Kolumne: Das Altpapier am 20. Dezember 2024 Und morgen die ganze Welt
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20. Dezember 2024, 12:31 Uhr
Nachdem Elon Musk einem britischen Rechtsaußen-Politiker 100 Millionen Dollar in Aussicht gestellt hat, macht er nun auch klar, wie er sich die Rettung Deutschlands vorstellt. Außerdem: "Caren Miosga", "Hart aber fair" und "Maybrit Illner" ist die Klimakrise wurscht. Heute kommentiert René Martens die Medienberichterstattung.
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
156 Talkshow-Einladungen für CDU/CSU, 129 für die SPD
Wenn man nach Erklärungen und Indizien dafür sucht, warum ARD und ZDF für ihre maßgebliche Wahlkampfsendung Friedrich Merz und Olaf Scholz auserkoren haben (siehe u.a. Altpapier von Donnerstag), könnte man sie auch in einer aktuellen Statistik finden.
Meedia.de hat nämlich die "Talkshow-Gäste und -Themen des Jahres" ausgewertet, zumindest die bei "Caren Miosga", "Hart aber fair", "Maybrit Illner", "Maischberger" und "Markus Lanz". Autor Jens Schröder hat bei dieser Auswertung eine "bedenkliche Entwicklung" festgestellt - und zwar, "dass die beiden 'Großen', CDU/CSU und SPD, die Zahl ihrer Auftritte noch erhöhen konnten, während Leute der Grünen, der FDP und der Linken seltener eingeladen wurden".
Wobei noch zu präzisieren wäre, dass CDU und CSU mit 156 Einladungen klar vor der SPD liegen - was angesichts des Mindsets der führenden öffentlich-rechtlichen Journalisten keine Überraschung ist.
Was Schröder auch hervorhebt: Das "weltweit wichtigste Thema der kommenden Jahre und Jahrzehnte, das Klima, spielte 2024 keine Rolle." Es sei "in den ausgewerteten Shows kein einziges Mal besprochen" worden. Schröders Erläuterung dazu: Für diese Teilstatistik wurden nur "Caren Miosga", "Hart aber fair" und "Maybrit Illner" ausgewertet, "da 'Maischberger' und 'Markus Lanz' meist keine monothematischen Sendungen sind".
Spoiler in eigener Sache: Die (weitgehende) Klimafreiheit in den Talkshows wird auch Thema in meinem Jahresrückblick zur Klimaberichterstattung sein (weitere Details zu den Rückblicken finden sich unter dieser Kolumne).
In Schröders Artikel ist auch die Rede davon, "dass mehr Gäste aus Politik und Medien eingeladen wurden - und weniger Expertinnen und Experten für die jeweiligen Gesprächsthemen". Konkret: "Menschen, die nichts mit Politik oder Journalismus zu tun haben" waren "33 mal seltener" dabei als 2023. "Tendenziell redeten in den Shows also mehr Politiker und Politikerinnen mit Journalisten und Journalistinnen - und seltener mit Wissenschaft & Co." Interessant wäre noch zu erfahren, wie viele Wissenschaftler unter den Eingeladenen waren, "die nichts mit Politik oder Journalismus zu tun haben".
Wie auch immer: Die beschriebenen Entwicklungen - weniger Wissenschaftler, mehr CDU/CSU, kein Klima - ergänzen sich bzw. bedingen einander.
Schröder schreibt weiter:
"Zusammenfassend - und etwas überspitzt formuliert - lautet die Talkshow-Bilanz des Jahres 2024 also: Man redet immer öfter lieber mit Politikerinnen, Politikern, Journalistinnen und Journalisten, als mit Expertinnen und Experten, mit manchen Journalisten sogar öfter als mit allen Politikerinnen und Politikern".
Letzteres wiederum bezieht sich darauf, dass gemessen an der Häufigkeit der Einladungen Elmar Theveßen der "Talkshowkönig" des Jahres 2024 ist (17 Auftritte). Auch Table Medias Michael Bröcker, also der Vizekönig, durfte öfter mitreden als jeder Politiker (16-mal).
Welche Rolle wird Musk im deutschen Wahlkampf spielen?
Wenn eine Zeitung einen Text mit "Schützt die Demokratien vor den Superreichen!" überschreibt (wie es die taz gerade getan hat), drängt sich eine Erwähnung in einer Medienkolumne vielleicht nicht auf, aber da es in diesem Kommentar vor allem um den Auch-irgendwas-mit-Medien-Mann Elon Musk geht, liegt der Fall anders. Ein Thema im Artikel von Ferry Batzoglou: Dass Musk dafür gesorgt hat, dass die Verabschiedung eines Übergangshaushalts im US-Kongress blockiert wird.
Das wiederum kommentiert der US-Demokrat Bernie Sanders so:
"Democrats and Republicans spent months negotiating a bipartisan agreement to fund our government. The richest man on Earth, President Elon Musk, doesn’t like it.”
Dieses Zitat findet sich u.a. in einem CNN-Beitrag. Gleich "mehrere demokratische Abgeordnete sprachen schon süffisant von 'Präsident Musk'", erfahren wir bei dpa (siehe z.B. "Tagesspiegel" und stern.de)
Mit der Macht in den USA wird sich Musk aber wohl nicht zufrieden geben. Batzoglou dazu in der taz:
"Nach Musks Geld lechzt jetzt auch ein anderer Rechtsaußen: Nigel Farage in Großbritannien. Ein glühender Brexit-Fan und übler Hetzer gegen Migranten, der in London bei den jüngsten Wahlen mit seiner Partei Reform UK 14 Prozent der Stimmen errang. Am Montag habe er bei einem Treffen mit Musk in Trumps Residenz in Florida "über die Finanzierung seiner Partei verhandelt", schwärmte der Brite: Musk 'will uns helfen'. Womit? Klar, mit Geld. Laut Medienberichten könnte sich die Musk-Spende auf schwindelerregende 100 Millionen US-Dollar belaufen. Mit der üppigen Kapitalspritze will Farage – wie Musk ein Busenfreund von Trump – beim Urnengang 2029 die verhasste Labour-Regierung aus dem Amt jagen. Die jüngste US-Wahl lässt grüßen."
Seit dem frühen Morgen macht ein Post die Runde, der deutlich macht, wer nach Musks Ansicht in Deutschland die verhasste Regierung aus dem Amt jagen soll. "Only the AfD can save Germany", x-te er. Ob das die muskistischen Pappnasen aus anderen deutschen Parteien irritiert, stand bei Redaktionsschluss dieser Kolumne noch nicht fest.
Abgesehen von der konkreten Formulierung, ist Musks Positionierung ja keineswegs überraschend, seine Äußerung findet aber wohl auch deshalb viel Widerhall, weil sich das zu rettende Land gerade im Wahlkampf befindet. Was könnte die Äußerung konkret für den Wahlkampf bedeuten? Der Filmemacher und Journalist Mario Sixtus schreibt dazu:
"Musk könnte die X-Reichweite von AfD-Accounts und von der rechtsextremen Influencer-Bubble vertausendfachen, ohne dass das jemand beweisen könnte und ohne dass er damit als Parteispender in Erscheinung treten würde."
Im Krieg gegen die Presse will Trump gar nicht unbedingt gewinnen
Dass Musks Spießgeselle, also gewissermaßen der "andere" US-Präsident, gerade einen "Krieg gegen die Presse" führt (wie es Samantha Barbas, Professorin an der University of Iowa College of Law, gegenüber der "New York Times" sagte) - das war im Laufe dieser Woche vielerorts Thema.
Im FAZ-Feuilleton schreibt Frauke Steffens heute:
"Der künftige Präsident will mit seinen Klagen (…) nicht nur die Presse und andere 'Feinde' einschüchtern. Die Sorgen in den Medienunternehmen sind berechtigt. Trumps Behörden könnten den öffentlich-rechtlichen Sendern PBS und NPR den Geldhahn zudrehen, er könnte weitere Klagen gegen Medien einreichen. Und auch die Befürchtung, dass Behörden wie das Finanzamt zu Waffen im Kampf gegen Zeitungen oder Sender werden, ist nicht aus der Luft gegriffen. All das könnte den berühmten 'chilling effect' haben, die Furcht, die zum vorauseilenden Gehorsam führt. Die Klagen und Drohungen dienen aber auch dazu, Donald Trumps Anhängern zu signalisieren: Ich bin immer noch einer von euch."
Zur Wirkung der Klagen in jenem Milieu schrieb Brian Stelter am Mittwoch im CNN-Medien-Newsletter "Reliable Sources".
"Auf MAGA-Social-Media-Seiten bejubeln Trump-Fans die Klage, und das ist auch ein wichtiger Teil dieser Geschichte - die MAGA-Basis will, dass er die Medien bestraft."
Das würden wir auch in Deutschland erleben, wenn Trump-Fans regierten: Dass die Fans der Trump-Fans juristische Angriffe auf Medien feiern werden.
"Der Anfang von Trumps Rachefeldzug gegen die Medien" (Steffens) war ein Angriff auf den Sender ABC, der in einem fragwürdigen Vergleich endete (Altpapier). In dieser Woche reichten Trumps Anwälte nun eine Klage gegen den "Des Moines Register" aus dem Bundesstaat Iowa ein.
Adrian Kreye schreibt zu dem Thema in der SZ unter der Überschrift "Die Rache beginnt":
"Derzeit klagt Trump nicht nur gegen die Regionalzeitung in der Provinz, auch der Fernsehsender CBS hat ein solches Verfahren am Hals, der New York Times droht eines."
Kreye erwähnt noch mal das "legendäre" Zitat des designierten FBI-Chefs Kashyap "Kash" Pramod Patel (siehe dieses Altpapier von Anfang Dezember):
"Wir werden uns die Leute in den Medien vorknöpfen, die amerikanische Bürger belogen haben und Joe Biden dabei halfen, die Präsidentschaftswahlen zu manipulieren."
Gegenüber der NYT sagt die bereits zitierte Juristin Barbas auch:
"Trump und seine Anwälte (…) werden ein weites Netz auswerfen, um diesen Rachefeldzug zu führen."
Ums Gewinnen gehe es dabei in erster Linie gar nicht, betont Barbas. Wichtig sei das Drohpotenzial der Klagen. Nicht zu vergessen: Die Klagen sind für die Betroffenen kostspielig sowie zeit- und kraftraubend. Dass sie für "vorauseilenden Gehorsam" (Steffens) sorgen bzw. diesen forcieren könnten, ist aber mindestens ebenso gravierend.
Altpapierkorb (Schönbohm versus ZDF, Burda und der Apothekenmarkt, Weihnachtsprogramm-Tipp)
+++ Arne Schönbohm, der nach einer Sendung des "ZDF Magazin Royale" seinen Job als Leiter des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik verlor (Altpapier), hat gegen das ZDF nun einen "ersten juristischen Sieg" (FAZ) errungen bzw. "seine Genugtuung bekommen" ("Süddeutsche"). Laut einer Entscheidung des LG München muss das ZDF vier Aussagen unterlassen. Zwei davon fielen "im ZDF Magazin Royale selbst, zwei weitere erschienen auf der Seite des ZDF" ("Legal Tribune Online"). Trotz dieser "herben Niederlage", bemerkt die FAZ noch, wähne sich das ZDF "auf der Siegerstraße". Dieses Siegerstraßen-Gefühl performte Jan Böhmermann zum Beispiel bei Mastodon natürlich noch etwas mehr, unter anderem, weil der Kläger in Sachen Schadensersatz nicht erfolgreich war und drei Fünftel der Gerichtskosten tragen muss.
+++ "Wenn es um Apotheken geht, um Werbung und redaktionellen Inhalt, verschwimmen bei Burda alle Grenzen", stellt Boris Rosenkranz bei "Übermedien" fest. Die wahrscheinliche Ursache der im Text beschriebenen Entwicklung: "2019 gründete der Verlag zusammen mit dem Pharmagroßhändler Noweda, einer Apothekergenossenschaft, den 'Zukunftspakt Apotheke'." Ein konkretes Beispiel fürs Verschwimmen der Grenzen sieht laut Rosenkranz so aus: "Erst berichtet der 'Focus' über Engpässe bei Medikamenten und interviewt den Chef eines Unternehmens, mit dem der Burda-Verlag eng verbunden ist. Und nur zwei Wochen später erscheint das dann noch mal in einer Sonderausgabe eines Burda-Magazins, das Teil einer großen Noweda-Kampagne zum Thema Engpässe bei Medikamenten ist."
+++ Zu den herausforderndsten Filmen, die in diesem Jahr im Fernsehen laufen, gehört der Film "Shahid", und da das ZDF ihn in der Nacht von Montag auf Heiligabend zeigt, kann ich einen Hinweis hier als Weihnachtsprogramm-Tipp unterbringen. Worum geht es? Esther Buss schreibt für die "Evangelische Zeitung": "Die in Deutschland lebende Filmemacherin Narges Shahid Kalhor möchte den mittleren Teil ihres Namens tilgen lassen". Buss weiter: "In schlingernden Bewegungen navigiert 'Shahid' zwischen Autobiografie und Autofiktion und mischt Musical, Reenactment und Making-of-Momente, Dokumentarisches und Performatives, auf Körper projizierte Archivbilder, Green Screen und Puppen, Zeitlupe und Zeitraffer. Der Ton ist durchweg tragikomisch." In der Mediathek steht der Film seit heute.
Das nächste reguläre Altpapier erscheint am 2. Januar. Ab dem 23. Dezember erscheinen die Altpapier-Jahresrückblicke. Wir wünschen unseren Leserinnen und Lesern erholsame Tage!
Das sind die Themen der Jahresrückblicke 2024:
23.12.24 "Das Privatfernsehen ist tot, es lebe das Privatfernsehen" von Ben Kutz
24.12.24 "In der Printsteppe" von Ralf Heimann
27.12.24 "Die Scham muss die Seite wechseln" von Jenni Zylka
30.12.24 "Wir gegen uns" von René Martens
31.12.24 "Alles wird Werberahmen" von Christian Bartels
01.01.25 "Trump wird Präsident, und Tusch!" von Klaus Raab