Kolumne: Das Altpapier am 31. Januar 2025 Brandmauerfall
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31. Januar 2025, 09:34 Uhr
Hunderte Kultur- und Medienschaffende haben Friedrich Merz in einem offenen Brief heftig kritisiert, weil er die Brandmauer zur AfD offen infrage stellt. Nicht nur in Deutschland wächst die Angst vor rechten Parteien, die es mit der Freiheit der Medien nicht so genau nehmen. Heute kommentiert Ben Kutz die aktuelle Berichterstattung.
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Offener Brief: "Wir müssen die Brandmauer sein"
Besondere Zeiten erfordern besondere Maßnahmen. Das wissen auch Mode- und Beautymagazine. Denn es war tatsächlich der Deutschland-Ableger der "Vogue", der als erstes über einen offenen Brief von hunderten Kultur- und Medienschaffenden berichtet hat. Titel des Briefs: "Zum Fall der Brandmauer – gegen jede Zusammenarbeit mit der AfD".
Der Brief ist an Friedrich Merz und die Abgeordneten von Union, FDP und BSW adressiert. Hintergrund ist, dass vorgestern erstmals ein Antrag im Bundestag beschlossen wurde, der nur mit Stimmen der AfD eine Mehrheit bekommen hat. Es handelt sich um einen 5-Punkte-Plan zur "Sicherung der deutschen Grenzen", wie es im Antrag heißt.
Eingebracht hat ihn die CDU/CSU-Fraktion. Schon im Vorfeld hatte CDU-Vorsitzender Friedrich Merz angekündigt, man werde verschiedene Anträge zur Migration zur Abstimmung bringen, "unabhängig davon, wer ihnen zustimmt". Was interessiert Merz schon sein Brandmauer-Geschwätz von gestern? (Eine schöne Chronik von Merz-Zitaten zur Brandmauer liefert der "Spiegel".)
Hunderte Kulturschaffende interessiert es jedenfalls. Die "Vogue" zitiert die Initiatoren des offenen Briefs, Jonathan Berlin und Luisa-Céline Gaffron:
"Wenn die Brandmauer fallen gelassen wird, müssen wir die Brandmauer sein. In dieser so dramatischen Situation, die viele lähmt, ist es wichtig, sich klarzumachen, dass nach wie vor jede:r von uns einen essenziellen Teil beitragen kann, um unsere Demokratie gegen faschistische Kräfte zu verteidigen.[...] Gerade auch wir Künstler:innern müssen uns klarmachen, dass wir eine der ersten Branchen sind, die betroffen sind, wenn die AfD und rechtes Gedankengut an Macht gewinnen."
Im Brief heißt es:
"Dieser Pakt mit der AfD bedeutet einen historischen Tabubruch. [...] Wir, die Unterzeichnenden dieses offenen Briefes aus Kunst, Kultur, Medien und öffentlichem Leben, fordern die Abgeordneten von Union, FDP und BSW auf, von ihren verfassungswidrigen Plänen und jeglicher Art der gemeinsamen Sache mit der AfD umgehend Abstand zu nehmen."
Unterzeichnet haben den Brief neben zahlreichen anderen Jasna Fritzi Bauer, Daniel Brühl, Annette Frier, Karoline Herfurth, Klaas Heufer-Umlauf, Katja Riemann, Jürgen Vogel und Joko Winterscheidt, schreibt unter anderem auch "DWDL".
Auch der Publizist Michel Friedman hat seine Konsequenzen aus dem unsäglichen Unions-Tabubruch gezogen und ist nach über 40 Jahren aus der CDU ausgetreten. Zahlreiche Medien berichten darüber. (Ob man die Meldung wirklich als rote Eilmeldung auf Twitter rumschreien muss, wie’s die "Hessenschau" tut, ist eine andere Frage.)
Merz’ Tabubruch ist dominierendes Thema
Und auch darüber hinaus war die bröckelnde Brandmauer gestern dominierendes Medienthema. Kress.de fasst die Stoßrichtungen verschiedener Kommentare zum Thema zusammen und stellt heraus, dass sich die "Bild"-Chefredaktion nicht einig ist. Demnach schreibt Chefredakteurin Marion Horn, dass sich Merz’ Entschlossenheit gelohnt habe. Horns Vize-Chefredakteur Paul Ronzheimer schreibt dagegen:
"War es das wert? [...] Ich bin überzeugt: Nein, das war es nicht wert!"
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch ein Einwurf von Marietta Slomka im "heute journal" am Mittwoch. Unmittelbar nach dem Themenblock "Brandmauerfall" leiter Slomka so zum nächsten Bericht über (ab 10:13):
"Ausgerechnet vor dieser Debatte heute [...] gab es im Bundestag zuvor das Gedenken an die Opfer der NS-Zeit und speziell an die Befreiung von Auschwitz vor 80 Jahren. Gedenken also an einen Zivilisationsbruch, an Menschheitsverbrechen, die bis heute nicht zu fassen sind. Dazu gehört aber auch die Erinnerung, dass das nicht plötzlich und unaufhaltsam über Nacht kam. Die Naziherrschaft baute sich ja über Jahre auf. Sie hatte Steigbügelhalter und Mitläufer. Und sie nutzte demokratische Mittel, um an die Macht zu kommen. Danach war es zu spät."
Ich sag’s ganz ehrlich: Ich habe eine ordentliche Gänsehaut bekommen, als ich das gesehen habe. Das ist für eine Nachrichtensendung überdurchschnittlich kommentierend. Und genau dafür feiere ich die Kollegin gerade ziemlich.
Ich finde: Auch wir Medien sollten zur Stabilisierung der Brandmauer beitragen. Journalistische Neutralität ist ein wahnsinnig hohes Gut, stößt bei der AfD aber an ihre Grenzen. Niemand kann von den Medien verlangen, vollkommen neutral über eine Partei zu berichten, die Freiheit und damit auch freie Medien mit Füßen tritt und ihnen die Existenzgrundlage entziehen will.
Auch heute geht die Brandmauer-Debatte (völlig zurecht!) munter weiter. Das unangefochten schönste Print-Cover des heutigen Tages geht wie so oft an die "taz". Gestern hat Altkanzlerin Merkel Merz heftig für seinen Vorstoß kritisiert. Auf dem "taz"-Cover ist ein großes Foto von Merkel. Daneben prangt die Überschrift "Oma gegen rechts". Ich liebs.
Angst um Medienfreiheit in Österreich, Deutschland, Europa
Bleiben wir beim Gute-Laune-Thema Rechtsruck (Sorry, ich such’s mir auch nicht aus!). Denn was hierzulande noch abwendbare Horrorszenarien sind, ist in unserem Nachbarland Österreich schon Realität. Die rechtsextreme FPÖ ist bei den Nationalratswahlen Ende letzten Jahres stärkste Kraft geworden. Die Partei will unter anderem dem öffentlich-rechtlichen ORF an den Kragen (Altpapier).
Trotz Sorgen im eigenen Land zeigen sich deutsche Journalistinnen und Journalisten solidarisch mit dem Nachbarland. "Journalisten von ARD und ZDF besorgt über FPÖ-Medienpläne in Österreich", titelt der österreichische "Standard". Die Redaktionsausschüsse von ARD und ZDF haben einen gemeinsamen Appell herausgegeben. Titel: "Österreich darf nicht Ungarn werden!"
Darin heißt es:
"Wir sehen die Situation des ORF und anderer Qualitätsmedien in Österreich mit großer Sorge. Nach Plänen der weit rechts stehenden FPÖ steht die Medienlandschaft vor einem massiven und für die Meinungsfreiheit gefährlichen Umbau. [...] Die FPÖ wirft dem unabhängigen ORF seit Jahren vor, ein ‘Regierungssender’ zu sein- und führt nun genau dies im Schilde: den Umbau zu einem Staatsfunk, der regierungs-freundlich berichtet und finanziell an die Kandare genommen werden soll."
Auch die Vereinigung Europäischer Journalistinnen und Journalisten (AEJ) warnt vor "aktuellen Bedrohungen" für die Medienfreiheit in Mitteleuropa, meldet ebenfalls der "Standard":
"In einer aktuellen Stellungnahme der Medien-NGO mit mehr als 700 Mitgliedern in 16 europäischen Ländern heißt es: ‘Die Medienfreiheit gehört zu den Grundwerten der Europäischen Union.’ Sie benötige daher ‘mehr Schutzmaßnahmen’, EU-weit und auf nationaler Ebene."
Die NGO warnt unter anderem vor FPÖ-Chef Herbert Kickl, der möglicherweise bald Österreichs Kanzler wird. "Aussagen von FPÖ-Chef Herbert Kickl lassen befürchten, dass er als Regierungschef versuchen wird, kritische Medien durch Entzug von staatlicher Presseförderung und öffentlichen Inseraten zu domestizieren", schreibt die AEJ.
Auch auf die Situation in Deutschland blickt die Organisation kritisch. Nicht nur wegen Attacken der AfD auf unabhängige Medien:
"Dass sich mit Elon Musk ein US-Oligarch und enger Vertrauter des neuen US-Präsidenten Donald Trump direkt in den deutschen Wahlkampf für die Ende Februar stattfindende Bundestagswahl eingemischt habe, bereite ebenfalls Sorgen."
Und auch in anderen Ländern sieht es nicht gerade rosig aus, berichtet die AEJ. In der Slowakei hat der linkspopulistische Premierminister Robert Fico den öffentlich-rechtlichen Rundfunk "völlig unter seine Kontrolle gebracht".
Auch Mika Beuster, Bundesvorsitzender des Deutschen Journalistenverbands, schlägt sorgenvolle Töne an. Zum 75-jährigen Jubiläum des DJV hat er dem hauseigenen Medienmagazin "Journalist" ein Interview gegeben. Titel: "Die Pressefreiheit gerät weltweit unter Druck".
Am meisten beschäftige den Verband momentan
"der Kampf für die Pressefreiheit, den wir immer wieder neu führen müssen. Auch in freien, demokratischen Gesellschaften wie hier gibt es täglich Versuche, freie Recherche und unabhängige Berichterstattung zu unterdrücken."
Ich geb zu: Ich hab schon mal optimistischere Altpapiere geschrieben. Ich gelobe Besserung!
Der "Feuerwehrmann der ARD": Nachrufe auf Max Schautzer
Aber nicht heute. Fast folgerichtig schließt das Altpapier mit einer weiteren traurigen Nachricht. Der einstige Showmaster Max Schautzer ist im Alter von 84 Jahren gestorben. Bekannt wurde er unter anderem durch die von ihm konzipierte TV-Show „Pleiten, Pech und Pannen". ´
"Max Schautzer hatte einen Werdegang, wie es sich für jemanden in der Unterhaltungsbranche gehört: vielfältig und unorthodox", schreibt die "FAZ" in ihrem Nachruf auf der heutigen Medienseite. "Über Jahrzehnte prägte Max Schautzer die deutsche Fernsehunterhaltung", würdigt ihn "DWDL".
Einen besonders liebevollen Nachruf hat der "Spiegel" in petto:
"Max Schautzer war eine Show-Legende, eine feste Größe in der Fernseh-Unterhaltung über Jahrzehnte hinweg. Er führte – immer galant-charmant – durch TV-Shows, erfand neue Formate, brachte Mitte der Achtzigerjahre ein Millionen-Publikum mit seinen ‘Pleiten, Pech und Pannen’ zum Lachen. Lange trug der Moderator den Titel ‘Feuerwehrmann der ARD’ – denn tatsächlich glückte ihm alles."
Ich unverbesserlicher Nostalgiker weiß jedenfalls schon, was ich heute Abend zum Einschlafen gucke. Denn alte "Pleiten. Pech und Pannen"-Folgen gibt es zuhauf auf YouTube.
Altpapierkorb
+++ "Zwischen Panikmache und Geschmacklosigkeit", heißt ein "taz"-Essay, das sich mit der Berichterstattung zur Bundestagswahl beschäftigt. Lotte Laloire kritisiert unter anderem, "in welchem Brustton der Überzeugung viele Journalisten schreiben, wer die nächste Regierung bildet, obwohl – Umfragen belegen das – noch einiges offen ist". Außerdem wünscht sich die Autorin mehr sprachliche Klarheit: "Der Wahlkampf ist eigentlich schon eklig genug. Doch dann stoßen auch noch Formulierungen auf, die mit Sprache wenig zu tun haben".
+++ Der RBB kündigt massive Sparmaßnahmen an, meldet unter anderem der "Tagesspiegel". Weil der Sender 22 Millionen einsparen muss, sollen mehr als 250 Stellen gestrichen werden. Das sind fast 10 Prozent der Belegschaft. Kritik gibt’s unter anderem von der Gewerkschaft verdi, schreibt "DWDL".
+++ Schon mehr als 80.000 Menschen haben sich in einer Sammelklage gegen Amazon Prime Video zusammengeschlossen, meldet der "Spiegel". Das Streaming-Portal hat im Februar 2024 angefangen, Werbung in Filmen und Serien zu zeigen. Nach Ansicht von Verbraucherschützern handelt es sich dabei um eine wesentliche Vertragsänderung, die so nicht zulässig ist. Federführend in der Klage ist die Verbraucherzentrale Sachsen. Man wolle Amazon "einen Denkzettel verpassen" und zeigen, dass Verbraucher nicht "widerstandslos jede Preisanpassung mittragen".
+++ Joyn, der Streamingdienst von ProSiebenSat.1, zeigt künftig mehr öffentlich-rechtliche Inhalte. Das meldet unter anderem "DWDL". Künftig kann man auf der Plattform unter anderem die "Lindenstraße", "Ein Fall für zwei" oder "Ditsche" kostenlos streamen.
Das Altpapier am Montag schreibt René Martens.