Kolumne: Das Altpapier am 17. Oktober 2024 Kein Schnellschuss, aber flott!
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17. Oktober 2024, 09:47 Uhr
ARD-Chef Kai Gniffke trägt einen "Gamechanger" vor: eine öffentlich-rechtliche Selbstverpflichtung in Sachen Presseähnlichkeit. Der Leiter von "Frag den Staat", Arne Semsrott, will vor Gericht stehen. Und Günther Jauch ist nicht Thomas Gottschalk. Heute kommentiert Klaus Raab die Medienberichterstattung.
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Ein Gniffke-Vorschlag in Sachen Presseähnlichkeit
Ui, jetzt pressiert's. Kaum wurde über die Reform der Öffentlich-Rechtlichen mehrere Jahre diskutiert, schon läuft ihr die Zeit davon. Oder wie es Kai Gniffke exemplarisch im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur formuliert hat, dessen Zusammenfassung gestern bei spiegel.de zu lesen war:
"Das muss auf jeden Fall Hand und Fuß haben, ein Schnellschuss nutzt keinem. Aber die Zeit läuft ab. Insofern ist das keine Sache mehr, die jetzt noch eine Woche Zeit hat, sondern das muss jetzt in wenigen Tagen passieren."
Ähm, ja, kein Schnellschuss, aber bitte ein bisschen plötzlich! Was Gniffke in aller Ruhe sehr schnell geklärt haben will, ist, ob sich die ARD, das ZDF und das Deutschlandradio zu einer Selbstverpflichtung in Sachen Presseähnlichkeit durchringen können (siehe auch dwdl.de). So hofft Gniffke wohl, eine Verschärfung der Regeln noch abzuwenden, die den Sendern Texte im Internet, bei einigen Ausnahmen, nur noch als primär sendungsbegleitendes Element erlauben würde. Das ist im Entwurf des neuen Medienstaatsvertrags vorgesehen.
Was Gniffke als möglichen "Gamechanger" im Streit zwischen ÖRR und privaten Zeitungshäusern vorschlägt, ist, "wenn wir uns verpflichten zu sagen: Die Bezugsgröße für die Überprüfung, ob etwas presseähnlich ist, ist nicht mehr das Gesamtangebot, sondern jedes Teilangebot, also jede einzelne App". Außerdem könnte in Textbeiträgen der öffentlich-rechtlichen Anstalten standardmäßig auf weiterführende Texte auf den Websites von Zeitungen oder Zeitschriften verwiesen werden, um deren Reichweite zu unterstützen. Ob's noch hilft oder hülfe?
Michael Hanfeld steuert bei faz.net via dpa die reservierte Reaktion des Zeitungsverlegerverbands bei: "Die Erfahrungen aus den letzten Jahren haben leider auch gezeigt, dass mit unverbindlichen, freiwilligen Regelungen keine nachhaltige Verbesserung der Situation zu erreichen war."
Die Frage ist freilich, um welche Verbesserung es eigentlich geht. Gniffke argumentiert, dass "das, was im Entwurf des Reformstaatsvertrags steht", den Verlagen nicht viel brächte, "nach allem, was wir wissen": Menschen, die keine öffentlich-rechtlichen Inhalte mehr nutzen würden, würden eher zu den großen Techkonzernen abwandern und "eben nicht Regionalzeitungen abonnieren".
Irgendwie ist es halt schon eine schräge Debatte (siehe auch Altpapier vom Montag). Wer mit "Presseähnlichkeit" argumentiert, einem Kriterium, das seinen Ursprung im medialen Pleistozän hat (worüber sich Kurt Kister am Wochenende zum wiederholten Mal in der "Süddeutschen" (Abo) ausgelassen hat), bezieht sich auf eine Trennung von Gutenberg und Glotze, die es einfach nicht mehr gibt. Wolfgang Schulz vom Bredow-Institut wurde in der "SZ" und dann auch hier im Altpapier mal zitiert, es müsste eher "geklärt werden, wo ein gesellschaftliches Bedürfnis für die besondere Qualität herrsche, die potente Rundfunkanstalten bieten können. 'Die Antwort kann nicht sein: Wir machen einfach alles.'"
Was wichtiger wäre, als Buchstaben zu zählen, wäre demnach womöglich, in Abgrenzung zu den privaten Medien das öffentlich-rechtliche Profil zu schärfen. Ob bei der "Newszone" des SWR zum Beispiel wirklich unter der Focus-Online-Gedächtnis-Überschrift "Mega-Zoff um Stefan bei '7 vs. Wild': Shelter brennt" über die neuesten Vorkommnisse bei einer YouTube-Show berichtet werden muss – keine Ahnung. Mir wär's nicht zu presse-, aber zu clickbaitähnlich.
Und wo wir schon beim öffentlich-rechtlichen Profil sind, wenn auch etwas off topic: Der Bayerische Rundfunk stellt aus Spargründen das Magazin "Euroblick" ein und legt den "Komödienstadel" auf Eis, wie bereits vor einer Woche bekannt wurde. Beides Formate, die in der deutschen Medienlandschaft nicht überrepräsentiert sind.
Der "Komödienstadel" mag ein komischer Kauz sein, aber er spielt kostentechnisch wohl kaum in der Liga eines Fernsehkrimis und richtet sich an ein mutmaßlich älteres, eher traditionsbewusstes regionales Publikum, das halt nun mal auch Rundfunkbeiträge zahlt und von ProSieben bestimmt nicht bespaßt wird. Der "Euroblick" berichtet über Themen aus nicht-deutscher Perspektive aus dem europäischen Ausland. Meine exemplarische Durchsicht des Zeitungsarchivs ergab, dass Themen, über die das Magazin im September berichtet hat, zum Teil nur in Agenturtexten oder randständig von privaten Medien abgedeckt werden. Genau so etwas braucht es doch eigentlich beim ÖRR, oder? Beim BR heißt es, man habe "im Gegenzug" das Engagement für den "Weltspiegel" erhöht. Was aus Publikumssicht interessant wäre: ob der auch die Sendeminuten des "Euroblick" zusätzlich bekommt.
Semsrott will weiter vor Gericht stehen
Arne Semsrott, Leiter der Transparenzplattform "Frag den Staat", ist heute von taz bis FAZ und von spiegel.de bis SZ auf vielen Kanälen. Nicht weil "Frag den Staat" mal wieder an einer Ausgabe der Böhmermann-Show im ZDF prominent mitgewirkt hat, sondern weil Semsrott als Angeklagter vor dem Berliner Landgericht steht. Und dort auch stehen will, um dann womöglich bis zum Bundesverfassungsgericht weiterzuziehen. Einer Einstellung des Verfahrens, die der Richter als Möglichkeit in den Raum gestellt hat, habe er jedenfalls nicht zugestimmt, berichten übereinstimmend Sebastian Erb in der "Süddeutschen Zeitung" (Abo) und Johanna Treblin in der taz. "Arne Semsrott will es wissen", so fasst es die FAZ zusammen.
Er wolle den Paragraph 353d Strafgesetzbuch abgeschafft wissen, der verbietet, amtliche Dokumente eines Strafverfahrens öffentlich zu zitieren, bevor sie in öffentlicher Verhandlung thematisiert worden sind. Semsrott hat während eines Ermittlungsverfahrens gegen Mitglieder der "Letzten Generation" gegen den Paragraphen verstoßen. Der sei "seiner Meinung nach verfassungswidrig (…), weil er die Pressefreiheit unverhältnismäßig einschränke", schreibt Erb in der SZ. Und die taz:
"Um (…) allen Menschen die Möglichkeit zu geben, sich selbst ein Bild zu machen, müssten Originaldokumente einsehbar sein. Zumal sich bei der Zusammenfassung von juristischer Fachsprache leicht Fehler einschlichen. Wortwörtliche Zitate – auch sie sind nach 353d verboten – könnten dies verhindern und die Glaubwürdigkeit von Medienerzeugnissen erhöhen."
Ob das Berliner Landgericht aber den Fall direkt dem Bundesverfassungsgericht vorlegt oder Semsrott durch alle Instanzen ziehen müsste? Ersteres sei unwahrscheinlich, schreibt die auf Rechtsfragen spezialisierte Legal Tribune Online, die man gelesen haben sollte, wenn man sich tiefer mit dem Fall befassen möchte. Kurz zusammengefasst: Das Bundesverfassungsgericht hat den Paragraphen schon zweimal für verfassungskonform erklärt. Beschuldigte sollen vor Bloßstellung geschützt werden, und spätere etwaige Schöffen und Zeugen sollen nicht bereits vor Prozessbeginn die Meinung eines Ermittlungsrichters zu den Vorwürfen erfahren: "Diese Zwecke erkannte das BVerfG in seinen beiden Entscheidungen an."
Andererseits gab es 2023 ein Urteil eines anderen Gerichts, das in eine andere Richtung weisen könnte… Vielleicht weiß man im Lauf des Freitags schon mehr. Dann könnte im Fall Semsrott eine Entscheidung fallen.
Gottschalk und Jauch im direkten Vergleich
Die bullshitresistenten Altpapier-Kolleginnen und -Kollegen sind an dieser Stelle bislang sauber um die neueste, seit sechs Tagen laufende Thomas-Gottschalk-Promotour herumgeschippert. Kein Wort über Interviews, Talkshowauftritte, Leberwurstigkeiten, Ohrfeigenstolz oder sein Gequatsche darüber, was er alles nicht mehr sagen darf, während er es gerade in ein Mikrofon spricht. Was man nicht alles hätte verlinken können.
Aber wenn Boris Rosenkranz bei "Übermedien" (Abo) nicht weniger als die "Chronologie einer Empörung zwecks Abverkauf" anbietet, was soll man da machen? Ignorieren? Das wäre ja regelrecht Zensur. Sein Text ist zudem unterhaltsamer als Gottschalk, obwohl Rosenkranz doch viel jünger ist.
Es muss in diesem Zusammenhang lobend erwähnt werden, dass Gottschalks alter Spezi Günther Jauch ebenfalls heute mit einem Interview (Abo) vertreten ist, das sogar auf der Titelseite der "Süddeutschen" angekündigt ist. Es ist überschrieben mit der Zeile "Ich wusste früher mehr", aber die schlimmen Befürchtungen, die sie mit dem Verweis auf dieses "Früher" weckt, erfüllen sich nicht. Jauch erzählt halt ein paar bekannte Geschichten anlässlich 25 Jahre "Wer wird Millionär?". Und vielleicht auch ein paar neue, ach, egal. Das ist auf angenehme Art einfach nicht weiter der Rede wert, und ich hab's ohne Not komplett gelesen, ohne mich ein einziges Mal zu winden. Was will man mehr?
Altpapierkorb (Grimme Online Awards, 3sat, Campact entführt Maus, Meta)
+++ Die Grimme Online Awards sind verliehen worden, u.a. epd medien berichtet. Zu den Preisträgern gehören netzpolitik.org (gleich doppelt, einmal zusammen mit dem BR), ein TikTok-Kanal ("keine.erinnerungskultur"), ein Instagram-Kanal ("Robinga Schnögelrögel") und ein Rechercheprojekt von "Tagesspiegel" und "ZDF Magazin Royale" ("Europäische Waffen, amerikanische Opfer").
+++ Die Debatte über den Fortbestand von 3sat als eigenständiger Sender ist vorübergehend etwas abgeklungen. Christian Meier macht in der Welt (Abo) den Vorschlag, die "Kulturzeit" und "Nano" sollten "in das Vorabendprogramm von ARD und ZDF überführt und dort statt Krimis gezeigt" werden. "Der erhaltenswerte Rest wird mit Arte fusioniert und in der Mediathek ansprechend präsentiert."
+++ Die Kampagnenorganisation Campact dagegen hat für "Keine Kürzungen bei ARD und ZDF" demonstriert. Also quasi dann gegen Kürzungen. Beziehungsweise hat die Mausfigur des WDR gekidnappt, um sie die Botschaft übermitteln zu lassen. Die Maus dürfe "aus Sicht des WDR nicht für politische Kampagnen benutzt werden", heißt es bei faz.net (via epd).
+++ "Der Social-Media-Konzern Meta muss sich in den USA wegen der potentiellen Suchtgefahr der Netzwerke Facebook und Instagram vor Gericht verantworten" (ebenfalls FAZ).
Am Freitag schreibt das Altpapier wieder Klaus Raab.