Kolumne: Das Altpapier am 30. September 2024 Und wer verteidigt 3sat?
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30. September 2024, 10:50 Uhr
Was würde ein Aus für 3sat bedeuten? Außerdem: Sahra Wagenknechts Medienkritik verdienen die Öffentlich-Rechtlichen nicht – über eine andere muss man aber reden. Und: Der Journalistenverband Freischreiber weiß, was eine Salatgurke kostet. Heute kommentiert Klaus Raab die Medienberichterstattung.
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
3sat: erste Abgesänge
Im "heute journal" des ZDF tauchte der ZDF-Intendant himself dieser Tage in einer Meldung auf. Natürlich ging es um die Reformen der Öffentlich-Rechtlichen, die gerade in der Mache sind (und die man auch kommentieren kann). Konkret ging es um die von den Ländern vorgeschlagene Zusammenlegung inhaltlich verwandter Spartenkanäle – eine Art Poolbildung, verbunden mit der Streichung des einen oder anderen Senders. Und was Norbert Himmler zu sagen hatte, war im Kern: Freundlich nickend werden wir einer solchen Reduktion nicht zustimmen. Er habe kein Verständnis "dafür, dass in politisch und gesellschaftlich unruhigen Zeiten darüber nachgedacht wird, erfolgreiche und gesellschaftlich relevante Kanäle pauschal zu streichen". So steht’s auch bei epd Medien.
Überhaupt gibt es – neben etwas verwundertem Lob dafür, dass es "nach Jahren kleinteiliger, ja kleinmütiger Überlegungen zur Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks" (Tagesspiegel) nun wirklich um eine Veränderung von Struktur und Auftrag gehen soll – auch viel Kritik. Nicht nur, aber primär kommt sie aus den Anstalten und ihren Umfeldern selbst – also von den "üblichen Verdächtigen", wie sie Michael Hanfeld in der "FAZ" nennt. Einen Überblick über die Reaktionen bietet dwdl.de. Und ein paar Argumente gibt’s da natürlich schon, selbst wenn sie von Üblichen oder Verdächtigen vorgetragen werden.
Interessant an all den Reaktionen ist unter anderem, dass sich niemand öffentlich so recht für die Beibehaltung von 3sat als Sender einzusetzen scheint. Wie hat er das denn verdient? Die einen im Fernsehrat wollen auf ZDFinfo und ZDFneo keinesfalls verzichten. Der ZDF-Intendant hebt laut epd "die Bedeutung der beiden öffentlich-rechtlichen Sender Phoenix und Arte hervor". 3sat dagegen? Inhalte des Senders seien "wichtig für unsere Gesellschaft und Kulturszene", heißt es in einer bei DWDL zitierten Einlassung von ZDF-Beschäftigten. Aber der Sender selbst?
Es wäre, wie Christian Bartels hier am Freitag schrieb, tatsächlich ein "dicker Hund", fiele der österreichisch-schweizerisch-deutsche Sender weg. Wie geschockt genau die Nachbarn wären, darüber ist gesondert zu reden. Imre Grimm vom Redaktionsnetzwerk Deutschland glaubt, der Widerstand aus Österreich und der Schweiz dürfte aus finanziellen Gründen überschaubar sein. Was aber nichts daran ändere, so Grimm, dass eine Einstellung von 3sat "vergleichsweise radikal" wäre. Schon weil 3sat auf ein bestimmtes Publikum geeicht ist:
"Das Bildungsbürgertum rechtfertigte mit der gelegentlichen Wahrnehmung des Arte- und 3sat-Programms gern Besitz und Verwendung eines (igitt!) Fernsehgerätes. Und ARD und ZDF verwiesen stets kühl auf ihre Kulturableger, wenn mal wieder jemand jammerte, sie würden ihren Kulturauftrag vernachlässigen. 'Was wollt ihr denn?', hieß es dann. 3sat zeigt sogar Oper und Theater. Und Tanz! Und Ballett! Wo gibt’s denn das noch?"
Nirgends sonst, genau. Vielleicht, schreibt Grimm, liegt oder lag genau in solchen Inhalten aber auch ein Problem von 3sat:
"Während Arte sich früh erfolgreich auch um Niedrigschwelligkeit bemühte, ohne seinen Anspruch zu verlieren, fehlte 3sat stets die Ausstrahlung von fröhlicher Kultur-Nerdigkeit. Kein 3sat-Macher kippte den Götzen Theater. Keine 3sat-Show nahm Pop mal so ernst wie Klassik. Der große Fehler von 3sat war, immer nur diejenigen zu umwerben, die eigentlich gar nicht fernsehen wollen."
Andererseits gibt es bei 3sat Formate, deren Existenznotwendigkeit wohl selbst von den üblichsten Verdächtigen nicht bestritten wird und die nach einer Zusammenlegung schon irgendwohin müssten. Nur zum Beispiel wäre da die einzige tägliche überregionale Kultursendung, die "Kulturzeit", für die, so Grimm, nebenbei ja "mehr als 40 Mitarbeiter" arbeiten würden. In die Mediathek, in der es monothematische Formate leichter haben, wird man ein Kulturmagazin wohl schwerlich eins zu eins packen können. Einfach zu Arte mit allem, was von 3sat bewahrt werden soll? Da ist dann wiederum Joachim Huber im Tagesspiegel skeptisch:
"(H)at sich nicht speziell Arte über die mehr als 30 Jahre seit dem Sendestart 1990 derart individuell wie originell entwickelt, dass jede grundlegende Veränderung Stil und Prägung wesentlich verschlimmbessern würde?"
Huber schlägt vor, lieber mehr von den womöglich irgendwann heimatlosen Programminhalten in die Hauptkanäle zu stecken:
"Natürlich steckt in den Programmen, die per Fusion aufgegeben werden soll, öffentlich-rechtliche Qualität. (…) Jeder Rückbau der Spartenprogramme muss mit einer Revitalisierung von Erstem und Zweiten einhergehen. Diese Programme müssen dem Auftrag an Information und Unterhaltung, an Bildung und Kultur gerechter werden",
schreibt er. Dass Markus Lanz sich warm anziehen muss, weil Gert Scobels Fernsehen demnächst auf einen seiner Sendeplätze drängt, ist natürlich immerhin eine schöne Vorstellung. Aber mehr als das?
Wagenknecht in "Star Wars"-Länge
Die jüngste Dokuserie des ZDF über Sahra Wagenknechts Bündnis, das Bündnis Sahra Wagenknecht, war an dieser Stelle schon Thema. Wie viel Raum Wagenknecht zuletzt in den Öffentlich-Rechtlichen bekam, auch bereits mehrfach. Nun hat Lisa Kräher für den "Übermedien"-Newsletter (Abo) ausgerechnet, wie viel Raum genau es allein in Dokus war:
"Wenn man die öffentlich-rechtlichen Dokus über Sahra Wagenknecht aus den vergangenen zwölf Monaten zusammenzählt, kommen 379 Sendeminuten raus. Talkshow-Auftritte bei Maischberger und dergleichen sowie aktuelle Berichterstattung über Wagenknecht und ihre neue Partei, das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), sind da noch gar nicht dabei."
Kleine Fußnote: 379 Minuten, das ist so lang wie die erste "Star Wars"-Trilogie.
Kräher fragt nun: "Welcher andere Politiker bekommt als Person so viel Aufmerksamkeit? Mir fällt auf Anhieb niemand ein." Mich selbst ließ diese enorme Aufmerksamkeit in meiner spiegel.de-Rezension (Abo) des ZDF-Fünfteilers ebenfalls zwiespältig zurück:
"'Inside Bündnis Wagenknecht' ist ein gelungener Mehrteiler, der dem Phänomen Wagenknecht nachgeht, ohne ihm zu erliegen. Und doch bleibt die Frage, wo die sinnvolle journalistische Begleitung eines neuen politischen Projekts in seine Verstärkung kippt, wo die Quantität die Qualität zu tangieren beginnt."
Die Frage ist nur, wem konkret man einen Vorwurf machen könnte: dem ZDF-Team hinter dem Fünfteiler, der die Parteientstehung über ein Jahr verfolgt hat? Es hat ja schon an seiner Doku gearbeitet, als die anderen Filme, die der ARD, noch nicht ausgestrahlt waren. Den ARD-Dokus? Für die des WDR wurde auf einem Termin gedreht, auf dem auch das ZDF zugegen war, schreibt Kräher. Auch da wurde also nicht einfach etwas nachgemacht, was andere schon hatten.
"Den (etwas erwartbaren) Stimmen, die in Sozialen Medien nun kritisieren, dass das ZDF Sahra Wagenknecht mit der neuen Doku schon wieder eine Bühne gebe und damit Werbung für sie mache, kann ich mich (…) nicht ganz anschließen", schreibt Kräher. Sie glaube, "dass die direkte Wirkung von Medienpräsenz auf Wahlergebnisse überschätzt wird". Das glaube ich auch, wenngleich es sicher Korrelationen gibt (man befrage nur mal die klügeren Leute der Piratenpartei dazu, wie sie seinerzeit in die Parlamente kam). Es gibt aber zumindest auch eine Menge anderer Variablen. An Wagenknechts politischem Influencing für knapp zweieinhalb Millionen Social-Media-Follower etwa kommt man schwer vorbei, wenn es darum geht, zu erörtern, wie Medien ihre Thematisierungsfunktion wahrnehmen.
Mehr Austausch über Planungen innerhalb der Öffentlich-Rechtlichen könnte man sich aber natürlich schon wünschen: damit die Unabhängigkeit der einzelnen Anstalten voneinander nicht dazu führt, dass statt Vielfalt der Anschein von Konformität entstehen kann. Vor allem in den Talks könnte man sich diesbezüglich sicher ein bisschen zusammenreißen. Da Talks, anders als Dokumentationen, wochenaktuell geplant werden, kann man dort ja eigentlich schon umplanen, wenn man merkt, dass es einfach zu viel wird. Drei Talks vergangene Woche mit BSW-Beteiligung lassen sich mit der Aktualität rechtfertigen. Nur einer oder zwei, und es würde auch niemand ein Versäumnis beklagen.
Oh, wait! Sahra Wagenknecht vielleicht. Komplett ausschließen immerhin kann man allerdings, dass ihre Medienkritik, mit der sie im ZDF-Fünfteiler zitiert wird auch nur in die entfernte Nähe von "stichhaltig" kommt. Sie beklagt, dass ihre Partei, die zu dem Zeitpunkt noch an keiner Wahl teilgenommen hat, von den ohnehin zu einseitigen öffentlich-rechtlichen Medien ganz bewusst nicht den Raum bekomme, der ihr zustehe. Lange nicht so gelacht.
Altpapierkorb (Honorarreport, "Berliner Zeitung", Joachim Knuth, FPÖ, Matthias Fornoff, Late Prime, "Loop")
+++ 41,42 Euro Honorar pro 1000 Zeichen und 25 Euro Stundenlohn verdienen freie Journalistinnen und Journalisten durchschnittlich, so der Freienverband Freischreiber, der nun seinen "Honorarreport 2024" vorgelegt hat. Und schlägt vor, sie sollten mindestens 100 Euro pro 1000 Anschläge fordern. 25 Euro pro Stunde sei zwar mehr als 2020, als der letzte Report erschienen ist. Aber: "Was auf den ersten Blick hier und da als Honorarerhöhung erscheint, stellt sich bei näherer Betrachtung oft als Honorarkürzung heraus. Während wir Freien also mit der Drei-Euro-Salatgurke unter dem Arm unsere Mieterhöhung aus dem Briefkasten fischen, dümpeln unsere Einkünfte noch immer auf Vor-Corona-Niveau herum – wenn überhaupt." Schreiben könnense ja, diese Freien.
+++ Über "Die Alternativmedienmacher" schreibt Stefan Kuzmany im "Spiegel" (Abo). Gemeint sind Holger Friedrich, der Verleger der "Berliner Zeitung", und seine Leute. "Womöglich sollte man nicht alles auf die Goldwaage legen, was ehemalige oder unzufriedene Angestellte über einen Chef erzählen, der alles umgekrempelt hat. Dennoch ist hier die Häufung der negativen Zuschreibungen beeindruckend. Gemeinsam ist ihnen das Entsetzen über die inhaltliche Neuausrichtung der 'Berliner Zeitung' durch das Verlegerpaar und den Herausgeber Michael Maier. Heute sei sie ein 'ostdeutschtümelndes Wutbürger-Organ jenseits von Gut und Böse', sagt eine mit den Vorgängen in der Redaktion vertraute Person."
+++ Beim NDR steht der Wechsel in der Intendanz wohl früher an: Joachim Knuth habe angeboten, etwa vier Monate früher als geplant in den Ruhestand zu gehen und auf die Rundfunkreform verwiesen, die im Sommer 2025 in Kraft treten könnte. "Das betreffe dann auch maßgeblich die Finanzplanung für 2026 und die mittelfristige Planung. Diese Entscheidung sollte dann von denen getroffen werden, die in Verantwortung kommen", so die dpa. Eine Findungskommission sei bereits bei der Arbeit, schreibt die "SZ" (Abo).
+++ Nach Österreich, wo gestern gewählt wurde, und die Medienpläne der medienkritischen FPÖ, die man nur noch beschönigend rechtspopulistisch nennen kann und die die meisten Stimmen bekommen hat, blickte "Zapp" vom NDR. Unter anderem geht es um die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen ORF.
+++ Das ZDF hat die endgültige Trennung von Matthias Fornoff, dem ehemaligen Leiter der Hauptredaktion Politik und Zeitgeschehen, verkündet (tagesspiegel.de u.a.).
+++ Mehr Mut zur Late Prime empfiehlt Peer Schader (bei dwdl.de) den Privaten, also etwa ProSieben und RTL.
+++ Weniger Mut zu Instagram-Kanälen wie "Loop" empfiehlt Annika Schneider (bei uebermedien.de, Abo-Text) dem WDR. Stichwort: cringe und auftragsfern.
Am Dienstag schreibt das Altpapier Christian Bartels.