Kolumne: Das Altpapier am 6. Dezember 2024 Die lokale Flatrate
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06. Dezember 2024, 10:58 Uhr
Eine norwegische Stiftung hat es offenbar geschafft, Lokaljournalismus rentabel zu machen. Geht so was auch in Deutschland? Heute kommentiert Ralf Heimann die Medienberichterstattung.
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Lokaljournalismus: Endlich eine Lösung?
Die norwegische Amedia-Stiftung hat am Mittwoch bekannt gegeben, dass sie die dänische Berlingske-Gruppe kauft, zu der die Zeitungen "Weekendavisen" und "Berlingske" gehören sowie mehrere Radiosender und Online-Medien, berichtet Alex Rühle auf der SZ-Medienseite. Das könnte das nächste Kapitel von etwas werden, das aus der Ferne wie eine Erfolgsgeschichte aussieht. Der Stiftung ist es offenbar gelungen, ein Modell zu entwickeln, mit dem Lokaljournalismus sich finanzieren lässt.
Der Amedia-Stiftung gehören in Norwegen nach eigenen Angaben 107 Titel, die Hälfte des gesamten Marktes; es sind vor allem Lokalzeitungen, aber auch "Nettavisen", die fünftgrößte Zeitung des Landes, ist dabei.
Die Stiftung hat anderen Medienkonzernen gegenüber einen Vorteil: Sie muss keine Rendite zahlen, sie investiert ihre Gewinne daher vollständig in Journalismus. Und sie hat etwas geschafft, das sich viele Menschen in Deutschland wünschen würden, beziehungsweise dessen Fehlen sie ärgert. Sie bietet eine Flatrate. Man zahlt also nicht 40 Euro im Monat für eine einzige Lokalzeitung auf Papier, sondern bekommt für etwa 25 Euro monatlich Zugriff auf alle Zeitungen der Gruppe sowie auf Streaming-Angebote, also Sportübertragungen, Handball, Eishockey und 5.000 Fußballspiele pro Jahr. Die Stiftung sei "sowas wie das Netflix der Lokalzeitungen", sagt deren Chef André Støylen.
Die Stiftung nutzt ihr großes Angebot, um für Werbepartner interessant zu werden. Das sind viele Lokalmedien wegen ihres kleinen Publikums nicht.
Werbung macht dennoch nur ein Drittel der Einnahmen aus, der Rest kommt über die Abos rein. Das war auf dem Zeitungsmarkt einmal umgekehrt, bevor die Werbung ins Privatfernsehen und später ins Internet abwanderte.
Das Geschäftsmodell geriet in die Krise, weil die Werbeeinnahmen den Journalismus nicht länger mitfinanzierten und die Verlage die Kosten über den Verkaufspreis nicht decken konnten.
In diesem Fall scheint es gelungen zu sein, ein nachgefragtes Angebot für einen Markt zu entwerfen, der ausreichend groß ist.
Eine Regionalzeitung alleine kann das nicht, deswegen verlangen lokale Medienhäuser für ein kleines Angebot, eine Papierzeitung, oft einen enormen Preis, den immer weniger Menschen zu zahlen bereit sind – auch, weil sie sehen, dass sie anderswo zu einem viel geringeren Preis sehr viel mehr bekommen, zum Beispiel eben bei Netflix.
Verlage in Deutschland versuchen, das Problem auf eine andere Weise zu lösen. Zum Beispiel, indem sie Anzeigen zusammen vermarkten, wie die "Neue Westfälische" und das "Westfalen-Blatt", indem sie Verbreitungsgebiete so zuschneiden, dass sie sich nicht in die Quere kommen. Oder indem sie, wie zuletzt die "Süddeutsche", Lokalredaktionen schließen, die für ein kleines Publikum produzieren, und lokale Inhalte – so ist es jedenfalls angekündigt – so aufzubereiten, dass sie für ein größeres Publikum interessant werden.
Das geht auch, indem man verschiedene Lokalteile zusammenlegt, was Vorteile und Nachteile hat. Verlage begründen die Zusammenlegung gern damit, dass der Aktions- und Wahrnehmungsradius von Menschen sich vergrößert hat. Der Nachteil ist: Die kleinteilige Berichterstattung im Lokalen, die auch identitätsstiftend und gemeinschaftsbildend wirkt, entfällt.
Warum es in Deutschland anders läuft
Steffen Grimberg schreibt in seiner neuen Kolumne "Kurz und KNAckig" für den KNA-Mediendienst unter dem Titel "Das Regionale ist das neue Lokale":
"(…) viele sogenannte Lokalteile von Regionalzeitungen werden immer größer. Nicht etwa, was ihren Umfang und schon gar nicht das redaktionelle Personal angeht. Sondern rein flächenmäßig. Was da heute alles als lokal daherkommt, ist oft ganz im Wortsinn meilenweit voneinander entfernt. Das Publikum findet seine wirkliche lokale Umgebung, den eigenen Ort, nur noch höchst selten wieder – womit sich der Sinn und Zweck eines solchen 'Lokalteils' eigentlich erübrigt. Dass ein solches 'Wachstum' bei gleichzeitiger Aushöhlung des Inhalts keinen Erfolg haben kann, versteht sich von selbst."
Grimberg verweist auf den 2013 gestorbenen Kommunikationswissenschaftler Walter J. Schütz, der bis 2011 regelmäßig umfassende "Stichtagssammlungen der deutschen Tagespresse” machte, um verlässliche Daten über die Entwicklung der Presselandschaft zu bekommen. Sein Credo sei gewesen:
"Zum deutschen Zeitungsmarkt gehört, dass jedes Dorf seine zuständige Zeitung hat.”
Schütz könnte auch sehr gut erklären, warum es in Deutschland kein Netflix für Lokaljournalismus gibt. Das liegt unter anderem an der fragmentierten Marktstruktur, die mit Blick auf die Medienvielfalt ja durchaus Vorteile hat.
Hier könnte man auf den Medienwissenschaftler Horst Röper verweisen, der bis 2021 mit regelmäßigen Berichten die Medienkonzentration auf dem deutschen Zeitungsmarkt kartografierte, deren Nachteil sich mit dem Wort Einheitsbrei zusammenfassen lässt. Diese Konzentration wuchs immer mehr, das belegt auch die vor Kurzem erschienene "Wüstenradar"-Untersuchung.
Damit wächst zwar einerseits die Wahrscheinlichkeit, dass man irgendwann zu einem Preis einen ganzen Korb voller Titel bekommen wird oder bereits bekommt. Die Frage ist allerdings: Ist das ein interessantes Angebot, wenn Menschen die Möglichkeit haben, mehrere Dutzend verschiedene Lokalteile zu einem Paketpreis zu beziehen?
Mit Einschränkungen gibt es so etwas übrigens. Viele Stadtbüchereien bieten einen kostenfreien Zugang zum Dienst "Pressreader", der mehrere tausend internationale Zeitungen und Magazine im Angebot hat. Die App "Readly" verkauft vor allem Magazine und überregionale Zeitungen zu einem im Vergleich zur Papierzeitung geringen monatlichen Abopreis. Der Zeitungskiosk "Blendle" dagegen, der es möglich machte, Artikel einzeln zu kaufen, ist in Deutschland gescheitert.
Klatschpresse: Schrecklicher Schicksalsschlag?
Bei "Readly" bekommt man auch Klatschtitel wie die "Woche der Frau", die in dieser Woche mit Prinz Harry aufmacht. Titel: "Die Wahrheit über seinen Vater". Harry setzt zurzeit übrigens seinen Rechtsstreit gegen Rupert Murdochs Lokalzeitungen fort, das berichtet in dieser Woche die "New York Times".
Wahnsinnigerweise wird wahrscheinlich auch dieses Gespräch wieder irgendein Zitat für ein absurdes Märchen liefern, das dann auf dem Cover einer dieser Seuchenpostillen steht, die Mats Schönauer in seinem "Topf voll Gold" regelmäßig seziert.
In einem knapp zehn Minuten langen Video beschäftigt er sich bei "Übermedien" mit dem, um im Wording zu bleiben, "TODES-DRAMA der Klatschpresse".
Schönauer beschreibt einen drastischen Rückgang der Verkaufszahlen, die jahrzehntelang bei jährlich 250 Millionen in Deutschland lagen. Er hat einige Zahlen analysiert, zum Beispiel die der "Neuen Post". Schönauer:
"Seit 1998 sind die Zahlen um fast 80 Prozent eingebrochen. Damals verkaufte sie rund 1,4 Millionen Ausgaben pro Woche. Heute sind es gerade mal 300.000. Egal welches Blatt man sich anschaut, fast überall sieht man solche spektakulären Abstürze."
Die Gründe sind laut Schönauer: Die Magazine sind für Menschen über 60 gemacht, teilweise für noch ältere, aber sie bieten wenig für jüngere Menschen, daher wachsen kaum Leser nach. Außerdem sind die Magazine im Netz oder in sozialen Medien kaum vertreten. Und je weiter man in den Alterssegmenten zurückgeht, desto mehr bedeutet das: Die Magazine werden nicht wahrgenommen.
Wo sie doch wahrgenommen werden, wirken sie mit ihren erfundenen Geschichten und unendlichen Wiederholungen veraltet. Schönauer:
"Das Goldene Blatt zum Beispiel verkündete vor kurzem: 'Charles und Camilla, alles aus!’ Das ist das 40. Mal, dass das Blatt die Scheidung von Charles und Camilla verkündet hat, obwohl sie bis heute immer noch verheiratet sind."
Das "Goldene Blatt" gehört übrigens zur Funke-Mediengruppe, die sich vor fünf Jahren der Allianz "True Media" angeschlossen hat, die versprochen hat, mit einer faktenbasierten und verantwortungsvollen Berichterstattung die Demokratie zu stärken und in Punkt drei ihrer Agenda verankert hat: "Wir investieren in die Wahrheit." Ehrlich gesagt: Von hier sieht das wie eine Lüge aus.
Altpapierkorb (Neue Grimme-Chefin, Bundesliga, RBB-Klage, NDR-Recherche, Georgien, Woelki vs. Bild)
+++ Das Grimme-Institut in Marl bekommt zum zweiten Mal eine Chefin. Çiğdem Uzunoğlu wird ab dem 1. Januar Peter Wenzel ablösen, der seit Mai 2024 Interimschef war, berichtet unter anderem Michael Hanfeld auf der FAZ-Medienseite. Uzunoğlu, die vorher Geschäftsführerin der Stiftung Digitale Spielekultur war, soll das finanziell und inhaltlich angeschlagene Institut aus der Krise führen. Unter der Leitung ihrer Vorgängerin Frauke Gerlach habe das Grimme-Institut an Bedeutung und Fokus verloren, sodass das Land NRW zuletzt finanzielle Zuschüsse habe leisten müssen, schreibt Hanfeld.
+++ Die Übertragung der Bundesliga bleibt auch ab der Saison 2025/26 auf mehrere Anbieter verteilt. Man braucht also weiterhin zwei Abos, um alle Spiele live zu sehen, berichtet unter anderem Caspar Busse auf der SZ-Medienseite. Die Deutsche Fußball-Liga hat die Rechte für vier Spielzeiten erneut an Sky und Dazn verkauft: Sky überträgt künftig alle Freitagsspiele, die Samstagspartien und die 2. Bundesliga. Dazn zeigt weiterhin die Sonntagsspiele und übernimmt von Sky die beliebte Samstagskonferenz. Öffentlich-rechtliche Sender wie die ARD (Sportschau) und das ZDF (Sportstudio) sichern sich die Zusammenfassungsrechte. ProSiebenSat.1 zeigt ausgewählte Spiele wie den Supercup und Relegationspartien, während RTL neben Kurzzusammenfassungen auch das Topspiel der 2. Liga am Samstagabend ins Programm nimmt. Insgesamt sind damit 1,2 Milliarden Euro reingekommen, die jetzt auf 36 Vereine verteilt werden.
+++ Der RBB hält den genauen Wortlaut seiner Verfassungsbeschwerde gegen den Staatsvertrag der Länder Berlin und Brandenburg und die Kosten der juristischen Beratung unter Verschluss – mit der Begründung, es handle sich um ein "laufendes Verfahren" und die Kosten seien ein "Betriebsgeheimnis", schreibt Jochen Zenthöfer auf der FAZ-Medienseite. Kritiker, vor allem aus der brandenburgischen SPD, sehen die Klage als problematisch. Sie sehen in ihr den Versuch, die Brandenburg-Berichterstattung herunterzufahren.
+++ Christian Meier schreibt für die "Welt" über die Investigativ-Recherche, die der NDR maßgeblich vorangetrieben hat, aus der er dann aber überraschend ausstieg (Altpapier gestern). Warum genau der NDR die Geschichte nicht weiterverfolgte, später dann aber über sie berichtet, ist weiterhin nicht ganz klar.
+++ Der georgische Journalist Alexander Keschelaschwili ist bei einer Demonstration in Tiflis gegen die Aussetzung der EU-Beitrittsverhandlungen von Polizisten brutal verprügelt worden, obwohl er als Pressevertreter erkennbar war. Leon Holly hat für die taz mit ihm darüber gesprochen. Keschelaschwili sagt: "Ich arbeite seit elf Jahren als Journalist. In Georgien gibt es viele Proteste. Die Polizisten waren vielleicht nicht nett zu Journalisten, aber ich konnte meine Arbeit machen. Aber in den letzten zwei Jahren – und besonders dieses Jahr – werden die Polizei und die Sicherheitskräfte immer aggressiver. Besonders die ohne Kennzeichnung. Im Frühling kamen sie noch auf mich zu, schrien und versuchten meine Kamera zu verdecken. Aber in den letzten Tagen haben sie es richtig auf Journalisten abgesehen."
+++ Der Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki hat vor dem Oberlandesgericht Köln einen weiteren juristischen Sieg gegen die "Bild”-Zeitung errungen. Wie "epd Medien" berichtet, untersagte das Gericht der Zeitung und einem Kirchenrechtler, zu behaupten, Woelki habe bewusst ein anderes Bistum nicht über Missbrauchsvorwürfe gegen den Priester Winfried Pilz informiert. Die Entscheidung bestätigt ein Urteil des Landgerichts Köln und betonte, dass die "Bild" keine Beweise für ihre Behauptungen vorgelegt habe. Gegen Woelki läuft jedoch ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Falschaussage unter Eid, da ein Brief aus dem Jahr 2018 darauf hinweist, dass er bereits damals über die Vorwürfe informiert war. Im Falle einer Verurteilung wegen Meineids droht ihm eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr.
Ihnen ein schönes Wochenende!
Das Altpapier am Montag schreibt Christian Bartels.