Kolumne: Das Altpapier am 19. Februar 2025: Porträt der Altpapier-Autorin Antonia Groß 5 min
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Kolumne: Das Altpapier am 19. Februar 2025 Der deutsche Umgang mit rechter Gewalt

19. Februar 2025, 10:41 Uhr

Zum fünften Jahrestag des rassistischen Terrors in Hanau wird überdeutlich, wie einseitig die Kanzlerkandidaten Attentate nutzen, um Wahlkampf zu betreiben. Heute kommentiert Antonia Groß die aktuelle Medienberichterstattung.

Porträt der Altpapier-Autorin Antonia Groß
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Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Gefilterte Realität

Mit Attentaten lässt sich super Wahlkampf machen. Ob blau, schwarz, rot oder grün – wie das geht, haben alle Parteien, die Kanzlerkandidaten, beziehungsweise eine Kanzlerkandidatin stellen, in den vergangenen Wochen bewiesen – ob sie es nun gerne gemacht haben, oder weil sie sich von der Rhetorik der AfD hertrieben ließen. Dazu mussten sie im Vorfeld kaum mehr tun, als durch das ständige Wiederholen eines scheinbaren Zusammenhangs rhetorisch eine Kette tragischer Ereignisse zu knüpfen und diese möglichst oft im selben Atemzug mit dem Wort "Sicherheit" zu verbinden. Wie oft klang es in diesem Jahr schon so und ähnlich? "Für mehr Sicherheit - wegen Solingen, Magdeburg, Aschaffenburg, München."

Mit Attentaten Wahlkampf betreiben? Die Attentate dienen als Aufhänger für eine asyl- und einwanderungsfeindliche Sprache, das Schlagwort "Sicherheit" als Hülle für Rassismus: Laut einer Analyse des "Spiegel" hat CDU-Kandidat Friedrich Merz in jedem zehnten seiner Sätze die Themen Migration und Sicherheit vermengt. Untersucht hat das Magazin Reden der vier Kandidierenden von Oktober 2024 bis Februar 2025. Alice Weidel von der AfD hat demnach Parolen aus dem künstlichen Wortpaar in fast jedem fünften Satz untergebracht.

Auch das ZDF zeigt in einem Beitrag, wie die Parteien die Debatten um die Attentate nutzen, um mit dem Sicherheitsgefühl der Bevölkerung zu spielen – und damit nicht nur gefühlte Unsicherheit weiter provozieren – sondern auch die Stimmung gegen Einwanderung. Die versprochene Sicherheit gilt nämlich nicht für alle.

Das Ausnutzen der Attentate zu diesem Zweck geht so weit, dass sich Angehörige der verstorbenen Amel und ihres 2-jährigen Sohnes Hafsa aus München an die Öffentlichkeit gewandt haben, denn auch sie sehen eine akute Gefahr: Dass der tragische Tod der beiden für mehr Hetze dient. Wie zynisch ist es, wenn Trauernde solche Worte sagen müssen?

"Wir möchten bekräftigen, dass der Tod und der Verlust nicht benutzt werden, um Hass zu schüren und ihn politisch zu instrumentalisieren."

Der Zynismus dieser Zeiten zeigt sich in voller Größe, wenn klar wird, wie offensichtlich die Realität gefiltert wird. Denn nicht jedes Attentat ist offenbar Wahlkampf-geeignet, nicht jedes erzeugt die Stimmung, die die Kandidierenden anstreben, um in diesem Land zu dieser Zeit die gewünschten Wählergruppen abzugreifen. Nicht jedes Attentat eignet sich, um mit Rassismus zu taktieren.

Fünfter Jahrestag von Hanau

Heute jährt sich der rechtsterroristische Anschlag in der hessischen Stadt Hanau zum fünften Mal. Ein Rassist ermordete am 19. Februar 2020 neun Menschen und verletzte viele weitere. Er griff gezielt Menschen mit Einwanderungsgeschichte an. In den folgenden Jahren hat vor allem die unermüdliche Arbeit der Angehörigen dazu geführt, dass die Namen der Ermordeten bundesweit bekannt sind, dass Medien sie heute in Berichten aufzählen, wie jedes Jahr um diese Zeit, wenn sie etwa, so wie auch in dieser Woche wieder, auf den Anschlag zurückblicken: so wie hier, im "Deutschlandfunk", oder hier, in der "Frankfurter Rundschau, oder hier, bei der "hessenschau". Der "Stern" nimmt den Jahrestag zum Anlass, eine Liste mit den Namen aller erfassten, durch rassistisch motivierte Gewalt Ermordeten seit 1990 zu veröffentlichen.

Bei "Jetzt.de" ("Süddeutschen Zeitung") beschreibt Simon Sales Prado das zum fünften Jahrestag als eine Errungenschaft der Hinterbliebenen, die bis heute nicht nur für Erinnerung, sondern auch für Aufklärung kämpfen:

"Wenn heute viele Menschen wissen, was vor fünf Jahren in Hanau passiert ist, dann liegt es vor allem an der Anstrengung der Hinterbliebenen. Sie sprechen auf Bühnen, in Parlamenten, stellen Anzeigen und schreiben Bücher. Sie erzählen seit Jahren die Geschichten ihrer ermordeten Kinder und Geschwister. Sie sind so zu Expertinnen und Experten für das Gedenken geworden, aber auch für den deutschen Umgang mit rechter Gewalt. [...] Çetin Gültekin, der Vater des verstorbenen Gökhan, sieht ein Staatsversagen nach Hanau, nennt es den zweiten Anschlag."

Er beziehe sich auf die fehlende Aufarbeitung durch die Politik, den "ohne nennenswerte Ergebnisse" gebliebenen Untersuchungsausschuss, die ungeklärten Fragen zum Versagen der Sicherheitsbehörden in der Nacht des Attentats, die eingestellten Ermittlungen, die Probleme der Angehörigen mit Entschädigungen und Krankenkassen. Auch "taz"-Autorin Yağmur Ekim Çay blickt wieder einmal auf das staatliche Versagen, das den Anschlag ermöglichte und Aufklärung verhindert.

Sales Prado attestiert der deutschen Öffentlichkeit im Angesicht des aktuellen Rechtsdrifts Ignoranz gegenüber rechter Gewalt und bezieht sich auf die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann, wenn er schreibt:

"Wenn die deutsche Gesellschaft sich einer aufrichtigen Aufklärung des Anschlags von Hanau verwehrt, dann auch, weil die Gewalt am deutschen Selbstbild rüttelt. Wer den Anschlag nicht mehr als Ausnahme, sondern als festen Bestandteil der deutschen Geschichte begreift, erkennt auch an: Deutschland ist ein Land, in dem Menschen aus rassistischen Gründen ermordet werden. Das wiederum passt nicht zusammen mit dem deutschen Selbstverständnis einer entwickelten, gerechten Gesellschaft, die aus ihrer Vergangenheit gelernt hat."

Seine beißende Schlussfolgerung:

"Einem beachtlichen Teil der Deutschen sind die Leben von migrantischen Menschen schlicht weniger wert."

Denn auch das ist inmitten der Schlaglichter auf Hanau an diesem Tag Realität: Rechte Gewalt nimmt zu, an Prävention wird gespart, migrantisches Leben ist in Gefahr – doch ihre Sicherheit ist im Wahlkampf kein Thema. Stattdessen gehen die Kandidierenden auf Stimmenfang mit Abschiebevorhaben. Und die Medien machen mit. Selbst rassistische Falschinformation wie von CDU-Kanzler-Anwärter Merz verbreiten sie, oft unwidersprochen und ohne sie als das zu benennen, was sie ist: Rassismus (Altpapier).

Leerstelle: Rechte Gewalt

Den Jahrestag von Hanau nimmt Ferda Ataman, die Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, zum Anlass, um gegenüber der "dpa" – hier veröffentlicht von "ntv" - von der "nächsten Bundesregierung" zu fordern, Rassismus ernst zu nehmen. Rassistische Diskriminierung nehme zu. Von 2006 bis einschließlich Dezember 2024 gingen ihr zufolge 21.600 Beratungsfälle bei der Antidiskriminierungsstelle ein. Worum es dabei ging:

"Menschen berichteten von rassistischem Mobbing am Arbeitsplatz, Ärzte lehnten muslimische Patienten als 'Messerstecher' ab und Schüler würden als 'kleiner Terrorist' an die Tafel gerufen, so Ataman. Statt das Sicherheitsgefühl von migrantischen Menschen zu stärken, würden sie derzeit mehr denn je zum Sicherheitsproblem erklärt."

Und die Neuen Deutschen Medienmacher*innen (deren Vorsitzende Ataman vor ihrem Amt in der Bundesbehörde war), zeigen anlässlich des Jahrestages von Hanau auf das mediale Versagen beim Berichten über rechte Gewalt:

Die Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte nehmen zu, 218 politisch motivierte Angriffe gab es allein im letzten Jahr. Sie reihen sich ein in knapp 34.000 rechtsextrem motivierten Straftaten, die das Bundesinnenministerium von Januar bis November 2024 registrierte, davon über 1.100 Gewaltdelikte. Rechtsextreme Straftaten steigen an, aber die mediale Aufmerksamkeit sinkt.

Die Organisation spricht Medienschaffende direkt an:

Doch anstatt auf Politiker*innen, die die Tat für Wahlkampfzwecke instrumentalisieren, sollte der Fokus auf die Opfer und ihre Angehörigen, auf gute Recherche und die Perspektiven von Expert*innen gelegt werden. Journalist*innen entscheiden, wer im Mittelpunkt der Berichterstattung steht – Betroffene, reale Ursachen für Gewalt oder populistische Hetzkampagnen.

Wahlkampf aber wird mit dem Erinnern an oder den Forderungen nach Konsequenzen aus Hanau nicht gemacht. Diese Leerstelle zu zeigen, wäre deshalb eine mediale Aufgabe. So schließe ich mich meinem Altpapier-Kollegen Klaus Raab an, der am Montag aufschrieb, welche Fragen im sogenannten Quadrell bei "RTL" am Sonntag nicht gestellt wurden (er hatte Fragen zu Klima, Pflege, Bildung, Energie). Denn in all den zig Wahlarenen (Altpapier) wurde zwar der Kampf um die Stimmen unter dem Deckmantel der Sicherheit weiterbetrieben, doch um die Sicherheit derjenigen, die in diesem Land in größter Gefahr leben, ging es (bis auf wenige Beispiele wie dieses) kaum. Es wäre an den Medien, zu fragen:

- Wie werden Sie dafür sorgen, dass keine Flüchtlingsunterkünfte mehr brennen, Herr Habeck?

- Wie werden Sie die Menschen schützen, die jeden Tag rassistisch angegriffen werden, Herr Scholz?

- Was sagen Sie heute den Angehörigen der Ermordeten von Hanau, Herr Merz? Wie werden Sie in Zukunft für ihre Sicherheit garantieren?


Altpapierkorb (Wahlkampf mit Influencern, Künast vs. Meta,  "Dislike"-Button, Unabhängige Medien, Netzwerk Recherche)

+++ Apropos Wahlkampf: Es gibt mehr neue Talkformate denn je. In der "taz" lästert Jannik Grimmbacher ein bisschen über den neusten Versuch der Öffentlich-Rechtlichen, ein jüngeres Publikum anzusprechen: "Die Influencer sollen ihr Publikum aus dem Internet mit in die Öffentlich-Rechtlichen nehmen. Was ein nachvollziehbarer Versuch ist, den Wahlkampf für eine jüngere Zielgruppe zu öffnen, schwächt die Debatte. Denn viele der Internetpromis bringen vor allem die überhitzte Diskussionskultur aus den sozialen Medien ins Studio und nutzen die Bühne der ARD vor allem, um sich selbst zu profilieren."

+++ Im Medienmagazin @mediasres des "Deutschlandfunk" geht es um eine Klage der Grünen-Politikerin Renate Künast gegen den Facebook-Konzern "Meta". Sie wollte erreichen, dass das Unternehmen dafür sorgen muss, Falschinformationen über ihre Person aus dem Netzwerk zu entfernen – egal, wie weit sie schon ihre Kreise gezogen haben. Der Bundesgerichtshof hat den Prozess nun vorerst ausgesetzt.

+++ Die Plattform "Instagram" testet einen "Dislike"-Button in den Kommentarspalten – er soll wohl einspringen, wo der Konzern Regulierung durch Faktenchecks und Moderation abbaut. Der Zweck: "Ein Unternehmenssprecher erklärte, dass der Dislike-Button den Nutzern eine Möglichkeit geben soll, ihre Instagram-Erfahrung besser zu kontrollieren. Es werde getestet, ob durch die Abstimmung unbeliebte Kommentare nach unten verschoben werden können", informiert "meedia". Eine britische Podcasterin munkelte laut dem Bericht aber schon, dass hinter dem Testlauf eher eine Marketing-Strategie stecke als der Wunsch nach einem besseren Umgang unter Usern.

+++ Das Medienmagazin "ZAPP" berichtet in einem Newsletter, das ukrainische Investigativ-Portal Slidstvo.info stehe durch die gestrichenen Finanzierung von USAID (Altpapier) vor "großen Herausforderungen": 80 Prozent ihres Budgets waren bisher von dort gekommen. "Telepolis"-Autor Christian Voges findet, der Begriff "unabhängige" Medien müsse hinterfragt werden, wenn sich Redaktionen aus staatlichem Geld finanzierten.

+++ Der Verband "Netzwerk Recherche" fordert von der nächsten Regierung eine "bessere Medienpolitik". In sechs Punkten geht es um eine bessere Medienpolitik, um Pressefreiheit und den Auskunftsanspruch gegenüber Behörden, die Informationsfreiheit, gemeinnützigen Journalismus, Medienvielfalt, einen "zukunftssicheren" Öffentlich-Rechtlichen-Rundfunk.

Das Altpapier am Donnerstag schreibt Ralf Heimann.

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