Kolumne: Das Altpapier am 14. Januar 2025 Gibt es Wände in den Räumen des Sagbaren?
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14. Januar 2025, 10:32 Uhr
WDR-Intendantin Katrin Vernau bekam zum Antritt allerhand geschenkt, allerdings keinen Massagesessel. Im Rahmen der Thilo-Mischke-Debatte werden nun auch Inhalte des Kulturfernsehens begutachtet. Und: Der Springer-Chef öffnet seine "Räume des Sagbaren" für einen Pappkameraden. Heute kommentiert Klaus Raab die Medienberichterstattung.
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Die Architektur von Springers "Räumen des Sagbaren"
Wenn Springer-Chef Mathias Döpfner einen Text veröffentlicht, ist man stets geneigt, die Zeichen zu zählen, bevor man ihn zu lesen beginnt. Man will ja wissen, ob man diesmal eine Stunde für die Lektüre bräuchte, oder doch wieder zwei. Diesmal aber geht es flott. Sein neuester Meinungsbeitrag, seit gestern online bei welt.de abrufbar, hat 7.768 Anschläge. Das sind nur knapp 50 SMS-Nachrichten.
Was Döpfner zum Schreiben motiviert hat, dürfte die öffentliche und auch starke interne Kritik sein, die nach der Veröffentlichung eines AfD-Fanboy-Texts von Elon Musk auf Seite 1 der "Welt am Sonntag" laut wurde (Altpapier). Mindestens eine namhafte Journalistin und ein namhafter Journalist der "Welt" haben seitdem gekündigt. Der Online-"Spiegel" nennt Döpfners Meinungsstück nun einen Versuch der "Schadensbegrenzung".
Von alldem ist in Döpfners Text aber nicht direkt die Rede. Der Name Musk kommt darin gar nicht vor. Dafür formuliert er Abgrenzungen etwa "von autokratischen Regimen, die die Grenzen souveräner Staaten missachten" sowie von ausgewählten Parteien, darunter die AfD. Er zitiert zudem ausführlich Thomas Mann – was passend ist, weil Mathias Döpfner ja ein feingeistiger Literaturafficionado ist und kein rechtslibertären Trollen nachlaufender Egozocker. Was Döpfner dem Wortlaut des Texts nach umtreibt, sind ein allgemeiner Niedergang (unpünktliche Züge, marode Brücken, stillgelegte Bunker) sowie die Reaktionen der "politischen Extreme" darauf, wie er es nennt: "Wut-Politiker am linken und rechten Rand, die AfD, das BSW und die Linke bieten einfache Lösungen an." Wesentliche programmatische Ziele dieser Parteien seien "das Gegenteil dessen, wofür Axel Springer steht".
Und Döpfner, der in einer anderen Ära womöglich einen guten Hufschmied abgegeben hätte, wäre nicht Döpfner, wenn er dann nicht seinen liebsten Pappkameraden auspacken würde: Meinungsfreiheit – wer Musk nicht auf Seite 1 die AfD abfeiern lässt, ist einfach nicht liberal.
Nein, stopp, Momentchen, das ist nicht seine Formulierung. Das hier ist seine:
"Ein Leitstern unserer Arbeit ist ein Satz, der Voltaire zugeschrieben wird: 'Ich verachte Ihre Meinung, aber ich gäbe mein Leben dafür, dass Sie sie sagen dürfen.' In diesem Sinne werden wir in Zukunft weiterhin entschieden die Räume des Sagbaren öffnen. Wir werden auch diejenigen befragen und zu Wort kommen lassen, deren Meinungen und Weltbilder uns nicht gefallen. Vor allem werden wir hartnäckig recherchieren und die dabei zutage getretenen Tatsachen veröffentlichen, völlig unabhängig davon, wem sie nützen oder schaden. Denn wir trauen unseren Leserinnen und Lesern auch künftig zu, sich auf Basis dieser Informationen selbst eine Meinung zu bilden."
Tja. Dass in Springers "Räumen des Sagbaren" Antirassismus erst gestern mit einem knackigen "kann weg" verarztet wurde, darauf hat bei BlueSky Stefan Niggemeier hingewiesen. Man wüsste wirklich gerne, ob man die mal besichtigen kann, diese Räume. Vielleicht wurden aus Versehen auf der rechten Seite die Wände vergessen?
Was will das Kulturfernsehen?
Dass die ARD ihre Mischke-Debatte (siehe etwa dieses Altpapier) erfolgreich ausgesessen hätte, kann man nicht behaupten. Nach wie vor erscheinen praktisch täglich neue Texte. Nicht nur hat der "Medieninsider" (€) recherchiert, wer außer Thilo Mischke als Moderationsfigur von "Titel, Thesen, Temperamente" denkbar gewesen sein soll. Mittlerweile ist die Diskussion vor allem auch bei der Begutachtung des öffentlich-rechtlichen Schaufenster-Kulturfernsehens und der Frage angekommen: Was will es?
Das fragt auf den Seiten der "Welt" (Abo) zum Beispiel Volker Corsten. Und Dirk Knipphals machte sich in der Samstagsausgabe der "taz" ebenfalls seine Gedanken. Er kritisiert ebenfalls eine Ausrichtung, die sich mit dem zunächst geplanten "ttt"-Moderator Thilo Mischke assoziieren lässt:
"Mag sein, dass, angetrieben von Teilen der AfD, wieder ein nationalistischer und völkischer Kulturbegriff auf dem Vormarsch ist – aber wir präsentieren hier jetzt mal jemanden, der frisch, fromm, fröhlich, frei alles wegmoderieren kann? Oder: Tut uns ja leid, dass die Kulturszene gerade unter Spardruck leidet – aber wir haben hier jemanden, der zumindest gute Laune verbreitet?"
Weg von der Personalie führt dann der nächste Absatz, der davon handelt, wie sich die ARD-Kultursendung zuletzt als Ganze schlug. An der Stelle geht die Tür auf zu einer erweiterten Debatte über das öffentlich-rechtliche Kulturfernsehen, denn an einem Moderator allein hängt dessen inhaltliche Ausrichtung ja nicht. Also, Knipphals schreibt weiter:
"Wer sich in der Mediathek die letzten Sendungen von 'titel, thesen temperamente" anschaut, wird feststellen, dass sie jetzt schon nicht eben einen reflektierten, die Rolle von Kunst und Kultur immer auch mitbedenkenden Kulturbegriff pflegten. Kultur wird nicht befragt. Stattdessen wird affirmativ das jeweilige Thema als bedeutend gesetzt und mit Interviewschnipseln illustriert."
Wie gesagt: Dirk Knipphals gibt hier seine Sicht auf bereits gesendete Ausgaben wieder, deren Beiträge von der Moderationsfigur – wer auch immer es ist – ohnehin nicht gemacht werden. Ein Live-Interview, wie es bei 3sats "Kulturzeit" üblich ist, gibt es bei "ttt" bislang auch nicht.
Diesen Strang der Diskussion weiterzuverfolgen und auch mehr über die Beitragsinhalte statt fast ausschließlich über die Präsentation eines Kulturmagazins zu sprechen, wäre sicher lohnenswert: Was hieße es im Fernsehen, "Kultur zu befragen"? Wenn man positive Beispiele sucht, landet man womöglich bei ganz anderen Sendekonzepten, die es am ehesten wohl bei Arte gibt. Übrigens bei einem Sender, dem Imre Grimm (auf rnd.de) im Rahmen der 3sat-Debatte attestierte, er habe sich "früh erfolgreich auch um Niedrigschwelligkeit bemüht".
Katrin Vernau bekommt Dinge
Der WDR hat eine neue Intendantin, nun auch wirklich: Katrin Vernau habe am Montag offiziell die Amtsgeschäfte von Tom Buhrow übernommen, ist zu lesen, etwa bei dwdl.de, wo Uwe Mantel dankenswerterweise das Geschehen ausführlich zusammenfasst:
"(S)tatt eines Staffelstabes hatte man sich als Symbol für einen Rucksack entschieden, der an diesem Vormittag seinen Besitzer wechselte. Und in den alle Rednerinnen und Redner noch etwas hineinlegen und der neuen Intendantin mit auf den Weg geben durften."
Hier die Gabenliste:
"Der Rundfunkrats-Vorsitzenden Rolf Zurbrüggen entschied sich für einen Wanderführer für NRW, der sie an ihr Versprechen, die Regionalität zu stärken, erinnern sollte. Die Verwaltungsratsvorsitzende Claudia Schare legte neben Glückspfennig und Sparschwein in Anspielung auf IT-Probleme noch einen Abakus sowie Hermines 'Zeitumkehrer' aus Harry Potter dazu, damit sie es auch wirklich schafft, alle Herausforderungen zu bewältigen. Von Tom Buhrow gab's einen Kompass, um Kurs zu halten, oder diesen auch mal gezielt wechseln zu können. NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst wiederum hatte einen Regenschirm fürs Rucksack-Inventar dabei, verbunden mit dem Versprechen: 'Wir lassen Sie nicht im Regen stehen'."
Und Vorschuss-Lorbeeren gab's dann Uwe Mantel zufolge auch noch. Hätte Kai Pflaume durchs Programm geführt, könnte man das Ganze glatt am Samstagabend um 20.15 Uhr ausstrahlen. (Im RBB.)
Ciao, Tom Buhrow!
Weil wir von Katrin Vernau an dieser Stelle aber gewiss noch ein, zwei Mal lesen werden, sagen wir, statt uns in ihre Antrittsrede zu vertiefen, an dieser Stelle nun lieber "Ciao, Tom Buhrow!" – und danke für viele Schreib- und Lektüreanlässe.
Er werde in Erinnerung bleiben, so formulierten es laut "epd Medien" Katrin Vernau und Hendrik Wüst zu seinem Abschied, als "starker Teamplayer", der Diskussionen zugelassen, "unangenehme Wahrheiten" ausgesprochen sowie "schmerzhafte, aber richtige Entscheidungen" getroffen und "mit unerschütterlichem Engagement" Modernisierungen im WDR durchgesetzt, journalistische Maßstäbe gesetzt und sich damit um das Medienland Nordrhein-Westfalen verdient gemacht habe.
Außerdem natürlich, so würde ich nach einer kurzen Recherche im Altpapier-Archiv ergänzen, als "der vielleicht bestverdienende Intendant aller Zeiten". Als "Leichtmatrose unter den ARD-Intendanten". Als ein Mann, der sich auch mal ohne Wenn und Aber entschuldigen konnte, selbst wenn es überhaupt nicht angezeigt war. Als Cicero des Übersee-Clubs und Schreiner eines Runden Tischs. Als "Meister des wahrlich grellsonnigen Schwafelns" (SZ, €). Und, um nun versöhnlich zu enden: als "alter Fuchs" (taz).
Altpapierkorb (Lokaljournalismus in Thüringen, Wahlumfragen, Rundfunkbeiträge, "Die Wahrheit über unsere Rente")
+++ Es gebe in Thüringen "noch keine 'Nachrichtenwüsten', in allen Landkreisen und kreisfreien Städten erschienen 'spezielle Lokalausgaben' einer Tageszeitung, doch sei die Vielfalt – mit wenigen Ausnahmen – auf nur ein Lokalblatt geschrumpft": So fasst die "FAZ" ein Gutachten der Technischen Universität Dresden über den Lokaljournalismus in Thüringen zusammen. Peter Stawowy, der an der Arbeit beteiligt war, verlinkt es auf flurfunk-dresden.de und fasst es ausführlicher zusammen.
+++ Vor einer Bundestagswahl lesenswert ist das "Übermedien"-Interview (Abo) von Ex-Altpapier-Autorin Johanna Bernklau mit Andrea Wolf, Vorstandsmitglied der Forschungsgruppe Wahlen. "Wie demokratisch sind Wahlumfragen?" lautet die Ausgangsfrage. Warum überhaupt Umfragen, warum 18-Uhr-Prognosen, warum werden "Sonstige" ausgewiesen – darum geht es auch.
+++ Helmut Hartung beschäftigt sich im Medienseitenaufmacher der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" mit der Erhöhung der Rundfunkbeiträge und dem neuen, allerdings von der Politik noch nicht eingetüteten Rundfunkbeitragsberechnungsverfahren. Es ist kompliziert, aber diese zwei Sätze fassen grob zusammen, worum es geht: "dass der Beitrag für die nächsten zwei Jahre nicht erhöht wird, ist reines Wunschdenken." Und: "Mehrfach haben die Verfassungsrichter erklärt, die Länder könnten das Verfahren ändern, aber sie müssen bestehende Gesetze beachten und können nicht geplante Vorhaben gegen existierende Vorschriften 'hochrechnen'."
+++ Und die "Süddeutsche Zeitung" (Abo) lobt die ZDF-Doku "Die Wahrheit über unsere Rente" mit Jochen Breyer. Die Doku wurde, wie das ZDF schreibt, mit Blick auf die vorgezogene Bundestagswahl vorgezogen.
Neues Altpapier gibt es am Mittwoch, dann von René Martens.