Kolumne: Das Altpapier am 7. Oktober 2024 Anders Fernsehen
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07. Oktober 2024, 10:04 Uhr
3sat darf nicht untergehen, sagen die einen, denn nur dort gebe es Kultur, Wissenschaft und Hirn. Die anderen schauen nach, was tatsächlich alles bei 3sat läuft. Führt die Debatte über den Erhalt eines linearen Kanals am entscheidenden Punkt vorbei? Ein Altpapier von Klaus Raab.
Inhalt des Artikels:
- Was im Diskussionsentwurf der Länder über 3sat steht
- Wie äußert sich die "allgemeine Erregung"?
- Wollen ARD und ZDF 3sat überhaupt erhalten?
- Braucht es einen linearen Sender 3sat?
- Altpapierkorb (Nathanael Liminski, Drohungen gegen MDR-Funkhäuser, "Israel und Gaza"-Doku, Darstellung gewalttätiger Jugendlicher)
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Was im Diskussionsentwurf der Länder über 3sat steht
3sat-Debatte, weiter geht’s: Wie steht es um die Integration von 3sat in Arte, die von der Rundfunkkommission der Länder angeregt wurde (Altpapier)? Lesen wir erst einmal nach im Diskussionsentwurf der Kommission für einen Reformstaatsvertrag, Seite 13:
"In Abstimmung mit den beteiligten öffentlich-rechtlichen europäischen Veranstaltern sollen die Inhalte des Vollprogramms 3sat teilweise oder vollständig in das Vollprogramm 'arte – Der europäische Kulturkanal' und dessen Telemedienangebote überführt werden."
In der Spalte "Anmerkungen und Erläuterungen" heißt es dazu:
"Für den wünschenswerten Fall, dass ARTE in Zukunft eine über die rein deutsch-französische Zusammenarbeit hinausgehende europäische Rolle einnehmen sollte, wird daher ermöglicht, in Absprache mit den europäischen Partnern das bisher eigenständige 3sat-Angebot in ARTE zu integrieren. Eine Verpflichtung hierzu besteht nicht."
Das ist nicht der endgültige Vertragstext. Aber Stand jetzt ist das Ende von 3sat keine beschlossene Sache. Vielmehr stehen die Formulierungen in einem "interessanten Kontrast zur allgemeinen Erregung bei dem Thema", wie am Samstag die "Süddeutsche Zeitung" (Abo) schrieb.
Wie äußert sich die "allgemeine Erregung"?
Die SZ nennt beispielhaft für die Erregung in der 3sat-Diskussion die Petition "Rettet 3sat – unser Kultursender darf nicht verschwinden". Es gibt mittlerweile aber auch diverse weitere Reaktionen und Beiträge in Zeitungen, in denen zum Teil größere Räder gedreht werden (Zusammenfassung auch bei epd Medien).
Die "Berliner Zeitung" etwa ist sich zwar für keinen Take zu blöd, der gegen ARD und ZDF gerichtet ist: zu woke, zu staatsnah, "Mondgehälter", usw. usf. Nun aber verteidigt diese Zeitung 3sat – "um ein paar Cent pro Gebührenzahler zu sparen" solle der Kultursender gestrichen werden? Im "Freitag" zeigt sich Axel Brüggemann solidarisch. In der Schweiz ruft die eher linke "Wochenzeitung" zur Rettung von 3sat auf. Die "taz" verweist darauf, dass 3sat die "beste Nachrichtensendung in deutscher Sprache" liefere, nämlich die "ZiB2" des ORF.
Darauf weist auch Gert Scobel hin, der das 3Sat-Wissenschaftsmagazins "scobel" moderiert und für dessen Gastbeitrag (Abo) die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" ihre Medienseite teilweise freigeräumt hat. Er ärgert sich darüber, dass 3sat einfach in ein gemeinsames Kulturkörbchen mit Arte gepackt werde: Das sei "nur deshalb möglich, weil man beide Sender ausschließlich als 'Kultur' markiert hat", so Scobel, was 3sat nicht gerecht werde (was man dann vielleicht auch 3sat mal sagen müsste, Stichwort "kulturelles Vollprogramm"). Mit "nano" gebe es, so Scobel, auch ein tägliches Wissenschaftsmagazin. Und seine Sendung, die tatsächlich bewahrenswert ist, nennt er auch.
Man sollte aber schon auch darauf hinweisen, dass bei 3sat keineswegs nur hochwertiges, unverzichtbares Programm läuft. Die SZ weist darauf hin. Christian Bartels tat es hier im Altpapier schon. Und Stefan Niggemeier tut es in seinem "Übermedien"-Newsletter (Abo) auch. 3sat ist auch eine "Abspielfläche für Wiederholungen" (SZ). Niggemeier listet einfach das 3sat-Programm des Wochenendes auf: alte Naturdokus ohne Ende. Die "zu Blasmusik auf stillstehende Skilifte" schwenkenden Webcams, die in der taz zitiert werden, wären auch zu erwähnen.
Die 3sat-Apologetik setzt aber nicht am gesamten Programm an, sondern am Bewahrenswerten."FAZ"-Herausgeber Jürgen Kaube verteidigte schon vergangene Woche in einem Feuilleton (Abo-Text), was derzeit noch im Präsens zu verteidigen ist: die Kultur im Fernsehen. Er liegt nicht falsch, wenn er nicht nur "eine erhebliche Kürzung dessen" befürchtet, "was das öffentlich-rechtliche Fernsehen an Kulturberichterstattung anbietet", sondern darin auch einen Trend sieht:
"In fast allen Sendern werden die Programme für Literatur, ernste Musik und Theater zurückgefahren. Von Kai Gniffke, dem ARD-Vorsitzenden, heißt es, er könne sich vorstellen, dass jedes Buch, das im Reich der ARD rezensiert wird, von Flensburg bis Konstanz nur noch ein einziges Mal rezensiert werden wird. Auf die Idee, die Pop- und Volksmusik-Songs, die im selben Gebiet erklingen, nur noch von einem der Kanäle abspielen zu lassen, ist hingegen noch keiner der Intendanten gekommen. Stattdessen stehen Sendungen wie die hinreißenden zweistündigen 'Interpretationen' im Deutschlandfunk Kultur unter Druck, eventuell weil Abteilungsleiter und Intendanten nicht mehr wissen, wer Pietro Mascagni und Gustav Holst sind. Sie schauen auf die Quoten, nehmen wahr, dass sich weniger Leute für die unterschiedlichen Einspielungen musikalischer Werke interessieren als für Taylor Swift, und handeln entsprechend."
Vorläufiges Fazit der "Süddeutschen Zeitung" vom Samstag:
"3sat ist ein Kultursender, wie es ihn tatsächlich kein zweites Mal gibt. (…) Dass das mögliche Ende von 3sat nun vor allem in der Kulturbranche, in Verlagen, an Theatern und unter Kulturjournalisten für Aufruhr sorgt, ist klar. Ihre Räume in den Öffentlich-Rechtlichen schwinden seit Jahren."
tl;dr: Kulturmenschen regen sich auf über einen Vorschlag der Medienpolitik, der allerdings nicht bindend ist. Die Sender könnten ihn eigentlich auch einfach nicht umsetzen.
Wollen ARD und ZDF 3sat überhaupt erhalten?
Interessant ist deshalb die folgende Frage der "SZ": "Haben ARD und ZDF ein Interesse, 3sat zu erhalten?" Sparen müssen sie jedenfalls, das ist sicher. "Nur mit der Perspektive einer signifikanten Kostensenkung ist es derzeit denkbar, dass die Länder irgendwann einstimmig einer Beitragserhöhung zustimmen könnten", so die SZ. Nur, was würde das Ende von 3sat überhaupt zur Kostensenkung beitragen?
Gert Scobel schreibt in der "FAS": "Ein Kollege, mit dem ich vor vielen Jahren in anderer Funktion Etats verhandelte, wies mich darauf hin, dass allein die Kosten für ein einziges Champions-League-Endspiel den Jahresetat von 3sat übersteigen." Das ist so unpräzise formuliert, dass es vielleicht, je nach Berechnungsgrundlage, irgendwie durch einen Faktencheck gehen könnte. Aber bestenfalls irgendwie. 3sat kostet die deutschen Sender rund 92 Millionen Euro pro Jahr (KEF-Bericht, pdf, S. 88). Das ZDF, das das nächste Finale zeigt, wendet nach eigenen Angaben rund 207 Millionen Euro für die Sportberichterstattung auf. Allerdings für die eines ganzen Jahres.
3sat bewegt sich kostentechnisch auf dem Niveau des Kika; funk und Phoenix sind billiger. Und falls die Schweiz den Mitbetrieb von 3sat infrage stellen sollte – was denkbar ist angesichts der noch schärferen Debatte über den dortigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk –, würde es womöglich teurer. Allerdings würden durch ein Aus für 3sat auch nicht automatisch 92 Millionen eingespart. Der Sender ist mit der ARD und vor allem dem federführenden ZDF verwoben, und vieles, was derzeit 3sat zugerechnet wird, würde dann trotzdem noch finanziert. Die Frage ist, was ARD und ZDF wollen. Was ihnen wichtig ist und in ihre Zukunftskonzepte passt. Da wären wir zurück bei der allgemeinen Erregung und ihrer möglichen Berechtigung.
Braucht es einen linearen Sender 3sat?
Man kann auch fragen: Was ist das eigentlich für eine Debatte? Warum zählt die Medienpolitik, die doch eine gründliche Reform anzustreben behauptet, eigentlich Spartensender durch, ohne dass klar würde, was ihr Wegfall genau einspart? Stefan Niggemeier schreibt:
"(E)s ist verblüffend, dass ausgerechnet ein Kulturprogramm eines der prominentesten Opfer der Sparvorgaben ist, die die Politik den Öffentlich-Rechtlichen machen will. Aber noch absurder ist, dass sie sich in ihrem Reformeifer überhaupt auf die Zahl der Programme konzentrieren. Die Bedeutung des linearen Fernsehens nimmt dramatisch ab. Entscheidend für die Zukunft ist das Streaming."
Niggemeier vertritt die unpopuläre (vielleicht aber gar nicht soo unpopuläre) These, dass der lineare Kanal 3sat gar nicht bewahrenswert sei – "sondern das Einzigartige (und unbestritten Öffentlich-Rechtliche), das auf ihm läuft". Also vor allem die täglichen Sendungen über Wissenschaft und Kultur, für die im Hauptprogramm des ZDF aber ja wohl Platz sein sollte. Sie könnten dort
"täglich einzahlen auf die Unverwechselbarkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Stattdessen wird so getan, als könnten ARD und ZDF ohne ein eigenes ausgegliedertes Kulturreservat leider, leider keine solchen Inhalte mehr zeigen; als wäre die Existenz all der Quiz-, Krimi-, Quatsch- und Schmonz-Sendungen im Hauptprogramm leider ein Naturgesetz. Das grenzt an Gaslighting."
Discuss! Bis zum 11. Oktober kann man seinen Senf zur ÖRR-Reform noch abgeben.
Altpapierkorb (Nathanael Liminski, Drohungen gegen MDR-Funkhäuser, "Israel und Gaza"-Doku, Darstellung gewalttätiger Jugendlicher)
+++ Eines noch zum Thema: Senta Krasser hat mit Nathanael Liminski gesprochen und einen langen porträtierenden Text über ihn für dwdl.de geschrieben. Liminski (CDU) ist Minister unter anderem für Medien in Nordrhein-Westfalen und einer der "Verfasser des Vorschlags" (Krasser), 3sat könne in Arte aufgehen. Der Text ist im Ganzen lesenswert, aber ich konzentriere mich auf die aktuelle Debatte. Krasser schreibt:
"Liminski glaubt, dass der Entwurf eine 'gelungene Mischung ist aus der Berücksichtigung berechtigter Hinweise aus den Sendern und dem ambitionierten Anspruch der Länder, das öffentlich-rechtliche System nachhaltig aufzustellen, also dauerhaft finanzierbar und publizistisch wirksam, damit auch gesellschaftlich akzeptiert'. Er sieht die große Chance, dass am Ende ein Reformstaatsvertrag herauskommt, der den Namen auch verdient: 'Den können sich dann alle ans Revers heften, sowohl die Sender als auch die Länder als auch die KEF.' Um seine Prognose noch zu unterstreichen, erinnert Liminski daran, dass die Staatskanzlisten auch einen 'radikaleren Entwurf' eingebracht hätten: Nur das Hauptprogramm von ARD und ZDF und die Dritten sind fix, alles andere wird flexibilisiert bzw. den Sendern überlassen, ob sie es linear oder nur digital ausspielen. Diese 'maximale Selbstverantwortung' sei nach seiner Wahrnehmung aber 'nicht bei allen in der Senderwelt auf Zustimmung gestoßen'."
+++ Nach Bombendrohungen seien die Landesfunkhäuser des MDR in Erfurt und Magdeburg am Samstag vorübergehend geräumt worden, meldet die Nachrichtenagentur epd. Ein MDR-Sprecher habe das auch der Deutschen Presseagentur auf Anfrage bestätigt (siehe etwa faz.net). Der MDR Sachsen-Anhalt berichtet über die Vorfälle in Magdeburg, die Polizei habe den Bereich abgesperrt, ein Spürhund sei eingesetzt worden. Nach etwa zwei Stunden haben die Polizei Entwarnung gegeben.
+++ Beachtenswert: dass die "Frankfurter Allgemeine" am heutigen Montag ihre Ausgabe zwar – natürlich – nicht monothematisch gestaltet, aber doch in bemerkenswert vielen Texten an die Hamas-Terrorattacken vor genau einem Jahr in Israel erinnert. Die "Süddeutsche" berichtet ebenfalls mit mehreren Beiträgen. Stefan Fischer weist auf ein Hörspiel von Dominik Graf und Maxim Biller hin "Kein König in Israel". Und Sonja Zekri empfiehlt (Abo-Text) die Doku "Israel und Gaza – Die Opfer von Terror und Krieg" des britischen Filmemacher Robin Barnwell (ARD, 23.20 Uhr, und Mediathek), und sie schreibt: "(W)enn man in der Flut der Produktionen zum Jahrestag des Hamas-Massakers und dem Beginn des Gaza-Krieges eine auswählen will, dann sollte es diese sein. Barnwell gelingt, was so logisch klingt und so selten gelingt: beide Seiten zu Wort kommen zu lassen, beide Perspektiven anzuhören."
+++ Bent Freiwald von den "Krautreportern" hat sich kürzlich in seinem Newsletter sehr darüber geärgert, wie Medien gewalttätige Jugendliche herbeischreiben würden: "(D)ie Zahl der mit Messer-Straftaten in Verbindung gebrachten tatverdächtigen Kindern und Jugendlichen unter 14 Jahren stieg von 52 im Jahr 2020 auf 142 im vergangenen Jahr an", zitiert er rbb24.de. Aber, so Freiwald: "War 2020 nicht irgendwas? Irgendwas mit: Niemand darf das Haus verlassen? Da schreiben Journalist:innen einen 'deutlichen Anstieg' der Messergewalt herbei und belegen ihre Aussagen, indem sie die aktuellen Zahlen mit denen aus einem Jahr vergleichen, in dem Erwachsene wie Kinder die meiste Zeit wegen einer weltweiten Pandemie zu Hause herumsaßen."
Am Dienstag schreibt das Altpapier Christian Bartels.