Kolumne: Das Altpapier am 11. Februar 2025: Porträt des Altpapier-Autoren Klaus Raab 6 min
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 11. Februar 2025 "Aber seine Fußnoten!"¹

11. Februar 2025, 11:32 Uhr

Es ist Wahlkampf, es werden wieder Doktorarbeiten von Politikern überprüft. Diesmal mit der Erkenntnis: Es hängt viel davon ab, wer zuerst an die Öffentlichkeit geht – der Plagiatsjäger oder der Politiker. Und: Warum stürzen sich Medien auf die Korrektur einer Lüge und übersehen die Lüge? Heute kommentiert Klaus Raab die Medienberichterstattung.

Porträt des Altpapier-Autoren Klaus Raab
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Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Uni prüft den Diss eines Plagiatsjägers

Der Wahlkampf hätte am Montag um ein Haar ein neues Thema bekommen. Keinen neuen politischen Inhalt, das nicht; inhaltlich hängen wir nach wie vor in einer Roland-Koch-Gedächtnis-Schleife fest. Aber eine neue Skandalisierungsoption. Denn am Montag erschien ein Gutachten des sogenannten Plagiatsjägers Stefan Weber über die vor 25 Jahren bei der Universität Hamburg eingereichte Dissertation von Robert Habeck. Oder wie die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" es heute in ihrem Feuilletonaufmacher nennt: ein "'Gutachten'", in Anführungszeichen.

Schon vorher allerdings erschien ein Video von Habeck selbst, in dem er mitteilte, er rechne mit einer Veröffentlichung von Vorwürfen zu seiner Dissertation. Er habe die ihm bis Januar vorliegenden Vorwürfe vorab von der Universität prüfen lassen, und sie seien von ihr entkräftet worden. Ein zweiter Teil werde noch geprüft. Die Uni teilte am Montag mit:

"Im Ergebnis wurde festgestellt, dass gemäß den Regeln der UHH kein wissenschaftliches Fehlverhalten vorliegt, da weder vorsätzlich noch grob fahrlässig gegen die Standards der guten wissenschaftlichen Praxis verstoßen wurde. Die Eigenständigkeit der Forschungsleistung, die die Dissertation von Dr. Robert Habeck darstellt, wurde durch dieses Prüfungsergebnis bestätigt. (…) Nach dem Versand dieses Schreibens erreichten die Ombudsstelle durch Dr. Robert Habeck neue Hinweise die besagte Doktorarbeit betreffend. Diese werden aktuell nach dem oben beschriebenen Verfahren ebenfalls sorgfältig begutachtet und fachlich eingeordnet."

Diese Entkräftung der Vorwürfe prägte anschließend die Berichterstattung stärker als die Vorwürfe selbst. Redaktionen, die ansonsten womöglich zunächst über Plagiatsvorwürfe gegen Habeck berichtet hätten, meldeten stattdessen direkt, wie t-online.de: "Habeck widerspricht Vorwürfen zu Doktorarbeit". Oder, wie Zeit Online: "Robert Habeck und Uni Hamburg weisen Plagiatsvorwürfe zurück".

Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie sehr es vom zeitlichen Ablauf der Veröffentlichungen abhängt, ob eine im Raum stehende mögliche Normverletzung durch breite Berichterstattung wirklich zu einem Skandal wird. Wer zuerst kommt, kann den ersten Eindruck prägen.

Die Plagiatsjagd als ins Absurde getriebene Gotcha-Technik

Ob Vorwürfe zutreffen (und inwiefern) und ob Medien womöglich für eine politische Kampagne instrumentalisiert werden sollen, sollten Journalisten aber unabhängig davon beantworten. Die bereits vorgenommene Prüfung des ersten Teils der Vorwürfe durch die Universität und ihre Stellungnahme halfen in diesem Fall dabei.

Der Verdacht, dass in diesem Fall eine politische Motivation eine Rolle spielt, liegt zudem so nahe, näher geht’s kaum. Oder wie es Gerhard Haug, der Präsident der Leopoldina-Akademie, gestern ausdrückte (der allerdings Klimatologe ist und nicht, wie Habeck, Literaturwissenschaftler): Dass die Vorwürfe kurz vor der Bundestagswahl erhoben würden, sei "gewiss kein Zufall, sondern politisch motiviert" (spiegel.de).

Theoretisch könnte der Zeitpunkt zwar ein Zufall sein. Wenn einem Medium oder, in diesem Fall, dem "Plagiatsjäger" Weber Missstände welcher Art auch immer tatsächlich kurz vor einer Wahl zu Ohren kommen oder auffallen, kann es falsch sein, sie nicht zu veröffentlichen. Allein, Weber hatte schon im August in seinem Blog angekündigt, es gebe zu Habecks Dissertation "in den nächsten Monaten Unangenehmes zu berichten". Darauf weist unter anderem die FAZ (Abo) hin.

Der Blick in die FAZ lohnt sich deshalb, weil sich Jochen Zenthöfer darin genauer als andere mit den erhobenen Vorwürfen auseinandergesetzt hat, was – wenn es stimmt, was Weber gestern postete – daran liegen könnte, dass er ihr sein Gutachten zur Berichterstattung vorab angeboten hatte. Sie hat offensichtlich abgelehnt. (Zugeschlagen hat dagegen offensichtlich das Wutportal Nius.de – man kennt sich; siehe dazu spiegel.de.) Zenthöfer schreibt: In der fraglichen Dissertation…

"gibt es keinen einzigen kompletten Satz, der ein Plagiat sein soll. In dem 'Gutachten', das der hauptberufliche Plagiatsjäger Stefan Weber am Montag Internetseite seines von Salzburg aus operierenden Unternehmens publizierte, geht es nur um Fußnoten. Von 1197 Fußnoten, die Habeck setzt, und von denen die allermeisten Quellennachweise enthalten und nur ganz wenige ergänzende Erläuterungen sind, stehen 128 Stück in der Kritik."

Und von denen überzeuge die Hälfte nicht. (Focus Online freilich titelte allen Ernstes: "128 Stellen! Plagiatsvorwürfe gegen Habeck veröffentlicht".)

Zenthöfer geht in einige Details, die an dieser Stelle etwas zu weit führen. Er nennt auch ein Beispiel für eine berechtigte Kritik. Was bei ihm aber bleibt: "der Eindruck von Nachlässigkeit". In der Beschreibung Webers spricht er von "Haarspalterei" oder "Tunnelblick" und davon, "(d)ie Phantasie des Detektivs Weber oder seiner Mitarbeiter" treibe "bizarre Blüten".

Der Kulturwissenschaftler Michael Seemann erinnerte gestern an die Plagiatsaffäre Guttenberg und sprach von ins Absurde gerittenen "Gotcha-Techniken". Das ist der Punkt hier: Der Drang, unliebsame Politiker fallen zu sehen oder ihnen zumindest massiv zu schaden, hat sich entkoppelt von der Größe eines möglichen Vergehens. Was im völlig anders gelagerten Fall Guttenberg vor Jahren schon unangenehm war – der Versuch, ihn zu stürzen, ohne sich Offenheit für andere Resultate zu bewahren –, wirkt hier nur noch wie ein leeres Ritual. Und wenn man erhebliche Zweifel an der Angemessenheit von Plagiats- oder Betrugsvorwürfen haben muss, ist das nur für diejenigen gut, die tatsächlich in ihren Dissertationen betrogen haben.

Faktenchecks zum In-die-Haare-Schmieren

Bei spiegel.de (Abo) ist eine gute Kolumne von Samira El Ouassil erschienen. Es geht um den Sinn und die Machbarkeit journalistischer Faktenchecks zu Politikeraussagen. Exemplarisch behandelt sie Friedrich Merz’ Behauptung im Bundestag, es gäbe "'tägliche Gruppenvergewaltigungen’ aus dem Kreis der Asylsuchenden", sowie die "Wiederholung" von Merz' Statistik in der Talkshow "hart aber fair" vor einer Woche durch die AfD-Politikerin Beatrix von Storch.

"Moderator Louis Klamroth fängt sie zwar ab, doch das Gesetz der medialen Reproduktion bedingt, dass die Behauptung den nächsten Resonanzraum erreicht hat",

schreibt El Ouassil.

"Es zeigt sich hier, dass die Presse an die Grenzen ihrer Funktionsfähigkeit kommt, wenn sie rechtspopulistische Behauptungen verhandeln muss und nicht gewappnet ist für all die politischen Diskurssprenger. Weil es bei dieser Form von disruptiven Aussagen mit Erregungspotenzial nicht um das faktische Widerlegen von Des- und Fehlinformation geht. Es geht also nicht um Wahrheit, sondern um Aufmerksamkeit. (…) Die publizistische Sphäre versucht sich richtigerweise als Korrektiv, doch sie übersieht, dass sie sich bereits im Feld der Reproduktion befindet."

Das gewählte Beispiel ist gut. Denn es ist nicht nur ein Beispiel dafür, wie sich Behauptungen verselbständigen können, wenn sie wiederholt werden. Es zeigt noch etwas: dass sich "die Presse" auch ohne Mithilfe von Politikerinnen und Politikern in eine Reproduktionsschleife ganz eigener Art hineinfaktenchecken kann. Begibt man sich erst einmal hinein, fühlt man sich wie Asterix auf der Suche nach Passierschein A38 im Haus, das Verrückte macht.

Michael Hanfeld kritisiert heute (Abo) in der FAZ (erneut) den "hart aber fair"-Moderator für die Korrektur, die er vornahm, als von Storch in seiner Sendung behauptete, es würden in Deutschland täglich zwei Gruppenvergewaltigungen durch Zuwanderer verübt. (Sie wiederholte also Merz’ Zahl nicht nur, sie verdoppelte sie sogar.) Hanfeld schreibt:

"Moderator Louis Klamroth kontert die AfD-Politikerin Beatrix von Storch bei der Frage, wie viele Gruppenvergewaltigungen in Deutschland begangen werden – 2023 wurden 761 solcher Straftaten angezeigt –, und von wem, mit dem Verweis, dass die Polizeiliche Kriminalstatistik dazu keine Erkenntnisse hergebe, ein mutmaßlicher Täter könne auch ein 'australischer Austauschstudent' sein. Zahlen zu ausländischen Tatverdächtigen allerdings gibt es. So lag der Anteil nicht-deutscher Tatverdächtiger 2019 und 2022 bei 50 Prozent, 2020 bei 46 Prozent, 2021 bei 47 Prozent und 2023 bei 48 Prozent. 71 Verdächtige waren Syrer, 49 Afghanen, 43 Iraker und 33 Türken, 520 Tatverdächtige hatten einen deutschen Pass. Kein Australier, nirgends. Klamroth verbreitet Nonsens."

Das stimmt aber nicht. Es ist kein Nonsens. Den Nonsens, dass es Nonsens sei, haben vorher schon mindestens sechs andere Medien geschrieben. Davon wird er aber nicht wahr.

Die Polizeiliche Kriminalstatistik nennt nur die fünf "am häufigsten in der PKS registrierten Staatsangehörigkeiten der Tatverdächtigen" (pdf). Es sind also nicht alle Staatsangehörigkeiten aufgeführt. Die Zahl der "nichtdeutschen" Tatverdächtigen liegt für das Jahr 2023 beispielsweise bei 470. Die genannten tatverdächtigen Syrer, Afghanen, Iraker und Türken sind aber zusammen nur 196. Unter den anderen 274 könnte damit selbstverständlich ein australischer Austauschstudent sein. Genau wie ein – bitte nicht falsch verstehen, es sind beliebige Beispiele – österreichischer Handwerker oder ein schwedischer Professor. Das ist das eine.

Das andere ist: Die Zahlen von Merz und von Storch sind gravierend falsch. Ihre ist doppelt so falsch wie seine. Ein Faktencheck, der einem Abgleich mit der Polizeistatistik standhält, ist dieser:

"Der Polizeistatistik zufolge liegt die Zahl der Gruppenvergewaltigungen mit tatverdächtigen Asylbewerbern deutlich niedriger",

heißt es darin.

"Der Anteil von Zuwanderern unter allen Tatverdächtigen war 2023 der PKS-Sonderauswertung zufolge (…) auf 14,1 Prozent gesunken. Das waren 145 Männer und eine Frau. Sie können bei insgesamt 761 entsprechenden Taten also nicht jeden Tag eine Gruppenvergewaltigung begangen haben",

wie Merz behauptet hatte. Was aber taten schon vor der FAZ mehrere bekannte Medienhäuser? Sie korrigierten nicht von Storchs Lüge, sondern Klamroths Korrektur (Links im Altpapierkorb). Faktenchecks, in denen Fakten nicht geprüft, sondern Vorannahmen bestätigt werden – sei es über die Kriminalität von Zugewanderten, sei es über die Öffentlich-Rechtlichen –, kann man sich allerdings zu exakt 100 Prozent in die Haare schmieren.

Talks mit AfD-Beteiligung? Nicht die richtige Frage

Eine Erwiderung von Stefan Niggemeier auf Michael Kraske (Altpapier), beide bei "Übermedien", soll noch nachgetragen werden. Niggemeier beteiligt sich an der Debatte, ob man AfD-Politikerinnen und -Politiker in Talkshows einladen sollte und schreibt:

"Michael Kraske hat die Frage hier bei Übermedien klar mit Nein beantwortet. Ich möchte widersprechen. Aber mir geht es nicht so sehr darum, sie mit Ja zu beantworten. Sondern festzustellen: Das ist die falsche Frage."

Weil sie von einer viel wichtigeren Frage ablenke:

"Wie sehr die AfD längst den politischen Diskurs und die Themen bestimmt. Die Frage, ob eine Redaktion Beatrix von Storch zu 'Hart aber fair' einlädt, ist viel weniger wichtig, als die, ob man sich viele Erzählungen der AfD nicht längst zu eigen gemacht hat."

Valider Punkt. Könnte unter Umständen auch für die Moderation von TV-Duellen gelten.

¹ Die Überschrift "Aber seine Fußnoten!" stammt von: Ahrens, Peter, BlueSky-Posting vom 10.2., 12.47 Uhr.


Altpapierkorb (MDR-Rundfunkrat lehnt Jana Brandt ab, Zuwanderungsberichterstattung, Faktencheck-Links)

+++ "Paukenschlag beim MDR", schrieb gestern Hagen Eichler von der "Mitteldeutschen Zeitung". Hat ein Orchester gespielt? Nein: "Die bisherige Chefin der MDR-Programmdirektion Halle, Jana Brandt, wird nicht Leiterin der fusionierten Programmdirektion. Im Rundfunkrat verfehlte die 60-Jährige am Montag in drei Wahlgängen die notwendige Zweidrittelmehrheit", so Eichler in der "MZ" (Abo). Helmut Hartung mutmaßt in der FAZ (Abo), Brandt – die Kandidatin von Intendant Ralf Ludwig – könne wegen der Gehaltsplanungen durchgefallen sein. Laut "MZ" dagegen, zitiert nach dwdl.de, soll es Kritik daran gegeben haben, "dass eine angekündigte Stärkung des Kindermedienzentrums in Erfurt nicht durch schriftliche Konzepte untermauert worden sei". Epd Medien schreibt: "Bei der Abstimmung ging es nicht um die Personalie Brandt, sondern um die Strukturreform. Möglicherweise kommt der Vorschlag bei der nächsten Rundfunkratssitzung am 31. März erneut zur Vorlage." Bei flurfunk-dresden.de gibt es ein Protokoll der Rundfunkratssitzung.

+++ "Zuwanderung scheint zum beherrschenden Thema des Wahlkampfs zu werden. Dass es vielen Menschen wichtig erscheint, liegt auch an der Berichterstattung, sagt Kommunikationswissenschaftlerin Nayla Fawzi" – und zwar in einem Gespräch mit Jana Ballweber von der Katholischen Nachrichtenagentur (Abo): Fawzi plädiere "für mehr Verantwortungsbewusstsein und weniger Negativität".

+++ Hier die Links zum oben begonnenen Faktencheck: Die Kritik an Louis Klamroths Australier-Beispiel wurde zuerst von Bild.de geübt. Eine "Welt"-Reporterin verbreitete sie bei X, die "Welt" griff sie auf. Klamroth sei "falsch informiert" gewesen, schrieb t-online.de. "Moderator unterbricht von Storch bei Kriminalitätsstatistik – und liegt falsch", lautete die Überschrift bei Focus Online (der Artikel ist mittlerweile nicht mehr auffindbar). cicero.de kritisierte Klamroths "Angst vor den Fakten". Und berliner-zeitung.de fragte, ob denn wirklich "Australier dabei" waren.

Am Mittwoch schreibt das Altpapier Christian Bartels.

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