Kolumne: Das Altpapier am 8. Januar 2025 Von Musk lernen heißt Sterben lernen
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08. Januar 2025, 10:29 Uhr
Mark Zuckerberg hat gestern angekündigt, für seine Plattformen Facebook und Instagram in den USA den gleichen Weg einzuschlagen, den Elon Musk mit Twitter gegangen ist: Weniger Moderation, Abschaffung der Faktenchecks. Fahren bald die nächsten Mega-Plattformen gegen die Wand? Außerdem: Die Angst um die Pressefreiheit in Österreich unter einem möglichen rechtspopulistischen Kanzler Herbert Kickl. Heute kommentiert Ben Kutz die aktuelle Berichterstattung.
Inhalt des Artikels:
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Richtungswechsel bei Meta
Über X/Ex-Twitter gab es ja in den vergangenen Monaten viele Meldungen. "Schleichender Rückzug von Twitter/X" (mdr.de), "Der Ton auf X macht die Chancen der Plattform zunichte" ("NZZ") oder "Twitter ist tot, X ist ein Zombie, und nun?" ("FAZ") ist nur eine kleine Auswahl der vergangenen Wochen.
Ich weiß nicht, welche Meldung genau sich Meta-Chef Mark Zuckerberg angeschaut hat, als er dachte: Von diesem Musk kann man sich in Sachen Unternehmensführung aber viel abschauen, den Twitter-Erfolgskurs kopiere ich jetzt. Denn genau das ist der Plan des zweitreichsten Menschen der Welt für seine Plattformen Facebook und Instagram.
In einer Videobotschaft bei Instagram (und im Meta-Pressebereich) hat Zuckerberg angekündigt,
"to get rid of fact-checkers and replace them with Community Notes similar to X."
Zuckerberg kündigt also allen Ernstes an, Faktenchecker so schnell wie möglich loswerden zu wollen. Schon diese Formulierung: nichts weniger als eine bodenlose Frechheit. Und Zuckerberg vergreift sich weiter im Ton, wie der "Spiegel" schreibt:
"Dabei benutzte Zuckerberg rechtspopulistische Kampfbegriffe, die auch X-Besitzer Elon Musk immer wieder anbringt. So hätten Regierungen und 'Altmedien' zu lange daran gearbeitet, Menschen zu 'zensieren'. Aus gutem Willen habe Meta sich daran beteiligt. Nun wolle er seinen Konzern zu den Wurzeln zurückführen 'und freie Meinungsäußerung wiederherstellen'."
Die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten als Zensur zu bezeichnen: schon ein ziemlicher hotter Take. Stattdessen entscheiden nun keine Dritten mehr, wie hoch der Wahrheitsgehalt von Aussagen ist, sondern die Nutzerinnen und Nutzer. Dabei lernt Zuckerberg vom Besten, schreibt ebenfalls der "Spiegel":
"Das System der Community Notes etablierte bereits Techmilliardär Musk, nachdem er Twitter übernommen hatte. Personal, das den Kurznachrichtendienst auf Hetze überprüfte, wurde im großen Stil entlassen, viele gesperrte rechtsextreme und antisemitische Accounts wieder freigeschaltet. Auf der in X umbenannten Plattform finden sich heute unzensiert Gewaltverherrlichungen, Pornografie und rassistische Äußerungen. Die Auswirkungen auf die Plattform waren enorm."
Die Neuerungen sollen zunächst nur für die USA gelten. Für die EU gebe es "derzeit" keine Pläne, die Zusammenarbeit mit Plattformen wie "Correctiv" zu beenden, teilte Meta dem US-Magazin "Politico" mit. Das dürfte nicht zuletzt auch daran liegen, dass die EU Plattformen verpflichtet, ihre Inhalte zu moderieren.
Es wirkt wahnsinnig absurd, dass Meta ausgerechnet den Pfad des Sozialen Netzwerkes einschlägt, das wohl den bemerkenswertesten Niedergang hinter sich hat. Und doch ist die Antwort auf die Frage nach dem "Warum?" erschreckend einfach.
Trump gefallen um jeden Preis
Zahlreiche Medien haben sie in ihre Überschriften gepackt. "Weiße Flagge gegenüber Trump?", fragt horizont.net, "Annäherung an Trump-Ideologie?", kann sich auch n-tv.de das Fragezeichen nicht verkneifen. Ja was denn sonst?! "Zuckerberg bringt Facebook und Instagram auf Trump-Musk-Linie", schreibt das "RND", "Wie Mark Zuckerberg Trump umschmeichelt", titelt die "FAZ", "Mark Zuckerberg knickt vor Donald Trump ein", schreibt "turi2".
Daran, dass Zuckerberg unbedingt in Trumps Gunst steigen will, lässt er spätestens mit seiner Millionen-Spende für Trumps Amtseinführung (AP gestern) keine Zweifel. Und das war's noch nicht mit der freundlichen Schleimerei unter Milliardären, wie diese Meldung ebenfalls von gestern zeigt (t-online.de):
"Trump-Kumpel neu im Vorstand von Facebook-Konzern"
Dieser Kumpel ist Dana White, Kampfsportmanager, Präsident des Ultimate Fighting Championship (UFC) und "Trump-Unterstützer seit Tag eins", wie t-online.de schreibt. Na wenn das nicht ein guter Auftakt der Trump-Unterwerfungs-Strategie ist.
Wie schädlich diese Entwicklungen für die US-amerikanische Gesellschaft sein könnten, fragt sich unter anderem das "RND" (bereits oben verlinkt). Eigentlich müsste man den genauen Gegenweg von Musk und X gehen, schreibt der Kollege:
"In Zeiten, in denen Populismus, Rechtsextremismus und Desinformation weltweit auf dem aufsteigenden Ast sind, ist das besonders gefährlich – zumal die beiden Plattformen um ein Vielfaches größer sind als X. Die Freiheit der Rede ist ein wichtiges Gut. Doch gerade in den sozialen Medien, wo Inhalte und Meinungen algorithmisch verstärkt – oder eingeschränkt – werden, braucht es verbindliche Regeln."
"Zuckerberg riskiert das digitale Chaos", kommentiert "Heise". Wenn Meta Faktenchecks abschafft, würden viele User das Vertrauen in die Plattformen verlieren, prognostiziert Torsten Beeck:
"Zuckerbergs Entscheidung ist nicht mutig, sie ist naiv. Meta riskiert, zu einem digitalen Sumpf zu werden, in dem Desinformation und Extremismus gedeihen. Der Kurswechsel mag kurzfristig Applaus von Meinungsfreiheit-Puristen bringen, doch langfristig droht der Verlust von Vertrauen, Nutzern und Werbeeinnahmen."
Auch wirtschaftlich könnte sich der Schritt bald rächen, meint Beeck (der übrigens selbst mal drei Jahre als Strategic Partner Manager bei Meta gearbeitet hat). Schließlich wollen Unternehmen ihre Anzeigen nicht neben Hasskommentaren oder Fake News stehen sehen. "Sollte der Moderationsstopp das Umfeld auf Facebook und Instagram vergiften, werden Werbekunden ihre Budgets abziehen", schreibt heise.de. "Das ist nicht nur ein Risiko, es ist ein absehbares Szenario."
Keine Sorge: Wenn bald die nächsten Mega-Plattformen mit Karacho gegen die Wand krachen – lesen Sie alles im Altpapier.
Medien in Österreich: Bald orbánsche Verhältnisse?
Bleiben wir thematisch bei unsympathischen Männern. Herbert Kickl, Chef der rechtspopulistischen Partei FPÖ, könnte nun doch bald als erster seiner Partei Bundeskanzler in Österreich werden. Die bei der Wahl unterlegene bisherige Kanzlerpartei ÖVP hat entgegen bisherigen Beteuerungen angekündigt, Koalitionsgespräche mit den Rechtspopulisten zu führen.
Noch ist noch nichts in trockenen Tüchern. Aber die Befürchtungen, welche Konsequenzen das haben könnte, werden schon jetzt lautstark diskutiert. Konsequenzen für eine freie Presse zum Beispiel.
Reporter ohne Grenzen Österreich schlägt Alarm:
"Angesichts der aktuellen Weichenstellung in Richtung einer FPÖ-ÖVP-Regierung wächst die Sorge um Demokratie, Menschenrechte und Pressefreiheit. Immer wieder macht Herbert Kickl mit Drohungen gegen kritische Stimmen und Andersdenke auf sich aufmerksam, die auch den kritischen Journalismus unter Druck setzen sollen."
Man warne seit Jahren vor "illiberalen Verhältnissen wie in Ungarn unter Viktor Orbán", lässt sich Reporter-ohne-Grenzen-Präsident Fritz Hausjell zitieren. Auch Christian Rainer, ehemaliger Chef des österreichischen Nachrichtenmagazins "Profil" blickt nicht unbedingt mit sprudelndem Optimismus auf die aktuelle Situation (Nachrichtenagentur APA via "Der Standard"):
"In Verbindung mit einer schon unter Sebastian Kurz medienaversen Volkspartei und ohne liberales Korrektiv muss man freilich das Schlimmste befürchten: eine Mischung aus Oppression und Umerziehung, von illiberaler Überzeugung und über viele Jahre genährten Rachegefühlen getrieben."
Auch Rainer befürchtet, dass "die Grenzen zur Medienpolitik von Ungarn und der Slowakei geöffnet werden". Den österreichischen Medienmarkt sieht er in einer "katastrophalen Situation". Auch die dpa zitiert Rainer in ihrer Meldung.
Wie steht's um den ORF?
Die dpa fügt hinzu:
"Auch für den öffentlich-rechtlichen ORF könnten sich Änderungen anbahnen. Die FPÖ ist seit langem gegen die Rundfunkgebühr, die sie als 'Zwangsabgabe' bezeichnet."
Klar, warum sollten Österreichs Rechtspopulisten auch ein anderes Vokabular pflegen als die Kameraden hierzulande? Mehr Details hat "DWDL":
"Die Rechtspopulisten wollen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk bekanntlich massiv umbauen und verkleinern, in der Vergangenheit war von der Partei oft die Rede von einem 'Grundfunk', der aus dem Bundesbudget finanziert werden solle. Bundespräsident Alexander van der Bellen, der den Auftrag zur Regierungsbildung am Montag an die FPÖ gab, erklärte, er habe mit Parteichef Herbert Kickl lange über einige Themen gesprochen, etwa um die Freiheit der Medien."
Puh, nach einem "Und denk dran, Herbert, gell: Pressefreiheit und so!" vom Bundespräsidenten kann ja nix mehr schief gehen.
Auch bei "@mediasres" im Deutschlandfunk ging es gestern um die "Herausforderungen für Medien unter einer FPÖ-Regierung". Daniela Kraus, Generalsekretärin des österreichischen "Presseclub Concordia", sorgt sich ebenfalls um den ORF, der unter einem FPÖ-Kanzler "unter Beschuss stehen würde":
"Wenn wir uns das Wahlprogramm anschauen, [...] dann können wir davon ausgehen, dass es hier wirklich um radikale Personalumbesetzungen geht und auch um eine Kürzung der Mittel."
Mit der richtigen Taktik könnten sich Medien aber auch gegen mögliche Repressalien und einen medienpolitischen Orbán-Kurs wehren, sagt Kraus. Die Branche müsse nun zusammenstehen und dürfe sich nicht "in Konkurrenz verheddern".
Immerhin malt Kraus also kein komplett schwarzes Bild. Aber schon der Umstand, dass man auch in Österreich bald Angst vor orbánschen Verhältnissen haben könnte, macht mir furchtbar schlechte Laune.
Altpapierkorb (Protest wirkt; Instagram generiert KI-Bilder seiner Nutzer; Kubicki verwettet Wein; Serbien überwacht illegal Journalisten; Weniger Teletext wagen)
+++ Das heutige Altpapier strotzt ja nicht gerade vor guten Neuigkeiten. Deswegen soll immerhin der Altpapierkorb mit einer beginnen. "Proteste helfen Medienschaffenden", titelt das Verdi-Medienmagazin. Durch ständige Berichterstattung und internationale Proteste, beispielsweise durch Amnesty International organisiert, habe sich die Situation "etlicher journalistischer Kolleg*innen" in den vergangenen zwei Jahren verbessert.
+++ Wer in diesen Tagen auf Instagram unterwegs ist, könnte auf Bilder von sich stoßen, an die er sich gar nicht erinnern kann. Ohne Vorwarnung hat Instagram einigen Usern KI-generierte Bilder von sich selbst in ihren Feed gespült, berichtet "404media". Creepy.
+++ Dass FDP-Politiker Wolfgang Kubicki womöglich bald vielen Menschen Wein schuldet, hat "Übermedien" aufgeschrieben. Stefan Niggemeier ist aufgefallen, dass Kubicki erstaunlich oft gegenüber Journalistinnen und Journalisten wahlweise "seinen halben Weinkeller" oder doch nur "eine schöne Flasche Rotwein" darauf verwettet, dass die FDP wieder in den Bundestag einzieht. Herrliche Überschrift: "Promille für Prozente: Wolfgang Kubicki, das Alkohorakel der FDP".
+++ Mit der bröckelnden Pressefreiheit in Serbien hat sich gestern die "taz" beschäftigt. Die Zeitung berichtet über Recherchen, die "ein offenes Geheimnis" bestätigen: "Der serbische Geheimdienst BIA hört Aktivisten, Journalisten und Politiker gesetzwidrig ab."
+++ Zum Schluss noch eine Meldung, die ich eher im Jahr 2015 (oder 2005?) verortet hätte: "ProSiebenSat.1 und ZDF reduzieren ihre Teletext-Angebote", titelt "DWDL". Zwar werde der Teletext immer noch von "etwa zehn Millionen Menschen mehrmals in der Woche" genutzt, schreibt "DWDL". Der überwiegende Teil würde sich aber nur noch über das aktuelle Programm informieren. Die Pro7Sat1-Sender verweisen ab diesem Jahr für Sport und Nachrichten auf ihre entsprechenden Websites. Und auch das ZDF spart sich neuerdings Sport- und Börsenmeldungen, die Wetterseiten seien außerdem "verschlankt und modernisiert" worden.
Das nächste Altpapier schreibt am Donnerstag Ralf Heimann.