Kolumne: Das Altpapier am 20. Januar 2025: Porträt des Altpapier-Autoren Klaus Raab 5 min
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In den USA hat Tiktok den Betrieb eingestellt und dann wieder aufgenommen. Wie es mit dem Theater weitergeht, wird nun ausgedealt.

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Kolumne: Das Altpapier am 20. Januar 2025 Die römern, die Spinner

20. Januar 2025, 10:11 Uhr

In den USA hat Tiktok den Betrieb eingestellt und dann wieder aufgenommen. Wie es mit dem Theater weitergeht, wird nun ausgedealt. Noch mehr Aufmerksamkeit bekommen andere Tech-Lurchis, deren kriecherisches Verhalten noch nicht zu Ende interpretiert ist. Und: Hat sich der RBB im Fall Gelbhaar instrumentalisieren lassen? Heute kommentiert Klaus Raab die Medienberichterstattung.

Porträt des Altpapier-Autoren Klaus Raab
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Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Die Entwicklungen rund um Tiktok in den USA

Tiktoks CEO Shou Zi Chew ist Medienberichten zufolge zu den heutigen Feierlichkeiten zu Donald Trumps Amtsantritt eingeladen. Ob er dabei sein wird? Helfen könnte es, nach allem, was man über Trump weiß. Das Prinzip "Wer ihm in den Hintern kriecht, hat's leichter" haben, neben anderen Unternehmern, Mark Zuckerberg und Jeff Bezos ja bereits hervorragend verinnerlicht. Und schau einer an: "In einem Video schmeichelte Chew Trump schon vorab. Man sei dankbar, mit Trump nun einen Präsidenten zu haben, der die Plattform 'wirklich verstehe'" (sueddeutsche.de).

Worum geht es? Am Wochenende griff das in den USA vieldiskutierte und von Trump selbst einst befürwortete Tiktok-Verbot. "Der Supreme Court in Washington befand am Freitag das drohende Verbot von Tiktok in den USA für rechtmäßig. Einem Gesetz zufolge muss der chinesische Mutterkonzern Bytedance, wenn er weiterhin in den USA tätig sein möchte, das US-Geschäft von Tiktok spätestens bis zum 19. Januar an eine nicht in China ansässige Firma verkaufen", meldete in Deutschland u.a. epd Medien. Der Konzern hinter Tiktok, Bytedance, kündigte danach bei X an, die App werde erzwungenermaßen "go dark" (nytimes.com). Und so kam es: Bytedance zog den Stecker, schaltete ab, stellte den Betrieb ein.

Nicht klar ist aber, ob es dabei bleibt. Trump, der heute ins Amt kommt, könnte nach einigem Hin-und-Her ein Dekret zu Tiktoks Gunsten unterschreiben. Angeblich will er das – vorletzter Stand am Sonntagabend – auch machen und ein Joint-Venture befürworten. Der US-Sender CNBC hatte am Samstag bereits eine sich anbahnende Fusion mit der US-Suchmaschinenfirma Perplexity AI gemeldet. Elon Musk – das fehlte gerade noch – stand als möglicher Käufer auch schon im Raum… Und Springer-Chef Mathias Döpfner meint auch wieder etwas (und kommt diesmal ohne das Wort "Freiheit" aus – hier geht's jetzt um "Sicherheit", siehe bild.de). Letzter Stand dann: Tiktok fuhr den Betrieb wieder hoch (u.a. rnd.de). Was für ein Theater.

Mit seriösen Prognosen taten und tun sich die Beobachterinnen und Beobachter vom Fach allerdings ziemlich schwer. Nicht nur das Timing der Abschaltung zwischen zwei Präsidentschaften ist kurios. Auch die geopolitische Dimension macht's kompliziert; um ein Machtspiel zwischen China und den USA geht es schließlich auch. Und dann ist noch die Frage: Wem würde die Tiktok-Abschaltung eigentlich inwiefern nützen? Die "New York Times" verwies am Wochenende auf die Alternative RedNote, eine in China entwickelte Video-Sharing-App. netzpolitik.org hat es ausformuliert: Die App stand in den vergangenen Tagen zeitweise auf Platz 1 des US-Apple-App-Stores. Und RedNote sei nicht nur in China entwickelt, sondern…

"gehört zum chinesischen Technologiekonzern Tencent, der offenkundig Verbindungen zum chinesischen Militär hat. Laut Human Rights Watch untersteht die App der direkten Kontrolle der Kommunistischen Partei Chinas."

Regen und Traufe und so.

Zuckerberg, Musk und ihr "unvirtue signalling"

Hierzulande noch mehr Aufmerksamkeit als die Nachrichten rund um Tiktok bekamen am Wochenende wieder zwei andere Social-Media-Typen, die Rebecca Shaw im britischen "Guardian" als painfully cringe losers beschrieben hat, also "schmerzhaft cringe Loser". Es geht um Mark Zuckerberg und um Elon Musk. Und klar, Beleidigungen sind auch keine Lösung. Aber wenn's doch stimmt.

Jonas Schaible schreibt in seinem Substack-Newsletter:

"Was die Internetgiganten deutlich gemacht haben: Von ihnen wird nichts anderes zu erwarten sein als Anpassung. Was mehrere Herausgeber [von Zeitungen; Altpapier] deutlich gemacht haben: Auch von ihnen wird wenig zu erwarten sein, Dissidenz sowieso nicht, aber vielleicht noch nicht einmal unvoreingenommene Machtkontrolle nach grundlegenden journalistischen Standards. Die New York Times berichtet, dass in der Washington Post derzeit intern der neue Leitspruch getestet werde: Riveting Storytelling for All of America. Also etwa: Fesselnde Geschichten für das gesamte Amerika. Bloß nicht spalten, bloß nicht die realen Konflikte anerkennen, bloß nicht widerständig erscheinen."

Hier ist angerissen, was die Rede von der Oligarchie, also der Herrschaft der materiell Reichen (zuletzt in diesem und diesem Altpapier), so angemessen wirken lässt: Sie kuschen, sie kippen, sie lassen sich instrumentalisieren. Mark Zuckerberg, der nun sogar Trumps Sprache nachahmt, wirkte, so beschreibt es Johannes Schneider in einem Zeit.de-Essay (Abo), in seinen Unterwerfungsgesten wie "ein Entführungsopfer im Beisein der Geiselnehmer", wohl in der Erwartung, dass die MAGA-Ära nach vier Jahren Trump nicht einfach beendet sein dürfte. Schneider prägt auch das schöne Wort "unvirtue signalling".

Oligarchie, Plutokratie, Timokratie?

Ob die Rede von der Oligarchie wirklich im politisch-theoretischen Sinn zutrifft, sei dahingestellt. Von einer Ochlokratie (wirtschaftswoche.de) und einer Plutokratie, einer Unterform der Oligarchie, war ebenfalls schon die Rede (zeit.de-Abotext). Und von Imperialismus auch, nicht zuletzt auf dem neuen "Spiegel"-Titel, der Trump zeigt, und der aufs Schönste ergänzt wird durch ein Interview der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" mit dem italienischen Journalisten Aldo Cazzullo zur Leidenschaft Musks und Zuckerbergs für römische Imperatoren. Hinter dem Römergetue, sagt er, "steckt immer auch eine Wahrheit, und die ist ganz und gar nicht zum Lachen." Amüsant ist höchstens die Überschrift des Interviews: "Diese Römer spinnen wirklich"

Vielleicht kann man darüber hinaus auch noch von einer Timokratie sprechen, die bei Platon die Vorform der Oligarchie ist. In ihr zählt nicht die Weisheit, sondern das gesellschaftliche Image; die Timokratie ist "ein Eldorado der Blender und Schaumschläger" (deutschlandfunk.de).

Wie man es aber auch definiert – dass gerade etwas kaputt geht, was sich schwerlich wieder reparieren lässt, scheint vielen Beobachtern klar. Johannes Schneider:

"Die Dinge sind zerbrochen und bleiben es. Oder würde Mark Zuckerberg irgendjemand noch ein Engagement für Faktentreue oder gegen Hassrede glauben, wenn sich die Zeiten wieder ändern? Und würde Jeff Bezos' Washington Post noch jemand glauben, dass sie dann nicht mehr vom Verleger durchregiert wird?"

Unangenehm für den RBB: Wer ist "Anne K."?

Eine Geschichte, die für den RBB unangenehm ist (aber nichts mit seiner Ex-Intendantin zu tun hat), geistert ebenfalls durch die Medien. Wobei, geistert? Sie ist ziemlich handfest. Denn der RBB hat Teile seiner Berichterstattung über Vorwürfe der sexuellen Belästigung gegen den Berliner Grünen-Politiker Stefan Gelbhaar zurückgezogen. Das steht, unter anderem, bei taz.de: "Demnach gebe es massive Bedenken im Zusammenhang mit der Identität einer mutmaßlich betroffenen Frau, die dem rbb eine eidesstattliche Versicherung zu ihren Darstellungen abgegeben hatte". Der RBB berichtet aber auch selbst, zudem gibt es eine Stellungnahme des Chefredakteurs.

Dass es "Bedenken im Zusammenhang mit der Identität" gebe, das bedeutet im Klartext: Es soll diese mutmaßlich betroffene Frau, vom RBB "Anne K." genannt, "mit hoher Wahrscheinlichkeit" gar nicht geben. Treibende Kraft der jetzigen Berichterstattung ist der Berliner "Tagesspiegel", der schon vor einigen Tagen die Belastbarkeit der Vorwürfe gegen den Grünen-Politiker infrage gestellt hatte.

Der RBB selbst, der nun kritisiert wird, erst sei er ganz schön leichtgläubig gewesen, dann habe er ziemlich hingelangt, schreibt von Hinweisen auf Betrug. Man kann's aber auch wie die Montags-"SZ" (Abo) ausdrücken: "Mutmaßlich ließ sich der RBB für eine Intrige gegen Gelbhaar instrumentalisieren." Gewonnen hat dabei niemand. Während eine Grünen-Bezirkspolitikerin, die an der mutmaßlichen Intrige beteiligt gewesen sein dürfte, auf die der RBB mutmaßlich hereingefallen ist, laut "Tagesspiegel" die Partei verlässt, muss sich der ARD-Sender sagen lassen, dass, erstens, eidesstattliche Versicherungen, sofern sie gegenüber Medien abgegeben werden, nicht strafrechtlich relevant seien. Und, zweitens, dass Betrug nicht in Betracht komme, weil das ein Vermögensdelikt sei. So steht's auf strafrecht-und-kriminologie.de.

Die "SZ"-Überschrift "Fake News beim RBB" halte ich allerdings trotzdem für nicht fair. Fake News sind Lügen. Aber hier geht's doch, nach allem, was bekannt ist, um Fehler. "Die Fragen, die sich für den RBB jetzt stellen, betreffen vor allem die Sorgfalt der Recherche in der Verdachtsberichterstattung und am Ende wohl auch personelle Konsequenzen", schreibt die "SZ" auch im Artikel selbst. Ist doch schlimm genug, auch ohne Kritik im Trump-Jargon. (Mehr dazu noch im Altpapierkorb.)


Altpapierkorb (Jeff Bezos und die "Washington Post", Medienpolitik in Österreich, AGRA-Kritik an ARD, Kritik an "Bild" wegen Gelbhaar-Berichterstattung, Roger Köppel, "Onion"-Autor über Trump, Armin Nassehi über öffentlichen Diskurs)

+++ Jeff Bezos, der Eigentümer der "Washington Post", steht – auch intern – wegen seines "unkritischen Verhaltens" gegenüber Trump in der Kritik, berichtete die "Süddeutsche Zeitung" (€) am Samstag unter Verweis auf den Medienjournalisten David Folkenflik. 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hätten Bezos zum Gespräch gebeten. Dass sie mit ihm über die Wiederherstellung verlorenen Vertrauens sprechen wollen, heißt auch: Es ist weg.

+++ Um die medienpolitischen Entwicklungen in Österreich gilt es sich ebenfalls zu kümmern. Dass sich die potenziellen Koaltionspartner der als rechtsextrem einzustufenden FPÖ und der konservativen ÖVP "im Hass auf den ORF" – also den österreichischen öffentlich-rechtlichen Rundfunk" – zusammentäten, ist eine Äußerung aus den Reihen der Neos, zitiert vom "Standard".. Dass mit einer neuen Regierung auch das ORFD-Management ausgewechselt werden könnte, steht ebenfalls im Raum. Armin Wolf schrieb bei BlueSky dazu: "Das wäre ein klassisches Merkmal eines Staatsfunks: Mit einer neuen Regierung wechselt auch sofort die Führung des Rundfunks."

+++ "Die Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Redaktionsausschüsse (AGRA) hat die ARD für ihr 'Kommunikationsdesaster‘ in der Sache Thilo Mischke kritisiert", schreibt dwdl.de. Und die AGRA wäre nicht die AGRA, wenn sie nicht auch einen Vorschlag hätte: "Einerseits sollten die Verantwortlichen auch tatsächlich Verantwortung übernehmen, viel mehr fordert man aber ein verbrieftes Mitspracherecht für ähnlich gelagerte Fälle in der Zukunft. (…) Die AGRA fordert in diesem Zusammenhang einheitliche Redaktionsstatute."

+++ Dass die "Bild" eine "Verstrickung" von Robert Habecks Wahlkampfmanager in den Fall "Anne K." (siehe oben) unterstellt, erzürnt den "Tagesspiegel"-Journalisten Sebastian Leber bei BlueSky: Es gebe dafür "0 Indizien, es werden auch keine Indizien vorgebracht, nicht einmal angebliche". Tatsächlich: Die "Bild" nennt nichts dergleichen – es gibt nur die Behauptung in der Unterzeile. Leber sieht einen "extremen Verstoß gegen das Presserecht und die journalistische Sorgfaltspflicht".

+++ Die Schweizer "Wochenzeitung", die WOZ, schreibt über den Chefredaktor, Verleger und Inhaber der Schweizer "Weltwoche", Roger Köppel, teilweise frei online: "Die Entwicklung des Blattes ist ein Tabu der Schweizer Mediengegenwart. Alle wissen um die Radikalisierung, viele finden sie gefährlich, trotzdem gab es nur vereinzelte Berichte zu den Hintergründen. Viele Fragen sind offen: Welches persönliche Netzwerk zum russischen Machtapparat pflegt Köppel? Wie finanziert er seine Publizistik? Ist das noch Journalismus oder längst Propaganda? Wie wird er in Russland wahrgenommen?"

+++ Mehr über Comedy-Politik, auf der auch Donald Trump seine politische Karriere aufbaute, steht in einem Gastbeitrag von Mike Gillis in der "Süddeutschen Zeitung" (Abo). Gillis ist der Chefautor des US-amerikanischen Satiremagazins "The Onion", und er schreibt über Trump:

"Er war sich offensichtlich bewusst, dass es ziemlich albern wäre, wenn er, ein unfähiger Unternehmer, Präsident würde, forderte aber gleichzeitig den uneingeschränkten Respekt der amerikanischen Öffentlichkeit ein. Er betonte, das System sei korrupt, während er selbst auf korrupte Weise von diesem System profitierte."

Man müsse, schreibt Gillis, diejenigen in der Politik ernstnehmen, die man nicht ernstnehmen kann. Alles nicht so gemeint. Aber gemacht wird's dann eben doch.

+++ Die öffentliche Diskurs kennt immer noch kein gutes Mittel gegen solche Comedy-Politik. Sachkenntnis wäre vielleicht eines, aber, so der Soziologieprofessor Armin Nassehi in einem Gastbeitrag für den "Spiegel" (€): Verhandelt werde in der Öffentlichkeit eher "im Modus der Beliebigkeit von 'Meinungen‘ und 'Überzeugungen‘". Er schreibt: "Im Idealfall wäre die Öffentlichkeit der Ort, an dem über kollektiv bedeutsame Sachfragen verhandelt wird. Derzeit scheint sie aber eher ein Ersatzort dafür geworden zu sein, Unterschiede zu markieren und die Komplexität von Sachfragen geradezu zu vermeiden. Es ist dann die Qualität der öffentlichen Kommunikation selbst, über die verhandelt wird. Öffentlichkeit wird sich selbst zum Thema." Der öffentliche Diskurs erzeuge übersichtliche Diskurslinien und löse "Probleme, die er selbst konstruiert":

Am Dienstag schreibt das Altpapier Christian Bartels.

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