Kolumne: Das Altpapier am 3. Februar 2025 Merken wir überhaupt noch etwas?
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03. Februar 2025, 13:13 Uhr
Die CDU hat von der AfD ein auf keinerlei Fakten beruhendes Narrativ übernommen, das längst auch Journalisten reproduzieren. Der Historiker Timothy Snyder äußert in einem "Heute Journal"-Interview die Hoffnung, dass der Staatsstreich in den USA noch zu stoppen ist. Heute kommentiert René Martens die Medienberichterstattung.
Inhalt des Artikels:
- Wenn eine 18-Jährige die Medienkritik aufmischt
- Die Elefantenherden in den Studios von ARD und ZDF
- Das große Ganze
- Politiker, die Elon Musks "rassistische und aufhetzende Rhetorik noch überbieten"
- Ein Staatsstreich in beängstigender Geschwindigkeit
- Altpapierkorb (RBB-Multikrise, KI als Reproduzent rassistischer Stereotypen, FAZ-Werkstudent über die FAZ)
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Wenn eine 18-Jährige die Medienkritik aufmischt
Nach "einer historischen Woche" ("Verfassungsblog") bzw. "womöglich historischen Woche" (Einleitung der Titelgeschichte im aktuellen "Spiegel") nehmen wir uns heute hier erst einmal die Freiheit, auf ein merzloses Ereignis einzugehen, das aber zumindest aus medienjournalistischer Perspektive immer große Aufmerksamkeit verdient: die Verleihung des Bert-Donnepp-Preises, des wichtigsten medienpublizistischen Preises im Land. Sie fand am vergangenen Mittwoch in Marl statt.
Offiziell heißt der Bert-Donnepp-Preis neuerdings übrigens Donnepp Media Award, was nach 1990er-Jahre-Mottenkiste klingt. Aber: Dass es Menschen gibt, die in den 1990er Jahren stehen geblieben sind, ist angesichts der deprimierenden Zeiten, in denen wir heute leben, irgendwie auch beruhigend.
Der Bert-Donnepp-Preis ist in diesem Jahr aus Altpapier-Sicht besonders erwähnenswert, weil unsere ehemalige Autorin Annika Schneider, die im März 2024 ihre letzte Kolumne für uns schrieb, den Hauptpreis bekam. In ihrer Rede bei der Preisverleihung sagte sie:
"Ich bin vor einem knappen Jahr zu Übermedien gegangen, weil ich Lust hatte, etwas Neues zu machen, weil ich das Team toll fand, aber auch aus Angst. Angst davor, wie Rechtsextreme es gerade schaffen, unsere Debatten auf irrationale Abwege zu führen und unseren Hass zu wecken. Und ich hatte keine Lust darauf, Angst zu haben, sondern wollte lieber etwas unternehmen. Um das direkt klarzustellen: Übermedien ist keine Anti-AfD-Organisation und ich sehe mich auch nicht als Journalistin, die gegen einzelne Parteien oder Meinungen anschreibt. Aber ich bin der tiefen Überzeugung, dass wir jetzt richtig, richtig guten, verantwortungsvollen Journalismus brauchen – und dass gedankenloser Journalismus gerade vieles schlimmer macht."
Wobei ich das Problem eher darin sehe, dass der nicht verantwortungsvolle Journalismus eben nicht gedankenlos ist, sondern durchdacht.
Eine besondere Ehrung erhielt die auf Instagram publizierende 18-jährige Judith Scheytt für ihre Auseinandersetzung mit der, so die Laudatorin Nadia Zaboura, "deutschen Berichterstattung über Israel und Palästina". Zaboura weiter:
"Mit diesem medienkritischen Fokus füllt Judith Scheytt eine Leerstelle im hiesigen Diskurs: Während zahlreiche medienjournalistische Formate sowohl in öffentlich-rechtlichen als auch in privatwirtschaftlichen Medien trotz der hohen Relevanz einen möglichst großen Bogen um dieses Thema machen - zu komplex, zu kompliziert, zu heikel - oder es wenn, dann nur punktuell thematisieren, richtet Judith Scheytt ihr medienpublizistisches Augenmerk konsequent und kontinuierlich auf die deutsche Nahost-Berichterstattung."
Die Laudatorin lobte darüber hinaus Insta-Stories, in denen Scheytt "durchaus auch scharfe Einordnungen medienethischer Verfehlungen" vornehme, etwa "in Form struktureller Kritik an der Aussage einer bekannten Moderatorin", die vor rund zwei Wochen eine Menschengruppe mit der Formulierung "Tiere haben die Würde, die diese Idioten nicht haben" bedachte. Die Prominente, die gemeint ist, in der Laudatio aber nicht namentlich erwähnt wurde, ist Bettina Böttinger (siehe "Kölner Stadt-Anzeiger"):
Dass der Bert-Donnepp-Preis für Medienpublizistik trotz seines vorgestrig anmutenden offiziellen neuen Titels inhaltlich in die Zukunft weist, indem er 18-jährige Talente in den Fokus rückt, ist natürlich erfreulich. Dass eine Teenagerin, die gerade Abitur macht, "eine Leerstelle im hiesigen Diskurs" besetzt bzw. sich um Themen kümmert, die im "institutionalisierten deutschen Medienjournalismus (…) in ihrer Tragweite oftmals inhaltlich unterbeleuchtet oder auch gänzlich unbeachtet bleiben" (Zaboura) - das ist aber auch vielleicht ein Zeichen dafür, dass dieser "Diskurs" mal in die Hufe kommen muss.
Die Elefantenherden in den Studios von ARD und ZDF
Wenn Fernseh-Größen konsequenzlos behaupten können, dass es Menschen gibt, die weniger Würde haben als Tiere, dann ist es auch kein Wunder, dass der Begriff "Zustrombegrenzungsgesetz" eher selten in Frage gestellt wird.
"Vor ein paar Jahren wäre das Wortgetüm als schiere Demagogie geächtet worden, heute glitscht es nachrichtlich durch. So geht Rechtsrutsch",
sagt Friedrich Küppersbusch in seiner taz-Kolumne.
Eine Friedrich-Merz Formulierung, die am heutigen Montag schon in Vergessenheit zu geraten droht, stellt Küppersbusch ebenfalls heraus:
"(Merz) erbricht (…) nebenher rechtsextreme Lügen ins Parlament. Seine 'tägliche Gruppenvergewaltigung im Asylbewerbermilieu' überrumpelte selbst die Krawattenhooligans von der AfD."
Der ORF-Podcaster Florian Aigner postete zu der Äußerung am Freitag:
"Friedrich Merz spricht im Bundestag von 'täglich stattfindenden Gruppenvergewaltigungen aus dem Milieu der Asylbewerber heraus'. Eine aufgeklärte, faktenorientierte Medienlandschaft dürfte ihm in dieser Situation eigentlich nur noch zwei Optionen offen lassen: Belege liefern oder zurücktreten."
Da ist was dran. Wenn weniger als einen Monat vor der Bundestagswahl sich der derzeit aussichtsreichste Kanzlerkandidat im Bundestag wie ein Telegram-Gruppen-Onkel aufführt - dann wäre das doch eigentlich ein Thema, an dem kein Journalist vorbei kommt.
Und doch: Markus Preiß (im "Brennpunkt" der ARD) und Marietta Slomka ("Heute Journal") zum Beispiel, die Friedrich Merz am Freitagabend interviewten, kamen sehr wohl daran vorbei. Auch die Autorinnen des "ersten Online-Interviews" mit Merz "nach den umstrittenen Abstimmungen im Bundestag" (Redaktionsnetzwerk Deutschland). Slomka inszenierte sich in ihrem Interview dann unangenehmerweise auch noch als hart Fragende - obwohl sie doch die Elefantenherde im Raum bzw. Studio ignorierte.
In einem Deutschlandfunk-Podcast kam die Äußerung mit der "Gruppenvergewaltigung" dann wenigstens irgendwie zur Sprache. Der freie Journalist und Buchautor Friedemann Karig kommentierte dies so:
"Drei versierte Politikjournalist:innen und die geglückte Dehnübung, die rassistische Lüge eines Kanzlerkandidaten nach Anfangsschwierigkeiten zwar gemeinsam doch noch säuberlich als rassistische Lüge zu dekonstruieren, sie aber weder rassistisch noch Lüge zu nennen."
Karig weiter:
"Wenn wir medial nicht in der Lage sind, ein Huhn ein Huhn zu nennen, wenn einem möglichen nächsten Kanzler sowas durchgelassen wird (…) - dann nutzt uns auch keine Brandmauer mehr."
Im Laufe des Samstages kamen in etablierten Medien dann wenigstens ein paar einordnende Anmerkungen zum Thema "Gruppenvergewaltigung" (bei t-online.de und beim "Tagesspiegel" etwa). Aber der Begriff "rassistisch" fiel auch hier nicht.
Was sowohl in den genannten Interviews mit Merz fehlte als auch in tagesaktuellen TV-Interviews mit Politikern, die dem Gesetzesentwurf zugestimmt hatten (siehe Ingo Zamperoni mit CDU-Mann Thorsten Frei in den "Tagesthemen" und Christoph Wiese im "Heute Journal Update" mit FDP-Mann Christian Dürr): die naheliegende Frage, die Heidi Reichinnek (Die Linke) am Freitag im Bundestag (gerichtet an Merz) gestellt hatte:
"Erklären Sie mir doch bitte, wie Sie für Sicherheit sorgen, indem Sie den Familiennachzug aussetzen, indem Sie Frauen und Kinder zwingen, in Kriegs- und Krisengebieten zu bleiben?"
Um es mit "Monitor"-Redaktionsleiter Georg Restle zu sagen:
"Zu einem der miesesten Punkte der aktuellen Debatte gehört, dass man Menschen einredet, mit Maßnahmen wie einem Verbot des Familiennachzugs für Flüchtlinge, denen im Herkunftsland Tod oder Folter droht, könnten furchtbare Verbrechen wie die von Magdeburg oder Aschaffenburg künftig verhindert werden."
Die Irrationalität des Gesetzes-Vorschlags interessierte namhafte Kolleginnen und Kollegen also ebenso wenig wie die Telegram-Gruppen-Onkelhaftigkeit des Kanzlerkandidaten. Statt dessen ging es in der aktuellen Berichterstattung um solcherlei: Wer hat wann mit wem nicht geredet? Wer hat sich warum mit wem nicht geeignet? Wer waren die "Abweichler"? Fleißig wurden Haltungsnoten vergeben, und nachdem man ordentlich Elder-Statesman-Parfüm aufgetragen hatte wurden die Beteiligten für bisweilen arg ungezognes Verhalten im Parlament gerüffelt. Und ein paar Emotiönchen mussten natürlich auch mit rein in die fade Suppe ("Heute-Journal": "Sichtlich angeschlagen auch die AfD. Statt Triumph nun Trübsal und Wut").
Das große Ganze
Wir haben hier gerade zwei Detail-Schwächen der Berichterstattung über die Bundestagsdebatte am Freitag benannt. Widmen wir uns nun generellen Entwicklungen im Journalismus, über die man auch aufgrund genau dieser Berichterstattung reden muss. Thomas Laschyk spricht für den "Volksverpetzer" aus, was "kaum ein Medium" ausspreche:
"Wusstest du, dass Deutschland zwischen 2017 und 2022 so sicher war wie nie zuvor? Selbst die Gewaltkriminalität lag auf einem historischen Tiefpunkt. Auch 2023 gab es nicht mehr Kriminalität als 2010. 2010 – hat damals irgendjemand behauptet, Deutschland würde untergehen? 1991 gab es 1,6 Morde pro 100.000 Einwohner. 2023 waren es halb so viele: 0,8. 98,7 % aller anerkannten Schutzsuchenden fällt nie strafrechtlich auf. Deutsche unter 30 sind rein statistisch viel krimineller als anerkannte Schutzsuchende. Migration führt nicht zu mehr Kriminalität. Aber über Jahre haben 'Bild' und AfD unsere Köpfe vergiftet."
Wobei man vielleicht ergänzen könnte, dass sowohl auf Seiten der Medien als auch der Politik ein paar Player mehr beteiligt waren. Im Folgenden weitet Laschyk den Fokus dann auch:
"Studien zeigen, dass die Medien fast nur noch negativ über Migration sprechen, und fast nur noch über die Minderheit (!) der Straftaten, die von Migranten begangen werden. Alle anderen Fälle, die fast täglich passieren, werden tot geschwiegen. Natürlich begehen die absolut meisten Straftaten und Gewalttaten die Deutschen selbst."
Laschyk fragt daher:
"Merken wir überhaupt noch etwas?"
Andere Forderungen, dass die "Debatte" - die bisher ja gar keine war - auf Fakten basieren müsse, kommen von der Sozialpsychologin Jennifer Führer (in einem Interview mit n-tv.de) und vom Rat für Migration, einem Zusammenschluss von Migrationsforschern.
Ähnlich wie Thomas Laschyk erwähnt auch Christian Stöcker in seiner "Spiegel"-Kolumne Fakten, die tendenziell jedem des Lesens mächtigen Journalisten zugänglich wären ("2007 regierte die Union mit der SPD. Damals wurden fast 4000 Gewaltdelikte mehr gezählt als 2023. Bei wesentlich weniger Menschen in Deutschland. Eine 'Notlage' herrscht aktuell also keineswegs" etc.). Stöckers Einschätzung:
"Der eigentliche Erfolg der AfD (ist): Die Union hat ihr seit zehn Jahren gepflegtes Narrativ übernommen. Es bleibt falsch, aber auch Journalistinnen und Journalisten reproduzieren es mittlerweile. 'Wie wird Deutschland wieder sicher?', fragte Caren Miosga (in ihrer vorletzten Sendung) ihren Studiogast Hendrik Wüst (CDU)."
Eine Antwort wäre gewesen:
"Deutschland muss nicht 'wieder' sicher werden. Es ist eins der sichersten Länder der Welt."
Politiker, die Elon Musks "rassistische und aufhetzende Rhetorik noch überbieten"
Meike Laaff schreibt in einem Essay für Zeit Online über den richtigen Umgang mit Elon Musk und zitiert darin den kanadischen Historiker Quinn Slobodian:
"Genau so, wie Musk einst das vielversprechende Start-up Tesla entdeckte und ihm mit Marketing und Startkapital zum Erfolg verhalf, suche er jetzt weltweit nach vielversprechenden politischen Konkurrenten, die die Etablierten verdrängen sollen. Sein Wille zur Expansion, sein Machthunger, sie scheinen derzeit kaum Grenzen zu kennen."
Um diesen "Willen zur Expansion" geht es auch einem "Heute Journal"-Interview, das Marietta Slomka mit dem amerikanischen Intellektuellen Timothy Snyder geführt hat. "Welches Interesse hat denn ein Elon Musk an der AfD?", fragt Slomka (die in dieser Sendung viel besser agiert als in der bereits erwähnten am Freitag). Snyder dazu:
"Er schaut auf Deutschland kolonial. Er denkt: Wer hilft mir, (den deutschen) Rechtsstaat zu vernichten (…) Er sucht Partner und er versucht, die Sprache dieser Partner zu sprechen (…) Er ist gegen den Rechtsstaat, nicht nur den amerikanischen."
Und was will Musk in Großbritannien erreichen? Annette Dittert hat darüber für die Februar-Ausgabe der "Blätter für deutsche und internationale Politik" geschrieben (Einzelartikel für zwei Euro erwerbbar):
"(Er) attackiert (…) Keir Starmer und seine Regierung derzeit aggressiver als jeden anderen europäischen Regierungschef. Wie lange Starmer das unbeschadet durchstehen kann, ist offen, denn was der Tech-Millliardär gegen ihn losgetreten hat, ist ein mittlerweile permanentes Trommelfeuer, das sich längst nicht mehr nur auf X abspielt."
Die Attacken bestehen in Verleumdungen und Verdrehungen, die Starmers Zeit als Generalstaatsanwalt in den 2010er Jahren betreffen.
"Der tägliche Lärm, mit dem Elon Musk die Briten zu diesem Thema seit Wochen beschallt, zielt (…) auf die systematische Destabilisierung der britischen Mitte-links-Regierung (…) In einer Umfrage ließ er (…) darüber abstimmen, ob die USA nicht das britische Volk umgehend von ihrer tyrannischen Regierung befreien müssten."
Was aber "für die britische Demokratie die weit gefährlichere Entwicklung als Musks Kampagne an sich" ist:
"Nachdem Musk seinen ursprünglichen Favoriten Nigel Farage (vorläufig) fallengelassen hat, bläst nun die neue Tory-Parteichefin Kemi Badenoch zum Sturm auf die Regierung und verschiebt damit die Tories endgültig an den ganz rechten Rand (…) Und mehr noch: Badenoch unterstützt jetzt auch ganz offen Parteikollegen, die Musks rassistische und aufhetzende Rhetorik noch überbieten."
Eine Gemeinsamkeit gibt es also zwischen Großbritannien und Deutschland: Hier wie dort ist eine große, ehemals konservative Partei "an den ganz rechten Rand" gerückt.
Ein Staatsstreich in beängstigender Geschwindigkeit
In den USA sind die Dinge allerdings mittlerweile derart eskaliert, dass Musks oben erwähnte "rassistische und aufhetzende Rhetorik" beinahe nachrangig wird. Die derzeit vielleicht gravierendste der sich überschlagenden Irgendwas-mit-Musk-Nachrichten: Dass der Trump-"Berater" und Immer-noch-Medienunternehmer Zugang zum Zahlungssystem des US-Finanzministeriums hat - bzw. "Zugang zu sensiblen persönlichen Daten von Millionen Amerikanern" ("Frankfurter Rundschau").
Das ist aber eben nur ein Aspekt. Die US-Rechtsextremismusexpertin Annika Brockschmidt sagt:
"Was sich vor unser aller Augen abspielt ist die Übernahme zentraler Regierungsorganisationen, Ressourcen und Institutionen durch ein Regime, das sich über der Verfassung stehend sieht. Nichts davon ist normal, und die Geschwindigkeit, mit der dieser Coup abläuft, ist zutiefst beängstigend."
Und der Politikwissenschaftler Jacob T. Levy:
"Die nicht gewählten, nicht vom Senat bestätigten, nicht sicherheitsüberprüften und nicht einmal bei der US-Regierung angestellten Techbros von Musks seltsamer Miliz führen einen Putsch gegen eine Behörde nach der anderen durch."
Im bereits erwähnten "Heute Journal"-Interview weist Timothy Snyder auch darauf hin, dass es Musks Ziel sei, eine Situation herbeizuführen, "in der der Staat für die normalen Leute wenig oder gar nicht funktioniert".
Und wer sind die "Lakaien", wie "Wired" sie nennt, die Musk dabei helfen? Die Zeitschrift schreibt:
"Elon Musks Übernahme der Infrastruktur der Bundesregierung ist in vollem Gange, und im Zentrum des Geschehens steht eine Gruppe von Ingenieuren, die gerade ihr Studium abgeschlossen haben - und in mindestens einem Fall angeblich noch studieren."
Der heute bereits in anderem Zusammenhang erwähnte Historiker Quinn Slobodian betont,
"dass Wired es abgelehnt hat, zwei von Musks engsten Verbündeten bei der Demontage der Regierung zu nennen, weil sie 21 Jahre alt und jünger sind. Einer hat 2024 die High School abgeschlossen".
Ein anderes Angriffsziel: die Informationsfreiheit. Ein paar Schlaglichter dazu: Das "Wall Street Journal" sprach am Freitag von mehr als 1.000 Regierungs-Seiten allein aus dem Bereich Gesundheit, die nicht mehr online zugänglich seien, die "New York Times" am Sonntag von mehr als 8.000 "web pages across more than a dozen U.S. government websites". Die Löschungen beträfen "Informationen über Impfstoffe, Veteranenbetreuung, Hassverbrechen, wissenschaftliche Forschung und mehr". Auch "Gesundheitsdatenbanken für Jugendliche sind betroffen" ("Der Standard"). Der Epidemiologe und Gesundheitsökonom Eric Feigl-Ding erwähnt, dass Gesundheitsdaten, die auf Jahrzehnte langer Arbeit basierten, nicht mehr abrufbar seien. "The Atlantic" beschreibt unter anderem wie Forscher privat ihre Daten retten und der Humboldt-Uni-Historiker Henrik Schönemann gibt in diesem Mastodon-Post diesbezügliche Ratschläge für Betroffene.
In einem Altpapier-Jahresrückblick haben wir kürzlich geschrieben, dass 2024 das Jahr war, in dem ein Kulturkampf gegen Wissen und Expertise im allgemeinen forciert worden sei. Ein Kulturkampf, der unter anderen in Verächtlichmachungen und Bedrohungen von Wissenschaftler zum Ausdruck kommt.
Die Entwicklungen der letzten Tage zeigen nun: Der Schritt, Wissenschaftler zu beschimpfen und zu bedrohen, wird womöglich überflüssig, weil es ja viel effektiver ist, deren Forschung verschwinden zu lassen (oder in verfälschter Form neu zu veröffentlichen). Trump und Musks Ziel ist nicht nur die Zerstörung staatlicher Strukturen, ihr Zerstörungsziel geht noch darüber hinaus.
Wir wollen aber nun auch nicht völlig fatalistisch aus dem Hauptteil der heutigen Kolumne aussteigen. Im "Heute-Journal" sagt Timothy Snyder, dass er noch "Hoffnung" habe. In seinem Substack schreibt er dazu:
"Die Logik des 'schnellen Handelns und Dinge kaputt machen’ besteht wie die Logik aller Staatsstreiche darin, schnelle, dramatische Erfolge zu erzielen, die abschrecken und demoralisieren und den Eindruck der Unvermeidlichkeit erwecken. Nichts ist unausweichlich. Seien Sie nicht allein und lassen Sie sich nicht entmutigen."
Altpapierkorb (RBB-Multikrise, KI als Reproduzent rassistischer Stereotypen, FAZ-Werkstudent über die FAZ)
+++ Die Rundfunkräte des Multikrisensenders RBB hatten bei ihrer Sitzung am vergangenen Donnerstag gleich zwei tonnenschwere Themen auf der Tagesordnung: den Skandal um die Falschberichterstattung über den Grünen-Politiker Stefan Gelbhaar und die vom Sender angekündigten externen Ermittlungen in dieser Sache (siehe zuletzt Altpapier von Mittwoch) sowie die Ankündigung der Senderspitze, 254 Vollzeitstellen einsparen. Jan Heidtmann, der für die SZ von der Rundfunkratssitzung berichtet, gibt die Argumentation von RBB-Intendantin Ulrike Demmer so wieder: "Der Anteil der Personalkosten (sei) mit 30 Prozent im Vergleich sehr hoch (…) Bei anderen ARD-Sendern läge er bei 22 oder gar 15 Prozent. Außerdem könne nicht weiter beim Programm gespart werden, sonst gebe es bald keines mehr." In Sachen Gelbhaar meldete derweil u.a. der "Spiegel", dass das Falschberichterstattungsopfer die Entschuldigung des RBB "vorerst" nicht annimmt.
+++ "Warum die radikale Rechte generative KI liebt und wie Midjourney & Co. die Ästhetik des gegenwärtigen digitalen Faschismus prägen" - mit diesen Wort kündigt Roland Meyer, Professor an Zürcher Hochschule der Künste, bei Bluesky einen von ihm für "Geschichte der Gegenwart" verfassten Beitrag an. Meyer schreibt unter anderem: "Dass die Modelle (…) regelmässig rassistische und sexistische Stereotypen reproduzieren, erscheint aus Sicht der Rechten nämlich nicht als zu behebender Fehler, sondern als eigentliches Versprechen der Technologie. Die statistische Logik der KI verleiht dem Ressentiment die Aura der Objektivität (…) Mit KI kehren die ältesten rassistischen und sexistischen Vorurteile in scheinbar technisch objektivierter Form zurück."
+++ Jagoda Marinic hat in ihrem Newsletter einen Text von Luke Bliedtner veröffentlicht, der zur Zeit als studentische Hilfskraft für die FAZ arbeitet. Bliedtner macht das, was Werkstudenten (und auch Redakteure) in der Regel nicht in der Öffentlichkeit tun: Er kritisiert das Medium, für das er arbeitet. Der 27-jährige schreibt darüber, wie er am Tag nach dem von CDU, AfD, FDP und BSW verabschiedeten Entschließungsantrag im Zug sitzt und seine "Entscheidung, als Hilfskraft bei einer konservativen Zeitung zu arbeiten, (überdenkt). Die Kommentare der alten weißen Männer, die das Vorgehen von Merz rechtfertigen, zeigt die Bedingungslosigkeit, mit der die Politik der CDU verargumentiert wird. Und: "Mein Job als Hilfskraft in der FAZ war vielleicht doch der falsche Schritt (…) im Lebenslauf. Sitzen doch genau dort im obersten Stock die gleiche Art weiße Männer, die ihrem Friedrich den Rücken freihalten." Marinic dazu, warum sie den Beitrag veröffentlicht: "Mich ermutigt der Text, weil es auch zeigt, dass die nächste Generation nicht geschichtsvergessen ist und wenn Journalisten von morgen so kritisch beobachten, dann ist das ein Signal, das Hoffnung macht."
Das Altpapier von Dienstag schreibt Christian Bartels.