Kolumne: Das Altpapier am 17. Februar 2025 Duelle in Huelle und Fuelle
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17. Februar 2025, 10:43 Uhr
Auch in der RTL-Kanzlerviererrunde gab es keine Frage zu Klima oder Pflege. Wie man im Politikdebatten-Fernsehen die Fakten fürs Publikum nachvollziehbar prüft, bleibt außerdem eine Schwierigkeit, wie man an zwei Beispielen sieht. Heute kommentiert Klaus Raab die Medienberichterstattung.
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Über das Sonstwieell bei RTL und ntv
RTL hat den Sonntagabend mit politischem Diskurs bestückt, gestern jedenfalls: mit dem in der deutschen Bundestagswahlkampf-Geschichte neuen Viererduell der vorne liegenden Spitzenkandidatinnen und -kandidaten (Altpapierkorb vom Freitag). Ob aber die von Pinar Atalay und Günther Jauch maximal mittelgut moderierte Viererrunde, die manche auch Quadrell und andere Doppelduell nennen, die gesamtgesellschaftlichen Erkenntniszuwächse befördert hat?
Vielleicht gab es in den vergangenen Tagen und Wochen dafür schon zu viele Wahlkampfveranstaltungen im Fernsehen, als dass man von dieser einen ganz besonders aus den Socken gehauen werden konnte. Duelle in Huelle und Fuelle quasi. Quantitativ war es schon jetzt wohl der duellformatreichste deutsche Wahlkampf aller Zeiten.
Oder wie Friedrich Küppersbusch es in der "taz" sagt: "Allein das erste Duell gab mir die Gewissheit, keine neuen Argumente mehr zu hören."
Was man schon deshalb also hätte tun können: andere Themen bearbeiten als die anderen. Das haben RTL (und natürlich RTLs ntv) am Sonntag allerdings verpasst. Vier Fragen, die auch in dieser Sendung nicht gestellt wurden:
- Herr Merz, wie wollen Sie die Einhaltung der Klimaziele konkret sichern?
- Frau Weidel, wie wollen Sie den Pflegenotstand beheben, und wer könnte gegebenenfalls dabei hilfreich sein?
- Herr Habeck, wie meinen Sie das, dass der für Bildung nicht zuständige Bund den Lehrkraftmangel mitbeheben soll?
- Herr Scholz, können Sie drei Gründe nennen, warum ein Kohleausstieg 2030 doch nicht so wichtig ist?"
Bildung, Klima, Pflege, Energie, Günther Jauch fiel am Ende selbst auf, dass diese Themen gefehlt hatten. Stattdessen stiegen auch Atalay und er wieder ein mit: Migration. Den Vorwurf müssen sie sich nicht exklusiv gefallen lassen, aber insgesamt hat der Wahlkampfjournalismus von der Thematisierungsfunktion der Medien offenbar noch nicht viel gehört.
Über den Faktencheck bei Stern.de
Und dann ist da noch diese Sache mit den Fakten, die überprüft werden sollten, wenn Politikerinnen und Politiker, ganz bestimmte zumal, in der heißen Wahlkampfphase live auf Sendung sind. "(I)ch hoffe, dass wir nicht auf einem Donald-Trump-Niveau landen, wo es fast nur darum geht, was gelogen oder erfunden ist", läutete Finn Rütten von stern.de das Viererduell vorab ein. Er sagte das in einem Interview, das er "Übermedien" (Abo) gab; stern.de gehört zur RTL-Gruppe. Und nein, es war nicht Trump-Niveau. Es nahmen aber ja auch nicht nur verkappte Trumps teil. Aber Anlass zum Faktenprüfen gab es trotzdem. Mittlerweile kann man den Faktencheck auch nachlesen.
Ob der Weg von stern.de besonders geeignet ist, um Fakten in einer Livesendung transparent zu prüfen? Rütten erklärte ihn jedenfalls so:
"(S)obald man in der Lage wäre, dem Moderator den gesicherten Fakt aufs Ohr zu spielen, ist die Diskussion schon woanders. Noch mal zurückzuspringen, ist kaum möglich, das funktioniert im Fernsehen nicht. Deshalb machen wir es jetzt in einer quasi Live-Situation auf einer Parallel-Plattform und ordnen dort Aussagen ein, die nicht oder nicht ganz der Wahrheit entsprechen. Die Hoffnung ist, dass wir deutlich dichter dran sind als bei einem herkömmlichen Faktencheck, der in der Regel erst am nächsten Tag erscheint."
Nachvollziehbar ist das. Die Frage ist, ob es genügt, Fakten zwar immerhin nahezu in Echtzeit, aber eben dann doch "nur" auf einer anderen Plattform zu checken, die man als Zuschauer erst einmal aufrufen und dann auch multitaskend zeitgleich lesen muss. Aber es ist definitiv sinnvoller, als die Fakten zeitversetzt zu prüfen, wie es viel üblicher ist.
[Wem ein Echtzeit-Faktencheck direkt auf dem Sender nach Einschätzung verschiedener Beobachter übrigens gut gelang: den ABC-Moderatoren David Muir und Lindsey Davis während der TV-Debatte von Kamala Harris und Donald Trump (Altpapier).]
Festgehalten werden soll hier auch noch, was Finn Rütten von stern.de auf die Frage sagte, was eigentlich ein Fakt sei. So einfach ist das gar nicht immer zu definieren. Rütten:
"Es wird sicher klare Fakten geben, die man widerlegen kann. Aber zum Teil werden wir uns im Feld von Auslegungen und Graubereichen bewegen. Da geht es dann darum, schnell Hintergrundinformationen anzubieten, mit denen sich die Leserinnen und Leser ein besseres Urteil zu der Aussage bilden können."
(Mehr zu Faktenchecks und einem Beispiel, wie man es jedenfalls nicht ideal anstellt: im Altpapierkorb.)
Wenn die US-Regierung "Fehlinformationen" definiert
Am Wochenende hat Friedrich Merz etwas gesagt, was zur Nachricht wurde, obwohl es eigentlich keine Nachricht sein dürfte. Er hat der US-amerikanischen Nachrichtenagentur AP zufolge gesagt: "We would never kick a news agency out of the press room of our Chancellery”. Wörtlich übersetzt also: Wir würden niemals eine Nachrichtenagentur aus dem Presseraum des Kanzleramts rauswerfen.
Friedrich Merz erkennt also als Bundeskanzler, sofern er es wird, die Pressefreiheit an und behindert einzelne Journalistinnen und Journalisten nicht in der Berichterstattung über die Bundesregierung, indem er sie vom Informationsfluss abschneidet. Man würde gerne darüber lachen. Aber seine Äußerung hat einen Kontext: Merz bezog sich damit, wie faz.net in einem Liveblog von der Münchner Sicherheitskonferenz festhielt, "auf einen Vorfall im Weißen Haus", der AP-Journalisten betraf. Das zeigt, dass es eigentlich um etwas anderes geht: darum, dass das Selbstverständliche dort eben derzeit nicht oder nicht mehr selbstverständlich ist.
Ralf Heimann hat hier am Donnerstag schon darüber geschrieben, inwiefern die neue US-Regierung die Pressefreiheit infrage stellt. Unter anderem wurde AP von Veranstaltungen des Weißen Hauses ausgeschlossen, weil sie den Golf von Mexiko nicht "Golf von Amerika" nennen will, so wie es per Dekret von Donald Trump angeordnet worden war. "Woraufhin Kommentatoren flächendeckend ihren George Orwell aus der Tasche holten und an die Praxis des Neusprech aus '1984' erinnerten", wie Harald Staun in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" schreibt.
Am Wochenende informierte AP nun darüber, dass sie dauerhaft aus Trumps Büro und dem Präsidentenflugzeug verbannt worden sei. Sie schrieb aber auch, warum sie sich dem Dekret nicht füge: weil das Dekret nicht für die ganze Welt gelte, sondern nur in den USA, sie aber internationale Kunden habe. Unter anderem zeit.de schrieb darüber (auch unter Rückgriff auf die französische Nachrichtenagentur AFP):
"AP ist die größte Nachrichtenagentur in den USA. Ihr sprachliches Regelwerk gehört seit Jahren zur Standardlektüre für Nachrichtenredaktionen und Firmenbüros. In einem stilistischen Hinweis hatte AP im vergangenen Monat mitgeteilt, dass Trumps Namens-Erlass 'nur innerhalb der Vereinigten Staaten Berechtigung besitzt'. Als globale Nachrichtenagentur, die Nachrichten auf der ganzen Welt verbreite, müsse AP 'sicherstellen, dass Ortsnamen und Geografie für alle Zielgruppen leicht erkennbar sind', hieß es weiter."
Dass der stellvertretende Stabschef des Weißen Hauses postete, AP habe sich dazu verpflichtet, Fehlinformationen zu veröffentlichen ("commitment to misinformation”), war der nächste aggressive Streich der Trump-Administration – während Trumps Vizepräsident J.D. Vance in München beklagte, dass man in Europa mit "hässlichen Begriffen aus der Sowjet-Ära wie 'Fehlinformation' und 'Desinformation'" arbeite (Original: misinformation and disinformation), um alternative Standpunkte zu diskreditieren (faz.net und edition.cnn.com). Klar, dass es nichts bringt, die US-Regierung des Bullshits zu überführen. Das ist einfach. Es geht aber nicht um Wahrheit, sondern um die Demonstration von Macht.
Altpapierkorb (ARD/ZDF vs. Joyn, Vance-Berichterstattung, Mischke-Aufarbeitung, "Hart aber fair 360")
+++ Wellen schlägt das Embedding von ARD- und ZDF-Inhalten in den Dienst joyn von ProSiebenSat.1 (zuletzt hier im Altpapier). Vorne in der Berichterstattung war am Samstag die "FAZ" (Abo), die allerlei Einschätzungen einholte, etwa die von Markus Breitenecker von ProSiebenSat.1 sowie vor allem mehreren Medienpolitikerinnen und -politikern: Heike Raab (SPD), Nathanael Liminski (CDU), Carsten Brosda (SPD) und Dirk Schrödter (CDU). Vor allem Letzterer nimmt eine Position ein, die ARD und ZDF womöglich nicht gefällt: Er wird zitiert, "die Politik habe mit Blick auf das Funktionieren der demokratischen Grundordnung ein großes Interesse daran, dass Public-Value Inhalte 'einem breiten Publikum auf verschiedenen Wegen verlässliche und seriöse Informationen zur Verfügung stellen'. Dies schließe das Embedding öffentlich-rechtlicher Inhalte bei den Privaten ausdrücklich ein." Dass es tendenziell für sinnvoll gehalten wird, sich abzustimmen, bevor man Fakten schafft, ist den Äußerungen aber auch klar zu entnehmen. (Zum Thema arbeitet auch dwdl.de, hier und hier.)
+++ Wie soll man umgehen mit einer Rede wie jener, die der US-Vizepräsident J.D. Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz gehalten hat? Darüber wurde am Wochenende diskutiert. Soll man sie protokollieren und journalistisch so behandeln wie zum Beispiel die Weihnachtsansprache des Bundespräsidenten? Soll man also, zum Beispiel, melden: "J.D. Vance beklagt Demokratie-Verlust in Europa"?, wie es am Freitagnachmittag auf tagesschau.de zu lesen war (später wurden noch Anführungszeichen um das Wort "Demokratie-Verlust" ergänzt)? Einerseits ist das ja eine zutreffende Meldung, denn genau das hat Vance getan. Andererseits ist das eine kaputte Meldung, denn Vances Diagnose beruht auf Halbwahrheiten. Einige davon hat faz.net zusammengetragen.
+++ Und nochmal "FAZ". Sie berichtet, dass der ARD-Vorsitzende Florian Hager "von A bis Z" den Fall Mischke (Altpapier) aufarbeiten wolle: "Derzeit könne zur Aufarbeitung nichts Neues kommuniziert werden, sagte Hager. Die Entscheidung, dass Thilo Mischke nicht moderieren werde, sei getroffen und werde nicht wieder zurückgenommen." Aber suboptimal nennt er schon mal die ARD-Kommunikation. Mischke sollte eigentlich im Februar Moderator des ARD-Kulturmagazins "ttt – titel, thesen, temperamente" werden. Dagegen gab es Proteste.
+++ Die ARD hat am Wochenende einen Testballon steigen lassen, mit dem sie den politischen Diskurs stärker in die ARD-Mediathek und damit in jüngere Zielgruppen tragen will. Und ja, natürlich braucht es neue Formate der Politikvermittlung, die an den Medienwelten Jüngerer andocken. Aber "Hart aber fair 360", das neue Format, ist schon ganz schön speziell: politischer Diskurs, aber als Spielshow. Man darf auf keinen Fall zu streng mit Experimenten sein, und darum handelt es sich in diesem Fall: um ein Experiment. Es gibt aber ein Faktencheckproblem, das sich aus dem Format erst ergibt. Der Moderator ist hier eher Präsentator, wo aber niemand moderiert, kann auch niemand inhaltlich eingreifen, wenn jemand etwas Falsches behauptet. Konkret: In der Sendung hat schon wieder jemand mit AfD-Hintergrund im Zusammenhang mit Asylpolitik stark Irreführendes über die Statistik der Gruppenvergewaltigungen behauptet (Altpapier) – und diesmal unbehelligt von der Moderation. Dabei kennt die Redaktion die Fakten, sie hat sie ja schon einmal überprüft und in einem nachträglich online gestellten Faktencheck korrigiert.
Ich habe das Problem, das ich damit habe, für spiegel.de (Abo) festgehalten: "Gleich der erste, der zu Habeck in die Mitte darf, ist ein gesichtsbekannter junger AfD-Aussteiger. Er hat, na klar, die Meinung mitgebracht, dass das Land durch die Migration überfordert sei, verweist auf fehlende Sozialarbeiter und lässt in diesem Zusammenhang auch den Hinweis fallen, dass pro Tag zwei Gruppenvergewaltigungen begangen würden. Er sagt nicht explizit: von 'Zuwanderern', wie kürzlich eine AfD-Politikerin in einer regulären 'Hart aber fair'-Ausgabe fälschlicherweise behauptet hat. Aber der Kontext sagt genau das. Und weil es zu den Spielregeln gehört, dass der Moderator hier nicht inhaltlich dazwischengrätscht, bleibt das dann einfach so stehen." Dabei gäbe es ja in einem Format, das nicht live gesendet wird, durchaus Wege der Aufklärung. Und wenn es die Einblendung von mehr Texttafeln ist.
Am Dienstag schreibt das Altpapier Ben Kutz.