Kolumne: Das Altpapier am 10. Dezember  2024: Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels 5 min
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Kolumne: Das Altpapier am 10. Dezember von Christian Bartels Die Lage ist komplizierter

Kolumne: Das Altpapier am 10. Dezember – Die Lage ist komplizierter

Wie wird aus Deutschland über die rasanten Veränderungen in Syrien berichtet? Was wird aus Tiktok in den USA, und können EU-Gesetze die geschäftsgeheimen Algorithmen offenlegen?

Di 10.12.2024 14:10Uhr 04:37 min

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Kolumne: Das Altpapier am 10. Dezember 2024 Die Lage ist komplizierter

10. Dezember 2024, 10:55 Uhr

Wie wird aus Deutschland über die rasanten Veränderungen in Syrien berichtet? Was wird aus Tiktok in den USA, und können EU-Gesetze die geschäftsgeheimen Algorithmen offenlegen? Außerdem geht's um die Frage, ob sog. soziale Medien auch in Deutschland für Jugendliche unter 16 verboten werden sollten. Heute kommentiert Christian Bartels die Medienberichterstattung.

Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels
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Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Berichterstattung über Syrien

Jede Menge los in der weithin nicht optimistisch gestimmten Welt. Oder kann das derzeit meistbeachtete Medien-Thema doch optimistisch stimmen? Der Sturz der Assad-Regierung in Syrien ereignete sich fast so plötzlich wie der der afghanischen Regierung 2021. Nun mussten keine westlichen Truppen Hals über Kopf fliehen, aber ein übles Folter-Regime besteht nicht mehr.

Als Nachweis des Sieges der Rebellen galt seine Verkündung im syrischen Staatsfernsehen, also in einem klassischen Massenmedium. Hier (Link führt zum Ex-Twitter X) zeigt Al-Dschasira-Reporterin Zeina Khodr das Studio. Sonst gibt es zum medialen Aspekt wenige Berichte. Und: die Rebellen? Eher "Islamisten"? Auch mit dieser Frage befasst sich Deutschlandfunks "@mediasres", das einen instruktiven Audio-Beitrag zum Thema bietet: Der in Syrien geborene WDR-Reporter Borhan Akid schildert, welche aus der Türkei oder Katar (Al-Dschasira) sendenden Fernsehsender in Syrien vor allem gesehen würden und wie die einstweilen siegreichen "Rebellen" (von denen er also spricht) den Hauptsitz des Staatssenders – weil der sich halt in Damaskus befindet – betraten. Im Sender hätten nur noch zwei Medien-Studenten gesessen, die dann auch jene "rote Kacheln mit Text drauf" gestalteten, die nun vor allem ausgestrahlt werden.

Akid zeigt sich optimistisch. Bislang sei die Lage für "alle Gruppierungen, alle Ethnien" in Ordnung, auch könnten "Frauen ... weiterhin ganz normal ohne Kopftuch rausgehen". In einem etwas längeren WDR-Radiobericht (auch Audio), sagte er dann noch, dass viele der vielen in Deutschland lebenden Syrer unzufrieden, "fast sauer" mit der derzeitigen deutschen Berichterstattung über Syrien seien, weil sie "kein vollständiges Bild" zeigen und alle, die sich jetzt freuen, als Islamisten framen würde. Hoffentlich behält Akid in der Sache recht. Skepsis in der Berichterstattung, wie etwa ZDF-Reporterin Golineh Atai sie formuliert, ist angebracht, würde ich sagen. Schon weil es in Deutschland ja starke Stränge der Islamismus-Verharmlosung gibt –  und Fehleinschätzungen wie zu Afghanistan gab.

Womit Borhan Akid jedenfalls recht hat: "Es wird was gesagt, was auch stimmt. Aber die Lage ist weitaus komplizierter". Einfaches kommt immer emotionaler rüber als differenziert-komplizierte Inhalte, lädt mehr zum Herzchen-Spenden und Teilen ein und klickt besser. Dennoch sollten, nein: müssen seriöse Medien komplizierte Lagen ähnlich kompliziert darstellen, wie sie sind.

Tiktok in den USA

Die größte der zahlreichen Ungewissheiten ist immerhin terminiert: Am 20. Januar kommenden Jahres wird Donald Trump zum zweiten Mal als Präsident vereidigt werden. Vorher regiert er noch gar nicht, auch wenn er sich geriert und hofiert wird, als täte er es längst wieder.

Ist es da Zufall, dass eine für die globale Medienlandschaft weitreichende Frist just bis zum Tag davor gesetzt wurde? Gerade hat

"ein Berufungsgericht ein Gesetz für rechtens erklärt, das die chinesische TikTok-Mutter ByteDance zum Verkauf ihres US-Geschäfts bis zum 19. Januar 2025 zwingt. Sollte der Konzern dem nicht nachkommen, wird TikTok landesweit gesperrt",

bringt u.a. spiegel.de eine hierzulande wenig, in den USA mehr beachtete Meldung. Selbstredend hat Tiktok Aufschub beantragt und betont, dass ja schon ein Tag Aufschub "der neuen Regierung Zeit geben würde, ihren Standpunkt festzulegen". Bekanntermaßen ist Trump kein Freund der Gewaltenteilung. Zwar war er es während seiner ersten Präsidentschaft gewesen, der das jetzt sozusagen auf Hochtouren laufende Verfahren, Tiktok entweder zu noch einer US-amerikanischen Plattform oder platt zu machen, angestoßen hatte. Und zwar, weil US-Amerikaner, anders als z.B. EU-Europäer, nicht daran gewöhnt sind, dass all ihre Daten immerzu auf anderen Kontinente fließen. Inzwischen deuten Auguren Zeichen so, dass Trump nicht mehr unbedingt dafür ist.

Offenkundig würden die chinesischen Eigentümer das US-amerikanische Tiktok lieber zumachen als verkaufen. Ein Exit/Exodus, wie er in Deutschland in gewissem Ausmaß beim Ex-Twitter X eher als Geste stattfand, könnte in den USA als tatsächlich erzwungenermaßen bevorstehen. Jedenfalls hätten "Betreiber und Betreiberinnen von Accounts mit großer Reichweite auf TikTok damit begonnen, ihre Follower auf ihre alternativen Konten bei anderen sozialen Netzwerken hinzuweisen", um ihre aufgebaute Reichweite zu retten, berichtet heise.de.

Tiktok in Rumänien & EU-Europa

Was die "Spiegel"-Meldung streift: die begründete EU-europäische Aufregung um die jüngste Wahl in Rumänien, das nicht nur EU-Mitgliedsland ist, sondern ab 2025 auch ziemlich vollständig zum Schengen-Raum gehören wird. "Wacht die EU noch auf, oder will sie das gar nicht?", fragte René Martens am Donnerstag hier wegen des überraschenden Wahlausgangs. Zum Erfolg des prorussischen Präsidentschafts-Kandidaten Georgescu hatten offenkundig Bots, mutmaßlich russisch gesteuert, beigetragen – und deren Ausnutzung der Tiktok-Algorithmen.

Tatsächlich beschloss Rumäniens Verfassungsgericht dann am Freitag, dass die Wahl vollständig wiederholt werden muss – obwohl die vorgesehene Stichwahl in rumänischen Botschaften im Ausland schon begonnen hatte, also geradezu abgebrochen wurde. Und die EU-Kommission, die sich eigentlich noch sortieren muss, wurde bei aller bürokratischen Verklausulierung recht deutlich:

"Im Zusammenhang mit den laufenden Wahlen in Rumänien hat die Kommission ihre Überwachung von TikTok im Rahmen des Gesetzes über digitale Dienste verstärkt. ... Die Kommission hat an TikTok eine Anordnung zur Aufbewahrung von Dokumenten und Daten im Rahmen des Gesetzes über digitale Dienste gerichtet, in der die Plattform dazu aufgefordert wird, Daten über tatsächliche oder vorhersehbare systemische Risiken, die ihr Dienst für Wahlprozesse und den gesellschaftlichen Diskurs in der EU mit sich bringen könnte, zu sichern und aufzubewahren ..."

Wie sinnvoll der Ansatz ist, die Einschätzung von Risiken denen zu überlassen, von denen sie ausgehen, zählt zu den Streitfragen um die EU-Digitalgesetze DSA und DMA, aber immerhin reagiert die Kommission flott. Und das Tiktok-Material zur Wahl in Rumänien zügig und transparent auszuwerten, wäre sinnvoll. Einerseits, um daraus zu lernen und künftige Manipulationen möglichst zu verhindern, andererseits um zu dokumentieren, dass die Vorwürfe zutreffen, und zu verhindern, dass weniger demokratische Staaten diesem EU-Beispiel folgen und künftig aus ähnlichen Gründen Wahlen annullieren. Zumindest in punkto Demokratie besitzt EU-Europa ja noch Strahlkraft.

Eines der Probleme bringt Michael Hanfeld heute auf der "FAZ"-Medienseite (Abo) auf den Punkt:

"Wer zu sehen ist, was zu sehen ist, wer verschwindet und wer womit gigantische Reichweite bekommt, bestimmen allein die Plattformkonzerne, und wie sie das machen, verraten sie nicht."

Sich da auf die Reizfigur Elon Musk und das chinesisch besessene Tiktok zu beschränken, wie es gerade vor allem geschieht, scheint mir kurzsichtig (Altpapier). Ob es der EU gelingen wird, den beanspruchten Zugriff auf streng geschäftsgeheime Algorithmen praktisch ausschließlich nicht-europäischer Plattformen zu erhalten, bleibt spannend.

Social-Media-Vorbild Australien?

Auch im Leitartikel ganz vorne auf der "FAZ" (Abo) kommt, neben weiteren Apps, Tiktok vor. Da geht es ums australische Verbot sogenannter sozialer Medien für Jugendliche unter 16 Jahren (Altpapier). Sollte so etwas auch hierzulande eingeführt werden, wie es etwa Sahra Wagenknechts Partei BSW, die in so einigen Bundesländern ja mitregieren wird, fordert? Johanna Kuroczik umkreist das Problem ausführlich:

"Die Apps sind so konzipiert, dass schon Erwachsene kaum die Selbstkontrolle aufbringen, das Telefon beiseitezulegen: Jeder Like und jede Nachricht lassen Glückshormone durch die Blutbahn rauschen und aktivieren ähnliche Gehirnareale wie Kokain oder Schokoladeneis. So wundert es nicht, dass die junge Generation derzeit unglücklicher ist als früher."

Ein Verbot sei aber keine Lösung:

"Plattformen müssen an sich weniger schädlich werden. Es besteht die Gefahr, dass Regierungen die Anforderungen an einen besseren Jugendschutz nach einem Verbot schleifen lassen. Wozu auch, wenn die Leidtragenden theoretisch gar nicht mehr da sind? Schon jetzt gelingt es der Politik kaum, die Unternehmen dazu zu bringen, Gewaltbilder zu löschen, bearbeitete Fotos zu kennzeichnen und die Apps weniger manipulativ zu gestalten."

Heißt: Vor allem die Sorge um Minderjährige sollte Politik antreiben, eine sinnvolle Regulierung der sozialen Medien durchzusetzen. Wobei die Sorge um manipulierte Wahlen die Politik ja auch treibt (und die, Wahlen zu verlieren; andererseits ist der Wunsch, selber Wahlen auch mit Hilfe von Wahlwerbung bei jungen Wählern zu gewinnen, ein Antrieb, es sich nicht mit den Plattformen zu verscherzen...). Die Lage ist kompliziert, und noch komplizierter macht sie, dass Kuroczik beiläufig eine Hoffnung abräumt. Nämlich die, dass sehr junge Leute, die von Anfang an mit allen möglichen digitalen Geräten aufwuchsen, immerhin Routine und damit entsprechende Medienkompetenz besäßen:

"Denn auch wenn sie ohne Unterlass chatten und in Lichtgeschwindigkeit Videos erstellen können: Kinder kennen sich erschreckend schlecht mit dem Internet aus. Achtklässler haben geringere Digitalkompetenzen als noch vor zehn Jahren, vier von zehn verfügen lediglich über rudimentäre Kenntnisse, wie eine neue Untersuchung zeigt."


Altpapierkorb (Aserbeidschan, EMFA, MPK, RBB, "Überwachungsgremien")

+++ Weiter im Osten liegt Aserbaidschan, eher in Europa. Bloß bei Unterhaltungswettbewerben wie Fußball-EMs und Schlager-Eurovisionen, bei denen Vielfalt der Teilnehmer ja auch die Anzahl der Vorausscheidungen und die Dauer, also die Profite der Veranstalter erhöht, ist es dabei. Außerdem hat es Gas zu bieten. Über die finstere Lage der Medienfreiheit im Land berichtet die "taz". Gerade wurden Journalisten des in Berlin ansässigen Meydan verhaftet. +++

+++ Vorige Woche feierten in Brüssel "rund dreihundert politische Player der europäischen Medienindustrie sowie -politik", und zwar in der bayerischen Landesvertretung gegenüber des Europäischen Parlaments. Und zwar feierten sie das Europäische Medienfreiheitsgesetz (EMFA) "als Beginn einer neuen Ära der Medienregulierung durch die EU", berichtet Wilfried Urbe für den KNA-Mediendienst (Abo). Ob sich der EMFA als halbwegs sinnvoll erweist, wird sich noch zeigen müssen ...

+++ Am kommenden Donnerstag tagen nochmals die deutschen Ministerpräsidenten. Werden sie sich auf eine Regelung zur Rundfunkbeitrags-Erhöhung einigen? "Ganz sicher sei dies noch nicht, sagte der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Alexander Schweitzer (SPD) dem Evangelischen Pressedienst epd in Mainz." +++

+++ Zum Themenfeld gibt's allerhand zu hören, etwa gut 38 Minuten beim Deutschlandfunk mit "epd medien"-Redaktionsleiterin Diemut Roether und gut 26 Minuten im Rosa-Luxemburg-Stiftungs-Podcast mit Dietmar Ringel, "der 1989, kurz vor dem Mauerfall, von seinen Kolleg*innen zum Intendanten von DT64 gewählt worden ist", also des DDR-Jugendradios. Ringel arbeitete später lange für den RBB und beklagt beim aktuellen öffentlich-rechtlichen Rundfunk "zu wenig Bereitschaft, sich zu öffnen, auch mal Risiko einzugehen und ungefiltert einzufangen, was die Menschen bewegt – auch wenn das nicht so ist, wie man es gerne hätte". +++

+++ "... Es gibt eine Gegenposition - der MDR habe staatsfern zu sein. Eine weitere Wortmeldung: Der Antrag sei nicht ausgereift, er hat 'Qualitätsmängel' und sei fehlerhaft und kommt zu abenteuerlichen Schlussfolgerungen. Er bittet darum, den Antrag auf Änderung der Tagesordnung abzulehnen. Uihhh, ich dachte, das wird heute eine ruhige Sitzung. Im Moment werden also Formalien diskutiert. Nun gibt es einen Befürworter für die Änderung der Tagesordnung. 'Staatsferne' sei kein Argument, dass sich der Rundfunkrat nicht öffentlich mit einer eigenen Meinung äußern dürfe ...": Am gestrigen Montag tagte der MDR-Rundfunkrat wieder, und flurfunk-dresden.de war wieder livetickerig dabei. +++

+++ "Die Überwachungsgremien des rbb trifft eine besondere Sorgfaltspflicht. Diese ergibt sich einerseits aus der hohen gesellschaftlichen Relevanz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks", zitiert eine Pressemitteilung des Brandenburger Landesrechnungshofes dessen Präsidenten Harald Kümmel. Vor allem kritisiert der Rechnungshof frühere RBB-Gremien ("epd medien"). Und: hm, völlig unbelastet ist der Begriff "Überwachung" ja nicht, aber wenn die Bezeichnung "Überwachungsgremien" dazu beiträgt, jetzt wirklich alle Rundfunkrats-Mitglieder aufzurütteln und ihnen zu verdeutlichen, dass sie nicht die Freunde ihrer Anstalten sein sollten, warum nicht? +++

Das nächste Altpapier schreibt am Mittwoch Klaus Raab.

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