Kolumne: Das Altpapier am 11. November 2024: Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels
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Kolumne: Das Altpapier am 11. November 2024 Riepl würde sich freuen

11. November 2024, 10:06 Uhr

... über das Durcheinander in einer Medienlandschaft, in der fast niemand völlig untergeht. Sich allein auf die Reizfigur Elon Musk einzuschießen, nützt jedenfalls nichts. Und der Bundeskanzler schickte vor der Talkshow eine Grußbotschaft an eine Journalistengewerkschaft. Heute kommentiert Christian Bartels die Medienberichterstattung.

Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels
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Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Klassische Medien (mindestens) verunsichert

Eigentlich müssten gerade goldene Zeiten für klassische Medien herrschen. Jetzt, da überraschende Nachrichten sich im Wortsinn überschlagen (Altpapier). Nun, wenn nach der "Doppelerschütterung" in den USA und Berlin ("SZ"-Titelseite vom Samstag) sogar Nachrichten wie die vom Aus der Sondierungen einer sog. "Brombeer-Koalition" in Sachsen kaum mehr auftauchen. Dabei erschüttert so was den in Deutschland fürs ganze Land ziemlich wichtigen Föderalismus auch schon ganz schön. (Wobei, in Sachsen kommt's vor: "Neuwahlen gewünscht – nicht nur im Bund", meldet das dortige MDR-Funkhaus ...)

Es herrscht nachhaltiger Erklärungsbedarf, sei es zum US-amerikanischen Wahlsystem, sei es zu Vertrauensfragen im deutschen Bundestag, die ja nur selten und vor längerer Zeit gestellt wurden, und wenn, dann von kraftvolleren Bundeskanzlern als dem noch amtierenden. Und die Aufgabe, Orientierung in einer schwierigen Zeit zu geben, hat Journalismus ja sowieso. (Wobei diese Floskel hier oben nur steht, weil sie am Ende der Kolumne nochmals auftaucht).

Doch das mit den goldenen Zeiten ist überkommene Theorie. In der Praxis wirken viele klassische Medien, von den öffentlich-rechtlichen Polit-Talkshows mal abgesehen, mindestens verunsichert. "Hat Trump die traditionellen Medien vernichtet?", fragte die "FAZ" (Abo) mit Blick auf die USA. Klar, rund eine Viertelmillion-Abo-Kündigungen (Altpapier) bei der Watergateaffäre-berühmten "Washington Post", nachdem Eigentümer Jeff Bezos die Harris-Empfehlung verboten hatte, sprechen eine deutliche Sprache. Aber mehr als dreieinhalb Millionen mehr für Trump als für Harris abgegebene Wahlstimmen eine noch deutlichere.

Die Frage, was die traditionellen Medien noch bewegen, stellt sich, und die Presse ... blickt auf einen Befund, mit dem das 'New York Magazine' Ende Oktober einen anonymen TV-Manager zitiert hatte: 'Wenn das halbe Land entscheidet, dass Trump für die Präsidentschaft qualifiziert ist, bedeutet das, dass die Menschen diese Medien schlicht nicht konsumieren und dass wir sie komplett verloren haben. Ein Sieg Trumps bedeutet, dass die traditionellen Medien in ihrer jetzigen Form tot sind. ...'"

schreibt Nina Rehfeld und zitiert außerdem den "New York Times"-Kolumnisten Ezra Klein, der den Demokraten empfahl, dahin zu gehen,

"'wohin sie bisher nicht gegangen sind, und Meinungen ernst nehmen, die sie bisher nicht ernst genommen haben' , sie sollten wissen wollen, wieso man ihnen misstraut. Das wäre auch ein Ratschlag für die traditionellen Medien."

Und könnte auch für Deutschland gelten, wo die Frage, ob individuelles Wunschdenken (das ja legitim ist, aber als solches zu erkennen sein sollte), die Analysen trübt, manche Medien auch umtreiben dürfte.

"Soziale Medien" als Profiteure

Hierzulande gibt's gerade allerhand große Betrachtungen der Rolle, die Elon Musk und seine Plattform Ex-Twitter/X für Donald Trumps Wahl-Erfolg spielten, und erst recht Befürchtungen, welche Rolle Musk künftig spielen könnte. "Das Albtraumpaar" heißt der heutige Feuilleton-Aufmacher der "SZ". "Wie Elon Musk seine Firmeninteressen mit Trump durchsetzen will", fasste "Telepolis" zusammen. Musk gehe es darum, "regulatorische Hürden für seine Unternehmen abzubauen", also nicht für X/Twitter (denn größere Hürden für Online-Plattformen in den USA gab es sowieso nie; genau deshalb können die US-Plattformen ja überall klassischen Medien plattmachen ...), sondern für seine Auto-, seine Weltraum-/Firma und die, die "Chips in menschliche Gehirne implantieren" möchte. Nicht gar so düster sahen es Jannis Brühl und Simon Hurtz wiederum in der "SZ", aber im Wirtschaftsressort. Ihr Ganzseiter "Elon Musk, Schattenminister" fiel deshalb weniger düster aus, weil sie Musks und Trumps Pläne als so unterschiedlich einschätzen, dass die beiden bald in Streit geraten dürften.

Womöglich mehr bewegen kann der leicht weniger superreiche, zurückhaltendere und klügere Trump-Unterstützer Peter Thiel. Mit Musk hat der deutschstämmige Thiel nicht nur frühen Reichtum dank Paypal gemeinsam, sondern auch, dass er ebenfalls im südlichen Afrika aufwuchs, informiert ein Porträt im "Standard".

Bei aller negativen Faszination, die Musk und sein X auslösen und bei aller Wirkung, die sie in den USA womöglich hatten, das Problem ist größer. Schreibt Ingo Dachwitz in einem netzpolitik.org-Kommentar:

"Für diese Art des Wahlkampfes war ... nicht nur X ein perfekter Nährboden, sondern die Sozialen Medien insgesamt. Allein in den letzten Wahlkampfmonaten sind einer Analyse zufolge in den USA mehr als 600 Millionen Dollar für zielgerichtete politische Werbeanzeigen auf YouTube und den Meta-Plattformen ausgegeben worden. Derweil haben die Unternehmen den Kampf für die Integrität der Wahlen teilweise praktisch aufgegeben und ihre in den Vorjahren ergriffenen Maßnahmen deutlich zurückgeschraubt."

Dann führt er (verlinkte) Beispiele auf, wie auch Googles Youtube mit Desinformations-Videos Geld verdiente, wie Tiktok "die Hälfte aller Anzeigen mit unwahren Behauptungen zur Wahl durchgewunken hat. So etwa Werbung, die behauptete, man könne neuerdings online wählen und habe dafür am Wahltag bis Mitternacht Zeit". Und wie Mark Zuckerbergs Meta-Konzern mit gefälschter "Pro-Harris-Werbung", die offensichtlich potenzielle Demokraten-Wähler demobilisieren sollte, "etwa eine Million Euro" einnahm.

Sich allein auf die Reizfigur Elon Musk einzuschießen und die viel größeren, viel profitableren Datenkraken-Konzerne, bloß weil sie mit Wokeness-Formeln keine Probleme haben, weiterhin harmlos und und ihre vermeintlich kostenlosen Dienste praktisch und bequem zu finden, wird der Lage nicht gerecht.

Dann nennt Dachwitz es noch "ein fatales Zeichen", dass Vizekanzler Habeck nun als Kanzlerkandidat zu Musks X und zu Metas Instagram zurückkehrt (Altpapier vom Freitag):

"Wir brauchen Soziale Medien, die nicht auf Profit ausgerichtet sind, sondern auf das Wohl von Menschen und Demokratie. Es gibt Alternativen, die genau das versuchen, doch auf Bluesky oder Mastodon ist Robert Habeck nicht zu finden. Dabei wäre spätestens jetzt der Zeitpunkt, das Spiel der Tech-Barone nicht mehr mitzuspielen. Vergesellschaftung kann ein Weg sein, die Macht von Big Tech zu brechen, doch der ist lang. Auch der Aufbau von nicht-kommerziellen Alternativen wie dem Fediversum braucht Zeit und mehr staatliche Unterstützung, als er jetzt erhält."

Das kann man so oder so sehen (ich selber nutze X ebenfalls weiter, und erforderte "Vergesellschaftung" nicht gesellschaftliche Mehrheiten, die so was wollen?). Aber dass die Ampel-Regierung bei all ihrem konfusen Digital-Trara Mastodon, im Prinzip eine deutsche Entwicklung, überhaupt nicht gefördert hat, gehört auf die lange Liste der Punkte, an denen sie echt schlechte Politik gemacht hat.

Riepls unverwüstliches Gesetz

Immer noch mehr Plattformen, die klein anfangen und oft auch klein bleiben, sind vielleicht Teil einer Lösung, aber auch Teil eines selber problematischen Phänomens.

"Es gibt nicht mehr das eine Thema oder die eine Plattform, die entscheidende Rollen im Wahlkampf gespielt haben – es gibt Dutzende".

Diese USA-Wahl-Analyse lieferte das socialmediawatchblog.de schon bald nach der Wahl unter der Überschrift "Willkommen im Zeitalter der fragmentierten Öffentlichkeit":

"Es gibt in den USA immer weniger Menschen, deren Medienmenü sich ähnelt. Wer Times liest und CNN schaut, nimmt vergleichbare Ausschnitte der Realität wahr, die Redaktionen nach journalistischen Kriterien geprüft und ausgewählt haben. Das ist längst eine Minderheit ...",

schreiben sie und folgern, dass "Öffentlichkeit nur noch im Plural existiert". Im Rahmen ihrer Argumentation kommen sie nicht nur einmal auf einen deutschen Zeitungswissenschaftler zu sprechen, der "seine helle Freude an dem medialen Durcheinander des Jahres 2024 gehabt" hätte, wenn er nicht 1938 gestorben wäre:

"Vor mehr als 100 Jahren stellte der deutsche Journalist Wolfgang Riepl eine Hypothese auf, die als das Rieplsche Gesetz bekannt wurde. Sie besagt, dass kein neues Medium ein vorhandenes vollständig verdrängt, sondern nur ergänzt. In dieser Absolutheit ist die Aussage falsch ... Mit Blick auf das 21. Jahrhundert ist Riepls Beobachtung aber spannend. In den vergangenen zwei Jahrzehnten sind mehr neue Kommunikationskanäle und Plattformen entstanden als in den zwei Jahrhunderten davor."

Das Rieplsche Gesetz von 1913 (als der letzte deutsche Kaiser nach einem Vierteljahrhundert ohne deutsche Kriege noch als "Friedenskaiser" galt und kaum wer ahnte, dass die Welt gerade in den Ersten Weltkrieg schlafwandelte ...) ist echt noch ziemlich aktuell oder wieder aktueller, als es schien. Auch schon seit Jahrzehnten erscheinende, daher klassische Medien sollten sich dessen bewusst sein: Auch wenn aus ihrer Sicht vieles scheint wie seit eh und je, bespielen sie nur noch eine Öffentlichkeit unter mehreren (oder mehrere Öffentlichkeiten unter noch mehr).

Hier im Altpapier kam Riepl zuletzt in meinem Jahresrückblick 2023 vor. "Es gilt natürlich immer noch Riepls altes Gesetz: Neue Medienformen marginalisieren die älteren", hatte da der Lutz Hachmeister auf eine Frage geantwortet. (Übrigens ist Hachmeisters letztes Buch gerade erschienen. Um erste Besprechungen wird's morgen an dieser Stelle gehen.)

75 Jahre DJV

Die Bundesrepublik Deutschland wurde nach noch einem Weltkrieg 1949 gegründet, genau so wie viele ihrer wesentlichen Institutionen, die schnell zur Erfolgsgeschichte beitrugen und deshalb oft auch noch bestehen. Daher gibt's dieses Jahr jede Menge 75-Jahre-Feiern. Die "FAZ" begeht gerade ihr Jubiläum, die Bundespressekonferenz wurde kürzlich einer Bundespräsident-Steinmeier-Rede teilhaftig. Und gerade feiert der Deutsche Journalisten-Verband. Da fehlte der Präsident, weil eigentlich der Bundeskanzler angesagt war. Doch ... siehe oben (und deutschen Regierungschefs steht es ja zu, sich in die Sonntags-Talkshow nach dem "Tatort" einzuladen. Da konnte Scholz Überschriften einsammeln wie "Ich, Olaf, der coole Staatsmann"/ faz.net und "Der Gefühlomat"/ spiegel.de). Zum DJV sandte er ein Video:

"In seiner Videogrußbotschaft an den DJV, die bei der Jubiläumsfeier veröffentlicht wird, hebt der Bundeskanzler die Bedeutung freier Medien und unabhängiger Journalistinnen und Journalisten hervor: 'Es ist wichtig, dass freie Medien sicher und ungestört ihre Arbeit machen können. Seit 75 Jahren setzt sich der DJV dafür ein.' ... Mit seiner Arbeit bringe der DJV Licht ins Dunkel. 'Sie geben Orientierung in einer schwierigen Zeit'."

Dass statt Scholz Markus Söder auftrat, braucht niemand so zu interpretieren, dass der fränkische Bayer jetzt doch nochmal nach der Kanzlerkandidatur greift, sondern dürfte eher mit dem Veranstaltungsort Ingolstadt zu tun haben, der vermutlich mit dem deutschen Föderalismus zu tun hat. Wer dem "Hashtag des DJV-Verbandstags" folgt, #DJV75" erfährt, dass Söder etwa über Waldi Hartmann und weitere Sportreporter sprach ... auf, ach je, Musks X schon wieder.

Wobei, da verdient der DJV Lob, das z.B. Kanzlerkandidat Habeck nicht verdient: Allerhand Impressionen (und sogar Kritik an Scholz' Videobotschaft) gibt es auch auf Mastodon.


Altpapierkorb (BGH, 3sat-Jubiläum, Fernsehfußball, Bambis Mittelfinger, SWR-Auktion)

+++ Vielleicht schon heute wird's auch vorm Bundesgerichtshof spannend. Ob der BGH im angekündigten "Leitentscheidungsverfahren" (Altpapier) heute schon ein "Leiturteil" ("FAZ/Abo) fällt, muss sich zeigen. +++

+++ Nicht 70 Jahre wie die BRD, nicht 35 wie der Mauerfall, sondern 40 Jahre alt wurde 3sat. Bei der Feierlichkeit in der österreichischen Botschaft in Berlin war Aurelie von Blazekovic für die "SZ"/Abo dabei und versuchte aus dem Lachen der Verantwortungsträger, nachdem Wladimir Kaminer als einer der Redner gesagt hatte:  "Ich bin unsäglich erleichtert und glücklich gewesen, als ich jetzt erfuhr, dass 3sat doch zumindest vorläufig gerettet wurde", etwas herauszuinterpretieren. +++

+++ "In diesem Herbst steht in Deutschland das gesamte System des weltweit populärsten TV-Sports auf der Kippe, wie es sich seit ungefähr 25 Jahren herausgebildet hat", schrieb Bert Rebhandl für die "FAS". Da handelt es sich nicht um Biathlon, sondern um den Fernsehfußball, und der "zeigt sich dabei als Labor des Plattformkapitalismus"! +++

+++ Unterdessen ist der Bambi, der auch unverwüstliche Medienpreis des Burda-Verlags, dessen Verleihungen früher auch gerne öffentlich-rechtliche Fernsehsender übertrugen, im Streaming bei Amazon gelandet. "Ums Inhaltliche ging es beim Bambi nie wirklich, wichtig war immer die große Geste. Und die ist in diesem Jahr nichts anderes als ein goldener Mittelfinger, gerichtet an die schmerzhafte Gegenwart", schließt Sara Peschke enigmatisch ihren "SZ"-Bericht (Abo). +++

+++ "Der Flipper, der viermal im 'Tatort' und einmal in der Sendung 'Kaffee oder Tee' vorkam, steht bis Sonntag zum Verkauf. Das momentane Gebot liegt bei über 2000 Euro, was ihn zum zurzeit teuersten Artikel macht", berichtete die "FAZ" dann noch am Samstag über die auf restlos.com laufende "SWR-Fundusauktion", die einem sozusagen guten Zweck gilt: "Der Erlös der Auktion und des Verkaufes des Lagers in der Saarstraße fließt in 'den multimedialen Umbau und zahlt auf die strategische Flächenreduktion des SWR ein'", also quasi darauf, dass der Rundfunkbeitrag nicht noch weiter steigen muss als er womöglich früher oder später steigen wird...

Das nächste Altpapier folgt am Dienstag.

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