzten Wahlkampfwoche mal besser, mal schlechter gelungen. Heute kommentiert Antonia Groß die aktuelle Medienberichterstattung.
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Die letzten Tage des Medienwahlkampfes
Am Sonntag wird ein neues Parlament gewählt. Der Wahlkampf ist also gleich vorbei, auch der Prognosenzirkus (Altpapier, Altpapier) ist es dann. Es wurde viel erwartet, kalkuliert und spekuliert in den Berichten dieser Tage. Das ist so wie immer.
Aber nicht alles war wie immer in diesem Wahlkampf. Er folgte immerhin auf den Rausschmiss des Finanzministers von der FDP, nachdem herauskam, dass er die Regierung sprengen wollte (Altpapier). Dann kamen innerhalb von wenigen Tagen der Koalitionsbruch und kurz vor Jahreswechsel die Vertrauensfrage, die der amtierende Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) verlor (Altpapier). Ein Termin für Neuwahlen stand bald fest. Und so stolperten die Parteien los auf Stimmenfang: In einen Wahlkampf, der nicht nur wegen seines abrupten Anfangs bemerkenswert war.
Im Podcast @mediasres des "Deutschlandfunk" guckt die Redaktion am Donnerstag in einer Sondersendung noch einmal auf diese Zeit zurück. Hauptstadtkorrespondent Johannes Kuhn erklärt im Interview, was aus seiner Sicht besonders daran war: Zum einen fand dieser Wahlkampf im Winter statt, das Werben auf der Straße war weniger zentral. Mehr als sonst sei es diesmal ein "Medienwahlkampf" und ein "Social-Media-Wahlkampf" gewesen, sagt Kuhn.
"Man braucht die Medien jetzt halt doch, im Wahlkampf. [...] Der politische Betrieb ist einfach im Wahlkampf völlig im Sendemodus. Da werden in Interviews die wichtigsten Programmpunkte abgeworfen, selbst in Hintergrundgesprächen ist dann alles, was die Partei macht, ganz, ganz toll und alle sind sich einig, selbst von Leuten, die jetzt nicht unbedingt dafür bekannt waren, alles so toll zu finden. Also die Reihen schließen sich dann schon, einfach weil diese Botschaft, dieser Sendemodus so präsent ist."
Die Parteien richten also mehr als sonst Interviews, Talkshows, und Bundestagsdebatten auf die Botschaften an die Wählenden aus. Gleichzeitig war dieser Wahlkampf aber auch besonders getrieben von Ereignissen, sagt Kuhn. Von den Attentaten (Altpapier, Altpapier), die in dieser Zeit passiert sind, und von der "Brandmauer"-Debatte um CDU-Chef Friedrich Merz.
Völlig auf Sendemodus in einer ereignisreichen Zeit? Das ist nicht nur politisch gefährlich. Auch die Medien hätten sich davon treiben lassen, sagt Kuhn.
Er sei nicht sicher, ob "wir wirklich die wichtigen Themen gewichtet haben, wie sie gewichtet werden müssen".
AfD auf Sendemodus
Gewichtung ist ein gutes Stichwort. Denn nicht nur der Winter machte diesen Wahlkampf zu einem Medienspektakel, sondern auch die hohen Umfragewerte der AfD. Viele Bühnen hat die Partei bekommen, ihre Repräsentanz sitzt inzwischen völlig selbstverständlich in den Talkshow-Studios zur Primetime (Altpapier), und bekommt Interviews auf Sendeplätzen, für die es vor nicht allzu langer Zeit noch Empörung gegeben hätte. Dass das nicht mehr so ist, liegt an der medialen Langzeitstrategie der Rechten, die oft so hübsch mit "Salonfähigkeit" beschrieben wird (Altpapier).
Es gab in den vergangenen zehn Jahren viele Beispiele dafür, dass diese Strategie aufgeht (Altpapier), oder anders gesagt: wie schlecht der mediale Umgang mit der Bedrohung durch die AfD ist. Die Rechten dazu zu bringen, "sich selbst zu enttarnen" hat noch nie funktioniert.
Zuletzt hat das der "Übermedien"-Redakteur Boris Rosenkranz an einem Online-Beitrag der "tagesschau" belegt. Einem Text, schreibt Rosenkranz, "bei dem man etwas aufpassen muss, dass man ihn nicht verwechselt mit einer Pressemitteilung der AfD":
"Der Artikel erschien im Nachgang zur ARD-Sendung 'Farbe bekennen', bei der die AfD-Vorsitzende Alice Weidel zu Gast gewesen war. Moderator Markus Preiß leitete das Interview mit den Worten ein, die 'Botschaften' der AfD seien 'knallig', was niedlich formuliert ist. Und der Beitrag zur Sendung gibt diese 'knalligen' Botschaften nun einfach wieder. Er zitiert, was Weidel gesagt hat. Er ordnet aber in keiner Weise ein."
Rosenkranz findet das kurios:
"Nicht nur während dieses Wahlkampfs, seit Jahren wird diskutiert, wie Medien über Aussagen von Politikern berichten sollten, gerade wenn sie von Vertretern der AfD stammen. Wenn sie pauschal sind, halbwahr oder gelogen. Man kann da unterschiedlicher Meinung sein. Aber Aufgabe von Journalistinnen und Journalisten ist es eben (auch), Aussagen auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen und einzuordnen."
Am Beispiel der Fragen zur Energiepolitik im Interview beschreibt Rosenkranz, wie die AfD Desinformation ungestört verbreiten durfte:
"Stattdessen Allgemeinplätze und pauschale Behauptungen von Alice Weidel: 'Wir sind viel zu teuer.' 'Dementsprechend hauen alle deutschen Unternehmen ins Ausland ab.' 'Niemand investiert mehr.' Und dass Weidel die Energiepolitik der letzten Jahre als 'grüne Wende ins Nirgendwo' bezeichnet, hat die 'Tagesschau' freundlicherweise gleich zur Überschrift gemacht: 'AfD-Chefin kritisiert 'grüne Wende ins Nirgendwo’'."
Weidels Widersprüche
Sicher nicht so "umnachtet" (Rosenkranz) produziert wie der "tagesschau"-Beitrag, aber doch bemerkenswert platziert hat das "ZDF" in dieser Woche drei halbstündige Dokumentationen. Alle begleiten die Spitzenkandidierenden der vier Parteien mit den voraussichtlich höchsten Wahlergebnissen bei ihren Kampagnen. Am Dienstag erschien "Kanzler und Herausforderer – Scholz und Merz im Wahlkampf". Und am Mittwoch gab es ein doppeltes Porträt-Release – starring Robert Habeck (Grüne) und Alice Weidel (AfD).
Die Öffentlich-Rechtlichen unterliegen dem Gebot, bei ihrer Programmgestaltung an die Chancengleichheit der Parteien zu denken. Doch es bleibt die Krux: Nicht nur Desinformation wirkt, sondern auch Ikonisierung. Das funktioniert bei der Person Alice Weidel ohnehin gut – ist sie doch seit Beginn ihrer öffentlichen Karriere der Widerspruch in Person.
Die "FAZ" titelt einen Gastbeitrag des Religions- und Politikwissenschaftlers Monty Ott mit Alice Weidels Widersprüche. Und teasert den Text so an: "Es lässt sich erklären". Hintergrund ist ein wiederkehrendes Thema. Weidels Beziehung zu ihrer Frau, die eine Einwanderungsgeschichte hat - während sie Spitzenkandidatin einer Partei ist, die Familie als heterosexuellen Verbund festschreibt, und deren Mitglieder gegen queeres Leben hetzen. "Wie passt das zusammen?" – fragt Ott, und schreibt:
"Menschen, die marginalisierten Gruppen angehören, können an Ideologien glauben, von denen sie selbst betroffen sind. So finden sich Jüdinnen und Juden, Schwarze, migrantisierte oder queere Menschen in der AfD wieder. Eine Partei, zu deren programmatischem Kern Rassismus, Antisemitismus und Queerfeindlichkeit gehören."
Weidels Dissonanz zwischen ihrem politischen und persönlichen Leben erklärt Ott mit einem Blick in den Nationalsozialismus. Kurz gesagt beruhe "Weidels Widerspruch" auf einer historisch angelegten Unterscheidung in "gute" und "schlechte" Homosexuelle – die Gewalt gegen queere Menschen rechtfertigt, indem sie sich hinter "Feigenblatt"-Figuren versteckt.
"Kritisieren wir die AfD dafür, mittels einer Feigenblatt-Strategie sich der Debatte zu entziehen, sollten wir es uns bei der Kritik an den Personen, die als 'Feigenblatt' benutzt werden, nicht zu einfach machen. Statt Weidel immer wieder als lesbische Frau zu essentialisieren, sollten wir über familiäre Tradierung sprechen, die in diesem Fall ohnehin viel größeren Einfluss auf die politischen Positionen Weidels haben dürfte."
Wichtig ist daran das mediale Dilemma, das Ott mit seinem Beitrag aufzulösen versucht. Er fordert, etwas nicht zu tun, was er selbst teilweise tut – doch er muss es tun, um seine Forderungen stellen zu können: Für die politische Analyse einen Schritt Abstand von der Person Weidel zu nehmen. Eine richtige Idee, wenn das Ziel ist, sie nicht weiter zur (Anti-)Heldin und Ikone zu machen. Doch auch dieser Text bleibt ein Text, der aus der Realität nicht herauskommt, dass er "Weidels Widersprüche" heißt, und sie in einer Zeit des Wahlkampfes einmal mehr sichtbar macht. Ein Dilemma, aus dem auch diese Kolumne nicht herauskommt.
Auf AfD-Sendemodus
Wie also über die AfD berichten? Vorsichtige Prognose: Das wird auch nach dem Wahlkampf zur Debatte stehen. Und Berichte wie die Folgenden werden die Medienlandschaft wohl weiter beschäftigen.
Da ist zum Beispiel die Spendenaffäre, die der "Spiegel" mit der österreichischen Zeitung "Standard" Anfang der Woche aufdeckte. Etwa 2,35 Millionen Euro sollen über eine sogenannte "Strohleutespende" – also über Umwege – vom Immobilienhändler Henning Conle auf den Konten der Partei gelandet sein. Der "taz" zufolge seien daraus unter anderem etwa 6000 Wahlplakate finanziert worden.
Oder die Recherche des ORF, der nachweist, wie die rechtsextreme, österreichische Plattform "AUF1" Positionen der AfD befeuert.
"Tatsächlich findet man auf der Plattform in den Tagen und Wochen vor der deutschen Bundestagswahl Begeisterung für AfD-Positionen. Unter so gut wie jedem Beitrag ist zudem ein Banner mit Weidel zu sehen, gekennzeichnet als bezahlte Anzeige. Ob die Anzeige von der AfD direkt stammt und wie viel Geld floss, beantwortete die AfD auf Anfrage nicht. Von AUF1 hieß es gegenüber dem ORF, dass man die zusätzlichen Einnahmen aus Werbung für die Erhöhung der Reichweite nutze. Auch in der Berichterstattung kommen Politikerinnen und Politiker von AfD und FPÖ mit Abstand am häufigsten vor."
Die Frage, wie der Wahlkampf in Deutschland in sozialen Netzwerken nach rechts geschoben wurde, hat auch das der Uni Harvard verbundene US-Magazin "Niemanlab" analysiert. Auf Basis einer Studie zeigt der Autor Joshua Benton: Fast Dreiviertel des "Partisan Contents" – also der Inhalte, die User ohne absehbare Präferenzen zu sehen bekommen – hat die AfD beworben.
Und zuletzt ist da ein Essay in der "Süddeutschen Zeitung", in dem der Schriftsteller Maxim Biller über ein Verbot der AfD nachdenkt – beziehungsweise fällt ihm die Antwort leicht, aus seiner Sicht gibt es nur eine logische Variante. Das Essay liest sich an vielen Stellen wie eine einzige rethorische Frage, so wie hier:
"Wann ist, liebe Politiker, Publizisten und Sozialarbeiter, eigentlich der perfekte Moment gekommen, um den Propheten der Unfreiheit durch ein kleines, finsteres Parteiverbot in die Hacken zu treten?
Wenn sie – meine Antwort – noch relativ still und leise davon träumen, Ausländer, ihre Kinder und Kindeskinder und diesmal erst ganz zum Schluss die Juden in Züge, Flugzeuge und Lkws mit unbekanntem Ziel zu setzen? Wenn sie sich in ihren Vorstadtkneipen und zu Tode renovierten Wannsee-Villen verstohlen zutuscheln, wie herrlich es wäre, wenn in deutschen Schulen allein deutsche Dichter gelehrt werden würden und die Stimmen von Deutschen nur noch dafür da wären, um einen Diktator zu bejubeln, statt bei einer freien Wahl eine für Freiheit stehende Partei zu wählen?
Oder soll man – frage ich rein rhetorisch – erst dann darangehen, eine auf taktisches Chaos und strategischen Demokratie-Rückbau zielende Partei wie die AfD mithilfe des Verfassungsgerichts zu verbieten, wenn sie schon so groß, wichtig und einflussreich ist, dass sie ihre eigenen Leute überall dort sitzen hat, wo sie ein solches Verbot verhindern könnten?"
Altpapierkorb (SRF streicht Wissenschaft, Schluss mit Faktenchecks bei Facebook, Queerfeindlichkeit bei Facebook)
+++ Gleich drei Petitionen kursieren in der Schweiz, weil der "SRF" das Wissenschaftsmagazin im Radio gestrichen hat. Alle fordern den Erhalt der Sendung. Davon berichtet die Schweizer Wochenzeitung "woz".
+++ Das Magazin "Menschen Machen Medien" der Gewerkschaft verdi fragt in einer Analyse über die Folgen des abgeschafften Faktenchecks beim Riesenkonzern Meta: "Was ist für die politische Meinungsbildung auf den Plattformen zu erwarten?". Die Strategien von Facebook-Eigentümer Mark Zuckerberg sind in den USA und in Europa (noch) verschieden.
+++ Inhaltswarnung: Queerfeindlichkeit. Was die angekündigte "Meinungsfreiheit" auf den Meta-Plattformen an Gewalt hervorbringt, zeigt der Post eines Luxemburgischen Politikers. Er ruft laut "FAZ" dazu auf, "LGBTQ zu "vernichten". Er ist übrigens Mitglied bei der "Alternativ Demokratsch Reformpartei". Namentliche Ähnlichkeiten zur in dieser Kolumne viel besprochenen Partei sind vermutlich nicht rein zufällig.
Das Altpapier am Montag schreibt Ben Kutz.