Kolumne: Das Altpapier am 18. Oktober 2024 Seifenoper mit Cliffhanger
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18. Oktober 2024, 10:37 Uhr
Verlags- und ARD-Vertreter streiten weiter über öffentlich-rechtliche Onlinetexte. Und aus Thüringen hört man gebrauchte Töne in neuem Kontext: Rundfunkbeitragserhöhung ausgeschlossen. Steht die ÖRR-Reform demnach auf der Kippe? Heute kommentiert Klaus Raab die Medienberichterstattung.
Inhalt des Artikels:
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Nochmal von vorn: Debatte über Rundfunkbeitrag
Jetzt wollte ich heute mit etwas anderem beginnen als der ÖRR-Reform, und dann kommt Thüringens noch amtierender Ministerpräsident Bodo Ramelow, und plötzlich wird’s doch wieder, hm, interessant. Oder wie es Michael Hanfeld in seiner FAZ-Glosse formuliert: "Die deutsche Medienpolitik ist eine Seifenoper."
War nicht eine der letzten größereren Nachrichten gewesen, dass das "Junktim" (auch FAZ) des Hamburger Kultur- und Mediensenators Carsten Brosda aufzugehen scheine? Ein Junktim ist eine Verknüpfung mehrerer Dinge, die nur zusammen beschlossen werden können. Brosda hatte gesagt: "Entweder kommen die Reformen und eine Entscheidung über den Beitrag, oder es kommt gar nichts." Das hatte bedeutet: Die Bundesländer, die zwar Reformen, aber nicht die Finanzierung von ARD, ZDF und Deutschlandradio klären wollen, werden sich entscheiden müssen. Und da sich die Länder in der Angelegenheit einigen müssen, hatte das Gewicht.
Und nun sagt Ramelow bei einem Treffen mit Campact-Maus-Kidnapper-Aktivisten, der neue Thüringer Landtag werde der für die von der zuständigen Kommission empfohlenen Erhöhung des Rundfunkbeitrags notwendigen Änderung des entsprechenden Staatsvertrags niemals zustimmen.
Wohlgemerkt: Er spricht vom neuen Landtag. Dem Landtag, der Ramelow nicht mehr zum Ministerpräsidenten wählen wird. Eigentlich kann er’s also gar nicht wissen. Aber, nochmal Ramelow: "Dieses Parlament, was jetzt in Thüringen gewählt worden ist, wird keine Gebührenerhöhung genehmigen", bei der jetzigen Mehrheit müsse man dafür kein Prophet sein. Ob er selbst einer Beitragserhöhung zustimmt (solange er noch Ministerpräsident ist), bevor dann die Parlamente entscheiden (wenn er es vermutlich nicht mehr ist), habe er offen gelassen, schreibt faz.net via dpa.
Wir fassen also zusammen: Hamburg sagt, Reformen nicht ohne Finanzierungsstaatsvertrag. Thüringen sagt, einen Finanzierungsstaatsvertrag kann man sich knicken. Und nun? Michael Hanfeld benutzt in seiner FAZ-Glosse jedenfalls die ganz düsteren Farben "("Einigen sich die Länder jetzt nicht, kommt eine Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks vielleicht nie mehr zustande…"). Aber vielleicht wird ja auch gewürfelt. Oder es gibt eine Überraschung: Sahra Wagenknechts Bündnis, das in Thüringen vielleicht mitregieren wird, bedankt sich für viel öffentlich-rechtliche Sendezeit, indem sie einer Beitragserhöhung doch heimlich zustimmt. Oder, auch denkbar, Bodo Ramelow wollte die nächste thüringische Landesregierung vorbeugend unter Druck setzen. Cliffhanger.
Wie es eigentlich laufen sollte, schreibt die "Süddeutsche Zeitung", und das ist in der Sache korrekt, auch wenn es in manchen Staatskanzleien und Landtagen nicht allen passt:
"Die Länder könnten den Beitrag senken, indem sie den Rundfunkauftrag anpassen. Sie sind jedoch verfassungsrechtlich verpflichtet, eine auftragskonforme Finanzierung der Sender zu ermöglichen. Da sie den Auftrag bisher nicht wesentlich verkleinert haben, was sie hätten tun können, müssen sie den Beitrag an den derzeit bestehenden Auftrag anpassen. Wie hoch der Beitrag ist, wird in Deutschland staatsfern ermittelt – die Höhe errechnet sich aus dem Beitragsaufkommen und den nötigen Finanzmitteln für die Sender zur Erfüllung des im Gesetz von den Ländern festgelegten Auftrags."
Tja. Die Medienpolitik ist eine Seifenoper. Und in Karlsruhe soll es ganz gute Restaurants geben. (Aber wie komme ich jetzt darauf?)
Presseähnlichkeitsstreit: Sind drei Prozent viel oder wenig?
Dass weniger öffentlich-rechtliche Textangebote gut für die Verlage wären, sagen: die Verlage. Dass die Verlage nicht viel davon hätten, sagen: die Öffentlich-Rechtlichen (Altpapier von gestern). Nachdem Kai Gniffke von der ARD in einem Interview seinen Auftritt hatte, um eine Selbstverpflichtung in Sachen Presseähnlichkeit vorzuschlagen, holt sich nun die "Frankfurter Allgemeine" die Vorsitzenden des Verlegerverbands BDZV zum Interview, Matthias Ditzen-Blanke und Stefan Hilscher.
Ihre Beschwerde "Wir haben Jahre mit Schlichtungsversuchen hinter uns. In all dieser Zeit hätte genau diese Selbstverpflichtung passieren können, und sie ist halt nicht passiert" ist nicht zu widerlegen. Bemerkenswert ist aber vor allem das Pingpong von Untersuchungen und Gutachten zur Frage, was es den Verlagen brächte, wenn es bei den Öffentlich-Rechtlichen online kaum noch Text gäbe. Beim BDZV argumentiert man mit eigenen Untersuchungen (was nach einer Umschreibung für Interessenpapiere klingt, deren Ergebnis vorher feststand) und "wissenschaftliche(n) Marktstudien", die bestätigen, dass sich "öffentlich-rechtliche Textproduktion bundesweit, vor allem aber regional, negativ auf die Presse auswirkt".
Bei der öffentlich-rechtlichen butenundbinnen.de-Redaktion dagegen, wo man sich gestern auch mit der Frage befasste, verwies man dagegen auf eine wissenschaftliche Simulation (pdf), die das ziemlich genaue Gegenteil ergibt: Profitieren würden wohl private Onlineangebote, die es auch dann gäbe, wenn der ÖRR kaum noch Onlinetext produzierte, aber keine Aboangebote.
Eine Quelle wird von beiden Seiten angesprochen: ein von der ARD in Auftrag gegebenes Gutachten, in dem es um das "Konvertierungspotenzial der Nutzer:innen öffentlich-rechtlicher Online-Angebote" (pdf) geht. Entscheidend für die laufende Presseähnlichkeits-Debatte ist das Ergebnis auf Seite 21 unten: "3,0 % würden ein kostenpflichtiges Online-Angebot einer Zeitung oder eines Nachrichtenmagazins abschließen", wenn die Öffentlich-Rechtlichen kaum noch Text online stellen würden. Das BDZV-Argument: "Für unsere Branche würden die angeblich 'nur' drei Prozent Nutzerinnen und Nutzer, die zu Presseangeboten wechseln würden, nämlich zusätzliche Erlöse in dreistelliger Millionenhöhe bedeuten."
Digitaldebatten, aber in Irland
Immer gut, auch mit anderen Augen als den eigenen auf die Welt zu schauen. "Zeit"-Korrespondent Jochen Bittner schaut sich (Abo) die Debatte über den neuen Digital Services Act der EU, dank und mit dem etwa strafbare Inhalte auf Internetplattformen besser verfolgt werden sollen, deshalb aus Irland an. Die in Deutschland zuständige Bundesnetzagentur bekommt in Bittners Text genau einen Absatz lang ihr Fett für ihre (schließlich etwas nachgebesserte) Kommunikation weg; in zwei Sätzen geht es um die ersten deutschen "Trusted Flagger", wie die Hinweisgeber für strafbare Inhalte europaweit heißen. Ansonsten geht’s bei Bittner um irische Perspektiven. Denn, Irland, wir erinnern uns: "Fast alle wichtigen Internetplattformen haben ihren europäischen Hauptsitz in Dublin – Facebook, Instagram, X, TikTok und YouTube."
Aus Irland auf Netzdebatten zu schauen, ist auch deshalb produktiv, weil, wie Bittner schreibt, "der irische Gesetzgeber in seiner örtlichen Zuständigkeit für die EU-Hauptquartiere die Verbreitung auch von Inhalten unterbinden kann, die bisher – etwa in Deutschland – nicht illegal sind". Über den Hebel eines über den DSA hinausgehenden irischen Gesetzes könnte Irland "harmful content", also schädliche Inhalte, verbieten, whatever that means.
Zweck der Regelungen sei meist der Jugendschutz, zitiert Bittner den Chef der irischen Medienkommission, der versichert, was man versichern kann: Meinungsfreiheit ist Kernrecht in einer Demokratie. Und: "Es ist überhaupt nicht unsere Aufgabe, aufgeladene Debatten zu verhindern, sei es zur Migration oder zu anderen Fragen." Würde auch nicht klappen. Dafür müsste man, wie ein irischer Bürgerrechtsaktivist zitiert wird, eher die Plattformalgorithmen offenlegen. Das Interesse der Plattformkonzerne daran ist bekanntlich begrenzt. Gleichwohl zeigt sich auch im irischen Diskurs das Thema, das auch den deutschen, von "Nius" mit undifferenziertem, islamfeindlichem (muss man bei dem Thema erstmal hinkriegen!) und teilweise in der Sache daneben greifendem Geplärr schnell vergifteten DSA-Diskurs mitprägt: dass zu viel gelöscht werden könnte statt zu wenig… (Altpapier).
"Zuhören" ist wohl auch nicht die Lösung
Weiter zum nächsten Thema: Das Vertrauen in Institutionen und politische Handlungsmacht war schon mal größer, und das in Medien auch. Nun ist Misstrauen abstrakt, wenn man Umfragedaten dazu sieht, aber für viele Journalistinnen und Journalisten kann es auch sehr handfest werden. Das NDR-Medienmagazin "Zapp" beschäftigt sich mit diesem Misstrauen in Medienarbeit in seiner neuesten Ausgabe.
Vor allem setzt sich bei "Zapp" der Eindruck fort, der sich schon in einigen Zuhörfernsehreportagen in diesem Jahr andeutete, egal ob Paul Ronzheimer für Sat.1 oder Eva Schulz fürs ZDF mit Rechtsextremen redeten oder Jessy Wellmer für die ARD zu einer Demo gegen die Bundesregierung ging: "Die Menschen", denen Journalisten seit Pegida "zuhören" sollten, würden sich teilweise wohl lieber den Mund zutackern, als mit Journalisten zu reden. Einige wollen wohl eher, dass Journalisten einfach gar nichts veröffentlichen. Oder dass Journalisten brav ihre Mikrofone halten und Gespräche ungeschnitten veröffentlichen.
Das ist und bleibt aber halt einfach nicht der Job.
Altpapierkorb (Kritik am MDR, Arte, Tom Buhrow, Kamala Harris, mehr Gottschalk, KI-Perplexity vs. "NY Times")
+++ Dass Thüringens amtierender Ministerpräsident Bodo Ramelow im eingangs erwähnten Gespräch mit Campact-Leuten den MDR u.a. für den Abbau von Recherchekapazitäten kritisiert hat, sei gerne noch ergänzend festgehalten.
+++ In der "Welt" steht ein Beitrag von Ulrike Dotzer und Sabine Rollberg, die für NDR und WDR eng mit Arte verbunden waren. Sie raten von einer Verschmelzung des deutsch-französischen Senders Arte mit 3sat ab: "Sobald sie kann, spätestens wenn sie Staatspräsidentin ist, wird Marine Le Pen versuchen, Arte zu kassieren. Nun liefert man ihr Argumente."
+++ Nachdem sich SWR-Intendant Kai Gniffke zu Wort gemeldet hat, ließ sich WDR-Intendant Tom Buhrow auch nicht lumpen und hat seine zwei aktuell wichtigsten Reformüberlegungen in einem knapp achtminütigen Interview im Radiosender WDR5 klar benannt. Erstens: "Ich finde, wir können jetzt nicht einen Zaun bauen um alles, was wir machen, und sagen, der Status quo darf gar nicht verändert werden." Zweitens: Die Maus-Statue muss unbeschädigt nach Köln zurückkehren, "egal ob einem die Reformen jetzt passen oder nicht".
+++ Kamala Harris, US-Präsidentschaftskandidatin der Demokraten, hat sich in ein Interview mit dem nicht nur gegen sie aufgestellten, sondern vor allem auch verlässlich alles verdrehenden Sender Fox News begeben. Das Deutschlandfunk-Medienmagazin @mediasres beschäftigt sich damit, und zeit.de (Abo) schreibt: eher Boxkampf als Interview. Da steht aber auch: "Es sind nicht ausschließlich unseriöse Fragen, die Baier [von Fox News] stellt. Und es gibt durchaus interessante Stellen, die es in Interviews mit anderen Sendern so nicht gegeben hat."
+++ Was ist das für ein Unterfangen, Thomas Gottschalk (Altpapier von gestern) nun immer noch mehr Aufmerksamkeit für seine Buch-PR zu schenken? Ich mein’, ok, bitte schön. Aber warum?
+++ Und die SZ (Abo) beschäftigt sich mit einer Auseinandersetzung zwischen "New York Times" und der KI-Suchmaschine Perplexity. Andrian Kreye meint, es gehe nicht nur um Geschäftsmodelle, sondern um "die Zukunft der Medien" dabei.
Am Montag schreibt das Altpapier Christian Bartels.