Kolumne: Das Altpapier am 4. Oktober 2024 Die Entdeckung der Langsamkeit
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04. Oktober 2024, 09:42 Uhr
Die Bundesländer wollen mit der Rundfunkreform sparen. Am liebsten sofort. Ein neues Gutachten zeigt: So schnell geht das nicht. Und jetzt? Heute kommentiert Ralf Heimann die Medienberichterstattung.
Inhalt des Artikels:
- Sparwünsche: Kurzfristig? Nicht möglich
- Kultursender-Fusion: Da ist noch der Rattenschwanz
- Filmwirtschaft: Hälfte des Beitrags soll ins Programm
- Altpapierkorb (Schwäbischer Verlag, Rechtsruck-Debatte, Politiker und Journalisten in Talkshows, Frauenquote in der Regie, Gericht verbietet Äußerung von Seppelt)
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Sparwünsche: Kurzfristig? Nicht möglich
Seit einer Woche sprechen wir über die Reformideen für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (zuletzt hier im Altpapier), die im Entwurf des Reformstaatsvertrags stehen, den die Rundfunkkommission vorgelegt hat. Kurzer Rückblick, falls Sie erst heute einsteigen:
Die Länder wollen im Programm von ARD, ZDF und Deutschlandradio gewaltig was wegschneiden. Sie wollen die Anzahl der TV-Spartenkanäle nahezu halbieren, die der Hörfunkprogramme, mit ein paar Ausnahmen, auf vier pro Anstalt begrenzen. Günter Herkel gibt für das Verdi-Medienmagazin "Menschen Machen Medien" einen guten Überblick über den Inhalt der Debatte.
Ex-Altpapier-Kollegin Annika Schneider berichtet bei "Übermedien" über ein noch unveröffentlichtes Sondergutachten der Finanzkommission KEF, das nach ihren Informationen zeigt: Kurzfristig werden die geplanten Reformen kein Geld sparen. Eher mittel- oder langfristig, doch das ist den Bundesländern zu spät.
Sie hatten das Gutachten im März in Auftrag gegeben, um eine schnelle Möglichkeit zu finden, die Kosten zu senken, im günstigsten Fall schon ab Januar. Dann hätte man den Rundfunkbeitrag womöglich gar nicht anheben müssen, und das hätte mindestens in Bayern, Brandenburg und Sachsen-Anhalt ein politisches Problem gelöst. Dort hatten die jeweiligen Länderchefs schon angekündigt, dass sie einer Beitragserhöhung nicht zustimmen würden. Das ist allerdings im Verfahren gar nicht vorgesehen, beziehungsweise nur in Ausnahmefällen.
Falls die Länder nicht einstimmig Ja sagen, womit zu rechnen wäre, könnten die Sender die Sache, wie beim letzten Mal, gerichtlich regeln. Nur dann hätte man wieder ein politisches Problem.
Christian Meier schreibt in der "Welt":
"Würden einige Länder die Erhöhung aber blockieren, könnte die Sache auch darauf herauslaufen, dass die gesamte Reform mitsamt der Streichung der Radio- und Fernsehsender ausfiele. Darum könnte es selbst aus der Sicht der strikten Erhöhungsgegner (…) Sinn ergeben, einer Erhöhung zähneknirschend zuzustimmen – um die Kürzungen durchzusetzen und dann im nächsten Schritt eine Senkung zu erreichen."
Im schlechtesten Fall bekäme man also die Beitragserhöhung, die man auf keinen Fall wollte, aber keine Reform, die man für unbedingt notwendig befand.
Auffällig ist laut Annika Schneider: "Bei sämtlichen Vorschlägen fehlen die Preisschilder." Es ist also gar nicht klar, wie viel Geld sich mit ihnen jeweils sparen ließe. In vielen Fällen würden die Kosten auch bei einer Streichung nicht wegfallen, jedenfalls nicht sofort. Schneider:
"Ein Beispiel: Für den Spartensender 3sat sind nächstes Jahr knapp 90 Millionen Euro eingeplant. Sollte der Kanal wegfallen, würde man aber nicht automatisch 90 Millionen sparen. Denn das Budget enthält auch zu einem großen Teil sogenannte Gemeinkosten, mit denen sich der Kanal rechnerisch an Studios, Technik, Verwaltung und ähnlichem beteiligt. Ein anderes Beispiel sind die Sportrechte: Zum Teil sind die schon bis 2032 eingekauft, lassen sich also nicht einfach so wegkürzen."
Andere Ideen der KEF, die viel Geld sparen könnten, seien im Reformstaatsvertrag gar nicht zu finden. Ein Beispiel hier sei der Verkauf von Immobilien, so Schneider. Allein für die Sanierung der beiden Standorte des Deutschlandradios seien 350 Millionen Euro eingeplant.
Würde man auf die doppelte Verbreitung von Radioprogrammen über UKW und DAB+ verzichten, könnte man laut KEF in den nächsten vier Jahren 110 Millionen Euro sparen. Und die Kommission gibt sogar Taschenspielertricks, um den Rundfunkbeitrag zu entlasten – ganz ohne zu sparen. 1,90 Euro des Beitrags würden verwendet, um Landesmedienanstalten, Orchester, Chöre und Beitragsbefreiungen zu finanzieren. Das könnte man auch mit Steuergeld finanzieren. Die Kosten würden dann zwar nicht wegfallen, aber im Rundfunkbeitrag würde man sie nicht mehr sehen.
Kultursender-Fusion: Da ist noch der Rattenschwanz
"3sat"-Chefin Natalie Müller-Elmau sagt im Deutschlandfunk-Medienmagazin "@mediasres" im Gespräch mit Sebastian Wellendorf zu den Plänen, ihren Sender mit "Arte" zusammenzulegen:
"Uns hat das ehrlich gesagt ein bisschen überrascht, und wir sehen das auch noch nicht als ein Fait accompli sozusagen. Ganz im Gegenteil, mir fehlt noch so ein bisschen die Fantasie, wie das alles funktionieren soll. Ein Tag hat nur 24 Stunden und sowohl Arte als auch wir haben ausreichend Programm für 24 Stunden. Und was dann wegfällt und wie das integriert werden soll, ist uns zum jetzigen Zeitpunkt nicht klar. Von daher nehmen wir das eigentlich eher als ein Gesprächsangebot an."
So viel Fantasie braucht es allerdings vermutlich gar nicht, um sich vorzustellen, wie die Länder sich das vorstellen. Das formuliert Natalie Müller-Elmau im Interview dann auch selbst:
"Ich glaube, man muss sich einfach darüber klar sein: Wenn man zwei Sender fusioniert oder halb integriert oder was dort auch immer vorgeschlagen ist, dann werden Inhalte abgeschafft."
Ein Problem dabei ist: "Arte" ist ein deutsch-französisches Projekt, das in einem internationalen Staatsvertrag geregelt ist. An "3sat" sind sogar drei Länder beteiligt, Deutschland, Österreich und die Schweiz – und vier Anstalten: ARD, ZDF, ORF und SRG.
"Das heißt, wir in Deutschland können das auch alles überhaupt gar nicht alleine entscheiden",
sagt Müller-Elmau. Das ist eines der praktischen Probleme, um die es noch gehen wird, falls man sich auf diesen Vorschlag einigt. Und dann ist da noch all das, was hinten dranhängt.
Der Sender engagiert sich in der Kulturförderung. Er tritt bei Veranstaltungen als Partner auf. Er vergibt Preise. Müller-Elmau nennt das alles eine "erhebliche Kulturleistung", die auf dem Spiel stehe, wenn der Sender in Frage steht.
Ein schwindendes Interesse an Kultur und damit auch eine schwindende Bereitschaft, für Kulturinhalte zu zahlen, erkennt sie dagegen nicht:
"Ich kann Ihnen sagen, dass wir bei '3sat' in den letzten Jahren sukzessive unseren Marktanteil sowohl linear als auch nonlinear ausgebaut haben. Wir erreichen täglich über fünf Millionen Menschen mit unserem Programm. Das müssen erst mal andere schaffen. Also von daher, ich sehe da gar keinen Akzeptanzschwund, sondern vielmehr einen Akzeptanzausbau."
Filmwirtschaft: Hälfte des Beitrags soll ins Programm
Die Film- und Kreativwirtschaft sieht die Akzeptanz öffentlich-rechtlicher Inhalte eher dadurch in Gefahr, dass ein großer Teil der Gebühren in Strukturen versickert.
"Eines ist klar: Jeder Euro, der ins Programm fließt und sich nicht in den Weiten der Strukturen von ARD, ZDF und Deutschlandradio verliert, erhöht die Akzeptanz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks",
schreiben 13 Gruppen oder Verbände, unter anderem der Deutsche Drehbuchverband, die Produktionsallianz und die Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm, in einem offenen Brief an die Rundfunkkommission der Länder, aus dem "epd" zitiert. Die Unterzeichner wollen erreichen, dass mindestens die Hälfte des Beitrags ins Programm fließt. Bisher gebe es keinen Hebel, der verhindert, dass die Reform vor allem hier ansetzt. Daher müsse man die Forderung im Medienstaatsvertrag verankern.
Die Frage ist allerdings, ob das auch im Interesse der Länder liegt, denn jede weitere Beschränkung macht das Sparen noch komplizierter. Und wenn es auch darum geht, die Bereitschaft zu konsequenten Einschnitten zu demonstrieren, kann es auch durchaus gewollt sein, dass man die Lücken im Programm hinterher auch sieht. Und was man ebenfalls bedenken muss: Wie immer in der Medienpolitik geht es auch in diesem Fall um Standortinteressen. Das bedeutet: Wichtiger als das Programm sind am Ende die Arbeitsplätze.
Altpapierkorb (Schwäbischer Verlag, Rechtsruck-Debatte, Politiker und Journalisten in Talkshows, Frauenquote in der Regie, Gericht verbietet Äußerung von Seppelt)
+++ Astrid Geisler und Sascha Venohr berichten für "Zeit Online" über den "turbulenten Kurswechsel" bei der "Schwäbischen Zeitung" (Altpapier), der innerhalb der Redaktion und durchaus auch von außerhalb als Rechtsdrift wahrgenommen wird. Verlagschef Lutz Schumacher, der sich selbst als "wirtschaftsliberal" und "Umfragen-Junkie" bezeichnet, erklärt den neuen Kurs dagegen durch "die alte Verlagsweisheit, dass du möglichst viele Menschen erreichen musst", eben auch die Anhänger der AfD, gegen die man als liberaler Mensch, so Schumacher, eigentlich eine Aversion habe. "Man kann sich fragen, ob hinter der Neuausrichtung der Schwäbischen Zeitung also weniger Ideologie als vielmehr eine kühle Rechnung steht", schreiben Geisler und Venohr.
+++ Man kann sich allerdings auch fragen, welche Folgen es hat, wenn Medien Themen aufgreifen, die rechtsradikale Akteure zu Themen gemacht haben. Marina Weisband macht das in ihrer aktuellen "@mediasres"-Kolumne. Sie sagt: "Es ist ein totaler Kreislauf, der begonnen wurde von Menschen, die sich mehr Rassismus in der Gesellschaft wünschen. Und warum wünschen sie sich mehr Rassismus? Weil bestimmte Parteien Ownership, also Besitz, über verschiedene Themen haben. Wann immer das Klima zentral gemacht wird, gewinnen die Grünen in Umfragen. Beim Thema Migration ist es immer die AfD. Oder glaubt Scholz, dass irgendjemand die SPD wählt, wenn er gegen Ausländer ist, nur weil die jetzt die europäischen Grenzen schließt?"
+++ Eine Analyse der Nachrichtenagentur "epd" zeigt, dass in deutschen TV-Talkshows nach der Sommerpause vor allem Politiker und Journalisten zu Gast waren. Von 182 eingeladenen Gästen in 38 Ausgaben von Sendungen wie "Caren Miosga", "Hart aber fair", "Maischberger", "Markus Lanz" und "Maybrit Illner" kamen laut der Analyse 41 Prozent aus der Politik und 39 Prozent aus dem Journalismus. Die CDU stellte die meisten Gäste, gefolgt von SPD, Grünen und dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Über sechs von zehn Gästen waren männlich. In anderen Worten: Bei dem vor einem Jahr von der ARD angekündigten Vorhaben, Talkshows vielfältiger und ausgewogener zu machen, ist noch so einige Luft nach oben.
+++ Die ARD-Filmeinkaufsorganisation Degeto hat neun Jahre nach der Einführung einer Frauenquote in der Regie die Parität fast erreicht, berichtet Uwe Mantel für "DWDL". 2015 lag der Anteil von Regisseurinnen bei Produktionen wie dem "Tatort” noch im einstelligen Bereich, was die damalige Degeto-Chefin Christine Strobl "geradezu absurd” nannte. Ihr Unternehmen startete damals mit einer vorsichtigen Quote von 20 Prozent, im vergangenen Jahr erreichte man in der Regie einen Frauenanteil von 47 Prozent. Christoph Pellander, Leiter Redaktion und Programm-Management bei der Degeto, sagt: Wenn Frauen in der Regie gestärkt würden, führe das automatisch zu einer authentischeren Darstellung der Gesellschaft an den Bildschirmen.
+++ Das Landgericht Hamburg hat eine Behauptung des Sportjournalisten Hajo Seppelt in der ARD-"Sportschau” als unzulässige Verdachtsberichterstattung und sie per einstweiliger Verfügung als persönlichkeitsrechtsverletzend verboten, berichtet "epd". Seppelt hatte Anfang August dem russisch-usbekischen früheren Geschäftsmann Alischer Usmanow Bestechung und Manipulation von Schiedsrichtern im internationalen Fechtsport vorgeworfen. Usmanow hatte daraufhin Joachim Steinhöfel (Altpapier) von der Kette gelassen, der in einer Pressemitteilung über den vorläufigen Erfolg berichtet. Der WDR sagt auf Agenturanfrage, verantwortlich sei der NDR. Ein Gerichtsbeschluss liege dem Sender noch nicht vor.
Das Altpapier am Montag schreibt Klaus Raab.