Kolumne: Das Altpapier am 2. Oktober 2024: Porträt der Altpapier-Autorin Jenni Zylka 5 min
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G
5 min

Inwiefern Journalist:innen zu wenig verdienen, ist nicht leicht zu beweisen, weil die Begriffe relativ relativ sind. Und Julien Assange bekennt sich "des Journalismus schuldig".

Mi 02.10.2024 10:09Uhr 05:15 min

https://www.mdr.de/altpapier/das-altpapier-audio-636.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Audio

Kolumne: Das Altpapier am 2. Oktober 2024 Mau bezahlter Stützpfeiler

02. Oktober 2024, 09:40 Uhr

Inwiefern Journalist:innen zu wenig verdienen, ist nicht leicht zu beweisen, weil die Begriffe relativ relativ sind. Und Julien Assange bekennt sich "des Journalismus schuldig". Heute kommentiert Jenni Zylka die Medienberichterstattung.

Porträt der Altpapier-Autorin Jenni Zylka
Bildrechte: MDR MEDIEN360G / Foto: fotostudioneukoelln.de

Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Nur ne 4 in Mathe, aber genial

Ganz ohne einen Anspruch auf einen echten philosophischen Gedanken könnte man sagen: Der Song "Alles ist relativ", Titelstück für eine ZDF-Kinderserie namens "Schloss Einstein", deren Dreharbeiten für die finale 28. Staffel (Respekt!) Ende dieses Monats enden sollen, birgt einiges an Nachdenkpotenzial. Nicht wegen des Textes, obwohl der einem auch sehr entgegenkommt, vor allem als Mathefeindin, er geht ungefähr so:

Alles ist, alles ist relativ normal.
alles ist, alles ist uns manchmal echt egal.
Selbst Einstein hatte / nur ne 4 in Mathe
und war später mal total genial.

Sondern wegen der laienphilosophisch höchstinteressanten Beziehung von Einsteins "Alles ist relativ" zum wahrnehmungsbeschreibenden "Alles ist subjektiv". Beim Nachdenken darüber stach mir folgende Erklärung ins Auge:

"So ziemlich alles, was relativ ist, ist auch subjektiv, aber es gibt Dinge, die subjektiv, aber nicht relativ sind".

Mal abgesehen von dem leicht tautologischen Ton der Aussage und dem wissenschaftlich viel zu vagen "so ziemlich alles" finde ich den Satz vor allem im Zusammenhang mit dem gestern bereits kurz im Altpapier erwähnten "Honorarreport" der Freischreiber interessant. Kurz zusammengefasst: Für die Studie waren freie Journalist:innen (zu denen ich ebenfalls gehöre) aufgefordert worden, Daten zu ihrem Verdienst einzusenden, die Studienmacher:innen versuchten in ihren Ergebnissen, die Bandbreite von Freien-Honoraren zu verdeutlichen. Dabei wurde transparent gemacht:

"Die Ergebnisse sind nicht repräsentativ, können jedoch Trends aufzeigen".

Hobby Journalismus

Wenig verwunderlich sind die Honorarsätze unfassbar unterschiedlich, ebenso wenig überrascht es, dass die Honorare auch noch seit Jahren – relativ gesehen – weiter fallen. Man habe knapp 750 Datensätze verarbeiten können, heißt es, was angesichts der je nach Quellen zwischen 25 000 und 30 000 oder sogar noch viel mehr freien Kolleg:innen doch recht wenig scheint – ich habe jedenfalls sofort für das nächste Mal mitgemacht, und versucht, den Durchschnitt mit meinen fürstlichen Millionen-Honoraren zu heben, ha.

Genau da steckt nämlich das Interessante an der Geschichte und die Verbindung zur Relativität und Subjektivität. Folgende Aussagen aus einer Kommentarfunktion wurden in der Studie zitiert:

"Das kann man nur als Hobby machen!"

"Man macht den Job nicht des Geldes wegen."

Genau. Großes Problem. Ich verfüge natürlich über noch weniger beziehungsweise überhaupt keine validen Zahlen, und berichte auch nur aus einer kleinen Blase – aber zumindest im Kulturjournalismus gibt es eine subjektiv (oder vielleicht auch relativ) große Gruppe von Menschen, die ich – oder die sich selbst – als Hobbyjournalist:innen bezeichnen würde/n. Menschen, die eigentlich von etwas anderem, eventuell auch jemand anderem leben, und einfach Lust haben, über die Kultur der Welt zu berichten, und beide damit mitzugestalten.

Macht ja auch verdammt Spaß. Ist nur doof, wenn der eine es sich leisten kann, das als Hobby zu betreiben, die andere aber nicht.

Die Freischreiber sind sich dieses Problems absolut bewusst, und fordern auf:

"Sagt "Nein!", wenn das Angebot für euch nicht wirtschaftlich ist. Lasst euch nicht ausbeuten. Nehmt nur Aufträge an, die fair vergütet sind, also einen angemessenen Beitrag zu eurem Lebensunterhalt liefern."

Und dann kommt leider zwangsweise noch mehr Subjektivität ins Spiel: Was ist ein "angemessener Beitrag zum Lebensunterhalt"? Dürfen Erb:innen, Millionärsgatt:innen, und so weiter eigentlich jeden schlechtbezahlten Job annehmen, weil ihr Lebensunterhalt eh gedeckt und damit jeglicher Beitrag angemessen ist, oder dürfen sie im Gegenteil nicht schlechtbezahlt schreiben, weil sie das den ärmeren Kolleg:innen überlassen sollten? Eine Initiative wie die der Honorarreport ist jedenfalls genau darum extrem wichtig – anders als durch Transparenz, den Versuch, aus einer Subjektivität eine Relativität zu machen, schafft man es nicht.

Und um der Transparenz Willen, und weil es eine weitere, problematisch zu evaluierende Ebene gibt: Bei mir ist es ebenfalls eine absolute Mischkalkulation – ich gegenfinanziere schlechtbezahlte Aufträge mit gutbezahlten, und weiß nie, ob die gutbezahlten wirklich gut bezahlt sind, oder es mir nur subjektiv so vorkommt, weil ich nicht "von Geld" komme. Oder bin ich relativ gesehen schon längst schwerreich?

Dazu gesellt sich wie gesagt die zweite Problematik, die in der Studie so benannt wird:

"Da die Arbeitszeiteinschätzung naturgemäß äußerst subjektiv ist, kann es dort zu starken Verzerrungen kommen."

Soll heißen: Man kann weder vorher sagen, wie lange etwas dauert, noch dauert die gleiche Sache bei allen Journalist:innen gleich lang, sakra. Tendenziell gibt es Richtwerte – aber je weniger formatiert das Produkt sein muss, desto länger könnte man sich theoretisch damit aufhalten. Weil das so ist, wackelt das wiederum am "angemessenen Betrag" – ist es angemessen, mehr zu verlangen, weil einem lange Zeit einfach nichts einfallen wollte, verdammt? Oder weil einem etwas eingefallen ist und es ist – rein subjektiv – besonders gut? Puh.

Supergeile Superreiche?

Das Thema Reichtum und dessen problematische Einschätzung war übrigens auch vorgestern Thema bei "Hart aber fair", unter der Überschrift: "Superreich – leider geil?", und hier ist, was die SZ dabei vermisste:

"Der Fehler, Julia Friedrichs macht mit einem müden Lächeln am Ende der insgesamt leider an Erkenntnis nicht eben superreichen Sendung darauf aufmerksam, liegt darin, dass wieder einmal über Leistungsträger, faule Erben, Erbschaftsteuer, Vermögensteuer, gerechten und ungerechten Reichtum diskutiert wurde – aber leider nicht über jene tatsächlich im Wortsinn asoziale Sphäre der Gesellschaft, die im Gegensatz zum "reichen" 3700-Euro-Single wirklich reich ist. Es ist absurd, dass die Kategorie der "Reichen" vom 3700-Euro-Einkommen bis zu den Leuten reicht, die sich Yachten für 1,8 Milliarden Euro kaufen. Etwas mehr Differenzierung und weniger Versimpeln sollte man sich schon leisten."

Schon sind wir beim alten Problem – dieses Thema ist anscheinend zu subjektiv, um es differenziert darzustellen. Die SZ machte unter anderem den Moderator verantwortlich, eine Sendung gestaltet zu haben,

"in der Louis Klamroth mit einer schon unheimlichen Zielsicherheit an allen wirklich brisanten Fragen vorbeimoderiert"

Und zitierte nochmal Talkgast, Autorin und Journalistin Julia Friedrich:

"Das Grundproblem ist, wie Julia Friedrichs sagt: "In Deutschland wird die Arbeit besteuert – nicht das Vermögen." Auf diese Weise wird die Gesellschaft immer ungleicher, ungerechter – und irgendwann auch dysfunktional."

Recht hat sie.

Bedrohter Investigativjournalismus

Jetzt ein wackeliger Schlenker zurück zum Thema "Das schwierige Leben von Journalist:innen": Bei seinem ersten Auftritt nach der Freilassung gestern entzog sich Julian Assange "der antiwestlichen Vereinnahmung", erkannte die FAZ an, und schreibt darüber weiter:

"Die Schwere des Erlebten und des Moments beeinflussen Assanges Worte und sein Auftreten am Dienstagvormittag spürbar. "Ich bin heute nicht frei, weil das System funktioniert hat", sagt der 53 Jahre alte Australier, der nach einer Vereinbarung mit der amerikanischen Justiz freigelassen worden war. Er habe Jahre der Unfreiheit hinter sich, weil er sich "des Journalismus schuldig bekannt habe".

"Des Journalismus schuldig" – Assange war sich der wunderbaren Zitierbarkeit dieses Satzes gewiss bewusst, hat auch schon schön geklappt (hier, hier, hier). Er fasse seine Erfahrungen so zusammen, heißt es weiter:

"Die USA hätten die Position eingenommen, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung nur für ihre eigenen Bürger gelte. Europäer hingegen müssten sich an die Geheimhaltungsgesetze der USA halten, ohne jegliche Verteidigung. Damit sei ein "gefährlicher Präzedenzfall" geschaffen worden, sagt Assange, der eine Linie zieht zur Verfolgung von Journalisten, die in Russland kritisch über den Krieg in der Ukraine berichten."

Geopolitik spielt bei einem politischen Whistleblower natürlich noch eine andere Rolle als in anderen Bereichen, die FAZ deutet die Aussagen des Journalisten, der sich dieser Tatsache durchaus bewusst war, so:

"Überhaupt ist die Geopolitik für Assange wie auch für alle, die sich für ihn einsetzen, ein schwieriges Thema. Wikileaks konzentrierte seine Enthüllungen lange einseitig auf US-Praktiken und nicht etwa auf jene Russlands. Diesen Umstand versucht Assange unausgesprochen dadurch auszuräumen, dass er die amerikanische Verfolgung seiner Tätigkeit eben als "Präzedenzfall" für die Drangsalierung von Journalisten in den Kriegen in der Ukraine und in Gaza darstellt. Weiter gibt Assange zu, dass es für ihn lange einfacher gewesen sei, Unterstützung in "neutralen" oder gegenüber den USA "feindlichen" Staaten zu gewinnen."

Ein Bericht im Tagesspiegel geht ebenfalls auf Assanges Kommentar zur allgemeinen Situation des Journalismus ein: Assange

"…hat bei seinem ersten öffentlichen Auftritt besseren Schutz für Journalisten gefordert. "Die Kriminalisierung von Nachrichtenbeschaffung ist eine Bedrohung für den investigativen Journalismus weltweit", sagte Assange. (…) Die Rechte von Journalisten in Europa seien gefährdet. Journalismus sei "kein Verbrechen, sondern ein Stützpfeiler einer freien und informierten Gesellschaft"".

Und auch er hat damit Recht. Subjektiv, objektiv, relativ und absolut.


Altpapierkorb

  • Journalismus und Integrität: Die taz weist hier auf eine Schieflage bei der medialen Übernahme von Berichten der Polizei hin, der Autor fordert "einen neuen Umgang mit Polizeimeldungen", weil die Polizei "kein neutraler Akteur" sei. "Journalismus muss sich an journalistische Standards halten, egal wie groß der (Zeit-)Druck sein mag. Die Polizei kann bei der Berichterstattung nur eine von vielen Quellen sein und gleichzeitig ist sie besonders: Informationen, die von Polizeibehörden oder Innenministerien herausgegeben werden, sollten von machtkritischem und unabhängigem Journalismus akribisch unter die Lupe genommen werden." (Was selbstredend immer für sämtliche Quellen gilt.)

  • Journalismus und Reichtum: Der Altpapier-Kollege Martens berichtet hier bei Übermedien über eine Presserüge gegenüber den "Lübecker Nachrichten", die einen allzu euphorischen, und damit gegen die Schleichwerbungsgesetze verstoßenden Artikel über ein paar luxuriöse Mietwohnungen druckte.

  • Journalismus und Öffentlichkeit: Die vom Kollegen Raab im Altpapier hier kürzlich angeteaste, von einer Stiftung finanzierte "neue Medieninitiative" publix ist nun eröffnet – wirkt ganz gut, mal sehen, ob das mit der "neuen Heimat für alle, die Journalismus machen, Öffentlichkeit gestalten und die Demokratie stärken" weiter klappt, und ob tatsächlich auch nachbarschaftliche Neuköllner Nicht-Journalist:innen sich von den Angeboten angesprochen fühlen.

  • Journalismus und Qualität: Im letzten RBB-Medienmagazin stellte der Ex-DJV-Chef und Journalist Frank Überall sein neues Buch "Deadline für den Journalismus?" vor – mit vielen Gedanken zu hier genannten Themen, sowie angesichts der umfassenden Wellen- und Programmkürzungen mit der Forderung, nicht alles in die digitale Welt zu schieben - denn "jemand, der ein Klassikprogramm im Radio bisher gehört hat, das dort nicht mehr bekommt, der wird sich jetzt nicht in eine App einwählen". Er rät, journalistische Geschichten für eine diversere Reichweite innovativer zu denken, auch beispielsweise in Computerspielen unterzubringen, oder mit "Teasingformaten auf Instagram" zu arbeiten. Außerdem schlägt er eine Art Umweltengel vor: Man könnte "Qualitätsjournalismus" mit einem innovativen Qualitätssiegel zeichnen, das sich auch wieder entziehen lässt. Huch. Ob das hier eines abkriegt…?

Das nächste Altpapier schreibt am Freitag Ralf Heimann.

 

Mehr vom Altpapier

Kontakt