Kolumne: Das Altpapier am 24. Januar 2025: Porträt des Altpapier-Autoren Ralf Heimann 5 min
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G
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Kolumne: Das Altpapier am 24. Januar 2025 von Ralf Heimann Scheinbare Nachrichten

Kolumne: Das Altpapier am 24. Januar 2025 – Scheinbare Nachrichten

Die Medien hängen am Tropf der Tabubrüche. So beschleunigen sie die Verschiebung der Norm. Ganz entscheidend sind Uneindeutigkeiten.

Fr 24.01.2025 13:20Uhr 05:01 min

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Kolumne: Das Altpapier am 24. Januar 2025 Scheinbare Nachrichten

24. Januar 2025, 11:54 Uhr

Die Medien hängen am Tropf der Tabubrüche. So beschleunigen sie die Verschiebung der Norm. Ganz entscheidend sind Uneindeutigkeiten. Heute kommentiert Ralf Heimann die Medienberichterstattung.

Porträt des Altpapier Autoren Ralf Heimann
Bildrechte: MDR MEDIEN360G

Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Der Kreislauf des Irrsinns

Es funktioniert einfach immer noch wunderbar. Auch in Donald Trumps zweiter Amtszeit geht’s weiter mit offenen Mündern, sehr viel Erregung und Berichterstattung im Tonfall von "Der kann doch nicht wirklich…" oder "Der hat doch jetzt nicht…" In diesem zweiten Spiellevel müssen Medien sich mit einer weiteren Figur herumschlagen, die ähnlich vorgeht und ebenfalls mit medialer Aufmerksamkeit versorgt werden möchte. War’s denn nun wirklich der Hitlergruß?

Vereinzelt findet man auch drei Tage nach dem Ereignis Kommentare und Beiträge dazu. Auch hier ist die nächste Stufe erreicht. Am Laufen hält das Ganze zu einem großen Teil die Empörung darüber, dass es weiter Menschen gibt, die daran zweifeln, ob man mit letzter Gewissheit sagen kann: Das war der Hitlergruß.

Sascha Lobo fühlt sich wie viele andere an Déjà-vus erinnert, die man schon mehrfach hatte. In seiner aktuellen "Spiegel"-Kolumne schreibt er:

"Trump und sein Umfeld schaffen in so hoher Taktung absurde Anlässe, über die alle reden, dass zu wenig Aufmerksamkeit und Diskurskapazität für tiefgreifende Entscheidungen übrig bleibt. Im gigantischen Getöse um Gegenwartsgrotesken gehen grundsätzlichere, größere Geschehnisse einfach unter."

Und:

"Die derzeitige Öffentlichkeit in sozialen und leider auch in einem Teil der redaktionellen Medien hat offenbar immer noch nicht gelernt, dass mehr als 90 Prozent der Trump-Inhalte traditionell aus dringend Scheinendem, aber strukturell Unwichtigem bestehen."

Hier nimmt Lobo eine Abzweigung, um über die nach seiner Einschätzung wirklich dringenden und wichtigen Dinge zu sprechen, in dem Fall eine angekündigte 500-Milliarden-Investition in KI-Technologien (Jürgen Geuter schätzt das etwas anders). Wir dagegen bleiben bei der Aufregung über das dringend Scheinende.

Samira El Ouassil hat auf ihrem Threads-Account in einem, natürlich, Thread nachvollzogen, was in den vergangenen Tagen passiert ist. Und vielleicht kann man sich davon wenigstens merken, dass der Irrsinn in wiederkehrenden Phasen verläuft.

Phase 1: das große Aufsehen. Es passiert etwas, das sich, zumindest auf den ersten Blick, schwer einordnen lässt. Hier ist es die Armbewegung.

Phase 2: Expertenanalysen. Einige sagen: Ja, Hitlergruß, andere sind skeptisch.

Phase 3: die Reaktionen. Die einen sagen: Das ist doch aus dem Kontext gerissen. Andere zeigen vergleichbare Bilder von anderen Politikern, um die Diskussion zu relativieren. Wiederum andere spekulieren: Stand Musk unter Drogen?

Phase 4: Radikalisierung der Diskussion. Neonazis feiern die Kontroverse. Ach, da war ja auch noch der "römische Gruß". "Komplett loste Leute" filmen sich selbst bei der Geste, um sie vom Nazi-Verdacht zu befreien.

Vor allem kann man feststellen: Es finden Reaktionen statt. Damit ist zu späteren Zeiten nämlich nicht mehr zu rechnen.

Toxische Ambivalenzen

Es könnte zum Beispiel sein, dass Musk die Handbewegung auch bei zukünftigen Auftritten anbringt, sozusagen als Selbstzitat, und die Geste zu einer Art einer Referenz wird, mit der er sich aufgrund dieser Vorgeschichte gleichzeitig noch über jene lustig machen kann, die ihm den Hitlergruß vorwerfen.

Aber auch das würde sich auf der Erregungsskala schnell abnutzen. Das Overton-Fenster der Symbolik und der Taten hätte sich verschoben.

Die einzelne Geste oder Handlung ist dabei für sich genommen unbedeutend. All das, was man folgenlos machen kann, wird früher oder später zu etwas Normalem. Je mehr Grenzüberschreitungen, desto gleichgültiger wird die einzelne hingenommen, aus Ermüdung, Ernüchterung, vielleicht auch aus Resignation. Und tada, der Handlungsspielraum wird wieder größer.

Berichte darüber, dass Donald Trump die Kontrolle über seine Firmen eher halbherzig abgibt und er diesmal zum Beispiel auch nicht angekündigt hat, auf neue internationale Immobilienprojekte zu verzichten, wie hier in der "New York Times", haben in den USA zu keiner nennenswerten Debatte geführt und sind in Deutschland kaum zur Kenntnis genommen worden.

Man erwartet ja gar nichts anderes. Und Medien berichten eher über Unerwartetes. Irgendwo in den Phasen dieses ganzen Spektakels kommen, ziemlich am Ende, die satirischen Aktionen.

Das Wort "Heil" vor dem Firmennamen und das zugehörige Gruß-Piktogramm, das das "Zentrum für politische Schönheit" in Grünheide abends ans Tesla-Werk projiziert, wären hierfür ein Beispiel.

Die Staatsanwaltschaft hat den Vorgang inzwischen auf dem Schreibtisch liegen, berichtet unter anderem der "Spiegel". Weil der Kontext ein politischer ist, landet so etwas bei der Polizei auf dem Abteilungsflur des Kollegen oder der Kollegin, zu deren Aufgabenbereich der "Staatsschutz" gehört. Das führt regelmäßig zur spektakulären Schlagzeile "Staatsschutz ermittelt", was nach der nächsten Eskalationsstufe klingt. In Wirklichkeit wäre die Formulierung "ganz normaler Vorgang" hier aber in den meisten Fällen ausnahmsweise mal angebracht.

Ob das hier auch so ist, vermag ich nicht zu sagen. Möglicherweise hebt die ganze Sache hier aber ab auf eine weitere Ebene, denn der Kontext ändert sich.

Matthias Bernhardt fragt bei Threads, ob man für das Projizieren eines Bildes oder einer Geste härter bestraft werden kann als für die Ausführung. Das müssten Juristen beurteilen. Aber theoretisch könnte das tatsächlich so sein.

Zum einen bewertet das deutsche Recht einen Hitlergruß anders als das US-amerikanische. Zum anderen ist der Kontext in der Projektion schon durch das Wort "Heil" sehr viel eindeutiger festgelegt. Dazu geht es hier nicht um eine Körperbewegung, bei der man vielleicht noch sagen könnte: "Ja, sieht so aus. Aber Hitlergruß geht ja eigentlich anders."

An der Außenwand der Tesla-Fabrik ist das Bild eingefroren. Hier soll es ausdrücklich der Hitlergruß sein. Man nimmt ihm die Ambivalenz, die die ursprüngliche Szene noch hatte.

Es lässt sich zwar zweifelsfrei sagen, dass die Bewegung als Hitlergruß durchgehen würde. Aber zum Beispiel der Fall, dass Elon Musk noch sehr viel Schlimmeres vorhat, als all seine Gegner es für möglich halten, aber in diesem Fall tatsächlich keinen Hitlergruß im Sinn hatte, ist nicht vollkommen auszuschließen.

Dieses Element, diese toxische Ambivalenz, ist äußerst wichtig im Playbook von Rechtsextremen. Sie führt einerseits zu Erregung und fortwährender Aufmerksamkeit, zwischendurch aber auch immer wieder zu Zweifeln und der Frage: Ist das denn so? Ist er wirklich so schlimm? Oder ist das wieder nur eine Geschichte der Linken?

Während man über so etwas nachdenkt, erscheint auf den Nachrichtenseiten schon die nächste ungeheuerliche Meldung. "T-Online" titelt heute Morgen:

"Trump: Selenskyj hätte den Krieg nicht zulassen dürfen"

Hier beginnt sich nun gerade das nächste Overton-Fenster zu verschieben. Aber dazu dann vielleicht in den nächsten Tagen…

Meta: Zufall oder Absicht?

Machen wir weiter mit Denkschubladen. Als Mark Zuckerberg vor einigen Tagen ankündigte, seinen Factcheckern neue berufliche Möglichkeiten zu eröffnen, indem er sie vor die Tür setzte (Altpapier), deuteten die meisten das als Kotau.

Doch auch hier war nicht eindeutig, was tatsächlich passiert war. Es kann sein, dass Mark Zuckerberg noch sehr viel größere Angst vor persönlichen Konsequenzen aka Gefängnis hatte, als man vermutete. Es kann sein, dass Dinge im Hintergrund passiert sind, von denen die Öffentlichkeit nichts weiß. Es ist möglich, dass Zuckerberg Donald Trump für einen ziemlichen Trottel hält, ihn aber öffentlich umschmeichelt, um opportunistische Ziele zu verfolgen.

Es kann auch sein, dass die Entscheidung seinen ganz persönlichen Überzeugungen entsprach und er die lästigen Faktenchecker im Schatten der neuen politischen Windrichtung so endlich loswurde. Es ist möglich, dass Zuckerberg tatsächlich der Meinung ist, mit den Faktencheckern ein politisches Symbol entsorgt zu haben und Community-Notes am Ende vielleicht sogar tatsächlich besser sind. Es kann auch sein, dass es einfach um Geld ging.

Diesen Verdacht hat Facebooks früherer Außenminister Nick Clegg beim Weltwirtschaftsforum in Davos zurückgewiesen (was natürlich nichts heißen muss). Er sagte, bei Facebook arbeiteten weiterhin 40.000 Menschen an Sicherheits- und Moderationsaufgaben. Das Unternehmen investiere jährlich fünf Milliarden in die Plattform-Integrität. Und es sei natürlich weiterhin verboten, Menschen zu belästigen und zu schikanieren.

Das klingt zwar etwas anders als: Facebook lässt alle Schranken fallen. Es ist aber einerseits trotzdem eine Nebelkerze, denn interessant wäre ja die Entwicklung – also wie viele Menschen waren es denn vorher? Wie viel Geld hat Facebook gespart? Und ist es keine Schikane, wenn LGBTQ+-Menschen jetzt auf der Plattform "geisteskrank" genannt werden dürfen?

Trotz alledem kann sich in ein, zwei Jahren herausstellen: Die Folgen der Entscheidung, Faktenchecker abzuschaffen, waren weitaus weniger katastrophal, als viele anfangs befürchteten. Oft sehen die Dinge auf den ersten und vielleicht auch noch auf den zweiten Blick anders aus, als sie tatsächlich sind. Und damit sind wir mal wieder beim Bestätigungsfehler.

Als in den vergangenen Tagen gemeldet wurde, viele Facebook-Accounts würden automatisch Donald Trump folgen, obwohl sie ihn gar nicht abonniert hatten, dass man Trump kaum wieder loswerde, er und sein Vize Vance bei Facebook prominent empfohlen würden und demokratische Hashtags gesperrt seien, da passte das wunderbar in die Erzählung vom politisch neu justierten Meta-Chef, der dem neuen Präsidenten, warum auch immer, alles recht macht.

Martin Fehrensen und Simon Hurtz haben sich im "Social Media Watchblog"-Newsletter damit beschäftigt. Und teilweise lässt sich das alles auch ohne Kniefall erklären.

Wer bislang Joe Bidens Account "@potus" folgte, sieht nun zwangsläufig die Postings von Donald Trump, denn das Konto nutzt immer der aktuelle Präsident. So kann es passieren, dass Menschen Trump folgen, ohne ihn je abonniert zu haben.

Das große Interesse in den ersten Tagen kann den Algorithmus auch ohne Einflussnahme dazu bewegen, Trump und Vance häufiger zu empfehlen. Dass Hashtags vor allem einer politischen Richtung nicht mehr suchbar waren, erklärte Meta laut Hurtz und Fehrensen als technischen Fehler.

Eine nachvollziehbare Erklärung gab das Unternehmen nicht. Das sei "unbefriedigend und wird sicher nicht alle überzeugen", schreiben Hurtz und Fehrensein. Vor allem aber lässt es Raum für viele Fragen. Es bleibt also schön ambivalent.


Altpapierkorb (Medienpolitik 2025, ZDF vs. Schönbohm, SZ-Streik, Politik-Inszenierung, SWR vs. BSW, Annika Schneider, Wetterberichte, Corona-Berichterstattung)

+++ Die deutsche Medienpolitik wolle in diesem Jahr den Einfluss globaler Medienkonzerne einzudämmen, private Medien unterstützen und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk reformieren, schreibt Helmut Hartung auf der FAZ-Medienseite. Laut einer Umfrage unter allen Staats- und Senatskanzleien wollten die Bundesländer den europäischen "Digital Services Act" umsetzen, Plattformen zur Bekämpfung von Desinformation verpflichten und die Meinungsvielfalt sichern. Gleichzeitig kritisieren sie die Verfassungsklage von ARD und ZDF gegen die Rundfunkbeitragsregelung.

+++ Der Rechtsstreit zwischen dem ehemaligen Präsidenten des Bundesamts für Sicherheit und Informationstechnik, Arne Schönbohm, und dem ZDF geht in Berufung, meldet "epd Medien". Was bisher geschah: Das Landgericht München hatte im Dezember 2024 entschieden, dass vier Äußerungen aus der "ZDF Magazin Royale"-Sendung vom Oktober 2022 unzulässig seien, da sie Schönbohm unwahre Kontakte zu russischen Nachrichtendiensten unterstellten und sein Persönlichkeitsrecht verletzten. Das ZDF betonte, solche Behauptungen weder direkt noch indirekt aufgestellt zu haben, und legte Berufung beim Oberlandesgericht München ein.

+++ Redakteurinnen und Redakteure der "Süddeutschen Zeitung" haben mit ihrem Streik für bessere Tarifbedingungen große Teile der Berichterstattung lahmgelegt, berichtet das Verdi-Medienmagazin "Menschen Machen Medien".

+++ Mirko Drotschmann beschäftigt sich in einem 19 Minuten langen Beitrag für das NDR-Medienmagazin "@mediasres" damit, wie sich die Politikerinnen und Politiker vor der Bundestagswahl inszenieren und hat dafür unter anderem mit der Fotografin Anne Hufnagl und dem Kommunikationsberater Hendrik Wieduwilt gesprochen. Ergebnis: Alle machen es, aber alle machen es irgendwie anders.

+++ Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat entschieden, dass der SWR bei seinen "Wahlarena"-Diskussionssendungen zur Bundestagswahl auch Vertreter des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW) einladen muss, meldet "epd Medien". Der Sender hatte zunächst nur Politiker der CDU, SPD, Grünen, AfD und FDP berücksichtigt, obwohl das BSW in Umfragen teilweise besser abschneidet als die FDP. Das Gericht sah eine Verletzung des Rechts auf Chancengleichheit und wies die Argumente des SWR zurück, die Bevorzugung der FDP sei durch ihre Regierungsbeteiligung und die begrenzte Teilnehmerzahl gerechtfertigt. Rechtskräftig ist die Entscheidung allerdings noch nicht.

+++ Unsere Ex-Altpapier-Kollegin Annika Schneider, die jetzt für "Übermedien" arbeitet, bekommt in diesem Jahr den "Bert Donnepp Media Award", meldet das Grimme-Institut. Herzlichen Glückwunsch!

+++ Saskia Trebing kritisiert bei "Übermedien" den reißerischen Umgang vieler Medien mit Wetterberichten und Sensationsschlagzeilen, in denen die Wörter "Polarpeitsche" oder "Schneebombe" vorkommen, um Klicks zu generieren. Das führe zu einem verzerrten Bild des Wetters, das oft als chaotisch oder außergewöhnlich dargestellt werde, obwohl es meist um normale Schwankungen gehe.

+++ Zwei Studien kritisieren die frühe Berichterstattung deutscher Medien zur Corona-Pandemie im Frühjahr 2020. Laut einer Untersuchung von Annemarie Wiedicke führte die emotionale Aufladung und die Wiederholung von Botschaften wie "Hände waschen" oder "Maske tragen" in Fernsehsendungen wie der "Tagesschau" oder "RTL aktuell" zu Themenverdrossenheit. Eine zweite Studie von Dennis Gräf und Martin Hennig bemängelt, dass Sondersendungen vor allem regierungskonforme Stimmen zu Wort kommen ließen und Geschlechterstereotype verstärkten, etwa durch die Darstellung von Müttern im Homeoffice mit Kindern und Vätern im Büro. Antje Allroggen hat für das Deutschlandfunk-Medienmagazin "@mediasres" mit den Autoren gesprochen. Ergebnis unter anderem: Mit den Gesundheitsthemen bleibt es auch nach der Pandemie weiter schwierig.

Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende!

Das Altpapier am Montag schreibt René Martens.

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