Kolumne: Das Altpapier am 19. November 2024 Schmutz-Kampagne: Focus-Redakteure sollen Angst vor SPD schüren!
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19. November 2024, 09:58 Uhr
So würde zumindest "Focus Online" titeln. Das Portal hat sich am Wochenende eine ziemliche Ente über eine angebliche Anti-Merz-Kampagne der SPD geleistet und einfach mal auf sämtliche journalistische Standards gepfiffen. Die SPD geht nun juristisch dagegen vor. Außerdem wurde der Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis verliehen – an vier Westdeutsche, die über den Osten berichten. Und den neuesten Krach über die ÖRR-Finanzierung gibt's natürlich auch. Heute kommentiert Ben Kutz das mediale Geschehen.
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Das focussche Ein-Quellen-Prinzip
Am Samstag ist bei "Focus Online" (WebArchive) ein Artikel mit folgender Headline erschienen:
"Wahlkampf aus der untersten Schublade: SPD plant Schmutz-Kampagne! Frauen sollen Angst vor Friedrich Merz schüren"
In der angeblichen "Diskreditierungs-Kampagne" soll die SPD laut "Focus" 100 Frauen in Online-Clips vor die Kamera zerren, die sagen, "warum sie Angst vor Friedrich Merz haben".
Einzige Quelle des Artikels: Ein CDU-Insider, der vor einem "schmutzigen Wahlkampf" warnt, aber "von der SPD nichts anderes erwarten" würde.
Schon Samstagabend hat der "Focus" den Artikel allerdings wieder von seiner Website gelöscht. Stattdessen findet man seit gestern Mittag einen Artikel mit der Überschrift "Neue Erkenntnisse zu Bericht über Social-Media-Kampagne gegen Merz". Und wie sehen diese "neuen Erkenntnisse" aus?
"Wir gehen inzwischen nicht mehr davon aus, dass es strategische Überlegungen der SPD in der von uns ursprünglich dargestellten Art gegeben hat."
Ach guck! Das ist ja ziemlich genau das Gegenteil. In ein besseres Licht rückt sich der "Focus" auch nicht durch weitere Erklärungsversuche (die dabei auch noch zielsicher alle Worte der Kategorien "Entschuldigung", "Verzeihung" oder "Ohgottohgott, wie hochnotpeinlich" umschiffen):
"Von uns als verlässlich eingeschätzte Quellen hatten uns zunächst von einer gezielten Social-Media-Kampagne gegen den Unions-Kanzlerkandidaten ausgehen lassen. Eindeutige Reaktionen der Parteien und weitere Recherchen haben in der Redaktion zu einer neuen Bewertung der Sachlage geführt."
Der "Focus" hält es also für eine gute Idee, einen diffamierenden Artikel über die SPD rauszuhauen und diesen offensichtlich auf genau eine "Insider-Quelle" aus dem gegnerischen politischen Lager zu stützen. Laut Raphael Brinkert hat der "Focus" die SPD nicht mal mit den Vorwürfen konfrontiert. Brinkert ist Chef einer Marketingagentur und war für den SPD-Wahlkampf 2021 verantwortlich. Auch die kommende Kampagne wird er übernehmen. Auf X schreibt er:
"CDU-Quellen unterstellen gemeinsam mit @focusonline öffentlich der @spdde Absender einer 'Frauen gegen @_FriedrichMerz'-Kampagne zu sein und verbreiten diese, ohne Rücksprache, Hinzunahme einer zweiten Quelle oder Beweisen. [...] Das Problem: Keiner in der SPD kennt diese Kampagne, schon gar keiner auf Bundesebene. Auch wir als Agentur nicht."
Mehr noch: Als dem "Focus" aufgefallen ist, dass die Geschichte höchstwahrscheinlich Schrott ist, hat er sie einfach kommentarlos von der Website gelöscht. Den Hinweis, dass es sich bei der Geschichte um eine Falschmeldung handelt, hat der "Focus" erst auf Druck der SPD veröffentlicht. So steht es im "Stern".
Diese Nacht ist dort (endlich) der erste Artikel zur "Focus"-Ente erschienen, über 48 Stunden nach der Falschmeldung. Die Kollegen zitieren SPD-Generalsekretär Matthias Miersch:
"Dass die Redaktion nur eingelenkt hat, nachdem wir den Medienanwalt Christian Schertz auf Grund des Anfangsverdachts einer Verleumdung eingeschaltet haben, verschweigt Focus Online."
Deswegen geht die SPD nun auch juristisch gegen "Focus Online" vor, meldet der "Stern". Die Partei sehe sich zu diesem Schritt gezwungen, lässt sich Miersch zitieren. und weiter:
"Er [Miersch] bezeichnet den Artikel als 'Desinformation, Hass und Hetze.' Er basiere auf ungeprüften Behauptungen von angeblichen CDU-Insidern – die SPD wäre nicht mit den Vorwürfen konfrontiert worden. 'Das entbehrt jeder journalistischen Grundlage', sagte Miersch."
Jep! Keine Konfrontation, keine Antwortfrist, kein Zwei-Quellen-Prinzip. Zum Haare raufen!
Auf X führte die Falschmeldung zu wilden Schock-Bekundungen ob der angeblichen Skrupellosigkeit der SPD, auch von Mandatsträgern, wie SPD-Campaigner Brinkert auf X schreibt. Die meisten Tweets zu dem Thema sind zwar mittlerweile gelöscht, aber irgendwas bleibt ja immer hängen.
Weitere Medienberichte zu dem Fall über den "Stern" hinaus gibt es bisher übrigens nicht. Schade, wie ich finde. Denn wer weder das Zwei-Quellen-Prinzip bemüht noch die bei Verdachtsberichterstattung unbedingt nötige Konfrontation an die Betroffenen verschickt, hat noch eine deutlich größere Watsche verdient.
Oder in den Worten von Stern-Reporter Julius Betschka bei X:
"Einen Artikel zu löschen, ist im Journalismus so wie ein Atomschlag gegen sich selbst. Das macht man selbst bei Klagen nie, fast nur bei Fälschung/kompletter Unwahrheit."
"Ost-Preise nur für Wessis"
Ende letzter Woche wurde der Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis in Hamburg verliehen. Die Preisträger hat der Verein schon Mitte Oktober bekanntgegeben (Altpapier). Der Fokus liegt dieses Jahr auf Dokus über Ostdeutschland, wie man auch der Pressemitteilung der Jury entnehmen kann.
Gewinner sind Eva Schulz für eine dreiteilige Reihe über die "politische[...] Lage in Sachsen, Thüringen und Brandenburg" und Jan Lorenzen für seine Doku "Die große Angst: Zukunft in Ostdeutschland". Den Sonderpreis bekommen Lutz van der Horst und Fabian Köster für ihr "heute-show spezial: Zwei Besserwessis im Osten".
Alexander Teske kritisiert die Jury nun in einem "taz"-Essay:
"Alle Preisträger eint: Sie haben Filme über Ostdeutschland gedreht. Und: Alle vier sind Westdeutsche. Den Filmen sieht man das an. Sie zeichnen ein einseitiges Bild und zeigen nur einen kleinen Ausschnitt der Realität. Der Jury unter dem Vorsitz von Sandra Maischberger fiel das nicht auf. Vielleicht, weil unter 43 Mitgliedern nur eine Ostdeutsche ist."
Tatsächlich wirft Teske in seinem Text viele interessante Fragen auf: Ist eine Doku mit dem Titel "Die große Angst: Zukunft in Ostdeutschland?" ein geeigneter Titel, um sich vorurteilsfrei einer journalistischen Frage zu widmen? Wirft man zu viel in einen Topf, wenn man "kaum eine Unterscheidung zwischen AfD-Wählern und Nazi-Schlägern" trifft? Und ist irgendjemandem geholfen, wenn man gesellschaftliche Gruppen durch die Haltung einer Reporterin indirekt in gut und böse einteilt?
Den Kritikpunkt, dass die Autorinnen westdeutsch sind, halte ich zunächst nicht für zielführend. Jeder sollte unabhängig von seiner Herkunft die Themen journalistisch beackern dürfen, die er wichtig und spannend findet. Trotzdem wirken die Filme bisweilen tatsächlich wie eine Art Auslandsreportage und ich unterstelle einfach mal, dass es dem einen oder anderen ostdeutschen Kollegen besser gelungen wäre, ein differenzierteres Bild zu zeichnen.
Und am Ende steht es eben doch sinnbildlich für eine westdeutsch geprägte Medienlandschaft, dass der Friedrichs-Preis drei Filme über Ostdeutschland von vier Westdeutschen auszeichnet. Von den 53 Preisträgerinnen und Preisträgern, die den Preis bisher erhalten haben, kam mit Maybrit Illner genau eine aus dem Osten, schreibt Teske. Und weiter:
"Bei anderen deutschen Medienpreisen sieht es ähnlich aus: ostdeutsche Journalisten werden sehr spärlich hervorgehoben, sie sitzen selten in der Jury. Ab und zu werden allerdings Werke über den Osten geehrt. Westdeutsche Redakteure berichten dann einem westdeutschen Publikum und werden dafür von westdeutschen Juroren ausgezeichnet."
Ich geh mich jetzt mal wieder wundern, warum sich viele Ostdeutsche in den Leitmedien nicht repräsentiert sehen.
ÖRR-Finanzierungskrach
Carsten Brosda ist ja eh schon der heimliche Star dieser Kolumne. Sie wissen schon: Der Hamburger Mediensenator, der sich in einer Klarheit für eine saubere Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunk kämpft, die man bei manch anderen Medienpolitikern immer öfter vermisst. Kurz vor der entscheidenden Ministerpräsidentenkonferenz im Oktober hat er gefordert, dass man sich nur auf eine Rundfunkreform einigen soll, wenn auch gleichzeitig die Beitragserhöhung beschlossen wird (Altpapier). Naja, hat nicht so ganz geklappt (Altpapier).
Auf der heutigen "FAZ"-Medienseite ist Brosda nun zur nächsten Interviewrunde angetreten. Titel: "Ich habe das Junktim nicht hergestellt, es besteht". (Falls Sie Ihr Wörterbuch "'FAZ' – Deutsch, Deutsch – 'FAZ'" gerade nicht zur Hand haben: Ein Junktim ist eine "Verknüpfung zweier oder mehrerer vertraglicher Abmachungen"). Brosda beharrt in seinem Interview also weiter darauf, dass die Rundfunkreform nur in Kombination mit einer Beitragserhöhung beschlossen werden sollte:
"Die Ministerpräsidenten haben den Entwurf des Medienstaatsvertrages noch nicht für die Unterrichtung der Landesparlamente freigegeben, weil die Landtage über das Gesamtpaket entscheiden sollen, einschließlich des Finanzierungsstaatsvertrags. Über diesen wollen die Regierungschefinnen und -chefs am 12. Dezember beschließen."
Brosda ist nach wie vor zuversichtlich, eine Lösung zu finden, die das ständige Beitragserhöhungs-Gezanke endlich beendet. "Es werden jetzt Vorschläge erarbeitet, die die bislang explizite Zustimmung in eine Widerspruchsregelung verändern", sagt der Mediensenator. "Dabei könnte man auch mit Quoren arbeiten, damit nicht ein einzelnes Land die Beitragsfestsetzung blockieren kann." Und: "Ich bin optimistisch, dass das gelingt [...]."
Weniger optimistisch ist Claudia Tieschky in der "Süddeutschen Zeitung". "Zum zweiten Mal in diesem Jahrzehnt besteht die Aussicht, dass das Bundesverfassungsgericht über die Beitragshöhe entscheiden muss", schreibt sie. Das ist ziemlich wahrscheinlich dann der Fall, wenn sich die Ministerpräsidentinnen- und präsidenten bei ihrer Sitzung am 12. Dezember nicht einigen können.
Die Situation ist einigermaßen verfahren. Es geht darum, "die Beitragsermittlung aus der politischen Schusslinie zu nehmen", schreibt Tieschky. Die Rundfunkfreiheit ist ein Grundrecht. Eigentlich müsste verhindert werden, dass über die Finanzierung der Sender Medienpolitik gemacht wird. Aber:
"Das ist derzeit besonders unbequem, weil die Blockade der 58 Cent durch die Länder eigentlich genau das ist: Medienpolitik durch pseudokraftstrotzende Geldverweigerung statt einfach durch Gesetze."
Das kritisiert auch die "Junge Welt":
"Dabei ist das Verfahren verfassungsrechtlich verbrieft. Die Finanzkommission KEF hat die Erhöhung empfohlen, die Bundesländer dürfen sie nicht aus politischen Erwägungen ablehnen – doch das tun sie."
Ob die Länder es tatsächlich schaffen, einen Ausweg aus diesem Dilemma zu finden, erfahren wir im Dezember. Also vielleicht. Schauen wir mal.
Altpapierkorb (Angst um neues Filmförderungsgesetz, Übt KKR Druck auf Springer aus?, Ist Klimajournalismus Aktivismus?, Warum es keinen neutralen Journalismus gibt)
+++ Das Ampel-Aus könnte empfindliche Konsequenzen für die deutsche Filmbranche haben. "Die ewig verhandelte Reform des Filmförderunggesetzes stand kurz vor dem Abschluss", schreibt welt.de. "Alles hängt nun davon ab, ob es doch noch vom Bundestag beschlossen wird. Sonst wird es finster." Seit sieben (!) Jahren tüfteln Kulturpolitiker an einer Novelle der Filmförderung. Viele in der Kulturbranche halten die neuen Richtlinien für enorm wichtig, um den Filmstandort Deutschland im weltweiten Vergleich wettbewerbsfähiger zu machen.
+++ Der Springer-Konzern hat 2023 massiv Stimmung gegen das Heizungsgesetz gemacht. Hat der Investmentriese KKR, Hauptaktionär des Verlags, etwas damit zu tun? Dieser Frage geht die NGO Lobbycontrol in einer Analyse nach. Ergebnis: "Es erscheint nicht gänzlich abwegig, dass KKR die BILD-Zeitung auch für Einflussnahme rund um das Heizungsgesetz genutzt haben könnte", denn "KKR hat wirtschaftliche Interessen daran, Klimaschutzgesetze zu verwässern".
+++ Das Verdi-Medienmagazin hat ein Interview mit Carla Reemtsma, Sprecherin von Fridays for Future, geführt. Besonders spannend ist die Frage, ob beim Klimajournalismus Grenzen zwischen objektivem Journalismus und politischem Aktivismus verschwimmen. Reemtsmas Antwort: "Das Problem sehe ich viel eher in dem Vorwurf selbst. [...] Was ist daran problematisch, wenn man als Journalist*in [...] konkrete Gesetze auf ihre klimapolitische Wirksamkeit oder Bedeutung prüft? Meiner Meinung nach wird der Vorwurf des Aktivismus meist eingesetzt, um Leute einzuschüchtern und sie in ihrer Glaubwürdigkeit zu diskreditieren."
+++ Warum es keinen neutralen Journalismus gibt, erzählt Journalistik-Professor Tanjev Schultz unserer Altpapier-Kollegin Johanna Bernklau für "Übermedien". "Es ist unmöglich, absolute Objektivität oder Neutralität herzustellen", sagt er. Man könne sich aber annähern: "Das Ideal der Objektivität verlangt, dass ich als Journalist versuche, mich so weit wie möglich von meinem eigenen Standpunkt zu lösen und andere Perspektiven einzunehmen. Ich muss versuchen, mögliche Vorurteile und Beschränkungen in meiner Sicht zu überwinden."
Das Altpapier am Mittwoch schreibt Christian Bartels.