Kolumne: Das Altpapier am 11. Oktober 2024 Eine Show um der Show Willen
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11. Oktober 2024, 10:04 Uhr
Nach dem anlasslosen TV-Duell Weidel vs. Wagenknecht steht der Gewinner fest: "Welt TV". Und zum Ende der Frist für Stellungnahmen zum geplanten Reformstaatsvertrag sind noch einige Stimmen dazugekommen. Heute kommentiert Johanna Bernklau die Medienberichterstattung.
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Die "Welt"-Show
Am Mittwoch zeigte sich das Machtpotenzial von Agenda Setting auf "Welt TV": Man nehme die zwei polarisierendsten Politikerinnen Deutschlands, stelle sie vor eine Kamera und lasse sie ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausarbeiten. Anlass: unbekannt. Ergebnis: Der Nischensender "Welt TV" erreicht seine zweitstärkste Quote in diesem Jahr. Wie dwdl.de berichtet, schauten am Mittwochabend durchschnittlich 670.000 Menschen zu.
Nach dem "Welt TV"-Höcke-Voigt-Duell im April hatte ich ehrlicherweise nicht wirklich Lust auf eine neue, rein quotenorientierte Sendung im Springerversum, bei der der nachträgliche Faktencheck höchstwahrscheinlich aufschlussreicher ist als das Duell selbst.
Denn man fragt sich, was das Ganze eigentlich soll. Oder in den Worten der "FAZ":
"Warum inszeniert Welt TV ein Duell Weidel gegen Wagenknecht, obwohl die Landtagswahlen längst gelaufen sind?"
Der "Spiegel" schreibt in seinem TV-Duell-Bericht die "sechs wichtigsten Erkenntnisse der Diskussion" auf. Erkenntnis Nummer 6: "Inhaltlich kaum Erkenntnisgewinn." Wie schön.
Und weiter:
"Das Grundproblem von Formaten wie diesen bleibt: Wenn Politikerinnen aufeinandertreffen, die populistische Methoden anwenden, fehlt es den Zuschauerinnen und Zuschauern an Orientierung."
Mit jedem Mal, bei dem Populisten im Fernsehen Redezeiten eingeräumt bekommen, scheint die Berichterstattung darüber seufzender, schulterzuckender und resignierter zu werden. Zu oft haben Journalisten schon erklärt, was passiert, wenn Politiker, die zu stark verkürzenden Sachverhalten und Halbwahrheiten neigen, live ihre Thesen platzieren dürfen.
Bei "Übermedien" rang man sich im Vorfeld mit einem "Bullshit Bingo" zum TV-Duell noch einen müden Schmunzler ab, bevor es Boris Rosenkranz dann gestern nochmal genauer unter die Lupe nahm. Sein Fazit: "Genutzt hat das Duell allenfalls der 'Welt'". Er schreibt:
"Einem Sender wie 'Welt' geht es nicht in erster Linie um politische Bildung, sondern um Aufmerksamkeits-Gehuber, an dessen Ende [Moderator] Burgard die Kontrahentinnen bat, auf einer Skala von 1 bis 10 zu bewerten, wie 'rechts' die andere sei. So ein TV-Duell bei 'Welt' ist immer auch ein bisschen 'Brigitte'-Persönlichkeitstest."
Immerhin analysierten Melanie Amann ("Spiegel"-Chefredakteurin) und Mariam Lau ("Zeit") danach mit "Welt"-Chefreporterin Anna Schneider das Duell und trugen laut "taz" damit dazu bei, "das Event der Konkurrenz aufzuwerten."
10.000 Stellungnahmen zu ÖRR-Reformplänen
Nun hat sich auch ARD-Generalsekretärin Susanne Pfab zum Entwurf des geplanten Reformstaatsvertrags geäußert. Wie epd medien aus einem Brief an Medienpolitiker und Stakeholder weiß, kritisiert Pfab, dass die Streichung von TV-Kanälen im Widerspruch "zu der gleichzeitig im Entwurf enthaltenen Vorgabe [stehe], das Angebot und die Bereitstellung von Bildungsinhalten zu stärken."
Im Deutschlandfunk-Medienpodcast kritisiert Stefan Fries im Gespräch mit der Dlf-Medienredaktion, das "Problem dieser Reform":
"Ich finde es schon gut, dass jetzt der Auftrag verkleinert wird, aber die Politik sagt ja nicht, wie genau. Die Medienpolitik hat bisher fast jeden einzelnen Sender beauftragt und wie der ausgestaltet sein soll. Natürlich nur grob, weil sie dürfen nicht zu tief in die Rundfunkfreiheit eingreifen – aber beim Streichen machen sie das nicht. Und damit setzt sich eigentlich das fort, was wir seit Jahren haben: Dass nämlich die Politik immer wieder die Verantwortung auf die Sender schiebt, obwohl sie es ja ist, die den Auftrag erteilt."
Anders klingt die Stellungnahme von Vaunet (Verband privater Medien), für den viele relevante Punkte im Vertragsentwurf berücksichtigt wurden. Der frisch wiedergewählte Vorstandsvorsitzende Klaus Grewenig appellierte bei der Vaunet-Mitgliederversammlung an die Länder, "den eingeschlagenen Weg konsequent zu Ende zu gehen." (blickpunktfilm.de)
Bis heute kann sich noch jeder bei der Mainzer Staatskanzlei mit einer Stellungnahme zu den geplanten Reformplänen melden, bisher sind mehr als 10.000 eingegangen (epd medien). Gestern kam zur bisher am stärksten diskutierten geplanten Änderung, der Zusammenlegung von 3sat und Arte, noch die Stimme von Grimme-Direktor Peter Wenzel dazu: Der Kultursender biete eine Heimat
"für ein Genre, das sonst nirgendwo mehr eine hat: den langen, künstlerischen Dokumentarfilm. […] Mit einer Einstellung von 3sat würde ein Refugium für den Autor*innen-Dokumentarfilm verschwinden." (dwdl.de)
Altpapierkorb (Verdi-Stellungnahme, NDR-Streik, Israel-Berichterstattung)
+++ Auch Verdi und DGB äußern sich zu den geplanten Reformplänen für ARD und ZDF, die man hier nachlesen kann.
+++ Seit Mittwoch dauert er nun schon an, der Warnstreik beim NDR. In den vergangenen Tagen hat er zu mehreren Einschränkungen im Programm geführt: Teile der Tagesschau konnten nicht wie geplant gesendet werden, außerdem fiel am Mittwoch die Regionalsendung "Hallo Niedersachsen" aus. Der Streik wird nun bis Samstag verlängert (verdi).
+++ Im "Übermedien"-Podcast fragt Holger Klein den Politikwissenschaftler Kai Hafez, wie ausgewogen deutsche Medien über Israel berichten. +++
Das Altpapier am Montag schreibt Ben Kutz. Schönes Wochenende!