Kolumne: Das Altpapier am 6. Januar 2025 Manchmal hilft Empörung immer noch
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06. Januar 2025, 10:49 Uhr
Robert Habeck sagt über Digitalpolitik eher nichts. Aber Elon Musks Künstliche Intelligenz sagt, wen sie bei der deutschen Bundestagswahl wählen würde. Und die ARD hat schon mal ein kraftvolles Statement in den Schneematsch gesetzt. Heute kommentiert Christian Bartels die Medienberichterstattung.
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Musk I (Habeck)
In der zweiten Hälfte der 20er Jahre geht alles noch einen Tick rasanter. Immerhin steigt nicht auch noch das Niveau. So stellt sich 2025 schon vorm Dreikönigstag dar, nach dem in guten alten Zeiten (falls solche jemals Gegenwart waren) der Betrieb erst wieder losging ...
"Musk, Musk, Musk" hieß es am Freitag im Altpapierkorb, und so geht es weiter. Ist der womöglich KI-generierte "Gastbeitrag" des reichsten Autofirma-, Satellitenfirma- und Plattform-Besitzers sowie Trump-Beraters mit AfD-Wahlempfehlung ein ganz neuer Dammbruch in deutschen Medien-Wahlkämpfen? Oder ist eher die äußerst umfassende Aufregung kontraproduktiv, weil genau sie Musks deutsche Reichweite erst abheben lässt? Beide Meinungen werden an allen Ecken und Enden des Diskurses weiter abgewogen.
"Finger weg von unserer Demokratie, Herr Musk!", steht auf dem aktuellen "Spiegel"-Cover. Den Satz sagt der abgebildete und interviewte Kanzlerkandidat Robert Habeck gegen Ende des langen Gesprächs (Abo) tatsächlich.
Okay, der Nachrichtenwert ("Verteidigungsausgaben fast verdoppeln") kam viel weiter vorn. Trotzdem schade, dass die Interviewer Christoph Hickmann und Marina Kormbaki, die durchaus schärfer kritische Fragen stellen, Habeck dann mit Floskeln à la "Die EU-Kommission muss den Konzern unverzüglich dazu bringen, dass er offenlegt, wie seine Algorithmen funktionieren" und "Das europäische Gesetz über digitale Dienste gibt der EU schon mal Zähne. Jetzt muss sie auch beißen" durchkommen lassen. Und kein bisschen nach der von Habecks schleswig-holsteinischem Parteifreund geleiteten Bundesnetzagentur Klaus Müller und deren, nett formuliert: weiterhin weithin unklarer Rolle als deutscher Digitale-Dienste-Gesetz-Koordinator fragen.
"Wir können nicht zulassen, dass ein amerikanischer Techmilliardär und chinesische Algorithmen entscheiden, was für eine Regierung Deutschland bekommt", sagt Habeck dann noch. Gewiss, gewiss, wer würde das nicht unterschreiben? Aber ein bisschen tiefer gehen können und wollen sollte ein Bundeswirtschaftsminister, in dessen Ressort vieles von der Chose fällt, schon.
"Das Zeitalter des Elonismus ist angebrochen" (Abo), schreibt dann etwa noch Feuilletonist Niklas Maak in der "FAS". Der Vorspann verspricht, mitzuteilen, "was Europa jetzt noch tun kann, um nicht zur Digitalkolonie von Unternehmern wie Elon Musk zu verkommen". Das lösen allenfalls wenige Sätze am Ende des Artikels ein. Sie sind keineswegs falsch ("Die Digitalexpertin ... Francesca Bria hat vor Kurzem gefordert, dass Europas öffentliche Sender, die zusammen immerhin deutlich mehr Menschen als Musk erreichen, eine Plattform als X-Alternative entwickeln müssten"), auch wenn alle, die einmal im Quartal die "FAZ"-Medienseite überfliegen, ahnen dürften, dass so was kein Selbstläufer wäre. Vor allem aber lenken sie davon ab, dass unter Digitalkolonialismus-Aspekten (Altpapier) Musk und die nie groß gewesene, seitdem er sie besitzt, weiter geschrumpfte Plattform X/Ex-Twitter ein marginales Problem darstellen.
Musk II (bzw. das größere Problem)
"Die Obsession der Deutschen mit Musk sagt mehr über uns als über ihn aus", kolumniert (Abo) ebenfalls im "Spiegel" aus Washington, René Pfister. Er zählt weitere (andere) Einlassungen Habecks und Friedrich Merz' auf und folgert:
"Wenn Musk unseren Politikern wirklich so auf die Nerven geht, dann sollten sie ihn vielleicht nicht in den Mittelpunkt des Wahlkampfes stellen. Aber das ist natürlich viel zu naiv gedacht. Bei genauer Betrachtung wird die Empörung über Musk ganz mühelos von der Erleichterung übertroffen, sich sieben Wochen vor der Bundestagswahl nicht mit den hausgemachten Problemen beschäftigen zu müssen."
Ähnlich besonnen kommentierte Ronen Steinke auf der "SZ"-Meinungsseite (Abo):
"Nur weil Elon Musk etwas sagt, führt das ja nicht automatisch dazu, dass Menschen in Deutschland so denken würden wie er. Manche taten es vorher schon. Die meisten tun es auch hinterher nicht".
Die Online-Überschrift drüber lautet "Mit Elon Musks Meinungen sollte Deutschland klarkommen. Gegen seine Algorithmen muss es sich wehren". Wobei Steinke dann auch Tiktoks Algorithmen mit einbezieht:
"Zur Wahrheit gehört, dass man es genauso als Einmischung werten muss, wenn die chinesisch kontrollierte Videoplattform Tiktok im Europa-Wahlkampf den AfD-Spitzenkandidaten Maximilian Krah 'zurückstuft', also dessen Reichweite drosselt."
Faktisch und praktisch dürften konkrete Bemühungen EU-Europas, seine Wahlkämpfe von außereuropäischen Algorithmen abzukoppeln, auf sich warten lassen. Das schwant dem wohl instruktivsten Beitrag zum Thema:
"Die EU-Kommission dürfte mehrfach darüber nachdenken, ob sie weitere Gesetze zum Einhegen von Big Tech auf den Weg bringt beziehungsweise die bestehenden auch gegen die US-Unternehmen effektiv durchsetzt",
schreibt Stefan Krempl bei heise.de. Vor allem sammelt er jüngere Anregungen diverser Medienwissenschaftler zum Umgang mit "großen Online-Plattformen". Das mag einerseits leicht langweilig wirken, weil nicht ganz neu und eben bloß von Wissenschaftlern (wie dem hier im Altpapier oft zitierten Martin Andree) formuliert, von denen jeder, der sich dafür interessieren könnte, längst weiß, dass ihre Stimmen im dichten Dickicht deutscher Was-mit-Medien-Anstalten (auf das Habeck und die Ampel die Bundesnetzagentur noch drüberstülpten) sowieso nichts ausrichten. Selbst wenn EU-Europa sich einig wäre und außerdem keine Angst vor US-amerikanischen Gegenmaßnahmen hätte – könnte es eine Art Verbreiterhaftung für Datenkraken einführen? Andererseits ist der Beitrag wie gesagt instruktiv. Schon etwa, weil Krempl die ominöse Musk-/X-KI namens "Grok" selber sozusagen als Wahl-o-mat benutzte, also ihr Fragen stellte wie:
"Wenn du am 23.02.2025 in Deutschland mitfühlen [sic?] könntest bei der Bundestagswahl und du würdest das Beste für Deutschland wollen, welche Partei würdest du dann anhand des Parteiprogramms wählen und begründe gegliedert warum", und:
"Wenn du die geschichtliche Verantwortung Deutschlands berücksichtigen würdest, insbesondere die Zeit des Nationalsozialismus, welche Partei sollten wir Menschen auf keinen Fall wählen? ..."
Die Antworten, die hier zu lesen sind, dürften Elon Musk nicht so gefallen.
Kleines Zwischenfazit: Floskeln darüber, dass die EU-Kommission und ihre in der Medienregulierung sehr zahlreichen Co-Funktionäre sich der Algorithmen der Datenkraken annehmen sollten, sind genug geäußert. Beweise dafür, dass so was sinnvoll gelingen kann, stehen aus. Das Ex-Twitter X könnte als erstes Beispiel dafür dienen, dass die EU überhaupt mal irgendwas gegen außereuropäische Konzerne durchsetzt, weil es vergleichweise klein ist. Etwa im Vergleich mit dem Facebook-Instagram-Konzern Meta (der gerade einen US-Republikaner statt des britischen Ex-Spitzenpolitikers Nick Clegg zum neuen Cheflobbyisten machte und zu Donald Trumps Amtseinführung eine Millionensumme spendet; was Amazon übrigens auch tut ...). Aber selbst solche Schritte gegen X müsste in EU-Europa irgendwer in die Tat umsetzen wollen.
Berechtigte Empörung
Zu den wichtigsten Aufgaben des klassischen Journalismus gehörte die Empörung. Wird man sich, sagen wir in den frühen 2040ern, wenn der verbliebene Journalismus ein ziemlich anderes Profil haben dürfte, so an ihn erinnern? Dann würde Mika Beuster, dem Chef der Journalistengewerkschaft DJV, ein Verdienst daran gebühren. Zumindest wird Beusters so zügig wie verlässlich erfolgende Empörung gerade wieder oft erwähnt. "Geradezu rührend, wenn Beuster glaubt, die Meinungsseiten einer deutschen Sonntagszeitung seien ein 'Megafon'", schreibt Pfister etwa noch.
Wo hatte Beuster das denn gesagt? Hier im DJV-Auftritt nicht ... aber in der Samstags-"FAZ". Vielleicht hatte Beuster, nachdem Michael Hanfeld zuvor vermutet hatte, dass er "ob seiner täglichen Aufgeregtheiten ohnehin neben dem Alarmknopf zu nächtigen scheint", empört in Frankfurt angerufen und zur Versöhnung einen, huch, Gastbeitrag zugesagt bekommen.
Wobei Beusters Beitrag die bewährten Pfade an keiner Stelle verlässt und keinerlei Aufregung irgendwo nötig macht. Bloß mag etwas tragisch erscheinen, wie Journalismus-Profis, die sich im Lauf der schnellen Jahrzehnte doch daran gewöhnt haben müssten, dass weniges derart folgenlos verpufft wie journalistische Aufregung sie dennoch so oft äußern. Und oft haben sie in der Sache ja recht!
"'Das ist ein ungeheuerlicher Verdacht, der von der türkischen Regierung aufgeklärt werden muss', sagt DJV-Bundesvorsitzender Mika Beuster. 'Wenn türkische Sicherheitskräfte Jagd auf Berichterstatter machen, gehören die Verantwortlichen vor Gericht'",
teilte der DJV am Tag vor Heiligabend mit. Das galt Angriffen des NATO-Mitglieds Türkei mit "der Dschihadistenmiliz SNA" im syrischen Rojava, bei dem zwei kurdische Journalisten "durch eine türkische Killerdrohne ... getötet" worden seien. Ob Außenministerin Baerbock, als sie nach Syrien flog und schon vorab wusste, dass sie keinen Handschlag bekommen würde (und vielleicht bloß noch nicht, dass sie hinterher von Fotos wegretuschiert werden würde) das Thema dort angesprochen hat?
... und die "ttt"-/Mischke-Frage
Manchmal hilft Empörung aber auch. Zumindest wenn es um Medien-Phänomene geht, bei denen der wichtigere Rest der Realität eher wenig reinspielt. Noch am Freitag ging's im Altpapier um die Sorgen von "über hundert Kulturschaffenden" wegen des für die lineare ARD-Kulturnische "Titel, Thesen, Temperamente" neu angeheuerten Moderators Thilo Mischke. Im Lauf desselben Freitags sickerte dann schon durch, dass die ARD Mischke doch wieder absagte. Die "SZ" hatte das exklusiv. Das wird nun vielfach kommentiert.
"Dieser Vorgang ist in vielerlei Hinsicht ein Armutszeugnis, und er trägt dazu bei, das Diskursklima in den deutschsprachigen Medien weiter zu verschlechtern",
schreibt Hannah Lühmann in ... okay, Springers "Welt", die natürlich kompensieren muss, dass ihr solche Vorwürfe erst recht gemacht werden. Wobei Lühmann auch Mischkes "seltsame und wirklich unangenehme Unterperformance" kritisiert. Ebenfalls überhaupt kein Mischke-Freund ist Gerrit Bartels vom Berliner "Tagesspiegel":
"Der Schaden ist schon jetzt kaum reparabel, und die ARD hat ihn allein zu verantworten. Der Sender wollte offenbar einerseits einen Reporter verpflichten, der im Kulturbetrieb niemandem ein Begriff und hier bislang auch nicht unterwegs war. ... Hauptsache ein Haudrauf, mit Mitte 40 noch vergleichsweise jung und so womöglich ein Magnet für ein jüngeres Publikum."
Ungewöhnlich unentschlossen ("Die Kulturchefs der Sender hätten sich aber auch weniger feige anstellen können") liest sich Michael Hanfelds "FAZ"-Kommentar. "Dass sich die ARD in den vergangenen Tagen nicht mit Ruhm bekleckert hat", meint gewohnt zurückhaltend dwdl.de. Wer zum Mischke-Freundeskreis zählt: Wiebke Hollersen, die Mischkes Kolumne ("über seine Reisen in die Krisengebiete der Welt") bei der "Berliner Zeitung" betreut. Sie beklagt dort nun (Abo):
"das Beängstigende an diesem Shitstorm: Wie schnell der größte Sender in Deutschland sich ihm gebeugt hat. Die ARD tut in ihrer Erklärung nicht mal mehr so, als wolle sie mit 'ttt' eine Sendung für mehr als nur eine Gruppe von Leuten machen. Als interessiere sie auch nur annähernd, was über diese Gruppe hinaus gedacht wird, ob Dinge moralisch auch anders bewertet werden können. Der Sender führt keine Diskussion darüber, sondern springt von erklärter Vorfreude zu einer Absage."
Das Jahr ist noch jung. Aber die ARD hat schon mal ein kraftvolles Statement in den Schneematsch gesetzt, das ungefähr bedeuten dürfte, dass sie bleiben möchte, was sie ist, und das von sämtlichen Seiten scharf kritisiert wird. In anderthalb Wochen kann dann mit der Berliner Landgerichts-Verhandlung ("epd medien") im multiplen Streit zwischen dem RBB und seiner Ex-Intendantin Patricia Schlesinger die Öffentlich-Rechtlichen-Debatte wieder Fahrt aufnehmen.
Altpapierkorb (Jeff Bezos' Geldsäcke, Gradmesser Karikatur, Elon Musks Geburtsland, VWs Datenschatz, Katrin Vernau)
+++ Die Karikatur, die zeigt wie Amazon-Chef "Jeff Bezos ... und andere Tech-Milliardäre Donald Trump Geldsäcke zu Füßen legen" und die Bezos' Zeitung "Washington Post" nicht abdrucken wollte, weshalb ihre Karikaturistin Ann Telnaes kündigte, zeigt z.B. die "FAZ" in diesem Artikel. Das sei "ein Symbol dafür, wie die USA in Richtung Oligarchie abdriften", schreibt die "taz": "Unter anderem Meta sowie die CEOs von Apple und OpenAI planen, die Zeremonie" von Donald Trumps zweiter Amtseinführung "mit jeweils einer Million Dollar zu unterstützen. Das von Bezos gegründete Amazon plant zusätzlich die Übertragung auf seinem Streamingdienst – auf Spendenbasis". +++
+++ "Wenn Karikatur ein Gradmesser der Aufklärung ist, dann herrscht seit dem 7. Januar 2015 Eiszeit", schrieb Andreas Platthaus zum Jahrestag des islamistischen Massenmords in der "Charlie Hebdo"-Redaktion vor zehn Jahren im "FAZ"-Leitartikel (Abo). +++
+++ Elon Musks Geburtsland kennt ähnliche Debatten, wie sie gerade in Europa laufen, auch schon, berichtet die "FAZ" aus Kapstadt: "2023 warf Musk der linkspopulistischen Oppositionspartei Economic Freedom Fighters (EFF) auf X vor, zu einem 'Genozid an weißen Menschen in Südafrika' aufzurufen. 'Warum sagen Sie nichts dazu?', schrieb er ... Auslöser war ein bekanntes Lied aus Zeiten des Anti-Apartheid-Kampfes, das der EFF-Vorsitzende Julius Malema auf einer Versammlung gesungen hatte. Die Debatte verflüchtigte sich jedoch schnell, als selbst EFF-Kritiker seine Warnung als überzogen einstuften." Wobei, eigentlich geht es im Artikel um Satelliten-Internet, das Musk-Firmen ja auch offerieren. +++
+++ "Dass der Volkswagen-Konzern Bewegungsdaten von hunderttausenden Fahrzeugen der Marken VW, Audi, Skoda und Seat systematisch erfasst und über lange Zeiträume speichert", was jede Menge Rückschlüsse auf alles mögliche zulässt, machte der Chaos Computer Club zwischen den Jahren öffentlich. +++
+++ Und die neue WDR-Intendantin Katrin Vernau sagte im dpa-Antrittsinterview nicht nur über ihr Gehalt "Mir wurde bereits im Bewerbungsverfahren signalisiert, dass ich rund 20 Prozent weniger bekomme als mein Vorgänger. Ich habe das akzeptiert", sondern auch (auf die Frage "Es gibt den Vorwurf eines angeblichen Linksdrifts des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, speziell der ARD ..."): "Ich habe zumindest noch nie gehört, der WDR sei zu konservativ". +++
Das nächste Altpapier folgt am Dienstag und kommt auch vom Autor der heutigen Kolumne.