Kolumne: Das Altpapier am 18. Dezember 2024: Porträt des Altpapier-Autoren Ben Kutz 5 min
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G
5 min

ARD/ZDF und RTL/ntv haben angekündigt, dass sie vor der Bundestagswahl je ein TV-Duell Scholz gegen Merz senden werden. Habeck und Weidel sollten ein eigenes Duell bekommen. Habeck sagt aber: nö.

Mi 18.12.2024 12:32Uhr 04:54 min

https://www.mdr.de/altpapier/das-altpapier-audio-762.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Audio

Kolumne: Das Altpapier am 18. Dezember 2024 Don't call it Kanzlerduell!

18. Dezember 2024, 10:53 Uhr

ARD/ZDF und RTL/ntv haben angekündigt, dass sie vor der Bundestagswahl je ein TV-Duell Scholz gegen Merz senden werden. Habeck und Weidel sollten ein eigenes Duell bekommen. Habeck sagt aber: nö. Sein Team wirft ARD und ZDF vor, andere Absprachen getroffen zu haben. Eine echte Begründung der Entscheidung seitens der öffentlich-rechtlichen Sender gibt es noch nicht. Also füllen Journalistinnen und Journalisten diese Lücke mit Mutmaßungen. Heute kommentiert Ben Kutz die aktuelle Berichterstattung.

Porträt des Altpapier-Autoren Ben Kutz
Bildrechte: MEDIEN360G

Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

TV-Sender kündigen Scholz-Merz-Duell an

DAS Medienthema gestern waren die Ankündigungen großer deutscher TV-Sender, wie man den Kanzler- und Spitzenkandidaten der Parteien eine Bühne vor den Bundestagswahlen bieten will. Ein Triell soll es dieses Jahr nicht geben, schreibt unter anderem tagesschau.de:

"Bundeskanzler Olaf Scholz von der SPD und sein aussichtsreichster Herausforderer, Unionsfraktionschef Friedrich Merz von der CDU, werden im Bundestagswahlkampf in zwei TV-Duellen aufeinandertreffen."

Moderieren sollen das öffentlich-rechtliche Duell Sandra Maischberger und Maybrit Illner, bei RTL/ntv dürfen Pinar Atalay und Günther Jauch ran.

Grüne und AfD sollen beim großen Duell leer ausgehen. "Die Sender wollen Robert Habeck ins kleine TV-Duell gegen AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel schicken", schreibt der "Merkur".

Während die Tagesschau – aus einer gewissen Befangenheit heraus – neutral über die Entscheidung berichtet, geben andere Medien einen entsprechenden Spin mit:

"Grüne wütend auf ARD und ZDF", titelt die "Welt". "AfD prüft rechtliche Schritte gegen ARD und ZDF", schreibt t-online.de. "Grüne gehen auf ARD und ZDF los", steht es bildig bei bild.de. Ob Grüne und AfD genauso wütend auf RTL sind, die ja auch nur Merz und Scholz ins Duell schicken wollen, beantworten die Artikel nicht.

Aber: Mindestens auf den ersten Blick ist die Empörung der Parteien nachvollziehbar. Der aktuelle Wahltrend sieht die Union bei 31,6 Prozent, AfD bei 18,6 Prozent, SPD bei 16,5 Prozent und Die Grünen bei 12,8 Prozent. Nun ausgerechnet den Erst- und den Drittplatzierten im TV-Duell gegeneinander antreten zu lassen, wirkt zumindest kontraintuitiv.

Robert Habeck sagt: nö

Das kommunizieren die Parteien auch recht deutlich, Grünen-Co-Fraktionschefin Katharina Dröge auf X zum Beispiel (womit sie in zig Medien zitiert wird):

„Sagt mal ARD und ZDF, ist das wirklich ernst gemeint? Nur SPD & CDU einzuladen? Mit freundlicher Unterstützung zurück zur Groko? Oder was für ein Land soll das abbilden?"

Etwas später am Tag gibt die ARD dem "RedaktionsNetzwerk Deutschland" ein Statement zu den Grünen und zur AfD:

„Da es zwei weitere Parteien gibt, die seit der letzten Bundestagswahl konstant über 10 Prozent liegen, haben ARD und ZDF auch deren Spitzenkandidat:innen eingeladen. So können sie ihre Visionen und Ideen für das Land angemessen präsentieren."

Nur: Robert Habeck hält ein TV-Duell mit Alice Weidel offenbar nicht für den besten Ort für eine "angemessene Präsentation" der Ideen seiner Partei.

"Robert Habeck will an TV-Duell mit Alice Weidel nicht teilnehmen", meldet später am Abend wieder das "RND" . Der Wahlkampfsprecher von Habeck findet gegenüber dem "RND" recht klare Worte:

"Wir hatten ein solches Duell im Vorfeld klar ausgeschlossen und auch mitgeteilt, dass wir eine Einladung nicht akzeptieren werden. ARD und ZDF haben dennoch eine Einladung ausgesprochen und dann Fakten geschaffen mit ihrer Pressemitteilung. Warum das zwei Monate vor der Wahl verkündet werden musste, ist unverständlich. Damit greifen ARD und ZDF in einen extrem kurzen, intensiven und vor allem offenen Wahlkampf ein."

AfD will juristische Schritte prüfen

Auch die AfD findet harte Worte. "Dass die AfD als Partei mit den aktuell zweitbesten Umfragewerten wieder in Ameisen-Runden verschwinden soll, werden wir juristisch prüfen", sagt ein Sprecher von Alice Weidel gegenüber der "Bild".

Ein anderes Problem vergessen Sprecher von Kanzlerkandidatin Weidel allerdings regelmäßig zu erwähnen: Dass eine Kanzlerschaft trotz "zweitbester Umfragewerte" eher aussichtslos ist, wenn man definitiv keine Koalitionspartner finden wird.

 Doch der Weidel-Sprecher erzählt der "Bild" noch mehr:

"Im vergangenen Bundestagswahlkampf wurde noch mit den damals aktuellen Umfragewerten argumentiert, weshalb neben Union und SPD auch die Grünen zu den sogenannten Triellen eingeladen wurden. Nun hat man eine neue Grundlage geschaffen, wonach der aktuelle Kanzler gegen den vermeintlich aussichtsreichsten Herausforderer antreten darf."

So wenig persönliche Freude ich dabei empfinde, Alice Weidel in irgendwelchen Talksendungen zu sehen: Die Empörung beider Parteien ist nachvollziehbar und wirft die Frage auf, warum sich ARD/ZDF und RTL ausgerechnet für dieses Kanzlerduell Scholz vs. Merz entschieden haben.

Warum ein Duell?

Wobei, pardon, das Wort "Kanzlerduell" müssen wir für die kommende Bundestagswahl aus unserem Wortschatz streichen, stellt die ARD gegenüber der Nachrichtenagentur dpa klar:

"Wir machen ein Duell mit dem Kandidaten, der bei der letzten Bundestagswahl die meisten Stimmen auf sich vereint hat, und demjenigen, der laut Umfragen derzeit deutlich vorne liegt. Wir veranstalten kein Kanzler-Duell."

Achso, na klar, ein bisschen Wortklauberei – und die Sache regelt sich bestimmt von allein! Das ZDF hat sich zunächst noch knapper, aber inhaltlich sehr ähnlich geäußert. Und auch der oben schon zitierte tagesschau.de-Artikel erwähnt die Kritik der Grünen zwar, setzt ihr aber nichts entgegen.

Eine wirklich nachvollziehbare Begründung der Sender, warum man sich für ein Duell entschieden hat, fehlt bisher. Diese Kommunikationsstrategie lässt viel Raum für Interpretationen. Von der "Bild" zum Beispiel:

"Warum ARD und ZDF so entschieden haben? Eine Rede-Schlacht von Scholz, Merz und Habeck wäre kaum möglich gewesen, weil die AfD in Umfragen deutlich vor den Grünen liegt (und auch vor Scholz' SPD). Einzig denkbare Option neben zwei Duellen wäre also ein Vierer mit Scholz, Merz, Weidel und Habeck gewesen. Den wollten die Sender offenbar nicht und entschieden sich für zwei TV-Duelle."

Oder vom "Tagesspiegel":

"Der Verdacht liegt nahe, dass ARD und ZDF der Spitzenkandidatin einer in Teilen rechtsextremen Partei keine Bühne bieten wollten. Umso absonderlicher, dass man ihre Frontfrau dann aber mit dem Vizekanzler ins Studio einlud."

RTL und ntv geben sich transparenter

Transparenter gehen RTL/ntv vor. In einem langen Artikel für n-tv.de versucht der Konzern seine Entscheidung zu begründen. n-tv.de beschreibt, dass die Lage 2025 besonders kompliziert sei, weil es so viele Kanzlerkandidatinnen- und kandidaten gebe wie noch nie. Auch der Umgang mit der AfD sei noch schwerer als vor drei Jahren:

"Zwar haben alle anderen Parteien eine Koalition mit der rechtspopulistischen Partei ausgeschlossen, es gibt also mit großer Wahrscheinlichkeit keine Machtperspektive. 'Aber die Nummer zwei in den Umfragen auszuschließen, wäre schwierig', sagt eine mit den Verhandlungen zwischen den Parteien und den TV-Sendern involvierte Person. 'Egal wie wir es entscheiden: Am Ende könnte es Klagen geben', erwartet ein Vertreter der öffentlich-rechtlichen Sender."

Vielleicht rührt auch daher die relative Wortkargheit der Öffentlich-Rechtlichen: Für einen womöglich erwarteten Prozess will man im Vorfeld so wenig Argumente wie nur möglich liefern.

Als Hauptbegründung liefert n-tv.de aber das gleiche Argument, über welches die "Bild" schon für ARD und ZDF gemutmaßt hat:

"Ob eine Runde mit mindestens vier Kandidaten wirklich hilfreich für die Zuschauer wäre? Daran gibt es ernsthafte Zweifel. 'In der Abgrenzung zur AfD drohen dann die tatsächlich großen Unterschiede zwischen SPD, Union und Grünen zu verwischen', sagte einer der Unterhändler [der zwischen Parteien und TV-Sendern verhandelt, AP-Anm.] zu Reuters."

Na das ist doch immerhin eine Begründung. Wie stichhaltig die ist und ob das Vorgehen von RTL und ARD/ZDF richtig ist – darüber gibt es in den Medien unterschiedliche Auffassungen zu lesen.

So kommentieren die Kollegen

Sehr hart ins Gericht geht der "Tagesspiegel" und titelt: "ARD und ZDF greifen in den Wahlkampf ein". Das TV-Duell passe nicht mehr in unsere Zeit, kommentiert Felix Hackenbruch. Er kann den Unmut der Grünen verstehen:

"Mit ihrer Einladung von Merz und Scholz ziehen ARD und ZDF nun eine Vorfestlegung im Wahlkampf zu Gunsten der Großen Koalition. Gerade für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der laut Rundfunkstaatsvertrag in seiner Berichterstattung unparteilich sein und die Meinungsvielfalt berücksichtigen soll, ist die Entscheidung problematisch."

In unserer "zersplitterten Parteienlandschaft" passe das Konzept TV-Duell nicht mehr, schreibt Hackenbruch weiter. "Die Zeit der Volksparteien ist vorbei. Es ist erschreckend, dass dies bei ARD und ZDF noch nicht angekommen ist."

Auch Steffen Grimberg schreibt in der "taz", dass die Grünen zu Recht verärgert seien. "In allen Umfragen rangiert die AfD mal knapp, mal knapper vor der SPD. Und die Grünen sollen die Kohlen aus dem Feuer holen?", fragt Grimberg.

Kritik gibt es auch vom Politikwissenschaftler Jürgen Maier, der gestern im "@mediasres"-Interview im DLF zu hören war:

"Leider gibt es keine festgeschriebenen Regeln. Die Fernsehsender und diejenigen, die das organisieren, sind da auch höchst intransparent, wer eingeladen wird und nach welchen Regeln die TV-Debatten abgehalten werden."

Den Unmut der Grünen kann auch Maier nachvollziehen, weil Grüne und SPD in den Umfragen sehr nah beieinander seien. Besonders der zurückliegende Bundestagswahlkampf habe gezeigt, wie schnell sich Umfragen auch drehen können, sagt der Wissenschaftler. TV-Debatten seien enorm wichtig für die Parteien, sagt er. Bis zu 20 Prozent derer, die eine TV-Debatte ansehen, würden ihre Wahlentscheidung nach der Debatte ändern, sagt Maier.

t-online.de hat der Frage, ob zwei Debatten sinnvoller sind als ein Kanzler-Quartell, ein Pro-Kontra gewidmet. "Es gibt keine Kanzlerkandidaten erster und zweiter Klasse", schreibt Christoph Schwennicke im Kontra-Part. Zahlenmäßig seien AfD und Grüne nicht wegzuargumentieren:

"Wie will man bei dieser Lage wasserdicht begründen, dass die Öffentlich-Rechtlichen die beiden trotzdem an den Katzentisch bitten? Die kompliziertere Aufgabe der Moderatoren kann nicht im Ernst der Grund sein, die Aufspaltung in zwei Duelle vorzunehmen."

Philipp Michaelis übernimmt den Pro-Part und sieht das fundamental anders:

"Es geht bei dieser Entscheidung nicht um Ideologie, sondern um gutes Fernsehen. Vier Kandidaten müssten im Zaum gehalten werden, die um jeden Nebensatz verbissen kämpfen. [...] Das kann nur schiefgehen. Kein Moderator dieser Welt kann dieses Hickhack führen. Keine Stoppuhr könnte die Redezeiten messen, keine Regie dieses Tohuwabohu inszenieren. So eine Sendung wäre unweigerlich zum Scheitern verurteilt. [...] Hier stößt das Fernsehen an seine Grenzen."

Als hätte es in der Geschichte des deutschen Fernsehens noch nie eine funktionierende Sendung mit mehr als zwei Gesprächspartnerinnen- bzw. partnern gegeben. Aber gut.

Lob für die Entscheidung gibt es auch vom "Handelsblatt":

"Die Grünen liegen derzeit zwischen 11 und 13 Prozent. Dass sie tatsächlich den Kanzler stellen, gehört ins Reich der Illusionen. Insofern haben ARD und ZDF alles richtig gemacht. Dass der amtierende Kanzler und Friedrich Merz, der in den Umfragen bei mehr als 30 Prozent liegt, vor die Kameras tritt, kann jeder nachvollziehen."

Also außer Die Grünen. Und diverse zitierte Kollegen. Denn die Frage lautet ja nicht: Warum Merz? Niemand spricht dem Kandidaten der mit Abstand stärksten Partei einen Platz im Kanzlerduell (Ups! Sorry, ARD!) ab. Sondern: Warum ausgerechnet Scholz? Rechtfertigt allein der Amtsinhaber-Bonus, gegenüber anderen Parteien mit ähnlichen Prozenten bevorzugt zu werden?

Ich persönlich kann mir jedenfalls vorstellen, dass da noch nicht das letzte Wort gesprochen ist. Man erinnere sich zum Beispiel an das Gerichtsurteil im Juni, das dem BSW einen Platz in der ARD-Europawahl-Runde zugesprochen hat (Altpapier).


Altpapierkorb (EU-Kommission prüft TikTok-Manipulation in Rumänien; TikTok-Prozess in den USA; Tusk will polnische TV-Sender schützen; RoG-Jahresbilanz; DAZN wirbt für Scientology)

+++ Die Lage um die mutmaßlich beeinflusste Präsidentschaftswahl in Rumänien (AP gestern) verschärft sich. Es stehen Vorwürfe im Raum, dass auf Plattformen wie TikTok unter anderem Wahlwerbung für den prorussischen Kandidaten geschaltet wurde, ohne diese zu kennzeichnen. "EU-Kommission eröffnet Verfahren gegen Tiktok", meldet nun unter anderem netzpolitik.org. Das Verfahren soll klären, "ob im Wahlkampf der Empfehlungsalgorithmus manipuliert wurde und wie die Plattform mit politischer Werbung umging".

+++ TikToks Gesamtlage sah ohnehin schonmal besser aus. Schon im März hatte das US-Repräsentantenhaus einen Gesetzesentwurf beschlossen, "der zu einem Verbot der Plattform 'Tiktok' führen könnte, wenn das chinesische Mutterunternehmen 'ByteDance' die App nicht innerhalb von 180 Tagen verkauft" (Altpapier). Das wäre am 19. Januar der Fall, schreibt horizont.net. Das versucht der Konzern nun last minute zu verhindern. "Tiktok zieht vor Oberstes Gericht der USA - und hofft auf Donald Trump", schreibt "Horizont". Trump selbst hatte am Montag bekräftigt, die App habe einen "Platz in seinem Herzen".

+++ Wie der polnische Ministerpräsident Donald Tusk versucht, polnische Medien "vor feindlicher Übernahme" zu schützen, steht heute auf der "SZ"-Medienseite. Investoren, denen unter anderem eine Nähe zu Victor Orbán nachgesagt wird, könnten zwei polnische Privatsender übernehmen und unabhängige Berichterstattung womöglich schwerer machen, schreibt die "SZ". Tusk möchte die beiden Sender daher auf die Liste schützenswerter Unternehmen setzen, die Regierung kann einen Verkauf dann unter bestimmten Bedingungen verhindern. Bisher befinden noch keine Medienkonzerne auf dieser Liste.

+++ 54 Journalistinnen und Journalisten wurden 2024 getötet. So steht es in der Jahresbilanz von Reporter ohne Grenzen. Die "taz" berichtet darüber.

+++ Der Sport-Streamingdienst DAZN hat manchen Zuschauerinnen und Zuschauern während einer Darts-Übertragung Scientology-Werbung gezeigt, schreibt unter anderem die "Welt". Solche Werbung ist in Deutschland verboten. Der Dienst beteuerte, "sicherzustellen, dass vergleichbare Inhalte in Zukunft nicht mehr ausgespielt werden".

Das Altpapier am Donnerstag schreibt René Martens.

Mehr vom Altpapier

Kontakt