Kolumne: Das Altpapier am 4. Februar 2025: Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels 4 min
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 4. Februar 2025 Wir sollten den Anspruch haben

04. Februar 2025, 09:48 Uhr

Auf einmal werden die EU-Digitalgesetze aus Deutschland heftig kritisiert. Will NRW-Medienminister Liminski fast schon das Providerprivileg abschaffen? Außerdem: Ein neues KI-Gesetz ist in Kraft; ein Medienwissenschaftler warnt vor "Gesinnungsjournalismus". Heute kommentiert Christian Bartels die Medienberichterstattung.

Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels
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Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Das neue KI-Gesetz

Juhu, ein neues EU-Gesetz ist auf einer weiteren Stufe in Kraft getreten. Seit Sonntag schützt der AI Act, also die KI-Verordnung, ein Stückchen mehr vor "Künstlichen Intelligenzen mit unannehmbarem Risiko":

"Ab sofort sind KI-Systeme mit unannehmbarem Risiko verboten. Das betrifft etwa sogenannte Social-Scoring-Anwendungen, bei denen die Bürgerinnen und Bürger überwacht werden. Nicht, dass es diese Systeme bisher in der EU gegeben hätte ...",

schreibt heise.de, aber jetzt darf es sie erst recht nicht mehr geben. Das "FAZ"-Wirtschaftsressort (Abo) kennt konkrete Beispiele für was, das nun verboten ist:

"Eine Buchungsplattform darf Interessenten für eine Ferienwohnung nicht mithilfe einer KI als unzulässig einstufen, die Beiträge auf Social-Media-Plattformen etwa auf wilde Partys hin durchforstet. KI-Systeme zur Emotionserkennung am Arbeitsplatz oder in Bildungseinrichtungen sind seit dem 2. Februar in der EU verboten, es sei denn, es greifen medizinische und sicherheitstechnische Ausnahmen."

Interessenverbände wie der Internetwirtschaft-Verband eco sehen dieses wie die meisten EU-Gesetze diplomatisch ambivalent: "Die EU setzt damit ein klares Zeichen für einen einheitlichen Rechtsrahmen, der auf Ethik, Diversität und Datensicherheit basiert. Doch der AI Act muss praxistauglicher werden". Heißt: Der neue, nun EU-weit einheitliche Rechtsrahmen soll den meist nur theoretischen Vorteil, dass die EU trotz ihres schwachen Wirtschaftswachstums noch zu größeren Binnenmärkten der Welt gehört, in eine Praxis umsetzen.

Der Zeitpunkt passt sozusagen. In den USA werden in der neuen Trump-/Musk-&Co-Oligarchie dreistellige Abermilliarden-Summen in Künstliche Intelligenz investiert –  außer von den US-amerikanischen Plattformkonzernen, die sich laufend steigender Milliardengewinne auch aus Europa erfreuen, auch von nichtamerikanischen wie der japanischen Softbank (wiwo.de). Zugleich aber erzielte der chinesische Anbieter Deepseek Sputnik-Aufmerksamkeit mit der Erkenntnis, dass es all der Abermilliarden vielleicht doch gar nicht bedarf, wenn man billiger arbeitet und besser forscht. Könnten also die nur "bis zu 54 Millionen Euro", die die EU-Kommission für "eine Europa-KI" aufbringen kann ("Handelsblatt"), doch ausreichen? Na ja, Deepseeks Auskünfte verdienen (wie alles, was Digitalkonzerne eigenwerblich in die Alle-melden-was-alle-melden-Nachrichtenmedien einspeisen ...), schon auch Skepsis. Dass die Entwicklungen doch "viel teurer als suggeriert" waren, meldet heise.de.

Und das größte EU-Mitglied dreht dank seiner dysfunktionalen jüngsten Bundesregierung noch eine deutsche Extra-Schleife:

"Brisant ist die Frage, welche Behörde federführend zuständig sein soll, damit die Regeln des KI-Gesetzes einheitlich angewendet werden. Die jetzige Bundesregierung hat dafür die Bundesnetzagentur in Bonn vorgesehen. Andere Stellen sollen einbezogen werden. ... Offen ist die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern",

heißt's dann noch im "FAZ"-Artikel. Herrje, die überforderte Netzagentur, die sich vielleicht mit Gasnetzen, die in ferner Zukunft zu Wasserstoffnetzen werden, auskennt, aber bei allem mit Medien-Zusammenhang noch überhaupt kein Händchen bewiesen hat?

Scharfe deutsche EU-Gesetze-Kritik

Damit zu den schon länger gültigen EU-Gesetzen DSA und DMA. Gerade fragte netzpolitik.org in Brüssel rum, wie es denn um die Durchsetzung der pompösen Gesetzeswerke steht. Der EVP-, also CDU-Abgeordnete Andreas Schwab

"überwacht die Arbeit der Kommission für das Europäische Parlament. Er ist überzeugt, dass sie ihre Arbeit macht: 'Es gibt überhaupt keinen Zweifel, dass das Gesetz über digitale Märkte genauso wie das Gesetz über digitale Dienste vollständig und ohne Einschränkungen durchgesetzt werden'."

Wobei natürlich die Gefahr (oder Chance) besteht, dass solche EU-Beschlüsse auf Basis der Digitalgesetze, wenn sie denn gefallen sind, zur Verhandlungsmasse in den anstehenden Handelskriegen werden. Vielleicht schlägt Präsident Trump nur niedrigere Zölle auf deutsche Importautos drauf, wenn seine Freunde wie Musk und Zuckerberg noch stärker steigende Werbeeinnahmen aus der EU beziehen können. "Die technologische Abhängigkeit der EU gegenüber den USA" bleibt eins der großen Probleme, meint netzpolitik.org.

Neu ist, dass die EU-Gesetze sogar von den deutschen Akteuren, die im hyperkomplexen doppelt-föderalistischen Zuständigkeitsgeflecht an ihnen mitgearbeitet hatten und sie bisher stets lobten, auf einmal bemerkenswert scharf kritisiert werden. Da ist erstens Nathanael Liminski, der Minister für Medien und Pipapo der schwarz-grünen Landesregierung von Nordrhein-Westfalen. Er lässt sich ziemlich oft interviewen, heute für die "FAZ"-Medienseite (Abo) von Michael Hanfeld (Zusammenfassung bereits bei "Telepolis"). Fast klingt, was Liminski so sagt, nach etwas, das in der deutschen Politik verpönt ist, nach Selbstkritik:

"Wir haben bislang in der Regulierung von Netzwerken einen Ansatz gewählt, der sehr stark auch auf Selbstverpflichtungen der Unternehmen gesetzt hat. Wir müssen aber leider feststellen, dass wir uns auf den guten Willen der Betreiber alleine nicht verlassen können. Die Hoffnung der Politik auf Erkenntnis, Empathie und Engagement seitens der Unternehmen wurde enttäuscht ..."

Liminski spricht sogar das in Publikumsmedien meist für zu schwierig erachtete Problem des Providerprivilegs (vgl. z.B. Altpapier 2020) an. Möchte er dieses Privileg der Plattformen sogar abschaffen?

"Richtig ist, dass wir lange der US-Logik gefolgt sind, zwischen Infrastruktur und Inhalteanbietern zu unterscheiden. Mit dieser Begründung wollten sich die sozialen Netzwerke der Regulierung entziehen. Als wir vor einigen Jahren den Medienstaatsvertrag umgesetzt haben, haben wir darauf reagiert, dass über Algorithmen die Auffindbarkeit von Inhalten bewusst gesteuert wird, die Grenze zu redaktionellem Vorgehen also verwischt. Die Entwicklung seither hat das Problem verschärft. Deshalb unterfallen Plattformen und soziale Netzwerke aus meiner Sicht vollumfänglich der Medienregulierung. Es kann nicht sein, dass wir Fernsehanbieter bis ins Detail mit Lizenzen regulieren und die sozialen Netzwerke ein Eldorado beziehungsweise der Wilde Westen sind."

Hui, inzwischen glaubt offenbar selbst Liminski nicht mehr den Quatsch mit dem "Dualen System" aus öffentlich-rechtlichem und privatem Rundfunk, der doch lange die Basis für sämtliche deutsche Medienpolitik bildete. Mit Hauruck-Aussagen à la "Darauf muss Politik jetzt reagieren", "Wir sollten den Anspruch haben, in Europa unsere Regeln durchzusetzen ..." und "Man muss sich der Verantwortung stellen", geizt er auch nicht. Bloß, wer mit "Politik" oder "Wir" oder "man" genau gemeint ist, benennt Liminski nicht. Immerhin, er selbst habe "der zuständigen EU-Kommissarin geschrieben, wo man konkret im bestehenden Regelwerk eine Schärfung vornehmen kann und muss". Wohl kaum ein Brief aus Düsseldorf allein, aber dass Rheinland-Pfalz' Ministerpräsident Schweitzer, also ein SPD-Politiker, gerade recht ähnlich in nicht direkt proamerikanischem Sinn von "politischem Wildwest" auf Plattformen sprach, könnte bei Kommissarin Henna Virkkunen vielleicht ein wenig Eindruck machen ...

Noch mehr, ähnlich scharfe Kritik an den Gesetzes-Ungetümen, an denen jahrelang rumgedoktert wurde, kommt von einem weiteren Elch (im Gernhardt-Sinne), dem mit den zahlreichen Anstalten und sonstigen Behörden bestens vernetzten Medienrechtler Dieter Dörr. Den hat Steffen Grimberg für den KNA-Mediendienst (Abo) interviewt:

"Wir haben bisher die sogenannten Intermediäre, wie wir juristisch soziale Netzwerke und vergleichbare Dienste nennen, in keiner Weise hinreichend beachtet. Und wir haben dafür auch keine passenden Regelungen aufgestellt. Wir haben völlig unterschätzt, dass diese Einrichtungen Meinungsmacht besitzen. Diesen Vorwurf müssen wir übrigens auch den klassischen Medien machen - die waren da auch sehr blauäugig. ... Wir haben lange Zeit die Vorstellung vor uns hergetragen, diese Dienste verbreiten nur andere Medien oder deren Inhalte und fremde Meinungen weiter und haben selbst keinerlei Einfluss auf die Inhalte. Was natürlich - um es ganz deutlich zu sagen - Unsinn ist."

Hach, hätten "wir" das doch früher gewusst! Dörr spricht also oft von "Wir", bezieht da aber viele mit ein:

"Die politischen Gestalter, aber auch zum großen Teil die Wissenschaft, haben das völlig unterschätzt. ... aber auch die sogenannten etablierten Parteien unterschätzen die Gefahr bis heute. Die meinen, wenn sie selbst auf X, Tiktok oder Instagram sind, hätten sie dort die gleichen Chancen wie radikale Parteien."

Pörksen gegen "Gesinnungsjournalismus"

Hm, "die Wissenschaft" ... Gibt es in Deutschland eine Medienwissenschaft, die unabhängig forscht und nicht bloß politische Parteien oder deren Stiftungen mit Studien versorgen, die zu deren Zwecken passen?

Einige Medienwissenschaftler, die mit prägnanten Aussagen recht oft in den Medienmedien auftauchen, gibt es. Martin Andree konnte zu den Mustöpfen, in denen die deutschen Was-mit-Medien-Gesetzgeber hausen, leider nie durchdringen, und Bernhard Pörksen wäre da zu nennen. Der hat ein neues Buch am Start (Altpapier) und nun dem epd was Brisantes gesagt:

"Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen warnt vor einer 'Renaissance des Gesinnungsjournalismus'. Aufgrund wegbrechender Anzeigen-Einnahmen entwickelten sich Abonnements für Zeitungen und Zeitschriften mehr und mehr zur hauptsächlichen Einnahmequelle, sagte Pörksen, der an der Universität Tübingen lehrt, dem Evangelischen Pressedienst... 'Hier heißt es für die seriöse Publizistik, Distanz zu wahren, sich nicht permanent opportunistisch und aus rein ökonomischen Erwägungen an die Publikumsinteressen anzuschmiegen', sagte der Medienforscher. 'Guter Journalismus ist am Publikum orientiert, redet ihm aber nicht nach dem Mund.'"

Hm, "Gesinnungsjournalismus". Ist das das gleiche wie der Haltungsjournalismus, der von der großen haltungsjournalistischen Fraktion in den deutschen Medien gefordert wird? Da müsste Pörksen noch mal nachpräzisieren. Immerhin scheint es gerade ein guter Zeitpunkt für solche Diskussionen zu sein. Seit dem "Brandmauerfall" voriger Woche (Altpapier), blüht ja der Gesinnungs- und/oder Haltungsjournalismus wieder auf – zumindest, was den Output betrifft. Ob das auch den Impact betrifft, also den Eindruck, den all die immer noch eindringlicheren Warnungen aufs Publikum machen, wird sich in Kürze bei der Bundestagswahl zeigen.

Medienwächter gegen AfD- & BMWK-Spots

Auf die Landesmedienanstalten wollen übrigens weder Dörr ("Die Landesmedienanstalten haben sich relativ früh dieser Problematik angenommen") noch Liminski ("... die Landesmedienanstalten, die sehr wirkungsvoll sind – aus meiner Sicht so wirkungsvoll wie keine andere Institution") etwas kommen lassen.

Sicher schicken auch die Medienanstalten öfters Schreiben nach Brüssel, die dort dann die eine oder andere Wirkung entfalten. Bloß wollen oder können sie nicht dokumentieren, was sie denn erreicht haben. Im laufenden Wahlkampf erregte die Berlin-Brandenburger Medienanstalt MABB ein bisschen Aufmerksamkeit (z.B. "taz") mit der Forderung an die Brandenburger AfD, eins ihrer Wahlwerbevideos "in sozialen Medien für Kinder und Jugendliche unzugänglich [zu] machen oder [zu] löschen", wogegen die AfD nun klagt.

Andere Wahlkampf-Videos haben die Medienanstalten auch auf dem Schirm und beanstandeten nun, wie Volker Nünning für "epd medien" berichtet, Werbespots, die Robert Habecks Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) in mehreren deutschen Privatsendern schaltete:

"Nach Ansicht der Landesmedienanstalten ist der Spot eindeutig werblich ausgerichtet, wie die Sprecherin erklärte. Die Gestaltung stehe in keinem angemessenen Verhältnis zum 'äußerst geringen Informationsgehalt'. Da der Spot gegen Entgelt 'gebucht' worden sei, liege 'keine freie redaktionelle Entscheidung der Veranstalter' vor. Es gehe um den 'Erwerb einer Sendezeit im Werbeblock für die Verbreitung eines politisch mindestens imagewerblichen Inhalts'".

Okay, die Spots liefen Ende 2023. Die Kritik gelangt mit eher noch größerem Zeitverzug als in der deutschen Medienbürokratie sowieso üblich an die Nischen-Öffentlichkeit. Aber immerhin, da demonstriert die föderalistisch strukturierte Medienregulierung, dass da nicht ausschließlich Bundesländer-Behörden im Sinne ihrer Landesregierungen agieren, sondern überparteilich gearbeitet wird. Das verdient auch mal Aufmerksamkeit.


Altpapierkorb (RBB-Skandal, AfD in Talkshows & Duellen, netzpolitik.org leakt wieder, "Hürriyet", MDR Sachsen)

+++  Die Unternehmensberatung Deloitte mit Hauptsitz in London und der Ex-NDR-Journalist Stephan Wels ("Panorama") bekamen den Auftrag des RBB, seinen jüngsten Skandal zu untersuchen, meldet der RBB selber. Um die grob falschen Nachrichten über den Grünen-Politiker Stefan Gelbhaar geht es. Bei der dafür eingeplanten, immerhin nicht irre hohen Summe von 60.000 Euro "sind mögliche Kosten, die eine rechtliche Auseinandersetzung mit Gelbhaar nach sich ziehen würde, nicht enthalten" ("Berliner Zeitung"). +++

+++ "Hört endlich auf, die AfD in Talkshows einzuladen!", ruft Michael Kraske bei uebermedien.de aus. +++ Im oben erwähnten Dieter-Dörr-Interview des KNA-Mediendiensts geht es außer um EU-Gesetze für Plattformen auch noch um die bevorstehenden "Kanzlerduelle" bis -"quadrelle" (Altpapier). "Ich weiß nicht, ob man sich damit einen Gefallen tut, die nach Umfragen zweitstärkste Partei deshalb zu benachteiligen, weil sie einem inhaltlich nicht passt", sagt der Medienjurist, findet also, dass AfD-Kanzlerkandidatin Weidel jeweils eingeladen gehört. Unter diesem Aspekt fasst die "FAZ" das Interview zusammen. +++ "Weidel beschert Miosga die höchste Reichweite seit Scholz", meldet dwdl.de zur ARD-Sonntags-Talkshow. +++ Und netzpolitik.org leakt mal wieder, und zwar jede Menge Lesestoff zum Themenfeld: "das 1.000-seitige Verfassungsschutz-Gutachten zur AfD" aus dem Jahr 2021. +++

+++ Seit Ende Januar erscheint noch eine größere, zuletzt gut 30.000 Exemplare starke Tageszeitung in Deutschland nicht mehr gedruckt. Allerdings geht es da um keine deutschsprachige, sondern um die türkische "Hürriyet". Das meldete das noch wenig bekannte Nachrichtenmedium capital-beat.tv. +++

+++ Und "der MDR sucht für das Landesfunkhaus Sachsen eine oder einen neuen Direktor/-in". Das meldet flurfunk-dresden.de mit Link zur Ausschreibung. Falls Sie es gerade nicht präsent haben: Das Altpapier erscheint ja im Thüringer MDR-Landesfunkhaus.

... und erscheint das nächste Mal am morgigen Mittwoch.

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