Kolumne: Das Altpapier am 29. Januar 2025 Bald bitte ein Digitalministerium
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29. Januar 2025, 09:19 Uhr
Allerhand Sitzungen rund ums Digitale-Dienste-Gesetz zeigen: Irgendwas Sinnvolles wird in Deutschland damit bisher nicht angestellt. Bernhard Pörksen lästert über "irgendwelche Medienkompetenzen". Und der RBB-Skandal zeigt am Rande, wie bedenkenlos öffentlich-rechtliche Nachrichtensendungen "nachgestellte Szenen" einsetzen. Heute kommentiert Christian Bartels die Medienberichterstattung.
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Kleine Bilanz der Ampel-Netzpolitik
Heute Nachmittag tagt noch einmal, letztmals wohl, der Digitalausschuss des aktuellen Rekord-Bundestags. Stolze 32 Tagesordnungspunkte kamen zusammen. Und gestern weckte ein vergleichsweise spektakulär klingender Post Aufmerksamkeit:
"Krass: Zur letzten Sitzung des #Digitalausschuss|es hatten wir #X #Meta & #TikTok zur Umsetzung des #DSA und zur Bundestagswahl eingeladen. Alle sagten mit gleicher Begründung ab: viel zu tun und zu kurzfristig. Schade, dass wir in Deutschland ihr Kommen nicht einfordern können",
twitterte die Grüne Tabea Rößner, einst wichtige Persönlichkeit einer halbwegs ernsten Medienpolitik und derzeit die Digitalausschuss-Vorsitzende, auf Elon Musks X.
Hm, waren denn nicht vor gut zwei Wochen ein oder zwei Treffen von Bundesinnenministerin Faeser und der neuen EU-Digital-Kommissarin Virkkunen "mit Chefs von Onlineplattformen" oder zumindest Vertretern dieser Plattformen angekündigt (Altpapier)? Um ordnungsgemäßen Online-Wahlkampf zur Bundestagswahl sollte es auch da gehen. Fanden diese Treffen statt?
Tatsächlich, am 22. oder 24. Januar, zeigt sich bei längerer Suche weiter unten in den Nachrichtenspalten. Am 22. tagte im Innenministerium eine größere Runde, wie eine Pressemitteilung des BMI zeigt. "Die beteiligten Digitalkonzerne und Plattformbetreiber waren Google (YouTube), Meta (Facebook und Instagram), Microsoft, Tiktok und X", heißt's darin. "Chefs" waren wohl nicht dabei; außer Faeser und Bundeswahlleiterin Ruth Brand werden gar keine Namen genannt. Sinnvoller als die PM zu lesen, wäre es, zwei heise.de-Meldungen zu lesen, die am Freitag bzw. Samstag erschienen. Außer mit der Runde bei Faeser befassen sie sich auch mit einer am Freitag bei der BundesnetzagenBundesinnenministerintur einberufenen.
Viel besorgniserregend Falsches scheint bis dato im bisher gelaufenen Online-Wahlkampf noch nicht passiert zu sein, notiert Falk Steiner im Samstags-Bericht. Ebenso möglich freilich, dass kurzfristig noch was passieren könnte:
"Was, wenn am Freitag vor der Wahl plötzlich etwas auftaucht, das sich bis zur Öffnung der Wahllokale nicht mehr 'debunken' lässt? ... Die Zentrale Stelle zur Erkennung ausländischer Informationsmanipulation (ZEAM) ist als ministerien- und behördenübergreifende Stelle damit beschäftigt, möglichst früh solche Versuche zu identifizieren. Was sie nicht hat: den Auftrag, diese zu beenden. Und was dem guten Dutzend Mitarbeiter der Bundesregierung sowie einer bundeseigenen Beratungsagentur zudem fehlt: Zugang zu Schnittstellen der Anbieter. Sie müssen sich im Internet so umschauen, wie jeder andere Nutzer auch. Eine Rechtsgrundlage, sich etwa in geschlossenen Gruppen umzuschauen, gibt es nicht."
In den Ministerien, deren Personalstärke die Ampel-Regierung ja weiter deutlich erhöht hat, befassen sich also allerhand Menschen mit Beobachten des laufenden Wahlkampfs. Irgendwelche Zugriffsmöglichkeiten haben sie nicht. Im Zweifel müssten sie das Digitale-Dienste-Gesetz DSA bemühen. Das würde dann wohl so laufen, wie es im Freitags-Bericht heißt:
"'Wir nehmen die sehr großen Online-Plattformen beim Wort, dass sie die Vorgaben des Digital Services Act engagiert umsetzen wollen und werden', betonte Klaus Müller, Präsident der Bundesnetzagentur (...). 'Wir arbeiten eng mit der EU-Kommission zusammen und beobachten die Entwicklung im Vorfeld der Bundestagswahl – gemeinsam mit weiteren nationalen Behörden – sehr genau.' Etwaige Verstöße gegen den DSA leite man an die zuständige Exekutivinstanz in Brüssel weiter."
Henna Virkkunen war übrigens wohl nicht zur Berliner Sitzung angereist. Noch nicht ganz ein Jahr lang gilt der DSA jetzt aber wirklich für alle. Allerhand In-Kraft-treten-Etappen hatte es zuvor gegeben. Dass sich in Deutschland irgendwas eingespielt oder gar bewährt hat, würde wohl niemand behaupten. Bilanz zieht erneut heise.de (und dass sich außer dem kompetenten, aber speziellen Technik-Portal kaum wer drum kümmert, sagt natürlich auch etwas aus). Diese Bilanz ernüchtert weiter:
"Die Bundesnetzagentur (...) hat nach Aufnahme der Tätigkeit im Mai 2024 bislang 850 Beschwerden erhalten. Das teilte die Bonner Aufsichtsbehörde auf Anfrage von heise online mit. 'Hauptthemen sind die Benutzerfreundlichkeit der Meldewege bei illegalen Inhalten, nicht ausreichende Begründungen bei Entscheidungen zu Entfernungen und Nichtentfernungen sowie Beschränkungen von Accounts, Inhalten und Diensten'... Gegen drei Plattformbetreiber werden durch die Bundesnetzagentur derzeit Auskunftsersuchen vorangetrieben, die Vorstufe eines förmlichen Verfahrens, das dann auch Geldbußen nach sich ziehen kann. Einer der Anbieter hatte dabei keinen rechtlichen Vertreter in der EU benannt, was unter dem DSA jedoch Pflicht ist."
Usw. Bei einem für wichtig gehaltenen DSA-Aspekt, der Meldung vermuteter Straftaten gegen Leib, Leben oder Freiheit, bei denen schnell das BKA alarmiert werden muss, scheint besonders wenig zu passieren:
"Die meisten dieser Meldungen beim BKA kamen nicht etwa von TikTok, Telegram, Instagram Facebook oder X – sondern wurden vom Webchat-Anbieter Deutscher-Chat.de übermittelt, gefolgt von Knuddels ...".
Sieh an, "Knuddels" gibt's noch. Kurzum: Rund um die noch immer nicht abgeschlossenen, aber bereits ausgesprochen aufwändigen deutschen Regelungen zum EU-DSA wird unverdrossen vor sich hin getagt, ohne dass es irgendwelche Effekte hat. Die außereuropäischen Plattform-Konzerne und die Manager ihrer deutschen Abteilungen verdienen sehr viel Kritik – aber dafür, dass auch sie die deutsche Behörden-Bürokratie und die Netzpolitik des Bundestags nicht ernst nehmen, eher nicht. Vermutlich haben sie tatsächlich viel zu tun. Vielleicht außer Milliarden Werbeeinnahmen an die Konzernzentralen überweisen, ja auch tatsächlich dafür zu sorgen, dass der Wahlkampf auf ihren Plattformen halbwegs sauber läuft.
Eine Forderung muss lauten, dass die nächste Bundesregierung echt ein eigenes Digitalministerium etabliert – und dem genug Kompetenzen aus den zahllosen Behörden überschreibt, zwischen denen derzeit die zähflüssige Dienstwege verlaufen.
Der neue Pörksen
Kleine konzise, dabei nicht ungebührlich vereinfachende Zusammenfassung dessen, was in der komplett außereuropäisch gelenkten Welt der Plattformen gerade so passiert? Bernhard Pörksen, der Medienwissenschaftler, der nach Martin Andree die griffigsten Zitate schöpft, hat ein neues Buch am Start. "Zuhören. Die Kunst, sich der Welt zu öffnen" erschien gestern bei Hanser. Und der österreichische "Standard" hat eines der ersten Interviews dazu:
"Zweitens verliert der klassische Journalismus die Hoheit über die Vertriebskanäle, muss sich jetzt – wenn er überhaupt noch durchdringen will – an den Krawall-Algorithmen der Plattformen orientieren, also seine Darstellungslogik ändern. Drittens nutzen die Tech-Oligarchien in erschütternder, verantwortungsloser Schamlosigkeit ihre publizistische Macht",
sagt Pörksen da unter anderem. Beim "Erstens" geht's um die eben erwähnten Werbeeinnahmen (die Pörksen mit nur "mehr als die Hälfte" übrigens bemerkenswert niedrig veranschlagt). Eine wichtige Rolle im neuen Pörksen spielt der "Clown" als "eine Symbolfigur für das Erwartbare". Aber auch fürs traditionelle Politikmodell, wie es im deutschen Föderalismus immer noch länger und breiter gepflegt wird, hat der Tübinger Professor inzwischen deutliche Worte, scheint mir.
"Das Schulsystem im deutschsprachigen Raum reagiert in der Summe verzagt, konfus, technologiegläubig – und ertränkt das eigene Engagement in einer leblosen Floskelsprache, die permanent irgendwelche Medienkompetenzen beschwört. Das ist, um es unverblümt zu sagen, furchtbar. Reine Zeitverschwendung."
Das Problem mit "nachgestellten Szenen"
Nichts akut Neues gibt's zum RBB-Skandal um die Falschbehauptungen zum Grünen-MdB Gelbhaar (Altpapier). Vor allem Boris Rosenkranz' ausführlicher Überblick für uebermedien.de umreißt die bislang bekannten Dimensionen. Nach aktuellem Stand hatte der RBB sich telefonisch von einer Frau, die es vermutlich nicht gibt und die keiner seiner Vertreter persönlich traf, eine "eidesstattliche Erklärung" unterjubeln lassen. Ein in der ersten ausführlicheren "Fehleranalyse", die die Anstalt am Freitag veröffentlichte, benannter Fehler verdient Aufmerksamkeit über diesen Fall hinaus:
"Ein zweiter Fehler betrifft die Berichterstattung in der rbb24-Abendschau vom 31. Dezember 2024. In dieser wurde eine 'nachgestellte Szene' gezeigt, die den Austausch des Rechercheteams mit einer der nach eigenen Angaben betroffenen Frauen zeigen soll. In der Szene war ein Gespräch zwischen zwei Personen zu erkennen, die sich im selben Raum befinden. Diese Bilder in Verbindung mit der Angabe 'nachgestellte Szene' insinuieren, dass ein solches Gespräch in ähnlicher Weise stattgefunden hat. Diese Darstellungsform ist nicht legitim, denn wie ausgeführt, hat ein solches Treffen nicht stattgefunden. Somit wurden grundsätzliche Sorgfaltspflichten verletzt."
Heißt: Die Informantin persönlich zu treffen, war irgendwie zu schwierig. Aber für die eigene Hauptnachrichtensendung solch ein Treffen rasch nachzustellen, das ließ sich machen.
Und das ist ein Problem, das die Öffentlich-Rechtlichen sich für meinen Geschmack dringend zurück auf den Schirm holen müssten. In sämtlichen Doku-Formen wimmelt es längst von nachgestellten Szenen und Reenactments, die stets perfekt bebildern, was auf der Tonspur gerade ein Gesprächspartner oder der oft allwissende, feinfühlig vom Musikteppich untermalte Offkommentar sagen. Das wirkt natürlich eingängig und lässt beim Publikum keine Zweifel aufkommen, ob denn stimmt, was der Gesprächspartner sagt. (Der Offkommentar lässt ja sowieso nie Zweifel aufkommen; dazu ist er ja da). Während die alten Dokumentarfilm-Fragen, ob authentisches Bildmaterial vorliegt oder welche Bilder am ehesten passen würden, keinerlei Rollen mehr spielen, greifen sogar Nachrichtenredaktionen bedenkenlos zu diesem manipulativen Mittel. Sicher auch, weil solche unscharfen Bildsequenzen sich besonders leicht KI-generieren lassen,
Vielleicht ist das doch ein Irrweg, den seriöse, von der Allgemeinheit durch den Rundfunkbeitrag finanzierte Medien allenfalls in engen, genau definierten Grenzen beschreiten sollten. Vielleicht sollten wenigstens Nachrichtensendungen sich darauf konzentrieren, ausschließlich echtes Bildmaterial zu zeigen.
Lichtblicke gibt's im RBB trotz allem auch. Zum Beispiel, wenn Jörg Wagner vom "Medienmagazin" (der als Radio-/Audio-Mann schon noch im Blick oder Ohr haben muss, welches Material vorliegt), seinen Chefredakteur David Biesinger einfach mal fragt: "Hat denn die Causa die Fallhöhe, dass Sie zum Beispiel sagen: 'Ich übernehme die Verantwortung'?" (hier ab Min. 20:10).
Altpapierkorb (Habeck bei Raab, Fotografen-Frage, Apple vorm BGH, Thüringens neuer Medienpolitiker)
+++ RTL sendet seine Streamingdienst-Show mit Stefan Raab und einem hoch komplizierten Titel ("DGHNDMBSR") ab Mitte Februar auch in seinem linearen Programm. "Der Gast der ersten Sendung wird Robert Habeck sein", offenbart RTLs Chief Content Offizierin Inga Leschek exklusiv im "SZ"-Medienseiten-Interview (Abo). +++
+++ Die Frage, ob das Foto von einem Napalmbomben-Angriff auf ein vietnamesisches Dorf, das 1972 entstand und bis heute als eines der bekanntesten Kriegsfotos gilt, tatsächlich vom Fotografen Nick Ut aufgenommen wurde, wirft ein neuer US-amerikanischer Dokumentarfilm. Mit dem befasst sich die "FAZ"-Medienseite (Abo). +++
+++ Von einer Bundesgerichtshofs-Verhandlung über Apples Beschwerde, dass das Bundeskartellamt ihm "überragende, marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb" zuschreibt, berichtet lto.de. +++
+++ Der ehemalige "Tagesschau"-Mitarbeiter Alexander Teske, um dessen Buch "Inside Tagesschau" es hier zuletzt gestern ging, war kürzlich mit einem eigenen Beitrag zu seinem Thema in der "taz" vertreten gewesen ("Das Vertrauen der Deutschen in Medien sinkt. Die 'Tagesschau' ist Teil des Problems, will es aber nicht wahrhaben ...") +++
+++ In Thüringen, in dessen MDR-Landesfunkhaus ja das Altpapier erscheint, ist im Rahmen der Brombeer-Minderheiten-Regierung nun CDU-Politiker Stefan Gruhner als Chef der Staatskanzlei für Medienpolitik zuständig. "Ich halte es für keine gute Idee von ARD und ZDF, sich längerfristig mit dem Bundesverfassungsgericht gegen die Länder zu verbünden. Akzeptanz lässt sich nur durch ein Miteinander von Medien und Medienpolitik erreichen, nicht durch ein andauerndes, öffentlich ausgetragenes Gegeneinander in elementaren Fragen", sagte er bei Helmut Hartungs medienpolitik.net-Umfrage. +++
Das nächste Altpapier schreibt am Donnerstag Ralf Heimann.