Kolumne: Das Altpapier am 15. November 2024 Was tun, wenn der Gaul nicht trinkt?
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15. November 2024, 10:42 Uhr
Kann Maslow Trumps Wahlsieg erklären? Ist das deregulierte Mediensystem schuld? Und bräuchte es jetzt einen Pferdeflüsterer? Heute kommentiert Ralf Heimann die Medienberichterstattung.
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Kann eine Pyramide den Wahlsieg erklären?
Donald Trump hat den Impfskeptiker und Verschwörungstheoretiker Robert Kennedy Jr. zum Gesundheitsminister berufen, meldet am Morgen unter anderem der "Spiegel". Das Bezeichnende ist: Diese Personalie sticht nicht mal besonders heraus in "Trumps Kabinett des Grauens", wie der "Spiegel" am Donnerstagmorgen titelte. Die resignierte Frage, ob man sich das mit dem Journalismus nicht einfach sparen kann, wenn so vielen Menschen Fakten und Informationen anscheinend egal ist, scheint mittlerweile nicht mehr vollkommen abwegig.
Der Journalismus-Professor Michael J. Socolow hat für das "NiemanLab" über die Frage geschrieben. Die "Zeit" hätte wahrscheinlich ein schönes Pro-und-Contra draus gemacht ("Oder soll man es lassen?").
Socolows Titel lautet: "Was sollten Journalisten tun, wenn die Fakten keine Rolle spielen?" Zunächst versucht er aber eine Erklärung dafür herzuleiten, warum vielen Menschen Fakten dem Anschein nach egal sind, zum Beispiel eben die Tatsache, dass Donald Trump ein verurteilter Straftäter ist. Socolow:
"Vielleicht erklärt die Maslowsche Bedürfnishierarchie am besten, warum so viele Nachrichtenkonsumenten, die über Trumps Fehlverhalten informiert waren, für ihn gestimmt haben. Diese Hierarchie funktioniert folgendermaßen: Lange bevor wir unseren Wunsch befriedigen, moralisch, ethisch und spirituell sinnvoll zu leben, folgert Maslow, dass physiologische Bedürfnisse – zum Beispiel Nahrung und Unterkunft, Sicherheit und Geborgenheit, Arbeit und Gesundheit – befriedigt werden müssen."
Und weiter:
"Sich ernsthaft mit Trumps Verhalten oder Moral auseinanderzusetzen oder mit der Art, wie er scheinbar die demokratische Regierungsführung und die verfassungsmäßige Ordnung vor fast vier Jahren bedrohte, scheint für Familien, die sich kein überteuertes baufälliges Haus oder ein altes gebrauchtes Auto leisten können, ein Luxus zu sein."
Aber was bedeutet das für den Journalismus?
"Vielleicht ist die wichtigste Lektion, die ein Journalist lernen kann, Demut",
schreibt Sokolow. Eine realistischere und bescheidenere Sicht auf den tatsächlichen Einfluss von sachlichen und überprüften Berichten helfe immerhin, die Enttäuschung zu verringern. Das ist nicht viel, aber viel mehr kann man laut Sokolow auch nicht erwarten.
"Man kann ein Pferd zur Tränke führen, aber es nicht zum Trinken zwingen",
schreibt er. Journalisten müssten verstehen, dass das Verbreiten wahrer und nützlicher Informationen in die Welt für sich genommen ein wertvoller Dienst sei – unabhängig davon, was danach geschieht.
Die Kaderschmiede Fox News
Margaret Sullivan beschäftigt sich in ihrer Kolumne für den "Guardian" mit den schon während der ersten Trump-Amtszeit teilweise kaum noch wahrnehmbaren Trennlinien zwischen dem Sender Fox News und der US-Regierung, die sich nun offenbar noch weiter verflüchtigen, falls es sie überhaupt jemals gab.
Sullivan erinnert daran, dass nicht nur der designierte Verteidigungsminister Peter Hegseth vom Fox News-Sofa kommt, sondern dass auch schon Richard Grenell (Botschafter und später Geheimdienstdirektor), Ben Carson (Wohnungsbauminister) und Bill Shine (ehemaliger Kommunikationschef) von dort berufen wurden.
Sullivan schreibt:
"Die Verbindung zwischen Trump und Fox News ist geradezu natürlich; eines haben sie gemeinsam: ein Problem mit der Wahrheit. Trump lügt bekanntlich mit fließender Unverfrorenheit."
Und sie zitiert den Medienexperten Oliver Darcy, der in seinem Mediennewsletter "Status" schreibt:
"Anstatt Lügen und Verschwörungstheorien aus Quellen wie Fox News und den Online-Fiebersümpfen zu fördern, werden diese Medienpersönlichkeiten dies nun mit den Ressourcen und der Unterstützung der US-Regierung tun."
Ohne Fox hätte es Trump nicht geben können, schreibt Sullivan. Was auch immer sie machten, also Trump und der Sender, es funktioniere zu ihrem gegenseitigen Vorteil, nur eben nicht zum Vorteil der Demokratie.
X wird Regierungskanal
Der "Social-Media-Watchblog" gibt in seiner Ausgabe vom Donnerstag einen guten Überblick über all das, was im Nachgang der Wahl über Politik und Medien geschrieben wurde, vor allem eben über die Plattformen. Unter anderem dort verlinkt ist auch ein Artikel aus dem Techmagazin "The Information", der nahelegt, dass es mit dem rechtsextremen Matt Gaetz im Amt des Justizministers wohl kein Tiktok-Verbot geben wird. Und Martin Fehrensen, einem der beiden "SM-Watchblog"-Autoren, ist aufgefallen, dass der SPD-Parteivorstand seinen X-Account nach einer zehn Monate langen Pause wieder reaktiviert hat.
Immer schön antizyklisch handeln. Der Zug fährt ja eigentlich gerade in die andere Richtung. Das Netzwerk Bluesky zum Beispiel zählt eine Woche nach der Wahl eine und seit Oktober sogar zwei Millionen neue Konten, meldet "Zeit Online". Das ist noch nicht so richtig viel im Vergleich zu den 600 Millionen, die sich weiter bei X herumtreiben. Aber da gab es zuletzt eben größere Abgänge. In dieser Woche hatte sich – wir erwähnten es gestern – der "Guardian" mit seinen 80 Konten verabschiedet.
Andrian Kreye und Michael Neudecker schreiben heute im SZ-Feuilleton unter dem Titel "Der X-odus" über diese Entwicklung und über das, was da gerade passiert. Am Ende kulminiert es in dem Satz:
"Mit seinem Quereinstieg bei Trump, der Falschinformation zur Standardpraxis gemacht hat, wandelt sich X vom Sprachrohr ihres Besitzers in einen Kanal der amerikanischen Regierung."
Und das könnte eben bedeuten: 600 Millionen Pferde, aber weit und breit keine Tränke zu sehen.
Die Langzeitfolgen der Deregulation
Der frühere Direktor der Landesanstalt für Medien in Düsseldorf, Norbert Schneider, ist für "epd Medien" der Frage nachgegangen, wie es in den USA überhaupt so weit kommen konnte. Seine Hypothese lautet: Das deregulierte Mediensystem ist schuld.
In der durchkommerzialisierten Medienlandschaft geht es, wie sich herumgesprochen hat, vor allem um Gewinnmaximierung, weniger um journalistische Standards. Und wenn einfach nur das relevant ist, was am meisten kickt und am besten klickt, dann schlagen Unterhaltung und Sensation eben Nachrichten und Information. Und dann schlagen gefühlte Wahrheiten auch Fakten.
Margaret Sullivan hatte geschrieben, ohne Fox hätte es Trump nicht geben können. Man kann sogar sagen: Es hätte kaum jemanden geben können, der für die Anforderungen dieses degenerierten Mediensystems noch besser optimiert ist. Würde er sich hin und wieder an die Regeln halten und den ganzen langweiligen Kram mitspielen, wäre das einfach nur schlecht für die Quote.
Und nicht nur Fox News hat diesen Frankenstein-Präsidenten erschaffen. Nicht ganz unwesentlich war auch NBC beteiligt, wo Trump in der Serie "The Apprentice" zehn Jahre lang als jemand verkauft wurde, der etwas von Wirtschaft versteht.
Schneider schreibt:
"Eine schlimme Folge mangelnder Bildung zeigt sich in der Unfähigkeit, zwischen Richtig und Falsch zu unterscheiden. Paul Auster lässt eine seiner Romanfiguren sagen: Das sehe ich erst, wenn ich es glaube. Das ist die Devise für jede Art von Fake News, vulgo: die Lüge, die viele gar nicht juckt. Sie ignorieren, was der 2003 verstorbene US-Senator Daniel Patrick Moynihan spitzzüngig bemerkt hat, dass jeder ‚das Recht auf seine eigene Meinung‘ habe, aber keiner ‚das Recht auf seine eigenen Fakten‘."
Hier teile ich die Analyse nicht ganz. Die Daten zeigen zwar, dass Bildung durchaus ein Indikator sein kann, wenn es darum geht, vorherzusagen, ob jemand Republikaner oder Demokraten wählt. Aber der Bildungsgrad allein ist keine Erklärung dafür, ob Menschen bereit sind, Lügen oder Falschinformationen zu glauben. Das hängt auch davon ab, welchen sozialen und emotionalen Einflüssen sie ausgesetzt sind, in welchem Umfeld sie leben, als wem sie vertrauen.
Das lässt sich so auch auf Deutschland übertragen. Der Erfolg der AfD ist im Wesentlichen kein Bildungsproblem. Das haben die letzten Wahlen gezeigt. Die Menschen wählen die Partei nicht, weil sie nicht wissen oder verstehen, dass sie die Demokratie in Gefahr bringt, sondern weil ihnen das ganz lieb wäre, denn mit dieser real existierenden Demokratie verbinden viele Menschen eben überhaupt nichts Gutes, wie die hier gestern erwähnte Leipziger Autoritarismus-Studie soeben wieder gezeigt hat.
Aus seiner Analyse leitet Norbert Schneider auch einige Empfehlungen für Deutschland ab. Schneider:
"Medienförderung ist eine wesentliche Komponente im Aufbau von demokratischen Strukturen. Alles, was nach Konzentration aussieht, muss geprüft werden. Denn die negativen Folgen einer Medienkonzentration stellen sich schnell ein. Der Abbau dieser Folgen aber dauert Jahre."
Am Ende steht ein Schlussplädoyer für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Wer Trump irritiert beim Siegen zuschaue und Ähnliches im eigenen Land vermeiden wolle, schreibt Schneider, der
"sollte eine maßvolle Erhöhung der Haushaltsabgabe für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht als Problem sehen, sondern als eine Möglichkeit, den gesellschaftlichen Diskurs zu stützen".
Die Voraussetzung dafür wäre allerdings, dass man diesen Diskurs überhaupt möchte.
Altpapierkorb (The Onion, ProSiebenSat1, Newszone, Irland vs. Tech-Konzerne, Google News, TikTok-Altersgrenze, Papiermangel, Giovanni Di Lorenzo)
+++ Die satirische Nachrichtenseite "The Onion" hat "Infowars", die vom rechten Märchenonkel Alex Jones gegründete Verschwörungsplattform, aus dem Konkurs gekauft, um sie als humorvolle Parodie auf sich selbst wiederzubeleben, berichtet die "New York Times". Dabei soll alles vorkommen, was bislang auch schon da war – seltsame Menschen aus dem Internet, Falschinformationen, Nahrungsergänzungsmittel, nur eben nicht mehr ernst gemeint. Die Familien der Opfer des Amoklaufs an der Sandy Hook Elementary School vor zwölf Jahren unterstützen das Satireportal. Alex Jones hatte damals behauptet, der Anschlag sei inszeniert worden.
+++ Die Großaktionäre von ProSiebenSat.1, also das niederländische Medienunternehmen "Media for Europe" und die tschechische Finanzgruppe "PPF", werden ungeduldig und drängen das Management unter Bert Habets, Beteiligungen zu verkaufen und sich auf das Kerngeschäft zu konzentrieren, um Schulden abzubauen, berichtet Uwe Mantel für "DWDL".
+++ Im Streit um die Nachrichten-App "Newszone" haben die 16 klagenden Zeitungsverlage die zweite Runde vor dem Landgericht Stuttgart gegen den SWR verloren, schreibt unter anderem Uwe Mantel für "DWDL". Das Gericht hält die App nicht für "presseähnlich", wie die Verlage es behaupten. Vor zwei Jahren hatte das Landgericht Stuttgart den Verlagen zunächst in einer einstweiligen Verfügung recht gegeben. Das Oberlandesgericht Stuttgart hob die Verfügung im vergangenen Jahr auf. Jetzt geht die Sache in die dritte Runde. Die Verleger haben Berufung angekündigt.
+++ Die irische Medienaufsichtsbehörde CNAM hat angekündigt, künftig strikter gegen Tech-Konzerne wie Meta und Alphabet vorzugehen, die in Dublin ihren EU-Sitz haben, berichtet Mike Herbstreuth für das Deutschlandfunk-Medienmagazin "@mediasres". Die Ära der Selbstregulierung sei vorbei, heißt es in einer aktuellen Mitteilung. Das ist wirklich ein überraschender Plottwist.
+++ Google hat angekündigt, in einigen EU-Ländern mal zu testen, wie das ist, wenn die Suchmaschine Nachrichteninhalte aus "Google News" entfernt, berichtet unter anderem Andreas Knobloch für "Heise online". Google selbst spricht von einem "kleinen, zeitlich begrenzten Test", der die Auswirkungen auf den Datenverkehr und die Suchergebnisse zeigen soll. Tatsächlich demonstriere der Konzern damit aber Stärke. Michael Hanfeld schreibt auf der FAZ-Medienseite: "Es ist eine Machtdemonstration, mit der Google den Urhebern und Verlagen bedeutet: Seid schön artig, seid zufrieden mit den Erdnüssen, die wir euch für eure Inhalte geben, denn wir können auch anders." Das sei ein "Stresstest für die Demokratie".
+++ Australien plant ein Gesetz, das Jugendlichen unter 16 Jahren den Zugang zu sozialen Medien wie Instagram und TikTok verbietet – sogar dann, wenn die Eltern zustimmen, berichtet Jan Bielicki auf der SZ-Medienseite. Kritiker warnen, dass die Altersgrenzen leicht zu umgehen seien und fordern bessere Sicherheitsmaßnahmen statt strikter Verbote.
+++ Die Scheindebatte über die Frage, ob in Deutschland genügend Papier verfügbar ist, um eine neue Regierung zu wählen, ist etwas vom Weg abgekommen. Ex-Altpapier-Autorin Annika Schneider erzählt die Geschichte bei "Übermedien". Es war nämlich so: Ursprünglich hatte die Bundeswahlleiterin Ruth Brand Bundeskanzler Olaf Scholz in einem Brief auf die organisatorischen Herausforderungen und Risiken einer Wahl im Januar hingewiesen. Dabei erwähnte sie knapp, dass es in den letzten Jahren bei der Papierbeschaffung längere Vorlaufzeiten gab. Einige Medien und die üblichen Populisten machten daraus einen "Papiermangel"-Skandal, verbreiteten ungeprüfte Behauptungen. Na ja, und jetzt steht der Termin fest. Sie wissen, 23. Februar. Geht doch.
+++ Giovanni Di Lorenzo, Chefredakteur der Zeit und langjähriger Moderator der Talkshow "3nach9", spricht im Interview mit Thomas Lückerath für "DWDL" über seine Rolle in der Sendung, die Unterschiede zwischen dreistündigen Printinterviews und 20-minütigen Gesprächen im Fernsehen sowie über den Einfluss der sich wandelnden Medien auf die Sendung. Di Lorenzo:"Der Hauptunterschied ist, dass die Leute früher keine Angst vor einem Shitstorm hatten. Dass ein Satz sie praktisch Kopf und Kragen kosten kann. Was ebenfalls komplett verschwunden ist: der Typus Gast, der in der Sendung wie ein Schlot raucht oder auch dem Wein zuspricht. All das wird ja heute mit beobachtet – und da sind unsere Gäste alle sehr, sehr vorsichtig geworden."
Ihnen ein schönes Wochenende!
Das Altpapier am Montag schreibt Johanna Bernklau.