Kolumne: Das Altpapier am 16. Januar 2025: Porträt des Altpapier-Autoren Ralf Heimann 5 min
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Kolumne: Das Altpapier am 16. Januar 2025 von Ralf Heimann Das falsche Symbol?

Kolumne: Das Altpapier am 16. Januar 2025 – Das falsche Symbol?

Die gefeuerte RBB-Intendantin Patricia Schlesinger hat vor Gericht gute Chancen auf ihr gestrichenes Ruhegeld. Unangenehm ist der Prozess vor allem für den Sender.

Do 16.01.2025 13:22Uhr 04:33 min

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Kolumne: Das Altpapier am 16. Januar 2025 Das falsche Symbol?

16. Januar 2025, 11:13 Uhr

Die gefeuerte RBB-Intendantin Patricia Schlesinger hat vor Gericht gute Chancen auf ihr gestrichenes Ruhegeld. Unangenehm ist der Prozess vor allem für den Sender. Heute kommentiert Ralf Heimann die Medienberichterstattung.

Porträt des Altpapier Autoren Ralf Heimann
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Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Wie weich fällt die Intendantin?

Der Prozess der früheren RBB-Intendantin Patricia Schlesinger gegen ihren früheren Arbeitgeber hat begonnen, und für den Sender könnte auch das wieder peinlich werden. Deutschlandfunk-Moderator Sebastian Wellendorf sagte gestern im Medienmagazin "@mediasres", der Prozess habe für viele eine symbolische Wirkung. Es gehe auch darum, wie "in Anführungsstrichen weich" Menschen fallen, die dem eigenen Betrieb auf Kosten der Allgemeinheit Schaden zugefügt hätten. Das war die Hinleitung zu einer Frage an die Reporterin Claudia van Laak, die sich den Prozessauftakt angesehen hatte. Ob das denn auch vor Gericht eine Rolle gespielt habe, wollte Wellendorf wissen. Und Claudia van Laak sagte: "Nee, gar nicht."

Ungefähr das ist auch der Eindruck, der nach dem ersten Prozesstag bleibt. Da sind die Erwartungen, die auch vom Gefühl getrieben sind: Irgendwann muss es doch mal eine Strafe geben. Und auf der anderen Seite steht einfach das Arbeitsrecht.

Ab und zu seien Begriffe wie "sittenwidrig" gefallen, sagte Claudia van Laak, aber der Richter habe gleich deutlich gemacht: "Wenn der RBB damals einen schlechten Dienstvertrag ausgehandelt habe, dann sei er dafür zuständig."

Auch die Frage, welche Einkünfte auf das Ruhegeld angerechnet werden, was also abgezogen werden kann, seien "maximal zweideutig geregelt", schreibt Aurelie von Blazekovic für die "Süddeutsche Zeitung". Schlesinger hatte, wie vor Gericht herauskam, zwischen Februar und November 2023 ein Bruttomonatsgehalt von 25.000 Euro – im schlechtesten Fall zusätzlich zu ihrem Ruhegehalt, das der Sender nicht mehr zahlte, das Schlesinger aber gern rückwirkend hätte. 18.300 Euro monatlich bis ans Lebensende, und wenn der Ehepartner länger lebt, danach mit einigen Abstrichen auch noch weiter.

Der Sender hat ebenfalls mit einer Klage reagiert und fordert von Schlesinger insgesamt neun Millionen Euro – etwa zwei Millionen für Bonuszahlungen und ARD-Zulagen, knapp sieben Millionen für das gescheiterte Bauprojekt "Digitales Medienhaus"; dazu hätte der RBB gern private Ausgaben für Dienstwagen, Dienstreisen und Dinner zurück, die Schlesinger sich hatte erstatten lassen.

Am ersten Prozesstag schien durch, dass die Gegenklage mit der Sorge zu tun haben könnte, dass der Prozess ein Gegengewicht braucht, weil sonst am Ende hängenbleiben könnte: Die Vorwürfe sind so vage, dass sie nicht einmal ausreichen, um das Geld zu kürzen.

War’s denn wirklich sittenwidrig?

Überhaupt ist der Verhandlungsgegenstand im Prozess nur vordergründig ein Arbeitsvertrag. Tatsächlich geht es um die Frage, ob die bislang erzählte Geschichte so überhaupt stimmt. Die lautet auf Boulevard-Niveau heruntergebrochen: Raffzahn nimmt das System aus.

In dieser Geschichte müsste irgendwann, in welcher Form auch immer, tatsächlich eine Strafe folgen. Doch in diesem Prozess könnte es anders kommen.

Der Sender möchte zum Beispiel, dass man das Geld, das Schlesinger bis zu ihrer Rente bekommt, und die Zahlungen, die ab diesem Zeitpunkt fließen, separat betrachtet. Dass man der gefeuerten Intendantin trotz allem eine Rente zahlen müsste, das ließe sich noch verkaufen. Aber dass sie trotz allem nach ihrem Rauswurf weiterhin Monat für Monat 18.300 Euro auf ihrem Konto findet, das ließe sich schwerer vermitteln. Es könnte auch sein, dass es rechtlich leichter wäre, diese Zahlungen anzufechten. Das Gericht hat allerdings deutlich gemacht: Es macht keinen Unterschied, ob das Geld vor oder nach Rentenbeginn gezahlt wird.

Die RBB-Anwälte argumentieren zudem, Schlesingers Vertrag sei sittenwidrig. Das würde bedeuten, er verstoße gegen geltende Sitten. Aber kann das der Fall sein, wenn andere in ähnlichen Positionen auch solche Verträge hatten?

Christian Meier schreibt für die "Welt":

"(…) grundsätzlich scheint das Gericht der Auffassung zu folgen, dass 18.300 Euro Ruhegeld im Monat für Schlesinger eher nicht sittenwidrig sein könnten, wie der RBB anführt. Da seien auch Vergleiche mit anderen öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunkveranstaltern zu ziehen. Und 'früher' seien solche Zahlungen durchaus üblich gewesen. Das Ruhegeld könne nur im Fall von 'grobem Fehlverhalten' und einer 'Existenzgefährdung' des Senders verweigert werden – ob diese beiden Fälle zuträfen, müsste erörtert werden."

Laut Gericht ist "nicht genau genug belegt (…), welches Fehlverhalten Schlesingers zu jeweils welchen finanziellen Schäden des Senders geführt habe", schreibt Louis Pienkowski auf der FAZ-Medienseite. Das alles deutet nicht darauf hin, dass am Ende herauskommen könnte: Schlesinger muss für ihre Eskapaden jetzt richtig blechen.

Wahrscheinlicher ist, dass der Prozess etwas anderes deutlicher werden lässt: Das Problem war gar nicht so sehr, dass sich hier jemand, so lautet der Vorwurf, raffgierig über Sitten und Regeln hinweggesetzt hat. Das Problem waren die Sitten und Regeln selbst.

Gut wäre ein Sündenbock

Dass Führungskräfte ab dem Zeitpunkt ihres Ausscheidens ausgesorgt haben, im Grunde nie mehr arbeiten müssen, aber doch jederzeit Geld dazuverdienen dürfen, ohne etwas abgeben zu müssen, das hat Patricia Schlesinger sich nicht ausgedacht. Das wurde durch ihren Fall öffentlich.

Aurelie von Blazekovic schreibt auf der SZ-Medienseite:

"Der Richter äußert sich in weiteren Punkten eher zugunsten Schlesingers: Die Ruhegeldregelung habe sie doch noch als Privatfrau so vorgefunden, als sie ihren ersten Dienstvertrag 2016 geschlossen habe? Ein Bonussystem im Sender gab es doch schon vor ihrer Zeit (auch wenn es in ihrer Amtszeit deutlich ausgebaut wurde)? Andere Intendanten und vergleichbare Geschäftsführer am privaten Markt verdienen doch auch mit Zulagen und Boni, manche früher, manche noch heute? Und dass allerlei Verträge im RBB einzig mit dem Vorsitzenden des Verwaltungsrats Wolf-Dieter Wolf geschlossen wurden – lag das denn in Schlesingers Verantwortung? Und war er als Vertreter des Gremiums denn nicht berechtigt?"

Auf den Einwand der RBB-Anwälte, Wolf hätte den Verwaltungsrat informieren müssen, sagte der Richter laut Blazekovic:

"Was wäre geschehen, wenn es alle gewusst hätten? Wäre da etwas anderes zu erwarten gewesen?"

Das ist eine Frage, um die es in diesem Fall an vielen Stellen geht. Für den Sender angenehmer wäre die Geschichte: Einzelne haben innerhalb des Systems im Verborgenen gekungelt und zu ihren eigenen Gunsten krumme Deals gemacht. Einiges deutet aber darauf hin, dass vieles gar nicht im Verborgenen passieren musste.

Aurelie von Blazekovic:

"Es geht (…) um die Frage: Was ist Patricia Schlesinger und was ist dem RBB vorzuwerfen? Nur, wer ist denn der RBB? Seine Intendantin? Sein Verwaltungsrat? Wenn es um eine Folge von Missmanagement über mehrere Ebenen und Generationen hinweg geht: Wer verantwortet den Schaden, den ein System hervorbringt?"

Am einfachsten wäre die Variante: Man hätte einen Sündenbock, eine Art Claas Relotius, der betrogen, getäuscht und das Vertrauen von Menschen ausgenutzt hat. Aber es ist komplizierter. Da sind auch noch die, die die Regeln gemacht haben, nicht nur beim RBB, auch bei anderen Anstalten. Und da sind auch andere, die von den Regeln profitiert haben.

Hauptsache Verschwiegenheit

Am Dienstag berichteten Tobias Fuchs und Jan C. Wehmeyer für die "Bild"-Medien unter der Überschrift "Mega-Rente für RBB-Raffke" über die 11.000 Euro, die der frühere Verwaltungschef Hagen Brandstäter laut dem Bericht nun bekommt, gegen den die Berliner Generalstaatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Untreue ermittelt.

Brandstäter hatte in der ersten Instanz vor Gericht eigentlich verloren. Hätte er in der zweiten gewonnen, hätte der Sender 12.500 Euro monatlich zahlen müssen, und das Ganze wäre dazu auch noch öffentlich geworden.

So wäre es beinahe gelungen, sich außergerichtlich zu einigen und alles hinter verschlossenen Türen auszumachen. Über der FAZ-Meldung über die Einigung stand die Frage: "Kein Ruhegeld?"

Ungefähr so, wie es hier versucht wurde, könnte es auch diesmal wieder laufen. Louis Pienkowski schreibt:

"Insgesamt dürfe der öffentliche Druck auf den Sender eine gütliche Einigung erschweren. Der RBB wird wohl nur einer Einigung zustimmen, die in der Öffentlichkeit nicht den Eindruck erweckt, dass Führungskräfte im öffentlich-rechtlichen Rundfunk bei schwerem Fehlverhalten einfach davonkommen."

Das kann man allerdings auch anders sehen. Der öffentliche Druck könnte eine gütliche Einigung gerade begünstigen. Nach dem ersten Prozesstag zeichnet sich ab, dass das zu erwartende Urteil aller Wahrscheinlichkeit im Sinne von Patricia Schlesinger ausfallen wird. Möglicherweise müsste sie nicht einmal auf die 300.000 Euro verzichten, die ihre Anwälte als Deal angeboten haben.

Einigt man sich außergerichtlich, kann man Verschwiegenheit vereinbaren und wird das wahrscheinlich auch machen. Schlesinger käme schnell an ihr Geld. Der Rechtsstreit wäre beendet, der RBB müsste also nicht befürchten, dass es noch unangenehmer wird. Und wenn doch irgendwas bekannt werden würde, könnte man wie auch im Falle von Brandstäter sagen: Ein Urteil hätte uns noch mehr gekostet.


Altpapierkorb (Meta vertreibt Queere, Digitale Gewalt, Rundfunkbeitrag, Katapult, Telegram, Thilo Mischke, Bundesverteidigungsministerium, Tiktok)

+++ Dass Meta Änderungen an seinen Moderationsrichtlinien vorgenommen hat, die es erlauben, queere Menschen auf Plattformen wie Facebook und Instagram als "krank" oder "abnormal" zu bezeichnen, ist in der Debatte über Factchecker etwas untergegangen. Stefan Niggemeier schreibt bei "Übermedien", das führe dazu, dass viele betroffene Menschen sich zurückziehen, und das verstärke diskriminierende Strukturen. Wichtig sei, sichtbar zu bleiben, sich dem entgegenzusetzen, "zu zeigen, dass man auf der Seite derjenigen steht, die beim Rechtsruck unter die Räder zu kommen drohen".

+++ Eine Studie der TU München und der Organisation "HateAid" zeigt, dass knapp 60 Prozent der Menschen, die sich politisch engagieren, digitale Gewalt erfahren haben, Frauen dabei häufiger (63 Prozent) als Männer (53 Prozent), berichtet "epd Medien". Und das führe, siehe oben, bei vielen Menschen zu Rückzugsgedanken. Für die Studie wurden 1.114 politisch engagierte Personen befragt. 22 Prozent der Frauen und 10 Prozent der Männer dächten darüber nach, sich aus der Politik zurückzuziehen, schreiben die Autoren.

+++ Ein Systemwechsel beim Rundfunkbeitrag ist nach Einschätzung von Helmut Hartung derzeit unrealistisch, und das obwohl die Länder ein vereinfachtes Festsetzungsverfahren ausgehandelt haben, das ab 2027 gelten soll, schreibt Hartung in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Sachsen-Anhalt und Bayern hatten zur Bedingung für die Einigung gemacht, dass ARD und ZDF ihre Verfassungsbeschwerde zurücknehmen. Dafür, dass das passieren werde, spreche aber nichts. "Das bedeutet das Aus für den mit viel Mühe gefundenen Kompromiss um ein vereinfachtes Beitragsverfahren", schreibt Hartung. Wobei das so aussieht, als hänge es an den Sendern. Tatsächlich fordern die beiden Länder die Anstalten auf, sich über die Regeln hinwegzusetzen.

+++ Judith Lembke schreibt auf der FAZ-Medienseite über das vom Magazin "Katapult" veröffentlichte "echte" AfD-Wahlprogramm (Altpapier): "Das größte Problem mit den 40 Zitaten ist, dass die Hälfte davon von Personen stammt, die gar keine AfD-Mitglieder mehr sind. André Poggenburg, Thomas Seitz und Jörg Meuthen sind vor Jahren aus der Partei ausgetreten, Nicolaus Fest wurde im vergangenen Jahr von der AfD ausgeschlossen und Marcel Grauf arbeitet längst nicht mehr im Landtag von Baden-Württemberg." Andere Zitate seien nicht belegt. So bewirke diese Art von "aktivistischem Journalismus" das Gegenteil von dem, was bezweckt wird. Die AfD dürfe sich in ihrer Opferrolle wohlfühlen, schreibt Lembke.

+++ Die früher für ihren eher geringen Willen zur Kooperation mit Behörden bekannte Plattform Telegram hat ihre Praxis durch den Druck der EU-Regulierung offenbar geändert, schreibt Lars Wienand für "T-Online". Seit Einführung des "Digital Services Act" im vergangenen Jahr gebe Telegram deutlich mehr Nutzerdaten an Ermittlungsbehörden heraus.

+++ Die Diskussion um die gescheiterte Berufung von Thilo Mischke als Moderator der ARD-Kultursendung "Titel Thesen Temperamente" (zuletzt hier im Altpapier) zeigt laut Ex-Altpapier-Autor Matthias Dell exemplarisch, wie ungeschickte Kommunikation und fehlende Nachwuchsförderung das Vertrauen in öffentlich-rechtliche Sender beschädigen können. In seiner Kolumne für das Deutschlandfunk-Medienmagazin "@mediasres" sagt Dell: "Womöglich taugt der Fall später einmal als Lehrbeispiel dafür, wie man es nicht machen sollte in einer ausdifferenzierten Mediengesellschaft wie der unseren."

+++ Das Bundesverteidigungsministerium lässt seinen "X"-Account erst mal ruhen. In einem Abschiedspost heißt es: "Wir haben uns zu diesem Schritt entschlossen, weil ein sachlicher Austausch hier zunehmend erschwert wird." In der vergangenen Woche hatten 60 Wissenschaftsorganisationen ihren Rückzug erklärt. Die Bundesregierung hatte vor einer Woche auf die Forderung ihrer Antidiskriminierungsbeauftragten Ferda Ataman, die Plattform zu verlassen, geantwortet, man werde vorerst bei "X" bleiben (Altpapier).

+++ Tiktok bereitet sich Berichten zufolge darauf vor, seine App in den USA ab dem 19. Januar abzustellen, wenn sich nicht doch noch eine andere Lösung ergibt, berichtet unter anderem der "Spiegel". Die US-Regierung hatte ein Gesetz erlassen, das die App als Sicherheitsrisiko einstuft und verlangt, dass die App aus den Appstores verschwindet oder das chinesische Mutterunternehmen Bytedance die US-amerikanischen Geschäftsanteile von Tiktok verkauft. Die Nachrichtenagentur Bloomberg und das "Wall Street Journal" hatten zuletzt berichtet, es sei im Gespräch, die Plattform an Elon Musk zu verkaufen. Das dementierte Bytedance.

Das Altpapier am Freitag schreibt Antonia Groß.

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