Kolumne: Das Altpapier am 4. November 2024: Porträt des Altpapier-Autoren Klaus Raab 5 min
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Kolumne: Das Altpapier am 4. November 2024 von Klaus Martens 269 zu 107

Kolumne: Das Altpapier am 4. November 2024 – 269 zu 107

Donald Trump führt deutlich vor Kamala Harris – was die Nennung auf deutschen Onlinemedien anging. Weil die Umfragen bei den letzten US-Präsidentschaftswahlen nicht präzise waren, gibt es nun hier und da Warnhinweise.

MDR FERNSEHEN Mo 04.11.2024 14:45Uhr 04:54 min

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Kolumne: Das Altpapier am 4. November 2024 269 zu 107

04. November 2024, 10:21 Uhr

Donald Trump führt deutlich vor Kamala Harris – was die Nennung auf deutschen Onlinemedien anging. Weil die Umfragen bei den letzten US-Präsidentschaftswahlen nicht präzise waren, gibt es nun hier und da Warnhinweise. Außerdem: Leni Riefenstahls rigoroser Umgang mit kritischen Journalisten. Heute kommentiert Klaus Raab die Medienberichterstattung.

Porträt des Altpapier-Autoren Klaus Raab
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Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Umfragenkritik vor der US-Wahl

Wenn die jüngsten Prognosen nicht täuschen, wird Donald Trump diese Woche in den USA gewählt. Das entscheidende Wort in diesem Satz ist allerdings das "wenn". Denn man weiß es halt nicht. Erstens weil den jüngsten immer noch jüngere Umfragen folgen, die das Gegenteil behaupten, aber eventuell auch "schlicht fehlerhaft" waren. Zweitens weil die erste Trump-Präsidentschaft 2016 damit begann, dass die Umfragen getäuscht hatten. Wenn ich mich recht erinnere (wenn!), standen damals am Vorabend der Wahl eine Menge Beobachter in einem deutschen Fernsehstudio und antworteten auf die Frage, wer denn nun gewinne: Hillary Clinton, Clinton, Trump, Clinton, Clinton, Clinton. Tja. Hinterher erschienen dann Texte über die Fehler der Demoskopie.

Diesmal erscheinen Warnhinweise und prognosebefreite Beiträge schon vorher. Was meinen Journalistinnen und Demoskopen also kurz vor dem Wahltag zur Bedeutung von Umfragen?

"Eigentlich schauen alle nur, was die anderen machen, und passen ihre Ergebnisse dann an", sagte der Wahlforscher Andreas Graefe kürzlich in einem FAZ-Podcast. Was die Sonntagsausgabe dieser Zeitung, also die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, auf der Meinungsseite zur These (Abo-Text) bewog, "man könnte ebenso gut eine Münze werfen. Bestenfalls unterhält die ständige Selbstbespiegelung, schlimmstenfalls entpolitisiert sie ganze Teile der Gesellschaft, die sich entnervt vom Meinungsprognosezirkus abwendet."

Ein USA-Korrespondent, Ronald Nelles vom "Spiegel", befand am Wochenende (Abo-Text) ähnlich umfragenskeptisch: "Ich gehöre nicht zu denjenigen, die meinen, Kamala Harris habe die Wahl schon verloren. So einfach ist die Sache nicht. Entscheiden werden am Dienstag die Wählerinnen und Wähler, nicht die Demoskopen. Es kann gut sein, dass wir am nächsten Mittwoch aufwachen und Amerika hat für sie gestimmt."

Und Nate Silver, der mit seinen Wahrscheinlichkeitsrechnungen vor Wahlen so oft richtig lag, bis 2016 dann doch mal die unwahrscheinlichere Variante wahr wurde, schreibt: "Whatever happens on Tuesday, it would be a surprise if there were no surprises": Es wäre überraschend, wenn es am Wahltag keine Überraschungen gäbe. Womöglich ist das die zutreffendste aller Prognosen. Wobei man auch das natürlich nicht wissen kann. Vielleicht stimmt auch davon das Gegenteil, und es kommt alles wie vorhergesehen. (Aber wie war das noch gleich?)

Trump 269, Harris 107

An Abschlusskundgebungen zur Präsidentschaftswahl in deutschen Medien fehlt es generell nicht. "Spiegel", "Focus" und "Stern" titeln mit der US-Wahl. Diverse Tages- und Wochenendzeitungen auch. Donald Trump und Kamala Harris sind zwar häufig beide abgebildet. Thema ist aber tendenziell eher Trump – was eine verbreitete These bestätigt: Trumps Anhängerschaft will gewinnen, Harris’ Anhängerschaft vor allem unter keinen Umständen verlieren. Die Kampagnen beider kreisen jedenfalls sehr um Trump, was sich auch medial niederschlägt. Auch hierzulande. Auch deutsche Medien skizzieren, was Trump im Fall eines Wahlsiegs oder auch einer Wahlniederlage anstellen könnte.

Harris-Texte gibt es natürlich auch. Die "SZ" hat heute, nach dem Trump-Titel vom Samstag, einen Harris-Aufmacher. Auf Seite 3 der "FAZ" gibt es ein Harris-Porträt, ergänzend zum Feuilleton "Hält die amerikanische Demokratie das aus?" (Was nämlich? Trump.) Aber es gibt einen Trump-Überschuss. Auf der montäglichen Fernsehseite steht etwa auch noch ein Text über das Vorwahlgebaren des einen oder anderen Mediums, aber eher im Sinn von Jahrmarkt: Es geht tatsächlich um "Hexen" für Trump (Abo). Auf jeden Harris-Text kommen knapp zwei bis drei Trump-Texte.

Um eine Größenordnung zu geben, wie viel mehr Aufmerksamkeit Trump im Vergleich zu Harris bekommt – man landete bei folgenden Ergebnissen, wenn man am Sonntagabend auf den Startseiten deutscher Onlinemedien nacheinander die Suchworte "Trump" und "Harris" eingab:

bild.de: 4 zu 2 für Trump
spiegel.de: 19 zu 3 für Trump
sueddeutsche.de: 9 zu 3 für Trump
n-tv.de: 24 zu 11 für Trump
faz.net: 25 zu 9 für Trump
zeit.de: 73 zu 30 für Trump
t-online.de: 12 zu 2 für Trump
welt.de: 10 zu 5 für Trump
taz.de: 5 zu 2 für Trump
tagesschau.de: 17 zu 8 für Trump
fr-online.de: 36 zu 20 für Trump
tagesspiegel.de: 9 zu 3 für Trump
berliner-zeitung.de: 11 zu 4 für Trump
freitag.de: 15 zu 5 für Trump

Dafür, dass der Wahlausgang sehr eng ist (die Prognosen!), ist das schon sehr deutlich.

Es taucht auch nur einer der beiden Nachnamen im etwas ungelenken Titel von Ingo Zamperonis Doku auf, die heute in der ARD läuft (Rezension, lesbar mit Abo, in der SZ). Welcher Name in den sogenannten Social Media mehr Aufmerksamkeit für Onlineberichterstattung bringt, habe ich jetzt nicht exemplarisch angeschaut. Aber ich hätte eine Vermutung.

International geht’s übrigens gerade so weiter. (Überzeugen Sie sich selbst auf den Seiten von "Guardian", "New York Times", "Financial Times", "The Atlantic" oder "New Yorker".) Das hat auch nachvollziehbare Gründe. Eine zweite Trump-Präsidentschaft könnte so viel ins Wanken bringen; sein Wahlkampf ruft nach unentwegter Kommentierung. Nicht über Trump zu schreiben ist deshalb keine Lösung; krampfhaft über Harris genauso viel zu schreiben auch nicht. Aber es ist ein Dilemma, wenn der Aufmerksamkeitsüberschuss für Trump über all den tatsächlichen und nur vermeintlichen Thematisierungszwängen zu groß wird.

"Hitlers Beste": über die Propaganda Leni Riefenstahls

"Sie bediente sich eines Tricks, den rechte Populisten heutzutage vielfach ausspielen: Sie wiederholte ihr Lügen einfach so lange, bis die Menschen um sie herum ihr glaubten. Am Ende wurde die Lüge Teil einer eigenen Wahrheit."

Wer ist gemeint? Donald Trump ist es nicht; auf die Idee, ihn weiblich zu gendern, ist bislang noch niemand gekommen. Es ist ein aktuelles Zitat über die 2003 gestorbene Leni Riefenstahl, nach ihrer eigenen Aussage eine unpolitische Frau, die nie Mitglied der NSDAP, aber halt aus Versehen Hitlers Lieblingsfilmemacherin gewesen ist. Riefenstahl ging später gegen kritische Berichterstattung vor. Dass nun ein Dokumentarfilm über sie unter anderem ihre Image-Optimierungsversuche nach 1945 thematisiert, ist deshalb verdienstvoll.

Es ist ein Film von Andres Veiel (Regie) und Sandra Maischberger (Produktion). Dass die aktuelle "Super Illu" neben Maischberger auch den weniger gesichtsbekannten Veiel auf den Titel nehmen würde, konnte man wohl nicht erwarten; dort ist nur ihr Gesicht zu sehen, neben dem Hinweis auf ihr "mutiges Projekt über Leni Riefenstahl". (Veiel war zumindest unter anderem in einem Podcast zu hören.) Wie auch immer: Veiel und Maischberger haben Riefenstahls Nachlass ausgewertet, der Dokumentarfilm ("Riefenstahl") läuft im Kino. Und es gibt ein paar Filmkritiken (SZ-Bezahlinhalt, "Frankfurter Rundschau"), vor allem aber diverse Texte, die die Thesen des Films über Riefenstahl nacherzählen.

Aurelie von Blazekovics (Abo-)Text in der "Süddeutschen Zeitung" vom Samstag sticht aus den vorhandenen Artikeln heraus, weil sie sich nicht nur auf das von Maischberger und Veiel zuerst ausgewertete Nachlassmaterial stützt, sondern offensichtlich auch selbst damit gearbeitet und weiter recherchiert hat. Zentral in ihrem Text (Überschrift: "Hitlers Beste") ist, dass die Filmemacherin rigoros gegen Journalistinnen und Journalisten vorging, die ihre Selbstdarstellung nicht schluckten. Dass Riefenstahl gegen Darstellungen klagte, ist zwar bekannt. Bemerkenswert ist aber das Ausmaß.

Über den Rechtsstreit mit der Dokumentarfilmerin Nina Gladitz schreibt die "SZ" exemplarisch:

"Mit einem überlebenden Komparsen, Josef Reinhardt, drehte Gladitz Anfang der 1980er-Jahre den Dokumentarfilm Zeit des Schweigens und der Dunkelheit für den WDR. Er lief 1982 im Fernsehen und verschwand danach im Giftschrank des Senders – dort liegt er bis heute."

Obwohl Gladitz im Wesentlichen gewonnen habe ("Am Ende ging es in dem Rechtsstreit um nur noch zwei Sätze des … 13-jährigen Josef Reinhardt in Gladitz’ WDR-Film – doch die Recherche verschwand für Jahrzehnte"), werde ihre kritische Dokumentation heute "nur auf Initiative einiger Mitstreiter der 2021 verstorbenen Nina Gladitz wieder bei Festivals und Tagungen gezeigt", schreibt von Blazekovic, die deshalb auch den WDR kritisiert:

"Es ist dies nur ein Beispiel dafür, wie Riefenstahl durchkam, wenn sie mit ihrer Täterschaft im Nationalsozialismus konfrontiert wurde – und wie gesättigte westdeutsche Institutionen, zu ihnen gehörten auch Medien wie der WDR, sie durchkommen ließen. Für Leni Riefenstahl ging es bei ihren Prozessen um mehr als um ein paar Scharmützel mit Journalisten, das zeigt dieser erstaunliche Nachlass."

Es ist wichtig, dass Menschen die Möglichkeit haben, gegen mediale Darstellungen vorzugehen. Dass so selbst eine Nazi-Propagandistin über Jahrzehnte auf die eigene Geschichte Einfluss nehmen kann, ist aber ein Problem. Man würde sich schon deshalb wünschen, dass Gladitz’ Film wieder im öffentlich-rechtlichen Fernsehen läuft.

"Meedia"-Chefredakteur Gregory Lipinski ist gestorben

Gregory Lipinski, der seit 2023 Chefredakteur des Branchendienstes "Meedia" gewesen ist, ist mit 62 Jahren gestorben. Das Programm von "Meedia" ist nicht mehr ganz vorrangig der Medienjournalismus; es geht dort auch um Entwicklungen der Werbe- und Kommunikationsbranche. Lipinski aber war – neben all den Dingen, die man als Chefredakteur tut – ein medienjournalistisches Aushängeschild von "Meedia". Schon seit 2016 schrieb er dort hinter die Nachrichten blickende und analytische Texte über Journalismus, Medienpolitik und vor allem -wirtschaft, und auch hier in unserer medienjournalistischen Kolumne wurde er entsprechend oft zitiert.

Die Redaktion von "Meedia" und der Verlag Oberauer rufen ihm nach, er sei "stets ein kritischer Denker und scharfsinniger Analyst der deutschen Medienlandschaft" gewesen, "dessen Meinungen und Perspektiven weit über die Redaktion hinaus hochgeschätzt wurden".


Altpapierkorb (Kretschmer-Interview zur ÖRR-Reform, Journalismus in den Swing States, Trauerrede für Lutz Hachmeister, El-Hotzo-Mockumentary)

+++ Die Reform der Öffentlich-Rechtlichen ist nach wie vor ein Thema für Medienressorts. Die FAZ hat Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer interviewt (Abo-Text). Zur Nachricht wurde seine Position zum Sportrechtebudget, die epd Medien aufgriff: "Wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk für möglichst viele Menschen attraktiv bleiben soll, muss er weiterhin ein Vollprogramm anbieten. Dazu gehört auch der Leistungssport."

+++ In einem Bericht zur US-Wahl der Organisation Reporter ohne Grenzen wird darauf hingewiesen, dass Journalistinnen und Journalisten in den Swing States Arizona, Florida, Nevada und Pennsylvania Feindseligkeiten und Informationsblockaden ausgesetzt seien. Die Zusammenfassung steht hier, der Originaltext (pdf) ist auf Englisch.

+++ Die Rede, die Torsten Körner bei der Trauerfeier für Lutz Hachmeister hielt (Altpapier), ist bei epd Medien unter der Überschrift "Der Mann, der Medien atmete" dokumentiert.

+++ Der Satiriker, der sich El Hotzo nennt, ist wegen zweier bestenfalls mittelkluger Tweets über Donald Trump in die Kritik geraten. Der öffentlich-rechtliche RBB, bei dem er eine monatliche Radiosendung hatte, hat die Zusammenarbeit mit ihm daraufhin beendet (siehe u.a. dieses Altpapier). Nun läuft die Mockumentary "I'm sorry, Mr. President" bei RTL+, in der er in den USA sozusagen um Abbitte leistet. Dass ZDF-Moderator Jan Böhmermanns Produktionsfirma dahintersteckt, findet die "Süddeutsche" (Abo) bemerkenswert, weil sie "eine klare Kritik am öffentlichen-rechtlichen Rundfunk" darin sieht: "Böhmermann hatte erst kürzlich in seinem Podcast Fest und Flauschig über den Fall El Hotzo gewettert. 'Passt bitte auf, was ihr macht bei ARD und ZDF. Ansonsten seid ihr nämlich arbeitslos.' Eine wohl platzierte Rampe für die Hotzo-Mockumentary." Dem Tagesspiegel (Abo) ist ebenfalls aufgefallen, dass der Film explizit nicht in den Öffentlich-Rechtlichen läuft.

Am Dienstag schreibt das Altpapier Christian Bartels.

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