Kolumne: Das Altpapier am 16. Dezember 2024 Länder im Kühlschrank
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16. Dezember 2024, 10:07 Uhr
Ministerpräsidenten und Sender streiten weiter über den Rundfunkbeitrag. Der US-Sender ABC zahlt Donald Trump im Rahmen einer Verleumdungsklage viele Millionen – aber wäre es wirklich nicht anders gegangen? Und: Perspektiven aufs deutsche Talkjahr, von "langweilig" bis "endlich mal was Neues". Heute kommentiert Klaus Raab die Medienberichterstattung.
Inhalt des Artikels:
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Der Wahlkampf beginnt, nun wirklich
Es ist Montag, die Bundestagabgeordneten beantworten heute um 13 Uhr die von Olaf Scholz gestellte Vertrauensfrage. Und anschließend ist dann "Schluss mit Vorwahlkampf", wie die "Süddeutsche" (Abo) schreibt. Was wiederum heißt: Wenn nicht alles anders kommt als so, wie es wohl kommt, beginnt heute Nachmittag die Phase des Wahlkampfs. Und damit die Zeit, in der auf der Straße viele billige Stifte verschenkt werden. (Aber wer braucht auch einen goldenen Füller? Hauptsache, die Dinger schreiben, wie der Bundeskanzler vielleicht sagen würde, siehe sein X-Posting.)
Wahlkampf: Das ist auch die Zeit, in der Politikerbücher nach Plagiaten abgesucht und Magazincover zur Entscheidungshilfe werden und in der sich das halbe Land über einen im ganz falschen Moment lachenden Kanzlerkandidaten empört. Die Fokussierung auf skandalisierbare Zweitrangigkeiten kann in eine Bullshitschleife führen, die sich über substanziellere Themen legt. Der Wahlkampf mit seinen vielen Empörereien könnte anstrengend werden.
Die oft gleiche Dramaturgie langweilt Herrn Rhein schnell
Und wo ist die Substanz zu Hause? Ob die politische Talkshow der beste Ort für die Verhandlung von Inhalten ist? Boris Rhein scheint das zu bezweifeln. Hessens Ministerpräsident (CDU) hat es mit seiner Meinung über den Meinungsstreit im Fernsehtalk am Wochenende in die Agenturen (etwa den Evangelischen Pressedienst) geschafft. Im Interview mit der Samstagsausgabe der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (Abo) sagte er über Talks:
"Wenn ich spätabends als Zuschauer in eine Talkshow gerate, schalte ich nach ein paar Minuten weg. Die oft gleiche Dramaturgie langweilt mich schnell. Ich will niemandem zu nahe treten, der an solchen Runden teilnimmt oder sich Talkshows gerne anschaut, aber für mich ist der Erkenntnisgewinn gering."
Nachvollziehbar, gewiss. Rhein ist als aktiver Politiker allerdings auch nicht die Hauptzielgruppe von Talks, die sich – mal mehr, mal weniger geglückt – an der Vermittlung versuchen. Und mit Interview-Sätzen, die mit "Als die Ampelregierung in den vergangenen Jahren permanent versagt hat…" beginnen, würde er als Talkgast nicht unbedingt auffallen.
Rückblicke aufs Talkjahr
Wer sich am Wochenende auch noch zu Talkshows zu Wort gemeldet hat: die "Süddeutsche". Sie steuert (Abo) einen spektakulär unspektakulären Jahresabschlussbeitrag zum Talkdiskurs bei. Für sie nämlich hat Elisa Schwarz aufgeschrieben, dass bei "hart aber fair" immer mal wieder ein und derselbe Mensch im Publikum sitze. Noch interessanter wäre die Lektüre gewesen, wäre die Recherche nach der Identität des Mannes nicht ergebnislos verlaufen.
Tatsächlich einen Überblick über Teile des Talkjahrs bietet Torsten Zarges bei dwdl.de an und hat sich das erste Jahr "Caren Miosga" auf dem Sonntags-Polittalkplatz der ARD vorgenommen. Die Sendung war gewiss die am meisten Aufmerksamkeit erregende Innovation des TV-Talks. Und es handle sich um eine gute Innovation, findet Zarges – weil Miosga einige der benutztesten Rituale abgeräumt habe.
"Es liegt in der Natur der Sache, dass man Miosga im ersten Sendejahr bei so viel Mut zum Experimentieren auf einer wöchentlichen Lernkurve verfolgen konnte, die nicht immer linear nach oben verlief",
schreibt er.
"Unterm Strich steht jedoch insgesamt ein moderner Polittalk, der den aufgeladenen Zeiten besser gerecht wird als die alten TV-Rituale: freundliches, aber dennoch intensives Nachhaken statt performativer Streit-Simulation; das jeweilige Gegenüber als Mensch mit anderer Meinung, nicht als Fundamentalgegner."
Kann man so sehen. Ob man unter "Nachhaken" im Lexikon wirklich ein Foto von Caren Miosga findet, würde ich aber vielleicht doch bezweifeln. Sie mag FDP-Chef Christian Lindner kürzlich hakelig befragt haben. Aber ein Eindruck der besonderen Hartnäckigkeit zog sich nicht durchs Jahr. Das wurde ihr auch vorgeworfen, vor allem zuletzt von jenen, die (mit Verweisen auf die tatsächlich anders geführten Gespräche mit Olaf Scholz und Robert Habeck in den Wochen zuvor) wohl die Kritik an Lindner relativieren wollten.
Die These, das "Ungleichgewicht zugunsten linksgrüner Ideen" im öffentlich-rechtlichen Rundfunk (cicero.de, Abo) werde von Miosga besonders unverstellt performt, ist allerdings schon sehr steil. Miosgas eher zu weich- als zu hartnäckige Einzelgespräche mit dem gewiss nicht übertrieben linksgrünen Friedrich Merz oder sogar mit Tino Chrupalla gab es ja nun erstens auch noch. Und zweitens steckten Scholz und Habeck halt bei ihren Miosga-Auftritten auch nicht bis zum Kragen in einer D-Day-Affäre.
Immer noch Streit zwischen Ländern und Sendern
Die politische Ländersache, die uns an dieser Stelle am stärksten beschäftigt, ist auch heute wieder Thema. Es geht um den Rundfunkbeitragserhebungs-Kompromissfindungs-Prozess, kurz WTF.
Ralf Heimann hat hier am Freitag geschrieben, inwiefern Sachsen-Anhalt und Bayern versuchen würden, die öffentlich-rechtlichen Anstalten zu erpressen. Zitat aus seiner Altpapier-Kolumne: "Sie wollen den Reformstaatsvertrag nur dann umsetzen, wenn die Länder ihre Verfassungsbeschwerde zurücknehmen, mit der sie erreichen wollen, dass der Rundfunkbeitrag gemäß dem aktuellen Verfahren im neuen Jahr um den von der zuständigen Kommission festgelegten Betrag steigt."
In der "FAZ" allerdings liest sich die Sache anders: "ARD und ZDF stellen Länder kalt", meint die Zeitung. Bayern und Sachsen-Anhalt hätten "ihr Plazet zum Kompromiss über die neue Festsetzung des Rundfunkbeitrags letztlich davon abhängig gemacht, dass ARD und ZDF nicht klagen." Das "Kaltstellen" der Länder (im Kühlschrank?, auf dem Balkon?) besteht der Argumentation zufolge darin, dass ARD und ZDF sich dem nicht fügen. Man kann es sich bei der Suche nach Fehlern im ÖRR-Reformprozess schon leicht machen.
Die Kritik an der Verfassungsbeschwerde von ARD und ZDF kommt freilich nicht nur von der "FAZ". Auch dieser Satz war am Wochenende zu lesen: "Die Entscheidung von ARD und ZDF, die Anhebung des Rundfunkbeitrags mit einer Verfassungsbeschwerde durchsetzen zu wollen, stößt im ZDF-Fernsehrat auf Kritik" (epd Medien). Wobei "im Fernsehrat" bedeutet, dass es Mitglieder gibt, die das kritisieren, während es aber auch andere gibt (ebenfalls epd, via "Frankfurter Rundschau" online), die die Länder für ihre Politik auf den letzten Drücker kritisieren. Und dafür, dass die Weigerung, nach dem geltenden Verfahren den Rundfunkbeitrag um 58 Cent zu erhöhen, so wie es die unabhängige Finanzkommission empfohlen hatte, "ein Einknicken vor politischen Kräften" bedeute, die ARD und ZDF bekämpften.
ABC vergleicht sich für viel Geld mit Trump
Aus den USA dringt, Stichwort Einknicken, Bedenkliches herüber: In einem Rechtsstreit mit dem designierten US-Präsident Donald Trump hat der Sender ABC einem Vergleich zugestimmt – und zahlt Trump nun 15 Millionen Dollar (faz.net, spiegel.de u.a.). Trump hatte den Sender und dessen Moderator George Stephanopoulos wegen Verleumdung verklagt. Der hatte im Frühjahr gesagt, Trump sei zivilrechtlich wegen der Vergewaltigung der US-Autorin E. Jean Carroll verurteilt worden.
Das stimmt so nicht. Blättern wir nach im Text der "Süddeutschen" über den Prozess von 2023:
"Die Geschworenen gelangten zu dem Schluss, Trump habe die Frau nicht vergewaltigt, sie aber sexuell genötigt. Zudem habe er ihren Ruf geschädigt. In beiden Fällen sei Trump besonders rücksichtslos vorgegangen, befanden die sechs Männer und drei Frauen in der Jury."
Gleichwohl hielt der Richter damals fest, die Jury vertrete die Ansicht, Trump habe genau das getan, was gemeinhin unter dem Begriff "Vergewaltigung" verstanden werde. Die Definition nach dem New Yorker Gesetz sei allerdings enger (npr.org).
Bemerkenswert ist die Einigung auf einen Vergleich trotzdem, denn Trump hätte wohl beweisen müssen, dass die Information nicht nur falsch ist, sondern auch, dass das dem ABC-Moderator bewusst war. Peter Burghardt kommentiert in der "SZ" (Abo):
"Früher hätte sich ein US-Medium wie ABC, das inzwischen Disney gehört, vielleicht auch auf einen längeren Rechtsstreit eingelassen. Aber die Zeiten scheinen sich zu ändern. Traditionelle Zeitungen oder Kanäle sind finanziell weniger robust als früher, um Verfahren mit ungewissem Ende und womöglich noch teurerem Ausgang zu wagen."
Wie gesagt: Aus den USA dringt, Stichwort Einknicken, Bedenkliches herüber. Ist es Resignation?
Altpapierkorb ("ZDF Magazin Royale", John Goetz, "Kurzschluss", Max Moor)
+++ Dass eine Ausgabe des "ZDF Magazin Royale" über "Mind-Control" nicht wie geplant gezeigt wurde, berichtet der "Spiegel" (Abo). Bemerkenswert ist, dass die Programmdirektorin Nadine Bilke selbst die Ausstrahlung "untersagt" haben soll: "Dass die Programmdirektion selbst ganze Sendungen überprüft, ist unüblich. Dafür laufen zu viele Inhalte über den Sender. In der Regel übernimmt das die Programmdirektorin erst dann, wenn die darunterliegenden Instanzen Bedenken angemeldet haben." Was hier nicht der Fall gewesen sein soll. Die Gründe sind letztlich unklar, die Sendung sei "allem Anschein nach sauber recherchiert", dem "Spiegel" lägen die Ergebnisse vor, schreibt er. Worum es gehen könnte: die Sorge vor einer vielleicht sogar erfolgreichen Programmbeschwerde.
Dazu gibt es eine Vorgeschichte: Eine Ausgabe des Magazins zu einem vage vergleichbaren Thema wurde vor einem Jahr ungewöhnlicherweise depubliziert – allerdings nach einer Fernsehratssitzung, die für viel Kritik sorgte (Altpapier vom Dezember 2023).
+++ Der Investigativjournalist John Goetz wird im "Spiegel" (Abo) von Alexander Osang porträtiert. Anlass im weiteren Sinn sind Goetz’ Recherchen über das Investigativreporter-Netzwerk OCCRP (Altpapier) und die Versuche, ihn als russischen Agenten zu diskreditieren.
+++ Wer hat Regie bei Folge 3 der WDR-Silvester-Reihe "Kurzschluss" mit Anke Engelke und Matthias Brandt geführt? Eigentlich könnte es eventuell Bjarne Mädel gewesen sein, im Abspann aber steht ein anderer Name. Nicht komplett ungewöhnlich, aber doch ungewöhnlich genug, um als "SZ" (Abo) mal zu fragen: Was ist denn da passiert?
+++ Jahresende bedeutet Abschiede: "Max Moor wird am kommenden Sonntag zum letzten Mal das ARD-Kulturmagazin 'ttt – titel thesen temperamente' präsentieren" (dwdl.de).
Am Dienstag schreibt das Altpapier Christian Bartels.