Kolumne: Das Altpapier am 12. Dezember 2024 "Wahlkampf-Weichspülung" bei ProSieben
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12. Dezember 2024, 10:50 Uhr
Gestern zur besten Sendezeit bekamen die Spitzenkandidaten von SPD, Union und Grüne 15 Minuten auf ProSieben geschenkt. Unter dem Motto #PolitikundAnstand haben Scholz, Merz und Habeck versprochen, im Wahlkampf fair zu sein. Zahlreiche Medien berichteten über den Coup. Außerdem findet heute mal wieder eine Ministerpräsidentenkonferenz statt. Nur: Komplette Einigung in ÖRR-Zukunftsfragen ist auch diesmal nicht in Sicht. Heute kommentiert Ben Kutz die aktuelle Berichterstattung.
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
15 Minuten Scholz, Merz, Habeck
"Hammer im TV: DAS machten Joko und Klaas mit ihren 15 Minuten live!", schreibt der "Berliner Kurier". Ich hätte es vielleicht etwas anders formuliert, aber als ich die Meldung gelesen habe, dachte ich auch erstmal: Hui!
Denn in den 15 ProSieben-Minuten, die Joko und Klaas nach ihrem Sieg in der Show "Joko und Klaas gegen ProSieben" zur freien Verfügung hatten, waren Olaf Scholz, Robert Habeck und Friedrich Merz zu Gast und durften ihr Wort je vier Minuten ans Wahlvolk richten. Hier geht’s zum Video.
Das mediale Echo auf die Aktion war schon gestern Abend groß, fast unmittelbar nach Ausstrahlung um 20.15 Uhr erscheinen die ersten Artikel. Die "Neue Osnabrücker Zeitung" zum Beispiel meldet:
"Unter dem Motto 'Politik und Anstand' haben Joko und Klaas ihre gewonnene Sendezeit von 15 Minuten den Kanzlerkandidaten Olaf Scholz (SPD), Robert Habeck (Grüne) und Friedrich Merz (CDU) geschenkt. Sie stellen klar, was für sie im demokratischen Streit erlaubt ist – und was nicht."
Nacheinander durften Robert Habeck, Friedrich Merz und Olaf Scholz ihre Reden halten. Keine der Reden hat mich rhetorisch wirklich überzeugt. Alle wirkten etwas abgehackt. Wie Reden halt klingen, die in ein dunkles, schlichtes, publikumsfreies Mehrzweckstudio hineingetelepromtert werden.
"Die Reden der drei waren in demselben schmucklosen Setting aufgezeichnet und hintereinander ausgestrahlt worden", schreibt "Zeit Online". Auch andere berichten. Das "RND" zum Beispiel. Oder der "Bonner Generalanzeiger". Oder "Quotenmeter". Oder "Tag24".
Der "Spiegel" hatte gestern Abend sogar schon eine Blitzanalyse parat. Titel: "Zwei Komiker, drei Politiker – und ein Hauch von ‘X-Factor’". Anton Rainer versucht, "Lektionen aus einem seltsamen Spektakel" zu ziehen. Der Verriss macht Spaß zu lesen.
Rainer stellt die grundsätzliche Frage, wie ehrlich das Sendungsmotto "Politik und Anstand" sein kann. "Geht das auch mit Niveau? Mit Anstand? Ausgerechnet im Wahlkampf?" Scholz und Habeck beantworteten die Frage mit ja, schreibt Rainer. Und weiter:
"Und selbst Friedrich Merz fand in seiner wahlkämpfenden Brust eine Herzkammer der Zärtlichkeit: 'Wir haben und wir werden auch weiterhin den Regeln des Anstands und des persönlichen Respekts in jedem Moment folgen', sagte er – und wünschte dann einen freundlichen Advent."
Rainer fragt auch, warum nur CDU, SPD und Grüne beim ProSieben-Wahlkampf dabei waren:
"Die AfD? Die Silberlocken der Linken? Sahra Wagenknecht? Die FDP? Wurden offenbar nicht zur Sendung eingeladen. Vielleicht, weil sie mit Ausnahme von Alice Weidel keinen Anspruch auf die Kanzlerschaft stellen. Vielleicht auch, weil man einer Partei, die eben erst mit öffentlichen Lügen über die eigene Ampel-Sprengstrategie aufgefallen ist, keine Anstandsfloskeln abkaufen würde. [...] Ein Sender wie ProSieben kann sich solche Lücken leisten, im öffentlich-rechtlichen Rundfunk wäre eine derartige Sendung unmöglich."
Die Frage sei aber, ob es eine solche Viertel Stunde überhaupt gebraucht hat, schreibt Rainer:
"Man kann diese Sätze für klug und wichtig halten. Oder für überflüssig und ein bisschen verlogen. In jedem Fall sind die 15 Minuten Wahlkampf-Weichspülung für die Beteiligten ein vergiftetes Geschenk. Bei jedem Schlag unter die Gürtellinie, bei jedem bösen Kommentar, der in den kommenden Wochen landet, wird man die Frage stellen: Wie war das noch mal mit #PolitikUndAnstand?"
Oder – man wird ja wohl noch träumen dürfen – die Politiker fühlen sich durch ihren öffentlichen Appell tatsächlich genötigt, aufrichtiger in den Wahlkampf zu gehen. Wäre ja auch schön.
MPK: Nächste Runde fröhliches Vertagen?
Heute findet wieder eine Ministerpräsidentenkonferenz statt, wieder geht’s um die Rundfunkreform. Kollege Klaus Raab hat gestern schon an dieser Stelle geschrieben, dass es "fraglich" sei, ob heute überhaupt ein Beschluss gefasst wird. Gestern über den Tag verteilt gab es dann noch mehr Meldungen, die weitere Zweifel säen, ob es die Medienpolitik jetzt endlich mal auf die Kette kriegt, sich zu einigen.
"Keine Entscheidung über Höhe des Rundfunkbeitrags erwartet", titelt "epd Medien". Das Thema sei in den Vorgesprächen nicht aufgerufen worden, schreibt der Mediendienst. Und weiter: "Als unsicher gilt, ob sich die Regierungschefinnen und -chefs der Bundesländer auf ein neues Verfahren zur Festsetzung der Beitragshöhe einigen werden."
Also konkrete Höhe: eher gar nicht, neues Beitragsverfahren: vielleicht. Gibt’s auch irgendwas Handfestes, liebe epd?
"Zustimmen wird die Ministerpräsidentenkonferenz voraussichtlich dem Reformstaatsvertrag für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk."
Na geht doch! Wobei, "DWDL" ist sich da schon nicht mehr ganz so sicher:
"Scheitert die Einigung auf ein neues Finanzierungsmodell, könnten auch die im Oktober beschlossenen Reformen wieder auf der Kippe stehen. Es gibt in der Politik durchaus Stimmen, die sagen, man müsse Reformen und Finanzierungs-Novelle im Paket verabschieden."
Auch verschiedene Ministerpräsidenten haben schon Prognosen abgegeben. Ministerpräsident Stephan Weil (Niedersachsen, SPD) sei wenig optimistisch, "dass es den Ländern gelingt, sich zu verständigen", schreibt ndr.de. Etwas mehr Hoffnung versprüht Daniel Günther (CDU), Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, ebenfalls beim "NDR":
"Die Finanzfragen schiebe man schon viel zu lange vor sich her, so der CDU-Politiker. Man könne nicht auf der einen Seite Reformschritte beschließen und sich nicht trauen, auch andere Fragen, wie die der Finanzierung, zu beantworten. ‘Darauf hat der öffentlich-rechtliche Rundfunk auch einen Anspruch, dass wir das vernünftig klären.’"
Und auch der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Alexander Schweitzer (SPD), der innerhalb der MPK federführend für die Rundfunkreform zuständig ist, hat sich gegenüber dem "RedaktionsNetzwerk Deutschland" geäußert. "Er appelliere an seine Kolleginnen und Kollegen, ‘konstruktiv zu einer Lösung zu kommen’", zitiert das "RND" Schweitzer.
"Ich kann die Verärgerung über die Verfassungsbeschwerde verstehen, die ARD und ZDF nach der letzten Ministerpräsidentenkonferenz vom Oktober eingereicht hatten", sagt Schweitzer. Aber: "Wir sollten dennoch unseren Anspruch mit Leben füllen, und auch die Voraussetzungen, für eine verlässliche und auskömmliche Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu sorgen. Diese Aufgabe will ich nicht an Gerichte abgeben."
Ob wirklich alle MPs widerstehen können, ihre Verantwortung dem Verfassungsgericht unterzujubeln, wird sich im Laufe des Tages zeigen. Ich jedenfalls hoffe, dass sich Schweitzer mit seinem Appell durchsetzt. Wäre es nicht schön, wenn die endlosen Rundfunk-Diskussionen jetzt endlich mal ihr Ende hätten? Aber ich glaub ja auch nicht so recht dran.
Vom Anwalt weggezerrt
Lust auf das Meme der Woche? Bitteschön! Der Anlass ist zunächst nicht so lustig. "Erpressungsprozess rund um Ex-Formel-1-Fahrer Schumacher gestartet", meldet unter anderem der "Standard" am Dienstag. "Dem Haupttäter wird vorgeworfen, mit der Veröffentlichung privater Fotos gedroht zu haben", schreibt die Zeitung weiter.
Für besondere Schlagzeilen hat allerdings ein kurzes Interview gesorgt, das der Nachrichtensender Welt mit einem Sohn des mutmaßlichen Erpressers geführt hat. Seine juristische Einschätzung:
"Erpressen ist, wenn ich jemanden bedrohe, zum Beispiel mit Gewalt, um etwas zu bekommen. Wenn ich aber zu ihm hingehe und sage 'ich habe hier etwas, wollen sie das kaufen?' Dann ist das meiner Meinung nach keine Erpressung. [...] Das ist meiner Meinung nach ein Verkaufsgespräch, mit Verträgen und so."
Kurz darauf endet das Interview, indem der Interviewpartner aus dem Bild gezogen wird. Ein Anwalt der Familie war not amused. Bilder für die Götter. "Erpresser-Sohn verquatscht sich vor TV-Kamera", schreibt die "Bild, "Sohn des Hauptangeklagten [...] wird von Anwalt weggezerrt", titelt die "Rheinische Post".
Der bemerkenswerteste Text zu dem Thema ist allerdings in der "SZ" erschienen. Unter der Überschrift "50 Sekunden TV-Gold" kommt Bernhard Heckler gar nicht mehr aus dem Schwärmen raus.
"Sohn T. hat eine telegene Erscheinung, wie er womöglich selbst schon immer ahnte: gepflegter Bart, lockige Kurzhaarfrisur, auch die Augenbrauen sehr ordentlich, schwarzer Rollkragenpulli unter schwarzer Daunenjacke. Das Äußere eines Menschen, der jederzeit für einen Spontanauftritt in den Hauptnachrichten gewappnet ist. Und so kommt es dann auch."
"Sohn des Schumi-Angeklagten löst Feuilleton-Poesie aus", schreibt "turi2" über den "SZ"-Text. Und weiter:
"‘Süddeutsche’-Redakteur Bernhard Heckler verfällt beim Texten darüber in Lobpreisungen des Mannes, der zum ‘Goldenen Schnitt aus allen Figuren wird, die jemals bei Richterin Barbara Salesch oder Richter Alexander Hold aufgetreten sind’. Man merkt: Das Feuilleton schreibt sich langsam fürs Dschungelcamp warm."
Altpapierkorb (Och komm, "FAZ"; Google gibt Anti-Jugendschutz-Tricks; KI-Journalismus; Gefährliche Chatbots)
+++ Wir starten den Altpapierkorb mit einer Meldung, die mich ein bisschen sauer gemacht hat. Die "FAZ" hat recht knapp über ein Gerichtsurteil berichtet. "Ein Bürger klagte vor Gericht gegen den Rundfunkbeitrag mit dem Argument, die öffentlich-rechtlichen Sender erfüllten ihren Auftrag nicht", schreibt die Zeitung. Die Klage wurde erwartungsgemäß abgewiesen. So weit, so gut. Die "FAZ" hält es allerdings für eine gute Idee, dem Artikel die Überschrift "Gegen Zwangsbeitrag ist kein Kraut gewachsen" zu geben. Über eine ziemlich aussichtslose Klage eines Bürgers zu berichten, ist das eine. Aber billigste Polemik und Populismus-Vokabular hernehmen: Muss das echt sein in der "FAZ"?
+++ "Wie Google und Meta gemeinsam Jugendschutz ausgehebelt haben sollen", berichtet "Telepolis". Im August hatte die "Financial Times" über geheime Absprachen berichtet, wie Werbung auf YouTube für Metas Instagram gezielt an 13- bis 17-Jährige ausgespielt werden könnte. "Dabei sollen Google-Mitarbeiter Meta dabei geholfen haben, die eigenen Richtlinien zu umgehen, wie sich Online-Werbung an Minderjährige richten darf"; schreibt "Telepolis". Europäische Behörden untersuchen den Sachverhalt nun.
+++ Über eine interessante Umfrage zur "Wahrnehmung von KI-Journalismus" berichtet "epd Medien". Demnach sorgen sich rund drei Viertel der Menschen in Deutschland "um die Glaubwürdigkeit der Medien, wenn Künstliche Intelligenz (KI) im Spiel ist", schreibt "epd Medien". 90 Prozent der Befragten wünschen sich klarere Regeln und eine Kennzeichnung, wenn KI eingesetzt wurde.
+++ Die Sorge der Befragten scheint nicht ganz unbegründet. "Chatbot soll 17-Jährigen ermutigt haben, seine Eltern umzubringen", schreibt der "Spiegel". Zwei Elternpaare verklagen nun die KI-Anbieter Character.ai und Google.
Das Altpapier am Freitag schreibt Ralf Heimann.