Kolumne: Das Altpapier am 23. Januar 2025 Fieber, Käseflips und Monumente
Hauptinhalt
23. Januar 2025, 10:31 Uhr
Es hilft, sich über Trump lächerlich zu machen, aber gute Satire kann Systemfehler besser skandalisieren. Wie die US-Medien vor dem System Trump einknicken und warum in Großbritannien die Royals vor den Tabloids einknicken. Heute kommentiert Antonia Groß die Berichterstattung.
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Schnappatmung oder Lethargie
"Wie ein fucking Fiebertraum", schreibt die Journalistin Isabella Caldart in einem Post, fühle es sich an, zu beobachten, was Donald Trump in den ersten Stunden seit seinem Amtsantritt schon alles getan, unterzeichnet, verkündet habe. Wie ein Fiebertraum, also ein ohnmächtiger, ein den übelsten Fantasien des Unbewussten ausgelieferter Zustand, den Menschen erleben, wenn der Körper gegen ein sich ausbreitendes Virus kämpft? Nicht schön. Schön wär's.
Die Berichterstattung von gestern liest sich vielleicht - oder hinterlässt sogar - fiebrig. Und offenbar schreiben auch nicht alle Berichtenden ihre Zeilen zur Zeremonie der Amtseinführung des Präsidenten Trump bewusst genug, etwa in unmissverständlicher Sprache. So manchem Artikel über die drohende - und bereits umgesetzte - menschenfeindliche Politik dieses Gruselkabinetts von einer Regierung, oder der faschistischen Geste eines Gastes fehlte es jedenfalls an journalistischem Bewusstsein (Altpapier von gestern).
Das Problem ist bloß: Das ist kein Traum, nicht das schwitzige Abschmettern einer Krankheit. Das Gefühl von Lähmung, von Handlungsfähigkeit (wegen "Schnappatmung oder Lethargie"), die eine beim Lesen der Schlagzeilen der vergangenen Stunden überkommen konnte, ist echt.
Eine Möglichkeit, mit solcher Ohnmacht umzugehen, ist die Suche nach den kleinen Momenten, über die sich lustig machen lässt. So kam der Versprecher des Simultan-Übersetzers Frank Deja beim Nachrichtensender Phoenix den Berichtenden bestimmt gelegen, wie ein willkommenes Schmankerl, das sie in die düstere Berichterstattung hineinstreuen konnten. Der ÖRR-Sender Phoenix übertrug die Horror-Show (was Politik war, und was Show, dazu der Spiegel) live, als folgendes passierte, wie dwdl.de es zusammenfasst:
"Samma, wie lange wollt ihr bei dem Scheiß bleiben?" - Mit diesen Worten hat ein Simultandolmetscher im Programm von Phoenix die Amtseinführung von Donald Trump zum neuen US-Präsidenten begleitet. Seine Kritik richtete sich allerdings nicht an die Zuschauerinnen und Zuschauer, sondern an die Regie des Senders. Offenbar war der Mann der Meinung, es gebe nichts mehr zu sehen und sein Auftraggeber solle lieber etwas anderes senden.
Again, schön wär’s. Phoenix erklärte die Übertragungspanne auf Anfrage von t-online mit einem "technischen" Fehler. Im Interview mit n-tv erklärt Dolmetscher Deja dann selbst: Er sei sicher gewesen, dass sein Mikro auf stumm geschaltet sei. Er sagt weiter:
Die politischen Inhalte sind nicht das Problem. Ich dolmetsche ständig Leute, mit deren politischen Inhalten ich nicht einverstanden bin. Das Problem bei Trump war, dass er auf einmal anfing, frei zu assoziieren oder dreimal hintereinander dasselbe zu sagen. Diesen wirren Gedankensprüngen zu folgen, ist die Schwierigkeit beim Dolmetschen.
"Stimmt, Trumps wirrer Kopf", darf man sich dabei kopfschüttelnd erinnern. Trumps Reden, die Deja schon häufig übersetzt hat, forderten ihn allerdings durchaus auch politisch heraus, gibt er dann zu, wenigstens so liest es sich so, wenn er sagt:
Außerdem muss man sich ständig fragen: Moment mal, hat er das wirklich gesagt? Ich habe ihn später in der Nacht noch einmal gedolmetscht, als er in der Sporthalle vor seinen Anhängern geredet hat. Nach der Begrüßung der israelischen Familien von Geiselangehörigen, die in der Hand der Hamas sind, sagt er im gleichen Atemzug, er würde jetzt "die Geiseln vom 6. Januar" befreien. Trump stellte damit tatsächlich die wegen des Sturms auf das Kapitol verurteilten Straftäter mit den von der Hamas entführten israelischen Geiseln auf eine Stufe. Da dachte ich, ich höre nicht recht.
Im Interview sagt der Dolmetscher noch, ihm sei der "Fauxpas" wirklich "hochgradig peinlich". In den Kommentarspalten unter einem Bluesky-Post freuen sich einige User derweil über seine Worte, etwa so: "Das einzige, was positiv war an der ganzen Drecksveranstaltung"; oder: "Eeeendlich mal wieder etwas über Trump(el), wo man/Frau lachen kann."
Ein orangefarbener Käseflip
Zugegeben: Das Interview tut gut. Weil es an das Skurrile, das Absurde an dieser Figur erinnert.
Das Lächerliche bringt Erleichterung, und nach ihr zu suchen, ist nicht verwunderlich, nicht falsch, in Zeiten, in denen der US-Präsident von einer Bischöfin eine öffentliche Entschuldigung verlangt, einer seiner Parteikameraden ihr sogar mit Abschiebung droht, nachdem sie ihm beim Gottesdienst um "Gnade" für Menschen mit Einwanderungsgeschichte und LGBTIQ gebeten hatte.
Als Überlebensstrategie, auch in der Berichterstattung, ergibt Humor Sinn. Manchmal sind die satirischen Medien fast die einzigen, die Wahrheiten aussprechen (Danke für diesen Post, Titanic). Schon in Trumps erster Amtszeit, wenn der Kopf manchmal müde war vom vielen Schütteln, wurde oft gewitzelt. Bloß sollte der Blick auf seine Lachhaftigkeit nicht davon ablenken, welche Gefahr das System Trump bedeutet.
Jacob Rosenberg, Redakteur beim US-Magazin Mother Jones, beschreibt, wie sehr ihn das Sich-über-Trump-lustig-Machen ärgert: Ihn als "Cheeto" (einem knallorangefarbenen Maisflip mit Käsegeschmack) zu parodieren, etwa.
Rosenberg schreibt:
"These words belong to what I can only describe as the lexicon of the cringe comedy of the initial Resistance to the first Trump administration (and, worryingly, a second)."
[dt.: "Diese Worte gehören zu dem, was ich nur als das Lexikon der schaurigen Komödie des anfänglichen Widerstands gegen die erste Trump-Administration (und, beunruhigenderweise, einer zweiten) bezeichnen kann."]
Rosenberg schreibt, er habe deshalb dieses Mal eine dringende Bitte: "Stop."
Begriffe, die Trump lächerlich machten, seien zu "Pantomime und Pastiche" verkommen. Soll heißen: zu sich selbst nachahmenden Worthülsen, sie lenken ab: "Diese Witze verlangen meiner Meinung nach eine Gleichgültigkeit bei der Frage, was Trump tun wird; sie konzentrieren sich auf seine Sprache, nicht auf seine Taten."
Medien, die vor Herrschenden kuschen
Anders funktioniert Satire. Sie kann das System ansprechen. Das hat die Londoner Zeitschrift Private Eye mit einem pointierten In-die-Fresse-Artikel getan, der sich nämlich gerade über einen anderen Aspekt des falschen medialen Umgangs mit dem System Trump empört.
In einem Text mit der Überschrift "Donald Trump - Eine Entschuldigung" schreibt die Redaktion (im Original auf Englisch):
Wie alle anderen Medien haben auch wir in der Vergangenheit vielleicht den Eindruck erweckt, dass wir Herrn Trump für einen schäbigen, gestörten, orange-gesichtiges Männer-Baby halten, das eine Bedrohung für die Demokratie darstellt und eher im Gefängnis als im Weißen Haus sitzen sollte.
Angesichts seiner Rückkehr an die Spitze der Macht erkennen wir nun, dass er in Wirklichkeit ein politischer Koloss ist, die Stimme der Vernunft, ein Verfechter der Freiheit, ein Vorbild an Redlichkeit und der Retter der westlichen Welt. Außerdem ist er schlank, gut aussehend und jung.
Wir möchten uns vorbehaltlos für jegliche Verwirrung entschuldigen, die durch unsere früheren Äußerungen entstanden ist, und danken Präsident Trump für seine freundliche Einladung, ihm 94 Millionen Pfund geben zu dürfen, um bei seiner Amtseinführung dabei zu sein.
(Die Fakten in dieser Erklärung wurden nicht überprüft.)
Der Beitrag spricht viele Ereignisse der vergangenen Wochen an. Die Abschaffung des Fact-Checkings beim Social Media-Riesen Meta, die Spenden großer Konzerne an Trumps Wahlkampagne, und: wie offensichtlich einige US-Medien vor den Herrschenden kuschen.
Im Interview mit dem Medienpodcast "Töne, Texte, Bilder" des WDR5 erklärt die aus den USA berichtende Journalistin Nina Rehfeld die Tragweite des Problems: Trump besetzt Posten in Medienhäusern nach seinem politischen Geschmack, Verlage und Zeitungen haben Angst, für kritische Berichterstattung in Ungnade zu fallen. Nur manche der möglichen Konsequenzen: Sendelizenzen könnten entzogen werden, Klagen in Milliardenhöhe ausgeteilt. Manche bis dato als kritisch geltende Magazine hätten deshalb schon reuevoll um Stippvisite in Trumps Residenz Mar-a-Lago gebeten.
Rehfeld sagt:
"Auf lange Sicht ist zu befürchten, dass die Presse gegängelt wird. Dass diese Freiheiten, die sie jetzt hat, nicht mehr verbrieft sind und aufgeweicht werden." An Stelle von kritischen Berichten laute das Prinzip im Moment: Hyperpolarisierung. "Was aufregt, läuft. Und das ist aus meiner Sicht die größte Gefahr für die Informationslandschaft in den USA".
(Ex-)Herrscher, die vor Medien kuschen
Es geht aber auch andersrum. Manchmal gibt es nämlich (Ex-)Herrscher, die vor den Medien kuschen. In diesem Fall: vor den sogenannten Tabloids, der britischen Boulevardpresse. Wobei hier fairerweise wichtig ist zu sagen, dass in diesem Fall "die Medien" vor allem den Medienriese Murdoch meint, dem zum Beispiel auch der US-Sender und Trump-Treiber Fox News gehört, der also eigentlich auch eher zur Broligarchie gehört (mehr dazu hier).
Der Fall hat sich lange auf- und dann in aller Kürze wieder abgebaut. Mehr als 1 300 Klagende gab es mal. Nun hat sich Murdoch (Altpapier, Altpapier, Altpapier) am Mittwoch in London mit Prinz Harry und dem Ex-Labour-Politiker Tom Watson geeinigt, heißt: der letzten beiden Geschädigten in einem jahrzehntelangen Abhörskandal mit einem Vergleich entledigt.
Der rebellische Prinz, der laut FAZ in der Dokumentation "Tabloids on Trial" noch verkündet hatte: "Niemand ist besser geeignet, das durchzuziehen, als ich" - ist eingeknickt. Wobei das vielleicht auch an der "substanziellen Entschädigung" lag. (Der Guardian erwähnt eine Summe von 10 Millionen Pfund). Der "Duke of Sussex" aber zieht seine Darstellung vor, und nennt die Einigung mit der britischen Boulevardzeitung Sun, die zum Verlag News Group Newspapers (NGN) gehört, der Rupert Murdoch gehört, einen "monumentalen Sieg".
Die NGN entschuldigte sich: "für das schwerwiegende Eindringen der Sun in sein [Harrys] Privatleben zwischen 1996 und 2011, einschließlich unrechtmäßiger Aktivitäten von Privatdetektiven, die für die Sun arbeiten". Das Schreiben umfasst auch die Folgen "der umfangreichen Berichterstattung und des schwerwiegenden Eindringens in sein Privatleben sowie in das Privatleben von Diana, Prinzessin von Wales, seiner verstorbenen Mutter, insbesondere während seiner jüngeren Jahre".
Das ganze Schreiben der NGN veröffentlicht die BBC hier. Seit Mitte der 1990er-Jahre hatten Journalist*innen über etwa 15 Jahre private Kommunikation des Prinzen geknackt, Sprachnachrichten mitgehört, die Polizei bestochen, sind in anderen Bespitzelungs-Fällen in Häuser eingebrochen. Raus kam alles 2011, durch Recherchen des Guardian und darauf folgenden behördlichen Untersuchungen, die sogenannte "Leveson Inquiry".
Die mehr als tausend Kläger*innen hatten nach und nach wegen zu hoher Kosten im Prozess gegen Murdoch zurückgezogen. In einem gemeinsamen Statement nach Bekanntwerden des Vergleichs appellieren die beiden Übriggebliebenen jetzt an den Staat:
"Die Rechtsstaatlichkeit muss jetzt ihren vollen Lauf nehmen" [...] "Prinz Harry und Tom Watson schließen sich anderen an und fordern die Polizei und das Parlament auf, nicht nur die nun endlich zugegebenen rechtswidrigen Handlungen zu untersuchen, sondern auch den Meineid und die Vertuschung auf dem Weg dorthin."
Doch kaum ist der "monumentale Sieg" verkündet und die "Rechtsstatlichkeit" gefordert, berichtete schon das Magazin Bylinetimes, dass es auf Anfrage bei Polizei und Prime Minister nicht so klang, als sehen die Behörden die Untersuchungsauftrag nun bei sich.
Die Journalistin Annette Dittert zieht eine Parallele zu früheren - gescheiterten - Versuchen des Premiers Keir Starmer, eine Untersuchungskommission zu gründen. Sie sieht ein Muster:
"Starmer hat Leveson2 versprochen und dann nicht eingehalten. Und was hat er im Gegenzug von Murdoch bekommen? So gut wie nichts. Eine warme Zustimmung, danach nichts als Frontal-Angriffe."
Hilft also nichtmal dem britischen Königshaus auf lange Sicht, vor irgendwem zu kuschen.
Altpapierkorb (Desinformation zu Windenergie im ÖRR / Erklärungen an Eides statt / Antifeminismus als Einstiegsdroge / Intime Szenen im Film)
+++ Alice Weidel durfte "im ZDF zur besten Sendezeit einem Millionenpublikum ihre Lügen auftischen", schreibt Jürgen Lessat für die Wochenzeitung Kontext. Die AfD-Chefin habe für sich Windräder als Aufreger-Thema entdeckt. Sie durfte ihre Parolen von der Bühne des Parteitags auch im Interview mit dem heute-Journal ausbreiten. Kontext liefert neben einer Analyse den Faktencheck mit, den das ZDF verpasst hat.+++
+++ Den vertrackten Fall der Berichterstattung des rbb über Vorwürfe sexualisierter Gewalt gegen den Berliner Grünen-Politiker Stefan Gelbhaar nimmt Übermedien-Redakteurin Lisa Kräher zum Anlass, über eidesstattliche Versicherungen als journalistisches Mittel aufzuklären.+++
+++Das Medienmagazin von verdi interviewt die Intimitätskoordinatorin Sarah Lee. Was macht sie am Filmset? "Unsere Hauptaufgabe besteht darin, intime Szenen so zu koordinieren und zu choreografieren, dass die Einvernehmlichkeit, die erzählerische Absicht und die Sicherheit aller Beteiligten gewährleistet werden. Ähnlich wie ein Stuntkoordinator für physische Sicherheit und erzählerische Klarheit in Actionszenen sorgt, fördern Intimitätskoordinator*innen das emotionale und körperliche Wohlbefinden der Schauspieler*innen und unterstützen gleichzeitig die kreative Vision der Produktion."+++
+++Die Bundeszentrale für Politische Bildung hat diese Woche einen neuen Podcast veröffentlicht: "Antifeminismus als Einstiegsdroge". Hosts Azadê Peşmen und Yana Adu führen in sechs Folgen durch das Phänomen antifeministischen Hasses in der digitalen Sphäre, in der sogenannten Mitte der Gesellschaft und erklären, warum es als Brücke zwischen menschenfeindlichen und rechten Ideologien funktioniert.+++
Das Altpapier am Freitag schreibt Ralf Heimann.