Kolumne: Das Altpapier am 2. Dezember 2024: Porträt des Altpapier-Autoren René Martens
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Kolumne: Das Altpapier am 2. Dezember 2024 Lügen boomt

02. Dezember 2024, 13:30 Uhr

Christian Lindner bezieht sich in der Sendung "Caren Miosga" positiv auf einen ultrarechten Regierungschef. Zu viele US-Medien sind nicht willens, die von Donald Trump als Regierungsmitglieder ausgewählten Personen als die Verschwörungstheoretiker und Extremisten zu bezeichnen, die sie sind. Heute kommentiert René Martens die Medienberichterstattung.

Porträt des Altpapier-Autoren René Martens
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Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Was, wenn der Lügner seine Lügen glaubt?

Die kleine Tradition, mit Bezügen auf Hannah Arendt der Wirklichkeit zu Leibe zu rücken (siehe zum Beispiel dieses Altpapier), wollen wir heute anlässlich eines Zeit-Online-Artikels mit dem Titel "Dark FDP" fortfahren. Nils Markwardt schreibt:

"Nun, da allzu offensichtlich ist, dass führende FDP-Vertreter über ihre Planungen zum Regierungsbruch sowie über die dabei benutzten Begriffe nicht die Wahrheit gesagt haben, stellt sich eine entscheidende, zunächst kontraintuitive Frage: Was ist eigentlich das Problem an lügenden Politikern?"

Markwardt nähert sich der Frage, in dem er auf Arendts 1967 veröffentlichten Essay "Wahrheit und Politik" eingeht. Arendt schreibt dort:

"Niemand hat je bezweifelt, dass es um die Wahrheit in der Politik schlecht bestellt ist, niemand hat je die Wahrhaftigkeit zu den politischen Tugenden gerechnet. Lügen scheint zum Handwerk nicht nur des Demagogen, sondern auch des Politikers und sogar des Staatsmannes zu gehören."

Aber, betont der Zeit-Online-Autor: Arendt wolle

"nun freilich nicht sagen, dass Politikerinnen und Politiker in Demokratien sich Fakten ausdenken dürfen oder die Öffentlichkeit hinters Licht führen sollten. Ihre Einlassungen verweisen vielmehr darauf, es sich bei diesem Thema nicht zu leicht zu machen".

Was, so Markwardt, Arendt auch sagt:

"(Wenn) der Lügner seine Lügen irgendwann selbst zu glauben beginnt, (dann) wird die Lüge immer weitergesponnen, wird die Welt fortlaufend durch die Folie der Lüge betrachtet. Arendt schreibt: 'Die Täuscher wie die Getäuschten müssen, schon um ihr 'Weltbild' intakt zu halten, sich vor allem darum kümmern, dass ihr Propaganda-Image von keiner Realität gefährdet wird. Aus dieser Perspektive aber wird für sie jeder, der die Lügen mit der Wahrheit konfrontiert, zum Feind. Für den aktuellen FDP-Fall heißt das: Wenn Marie-Agnes Strack-Zimmermann vor zwei Wochen die Enthüllungen der ZEIT als "Recherche" in Anführungszeichen verbrämte, wenn Wolfgang Kubicki von einem 'Märchen' redete, aller Wahrscheinlichkeit nach in dem Wissen, dass die Recherche zutreffend war, kippen beide auf jene abschüssige Bahn, an deren fernen Ende die 'Dark Maga'-Bewegung von Elon Musk und Donald Trump steht. Eine Bewegung also, die nicht nur die Wahrheit zum Feind erklärt hat, sondern auch jeden, der sie ausspricht."

Wir werden es in den kommenden Wahlkampf-Wochen wohl erleben.

Christian Stöcker schreibt in seiner sonntäglichen "Spiegel"-Kolumne:

"Bemerkenswert ist (…) die offenbar uneingeschränkte Hemmungslosigkeit dieser Parteiführung beim fortgesetzten, konzertierten Vertuschen von Wahrheit. Was mit Gesellschaften passiert, in denen ständiges Lügen zum akzeptierten Mittel der Politik wird, kann man derzeit in den USA live beobachten."

Der "Schlüsselsatz", mit dem Lindner "die Katze aus dem Sack" lässt

Konkret zur Strategie des Vorsitzenden des BCL (Bündnis Christian Lindner) äußern sich u.v.a. Friedrich Küppersbusch und Georg Restle. Der "Monitor"-Redaktionsleiter bemerkt bei Bluesky:

"Die Chuzpe, mit der Christian Lindner gerade versucht, aus der D-Day-Affäre auch noch politisch Kapital zu schlagen, ist beispiellos. Und ich habe viel erlebt in meiner journalistischen Karriere."

Friedrich Küppersbusch, der vermutlich noch ein bisschen mehr erlebt hat (weil er vier Jahre älter ist als Restle), sagt in seiner Frage-Antwort-Kolumne, die jeden Montag in der taz erscheint:

"Lindner nahm auch die Entblößung als Gelegenheit, in jede Nachrichtensendung zu drängeln und die naheliegenden Fragen mit einem Schwall ins All aus lauter Wahlkampfparolen zu beantworten. In seiner Welt ist das 'Air time', wertvolle Reichweite, und folgt der alten Theaterweisheit 'Hauptsache, der Name ist richtig geschrieben'. Allerdings hat die FDP kein Monopol mehr auf Intriganz und Verrat; für das Demolieren demokratischen Anstands bieten sich mindestens rhetorisch AfD und BSW eher an."

Der "Schwall ins All" wurde dann noch größer bei Lindners Auftritt bei "Caren Miosga", den Küppersbusch noch nicht kennen konnte, als er die Formulierung verwendete. Altpapier-Autor Klaus Raab schreibt für den "Spiegel" über den Talk. Er geht dabei unter anderem auf das "D-Day"-Dokument ein:

"Das Gespräch entwickelt sich also nach fünf Minuten wie folgt: Miosga fragt nach dem Dokument. Lindner spricht über seine Vorstellungen einer Wirtschaftswende, über Arbeitsplatzsicherung, Haushaltsfragen, über die nächste Generation und die Migrationspolitik. Miosga unterbricht ihn und fragt nach dem Dokument. Lindner sagt, ja, gleich, 'wir sind ja jetzt nicht hastig unterwegs'. Miosga erwidert, nein, das zwar nicht – aber das Dokument! Und Lindner: Migrationspolitik. Miosga: Es gehe aber hier um eine 'aktive Sabotage der Regierungspolitik'. Lindner: 'Nein.' Miosga: 'Doch', das sage das Dokument aus."

"Spiegel"-Redakteur Jonas Schaible schreibt bei Bluesky über die Sendung:

"Was Christian Lindner da jetzt ganz offensiv versucht, ist wahrscheinlich der gefährlichste populistische Vorstoß aus einer demokratischen Partei seit sehr, sehr langer Zeit."

Das wiederum bezieht sich inhaltlich aufs dort verkündete "Schreddern der deutschen und damit europäischen Klimaziele" (Schaible).

Constanze Stelzenmüller, Direktorin des Center on the United States and Europe, und Georg Restle sahen den Dammbruch jedoch an anderer Stelle. Stelzenmüller meint:

"Schlüsselsatz von #Lindner bei @CarenMiosga: 'Wir müssen mehr Milei und Musk wagen'. Das ist das, was Lindner will: Autoritärer Libertarismus."

Und Restle sagt über den M&M-Satz (der gemäß anderer Quellen vollständig "Wir sollten in Deutschland ein kleines bisschen mehr Milei und Musk wagen" lautete):

"Lindner lässt die Katze bei Caren Miosga aus dem Sack. Turbokapitalismus nach dem Modell eines Multimilliardärs; damit will die FDP die 5%-Hürde schaffen. Mit anderen Worten: Lindner will die FDP für den Wahlkampf auf Rechtspopulismus trimmen. Selten hat er das so klar formuliert."

Sich auf dieser Wahlkampfbühne positiv auf den ultrarechten argentinischen Regierungschef zu beziehen - das dürfte sich Lindner lange überlegt haben. Ich vermute, dass er damit Erfolg haben wird. Ebenso wie mit der permanenten Wiederaufführung der bewährten Aiwanger-Nummer (mit dem Geschäftsführer in der Rolle des Bruders).

Wie auch immer: Das offensive Bekenntnis zum "autoritären Libertarismus" (Stelzenmüller) passt zu Lindners autoritärem Gehabe, das vorher (nicht nur bei Miosga) in seiner Antwortverweigerungshaltung zum Ausdruck kam.

Die Umnachtung "der Poschardts und Blomes"

"Geh' mir weg mit Klima! Wen kümmert noch die Erderwärmung?" lautet der Titel der aktuellen "Aspekte"-Sendung, und zu den Gesprächspartnern gehörte dort der heute bereits erwähnte Christian Stöcker, den Presenter Jo Schück zu seinem Buch "Männer, die die Welt verbrennen" befragte:

"Inwiefern schaffen es denn diese Männer, die globale Stimmung in Sachen Klimaschutz zu beeinflussen?"

Stöcker dazu:

"Lange haben sie es getan, indem sie sehr viel Geld dafür ausgegeben haben, so zu tun, als gäbe es keine menschengemachte Klimakrise. Und die gleichen Strukturen werden jetzt eingesetzt, um Zweifel an den Gegenmaßnahmen zu säen. Ich glaube, die meisten Leute unterschätzen, mit welchem langen Atem und welcher strategischen Weitsicht insbesondere die Öl- und Gasindustrie ihre Propagandastrukturen aufgebaut haben."

Darum, was diese "Propagandastrukturen" bewirken, geht es auch in einem Teilabschnitt eines Harald-Welzer-Essays für die taz (auf den wir weiter unten noch einmal zu sprechen kommen werden). Welzer schreibt dort über den "politischen Journalismus einer umnachteten deutschen Medienwelt":

"Die Blomes und die Poschardts (schlagen) konsequent weiter auf die Grünen ein, obwohl oder gerade weil es diese Partei ist, die sich noch einen Rest Realismus bewahrt hat – jedenfalls in der eben nicht nebensächlichen Frage, wovon denn eine Wirtschaft leben und Wohlstand generieren soll, wenn die natürlichen und klimatischen Überlebensvoraussetzungen in noch größerer Geschwindigkeit denn je zerstört werden."

Wie man die ARD mit Werbung zur Gemeinwohlorientierung zwingen könnte

"Geh' mir weg mit Klima!", der Titel der erwähnten "Aspekte"-Sendung, beschreibt auch recht gut die Haltung mancher öffentlich-rechtlicher Programmverantwortlicher. Die unzureichende Berichterstattung der ARD zur Klimakrise sei Ausdruck des "direkten Versagens des oberen Managements", sagte am Montagmorgen zum Beispiel Friederike Mayer, die Vorsitzende des Vereins Klima vor acht, bei einer Pressekonferenz.

Bei der Veranstaltung stellte der Verein, der hin und wieder schon im Altapier vorkam (zum Beispiel hier) eine neue Kampagne vor. In einer Pressemitteilung schreibt er:

"In Zeiten der eskalierenden Klimakrise muss der öffentlich-rechtliche Rundfunk seinem Auftrag nachkommen und im Fernsehen an einem reichweitenstarken Programmplatz täglich über den Klimawandel informieren: kurz, konstruktiv, wissenschaftlich fundiert."

Worum genau geht es?

"Der Verein will genügend Unternehmen als Sponsor:innen gewinnen, um einen Werbeplatz kurz vor der Tagesschau in der ARD zu kaufen. Dort soll eine eigens dafür produzierte Sendung 'KLIMA° vor acht' mit Moderatorin Nina Eichinger laufen - als Werbung für ein derartiges Format. Die Kampagne richtet sich an Unternehmen aus der Privatwirtschaft, die hinter der Idee einer Klima-Sendung zur Primetime im öffentlich-rechtlichen Rundfunk stehen."

Zwei Unternehmen hat man schon gefunden - und damit sind zehn Prozent der für den Werbeplatz erforderlichen 250.000 Euro zusammen. Ein origineller Versuch, die von Angst und Opportunismus gelähmten Programm-Manager auf den hehren Pfad der Gemeinwohlorientierung zu führen, ist das allemal.

Die Staatswerdung von X und anderen Musk-Firmen

Wer seinen Assoziationsraum zu "mehr Musk wagen" (Christian Lindner) erweitern will, kann das aktuell unter anderem anhand zweier ausführlicher Interviews tun. Für den KNA-Mediendienst (Login nur für Abonnenten möglich) hat Joachim Huber mit dem Kulturwissenschaftler Michael Seemann gesprochen, und im neuen "Spiegel" ist ein Interview mit dem Medienwissenschaftler Joseph Vogl erschienen.

KNA-Autor Huber fragt unter anderem: 

"Was wird Elon Musk (…) von Donald Trump erwarten?"

Seemann dazu:

"Kein Mensch auf der Welt ist abhängiger von staatlichem Geld als Elon Musk. SpaceX lebt praktisch zu 100 Prozent von Staatsaufträgen, Tesla bekommt Milliarden Zuschüsse beim Verkauf von Elektromobilen und Tesla verdient außerdem eine Menge Geld mit CO2-Zertifikaten. Dazu steht Tesla im Fokus zahlreicher Regulierungsbehörden und es laufen einige Verfahren gegen das Unternehmen. Elon Musks Wunschliste dürfte also theoretisch endlos sein."

Um beim Schlagwort Staat zu bleiben: Joseph Vogl sagt in dem Zusammenhang gegenüber dem "Spiegel":

"Es lässt sich (…) eine gewisse Staatswerdung solcher Unternehmen bemerken. Man darf nicht vergessen, dass beispielsweise die Firma Starlink von Musk knapp die Hälfte der Satelliten im Erdorbit betreibt. In den Vereinigten Staaten hat Musk nahezu ein Monopol in der Bereitstellung der Infrastruktur für das Internet durch die öffentlich und privat betriebenen Satelliten. Ähnliches passiert auch mit den sozialen Medien: Es ist zu erwarten, dass nicht nur Trumps Plattform Truth Social, sondern auch X zu einer Art Regierungsorgan werden wird. Das, was im Horizont des Liberalismus in den Siebzigerjahren begann, nämlich die Privatisierung öffentlicher Aufgaben, soll durch Quasi-Monopolisten vollendet werden – bis hin zur privaten Geldschöpfung. Darum auch das besondere Interesse an Kryptowährungen, die seit der Wahl heftige Kursgewinne erzielten."

Im KNA-Interview mit Michael Seemann geht es dann auch noch um eine der großen medienpolitischen Fragen unserer Zeit, also darum, wie Deutschland und die EU mit dem zukünftigen Regierungsorgan X umgehen:

"Der Druck aus der sich formenden Trump-Regierung auf die EU-Internet-Regulierung wird enorm sein und es ist nicht auszuschließen, dass dieses Thema auf Dauer in einen Handelskrieg kippt. J.D. Vance - ebenfalls ein Silicon-Valley-Gewächs, er ist ein hundertprozentiges Geschöpf des Investors Peter Thiel - hat bereits angedeutet, dass sogar der Nato-Schutz daran gekoppelt sein kann, uns mit der Internetregulierung zurückzuhalten. Ich würde mir wünschen, dass die EU und Deutschland nicht einknicken, aber ich kann es mir eigentlich nicht vorstellen, dass sie dafür einen Handelskrieg riskieren würden."

In seinem eigenen Newsletter "Krasse Links" wiederum lobt Seemann den bereits erwähnten taz-Essay von Harald Welzer. Er sei, so Seemann, "ja nicht so ein Welzer-Fan, aber es tut gut, dass hier jemand sich mal traut, die Tragweite unseres historischen Moments klar auszusprechen". Um folgende Passage geht es:

Der 6. November 2024 ist der 30. Januar unserer Zeit. Denn an diesem Tag hat eine Mehrheit der amerikanischen Wählerinnen und Wähler ihren Staat einer Gruppe von Superreichen überlassen, die weder an Demokratie noch an Recht, weder an sozialer Gerechtigkeit noch an Emanzipation oder der Erhaltung der natürlichen Überlebensressourcen das geringste Interesse haben. Diese Leute besitzen jetzt nicht mehr nur unfassbar viel Geld und die machtvollsten Kommunikationsmittel der Welt. Jetzt besitzen sie auch den Staat. Weder der Senat noch das Repräsentantenhaus noch der Supreme Court werden ihnen bei irgendetwas im Weg stehen, was sie nun umzusetzen gedenken.

Seemanns Einschätzung dazu:

"Natürlich wird aus der USA jetzt kein nationalsozialistischer Staat nach dem Vorbild des dritten Reiches, aber es wird etwas gebaut werden und es wird nicht schön. Und selbst wenn sich der Techfaschismus nur ein zehntel so brutal geriert wie das dritte Reich, ist der potentielle Schaden, den der amerikanische Staat in den Händen der Plattform-Oligarchie anrichten kann, potentiell ebenso beängstigend."

Das Gefühl der Beängstigung ist am Wochenende noch etwas größer geworden:

"Kash Patel as FBI Director would turn us into a Russian police state driven by QAnon mythology",

schreibt Jim Stewartson, ein "anti-disinformation activist" (Eigeneinschätzung) in seinem Substack "Mind war" über Trumps neuesten Nominierungsschachzug. Dass Patel angekündigt hat, Journalisten zu verfolgen, erwähnen zum Beispiel CNN, "Berliner Morgenpost" und die "New York Times".

Der Ex-CNN-Mann Oliver Darcy kritisiert in seinem medienjournalistischen Newsletter "Status" die generelle Berichterstattung über die Nominierungen:

"Die Medien können sich nicht dazu durchringen, der Öffentlichkeit den extremistischen Charakter der von Donald Trump ausgewählten Regierungsmitglieder deutlich zu machen."

Kash Patel sei nur ein Beispiel dafür. Darcy weiter:

"Als Trump ankündigte, dass er beabsichtigt, Patel zum Direktor des Federal Bureau of Investigations zu ernennen, lehnte es die überwiegende Mehrheit der News-Medien ab, den Lesern in Schlagzeilen und Überschriften direkt mitzuteilen, dass es sich bei der ausgewählten Person um einen rechtsgerichteten Verschwörungstheoretiker handelt, der offen geschworen hat, die Strafverfolgungsbehörde zu verunstalten."

Das Versäumnis, "die Dinge beim Namen zu nennen", sei "Teil eines größeren Musters", schreibt Darcy.

"Während Trump seine zweite Regierung mit Radikalen vollstopft, die wiederholt bewiesen haben, dass sie es mit der Wahrheit - oder in vielen Fällen mit grundlegenden amerikanischen Prinzipien - nicht so genau nehmen, haben es die Medien versäumt, die Öffentlichkeit angemessen über die beunruhigende Natur der ernannten Personen aufzuklären. Diese (…) werden selten, wenn überhaupt, als Verschwörungstheoretiker oder Extremisten bezeichnet, obwohl sie genau das sind. Es sollte Journalisten nicht schwer fallen, festzustellen, dass es schlichtweg unamerikanisch ist, die gewaltigen Befugnisse der Bundesregierung zu nutzen, um Mitglieder der Presse ins Visier zu nehmen, wie es Patel öffentlich angekündigt hat. Aber es scheint, dass die meisten Pressevertreter entweder nicht willens oder nicht in der Lage sind, solche Aktionen direkt anzuprangern, sei es aus Selbstgefälligkeit, Angst oder einem fehlgeleiteten Gefühl der Neutralität."

Hier bietet es sich an, noch einmal kurz auf den von Darcy erwähnten "Teil eines größeren Musters" zu sprechen zu kommen. Selbstgefälligkeit, Angst, ein fehlgeleitetes Gefühl der Neutralität - das sind ja Begriffe, die einem generell ständig in den Sinn kommen, wenn man die politische Berichterstattung beobachtet und dort Leerstellen ausmacht. Die oben skizzierte bisherige Haltung der ARD zur Klimakrise wäre nur ein Beispiel dafür.

Darcy schreibt weiter:

"In einigen Fällen haben sich die Redaktionen scheinbar dafür entschieden, die Kritik der Demokraten an den Ernennungen mit Begriffen wie 'Verschwörungstheoretiker' zu belegen. Anstatt die Kandidaten selbst als gefährliche Extremisten zu bezeichnen, wird die Taktik angewandt, Kritiker zu zitieren, die eindringliche Warnungen aussprechen. Das Zitieren von Kritikern ist sicherlich gerechtfertigt, entschuldigt aber nicht, dass die Redaktionen nicht von sich aus offensichtliche Beobachtungen machen."

Linke Medien in Not (heute: die "Stadtrevue")

Dass das Überleben in den Nischen, in denen noch linker Journalismus möglich ist, immer schwieriger wird - dafür drängen sich in regelmäßigen Abständen immer wieder neue Beispiele auf (siehe Altpapier). Die "Titanic", "Missy" und das ND brauchten Rettungs-Kampagnen und haben sie erfolgreich hinter sich gebracht - wobei zum Beispiel das ND betont, dass es noch lange nicht über den Berg sei ("Auch wenn unsere wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, es besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende"). Die Wirtschaftszeitung "Oxi" dagegen überlebte nicht (Altpapier).

Aktuell um ihre Existenz kämpft nun die Kölner "Stadtrevue" - das beste Stadtmagazin der Republik. Die "Stadtrevue" ist eines der wenigen Beispiele dafür, dass sich der linke Spirit aus den großen Zeiten des Genres durchaus in einen zeitgemäßen Stadtmagazin-Journalismus überführen lässt. Disclosure: Ich habe seit 2022 drei oder vier Texte für die Zeitschrift geschrieben. 

Mitte November hat bereits das Deutschlandfunk-Kultur-Magazin "Kompressor" über die "Stadtrevue" berichtet - in Form eines Interviews mit deren Redakteur Felix Klopotek, der dort unter anderem betonte, die Gründe für die dramatische Notlage seien "zu 90 Prozent nicht hausgemacht".

In ihrer Dezember-Ausgabe hat die Zeitschrift nun ein Gespräch mit ihrem eigenen Geschäftsführer, Christoph Ganslmeier, veröffentlicht (das Interview steht noch nicht online). Er sagt, "dass es ein vergleichbares Magazin in kaum einer anderen deutschen Stadt" gebe und "dass wir seit fast fünf Jahrzehnten als selbstverwaltetes Kollektiv mit Einheitslohn gut arbeiten — damit sind wir eine Ausnahme in der Medienlandschaft, nicht nur in Köln".

Und zum Thema Zahlen:

"Wir haben sehr viel Zuspruch erhalten und freuen uns über mehr als 500 neue Abos in kurzer Zeit. Jetzt müssten wir diesen schwungvollen Start nur noch in eine Sensation verwandeln."

Die "Sensation" wäre übrigens dann vollbracht, wenn am Ende der Kampagne insgesamt 2.000 neue Abos zu Buche stehen.

Einen größeren Bogen schlägt Ganslmeier dann auch noch:

"Schon die Pandemie-Jahre waren für uns mit existenzbedrohenden Umsatz-Einbrüchen verbunden. Ohne die Corona-Hilfsmaßnahmen hätten wir das nicht geschafft, das muss man klar sagen (…) Wir reden aber eben nicht nur von einer Krise der Stadtrevue oder der Printmedien, sondern von einer Krise des Journalismus — und besonders des Lokaljournalismus."

Altpapierkorb (Berichterstattung über Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu, "Kleines Fernsehspiel"-Anthologie "Uncivilized", Hubert Fichtes Briefwechsel mit seinem Hörspielregisseur)

+++ Thomas Fischer registriert in seiner "Spiegel"-Kolumne, dass in deutschen Medien das Wissen über den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) nicht sonderlich ausgeprägt ist: "Deutschland ist Mitgliedstaat des IStGH-Statuts und wäre daher verpflichtet, Herrn Netanyahu, käme er hierher, festzunehmen. Ein Blick in die (deutsche) Presse offenbart allerdings eine erstaunliche Vielfalt von Ansichten zu dieser Frage, die jeweils mehr oder minder vage auf Rechtsgründe gestützt sind. Nur beispielhaft: Die 'Jüdische Allgemeine' etwa behauptet (wie auch die israelische und die Regierung der USA), der IStGH sei gar nicht zuständig; FAZ und viele andere sind hin- und hergerissen, 'Bild' irrt im Nebelwald umher und behauptet (22.11.), die Verpflichtung Deutschlands aus dem Römischen Statut stehe im Widerspruch zu völkerrechtlichen Pflichten gegenüber Israel. Welche das sind, bleibt unerwähnt."

+++ Heike Hupertz empfiehlt auf der FAZ-Medienseite die Anthologieserie "Uncivilized", die im "Kleinen Fernsehspiel" des ZDF zu sehen ist: "(Sie) beschreibt in fünf fiktionalen Filmen Szenen der Lebenswirklichkeit von jungen Menschen mit Zuwanderungsgeschichte (…) und nimmt bewusst nicht Positionen der Mehrheitsgesellschaft ein (…) 'Uncilivized' fordert dazu auf, Gemeinsames und Unterschiedliches als Grundlage einer Gemeinschaft der Werte hierzulande nicht nur wahrzunehmen, sondern auf zivilisierte Weise durch jeden Einzelnen zu verteidigen."

+++ Einen ausführlichen Text über einen 1971 in einer "medienhistorisch interessanten Situation" einsetzenden Briefwechsel hat Cord Riechelmann für die Medienseite der FAS geschrieben. Er stammt von Hubert Fichte und Peter Michel Ladiges und ist unter dem Titel "'In Gedanken ­unterhalte ich mich die ganze Zeit mit Dir'. Briefe" bei Fischer als Buch erschienen. Riechelmann schreibt: "In Peter Michel Ladiges, der seit 1962 in der Abteilung Hörspiel beim Südwestfunk in Baden-Baden als Redakteur arbeitete, hatte Fichte (…) schon früh nicht nur einen bemerkenswert feinen Leser gefunden, sondern auch einen Hörspielregisseur und Dramaturgen, der nicht bloß Fichtes Worte, sondern auch die Versuche, das kaum Schreibbare hörbar zu machen, technisch förderte, wo er nur konnte. So hatte Ladiges als Erster in Fichtes Hörstück 'Djemma el Fna. Der Platz der Gehenkten' Originaltöne von einem Marktplatz in Marrakesch eingebaut. Tragbare Aufnahmegeräte und handliche Mikrofone machten es Fichte möglich, den Sound des Marktplatzes einzufangen und mithilfe von Ladiges' Toninszenierungskunst die Töne ins Radio zu bringen. (…) Mit dem intellektuellen Gepäck von neuem Film und neuer Ethnologie reisten Fichte und Ladiges in die Welt und versuchten ihre Erfahrungen zuerst im Radio hörbar zu machen. Was am Ende bei aller Spannung, die in den Texten des Buches aufscheint, doch auch traurig ist: Denn dieses Radio kommt bestimmt nicht wieder."

Das Altpapier am Dienstag schreibt Christian Bartels.

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