Kolumne: Das Altpapier am 23. September 2024: Porträt des Altpapier-Autoren Ben Kutz 5 min
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Kolumne: Das Altpapier am 23. September 2024 von Ben Kutz "Governor Woidke"

Kolumne: Das Altpapier am 23. September 2024 – "Governor Woidke"

Die Wahlen in Brandenburg haben es auf die US-Politikseiten geschafft. Und der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss sich in den kommenden Monaten wohl von zahlreichen Radio- und Fernsehsendern trennen.

Mo 23.09.2024 10:39Uhr 05:15 min

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Kolumne: Das Altpapier am 23. September 2024 "Governor Woidke"

23. September 2024, 09:17 Uhr

Die Wahlen in Brandenburg haben es auf die US-Politikseiten geschafft. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss sich in den kommenden Monaten wohl von zahlreichen Radio- und Fernsehsendern trennen. Und der NDR kritisiert die Medien für die fehlerhafte Berichterstattung über die Sendung "Die 100". Heute kommentiert Ben Kutz das Mediengeschehen.

Porträt des Altpapier-Autoren Ben Kutz
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Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Wie die USA nach Brandenburg schaut

Gestern hat Brandenburg gewählt. Erwartungsgemäß war die Landtagswahl DAS Thema am Wochenende. Allerdings nicht nur in Deutschland, wie das Medienbrachen-Blatt "Bild" beobachtet:

"Heute wählen die Brandenburger einen neuen Landtag. Und die ganze Welt schaut hin! Die wichtigsten Zeitungen der Vereinigten Staaten von Amerika berichten über die Landtagswahlen in Brandenburg und ihre möglichen Folgen für Deutschland und Europa."

Dass die "Bild" auf ihrer Startseite mal mit einer internationalen Presseschau aufmacht, hätte sie wohl selbst nicht gedacht. Bin ich wirklich auf der Website der größten Boulevard-Zeitung gelandet?

"Im Fokus: Die drohende Klatsche für Kanzler Olaf Scholz (66, SPD), dessen SPD eine schmerzhafte Niederlage erleiden könnte."

Okay, bin ich! Bemerkenswert ist es aber tatsächlich, wie viele US-Medien auf eine deutsche Landtagswahl blicken.

Die "New York Times" bemerkt, dass die Brandenburg-Wahl einen "Einfluss auf die Stabilität der Bundesregierung in Berlin" haben könnte. Man erwarte, dass sowohl weit rechts als auch weit links stehende Parteien große Zugewinne erreichen würden. Das BSW wird in der Analyse übrigens konsequent als "far-left" eingeordnet. Verständlich, dass man das US-amerikanische Publikum keine seitenlangen Verortungs-Diskussionen der Wagenknecht-Jünger zumuten kann. Aber diese absolute Einordnung finde ich doch etwas verkürzend.

Die "Washington Post" zitiert politische Beobachter, die glauben, die politische Zukunft des Kanzlers könnte bei der Brandenburg-Wahl entschieden werden. Der Artikel ist aber deutlich kürzer als sein Pendant in der "New York Times" und beschäftigt sich ansonsten hauptsächlich mit der AfD und den kürzlichen Erfolgen in Thüringen.

Der US-Wirtschaftssender "Bloomberg" hat ebenfalls einen Artikel auf seiner Website veröffentlicht:

„Eine weitere enttäuschende regionale Leistung der SPD wird wahrscheinlich eine neue Debatte darüber entfachen, ob Scholz der richtige Mann ist, um die Partei in die nächste Bundestagswahl zu führen. Als Alternative könnte man den populären Verteidigungsminister Boris Pistorius als Kanzlerkandidaten in Betracht ziehen. [...] Sollten die Sozialdemokraten gewinnen, ist es unwahrscheinlich, dass Scholz dafür Anerkennung erhalten wird."

Und auch "CNN" hat in einem (insgesamt lesenswerten) Artikel über die deutschen Grenzschließungen (Titel: "Goodbye, 'welcome culture'") die Brandenburg-Wahl erwähnt:

"Es kann passieren, dass die Miesere für Scholz und seine Regierung an diesem Wochenende noch weitergeht, weil auch in Brandenburg gewählt wird. [...] Das Ergebnis könnte Scholz in Schwierigkeiten bringen, seine Koalition weiter schwächen und den Ruf nach Neuwahlen früher als im kommenden September lauter werden lassen."

Auch der Landtag Brandenburg hat sich gestern in einer Pressemitteilung über ein "reges Interesse bei Medien über die Region und Deutschland hinaus" gefreut. Neben vielen deutschen Kolleginnen und Kollegen hätten sich "auch Medien aus Kanada, Japan, China, der arabischen Welt und aus zahlreichen europäischen Ländern" eingefunden.

Schon verrückt, wie viele US-Amerikaner nun plötzlich um die Existenz von "Brandenburg", "Governor Woidke" und "Potsdam" wissen. Der Kanzler hätte gestern allen Grund für ein Glas Sekt gehabt, um zu feiern, dass das Worst-Case-Szenario bei so großem internationalen Interesse zunächst ausgeblieben ist. Spätestens heute sollte er aber den größten Präsentkorb der Parteiengeschichte zu seinem Genossen nach Brandenburg schicken, denn an diesem "Wunder von Potsdam" ("Spiegel") hat der Kanzler wirklich gar keinen Anteil, schließlich hatte Woidke ihn vom Wahlkampf ausgeladen.

Öffentlich-rechtliche Ungewissheit

Falls Sie schon immer mal eine TV- oder Rundfunkfrequenz kaufen wollten, würde ich mich schon mal in Startposition begeben: da wird bald was frei. Die Öffentlich-Rechtlichen müssen bald Sender dichtmachen – nur welche, ist noch nicht klar. Letzte Woche haben sich die Chefs der Staats- und Senatskanzleien zu einer weiteren Sitzung getroffen. Sie sind im Föderalstaat federführend dafür zuständig, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu reformieren. Ihr Vorschlag hat es in sich, wie die "Süddeutsche Zeitung" weiß:

"Zwanzig Hörfunkwellen sollen wegfallen oder mit anderen fusionieren, sodass am Ende 53 öffentlich-rechtliche Radiosender übrig bleiben. Und vier bis fünf der Spartenkanäle von ARD und ZDF. Von ihnen gibt es derzeit zehn: ZDF Neo, ZDF Info, One, ARD alpha, Tagesschau24, Phoenix, den Kinderkanal, die junge Digitalplattform Funk und die Kultursender 3sat und Arte."

Welche Sender am Ende wegfallen, entscheidet allerdings nicht die Politik. Die Medienpolitiker geben nur das Sparziel vor, die Entscheidungen treffen die Sender selbst. Na das wird sicher spaßig.

Der Deutsche Journalistenverband (DJV) kritisiert diese "massive Verringerung" und warnt in einer Pressemitteilung vor "folgenreichen Einschnitten". Der Verband wünscht sich außerdem mehr Beteiligung von Interessenverbänden und Öffentlichkeit: DJV-Bundesvorsitzender Mika Beuster:

„Eine so umfassende Reform darf nicht übers Knie gebrochen werden. Vor allem darf sie nicht ohne eine umfassende Beteiligung derjenigen stattfinden, die sie betrifft. Das sind die Beschäftigten der Sender, das Publikum, aber auch Verbände wie der Deutsche Journalisten-Verband. Die Einbeziehung der Betroffenen ist entscheidend für Akzeptanz und Gelingen einer Reform."

Der Reformentwurf enthält laut "SZ" auch Vorschläge, wie die Ausgaben für Sportrechte gedeckelt und wie Gehälter von Senderchefs und die Rundfunkbeiträge künftig festgesetzt werden können. Details dazu gibt es allerdings noch keine. Der Entwurf soll erst Ende dieser Woche veröffentlicht werden, nachdem die 16 Ministerpräsidentinnen- und präsidenten ihre Freigabe erteilt haben.

Und als würde das noch nicht reichen, öffentlich-rechtliche Senderchefs zum Zittern zu bringen: die Ungewissheit geht noch weiter. Bisher gibt es keine Einigung, ob der Rundfunkbeitrag wie geplant zum Jahresende erhöht wird, wie "epd Medien" schreibt:

"Die Bundesländer sind in der Frage des Rundfunkbeitrags weiter uneins [...]. Die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) hatte im Februar empfohlen, den Beitrag zum 1. Januar 2025 auf 18,94 Euro zu erhöhen. Mehrere Länder hatten Widerstand gegen die Erhöhung angekündigt, allerdings darf die Medienpolitik nur unter eng definierten Voraussetzungen von der KEF-Empfehlung abweichen. Nach epd-Informationen versuchen insbesondere einige unionsgeführte Länder in der Rundfunkkommission, eine Beitragsanpassung zu verhindern."

Für die Öffentlich-Rechtlichen wird es wohl bald richtig ernst in Sachen Sparkurs. Oder um es mit den Worten der rheinland-pfälzischen Staatskanzlei zu sagen, die in dem Prozess federführend ist:

"Der Entwurf beinhaltet eine qualitative Stärkung des Auftrages und quantitativ eine erhebliche Begrenzung, insbesondere bei der Zahl der Angebote."

Was das konkret heißt, werden wir in den kommenden Wochen und Monaten erfahren. Spannend sind der 24. und 25. Oktober. Da wollen sich die Ministerpräsidenten in Leipzig zur offiziellen Konferenz treffen, auf der das Reformpaket beschlossen werden soll. Doch auch dann ist noch nichts in trockenen Tüchern. Nochmal "epd Medien":

"In Kraft treten kann der Staatsvertrag erst, wenn nach der Unterzeichnung durch die Länderchefs auch alle 16 Landesparlamente zugestimmt haben. Dies werde "frühestens im Sommer 2025" der Fall sein, erklärte die Mainzer Staatskanzlei."

Erst dann wissen wir final, ob wir den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zukunftsfähig bekommen – und was davon noch übrigbleibt.

"Die 100": NDR kritisiert Medien, Laienschauspieler wird beschimpft

Im Mediendrama rund um die ARD-Sendung "Die 100" (siehe Altpapier vom vergangenen Dienstag) haben sich weitere Stimmen gemeldet, die es wegen des langen Wochenendes noch nicht ins Altpapier geschafft haben. Unter anderem hat die für das Format zuständige NDR-Redakteurin Julia Saldenholz dem "KNA-Mediendienst" ein Interview gegeben. Dabei kritisiert sie auch diverse Medienvertreter. Viele Medien hatten den AfD-Spin verbreitet, die ARD hätte in der Sendung mit dem Titel "Ist die AfD eigentlich ein Problem für die Demokratie?" Laienschauspieler eingesetzt. Saldenholz:

"Es ist schon etwas befremdlich, wie es eine solche Meldung in [...] seriöse Medien schaffen konnte. Wie der NDR schon mehrfach erklärt hat: An den Vorwürfen ist nichts dran. Natürlich sind bei dem Format "Die 100" keine Schauspieler engagiert, die Bürgerinnen und Bürger spielen sollen. [...] Die Geschichte mit angeblich gekauften Darstellern ist eine Mär, die gezielt - von vermutlich interessierten Kreisen - in die Welt gesetzt wurde."

Harte Worte hat die Redakteurin auch für die Rechtsaußen-Partei:

"Ich glaube, wir Journalistinnen und Journalisten müssen in diesen Zeiten genau hinschauen und aufpassen, dass das Gift der Desinformation und Verunsicherung nicht weitergetragen wird. Mich erschreckt es, dass die AfD einen Teilnehmer unserer Sendung benutzt, um Stimmung gegen die ARD zu machen. Der Mann bekommt mittlerweile Drohungen, er solle nachts besser nicht mehr aus dem Haus gehen. Das ist fatal."

Um diese Drohungen geht es in einem "DWDL"-Artikel. Alexander Krei hat sich mit Michael Schleiermacher unterhalten. Er hatte das Schlusswort bei der ARD-Sendung – und hat sich letztlich gegen die AfD positioniert. Er ist tatsächlich in seiner Freizeit Laienschauspieler. Mit der Sendung oder seinen Äußerungen hat das aber gar nichts zu tun. Natürlich hat ihn die ARD nicht bezahlt, Anti-AfD-Werbung zu machen. Viel Spaß im Internet hat Schleiermacher trotzdem gerade nicht:

"Mittlerweile geistert in den Medien herum, ich sei ein bezahlter Schauspieler, die ARD habe 260.000 Euro für mich bezahlt und ich sei ein ehemaliges Mitglied der AfD. Das ist natürlich alles absoluter Quatsch", sagt er. "Es nervt, weil es nicht der Wahrheit spricht." Auch zwei Tage nach der Ausstrahlung ist die Zahl der Hassnachrichten, die Schleiermacher erhält, gewaltig. "Wer ist hier der Wolf im Schafspelz, der sich wie eine Prostiuierte buchen lässt und dem eigenen Volk in den Rücken fällt", fragt eine Person, die sich Lea nennt. Eine andere ätzt in ihrer Message: "Mal gucken, wie lange deine Hausanschrift privat bleibt."

Immerhin eine gute Nachricht: Schleiermacher würde wieder bei einer Sendung wie dieser mitmachen: "Den Schwanz einziehen und mich wegducken, das möchte ich nicht."

Und die gescholtenen Medien? Haben die aus ihren Fehlern gelernt? Besonders krass war das Funke-Portal "Der Westen" unterwegs. Die titelten letzte Woche: "'Die 100': ARD fliegt auf! Laien-Schauspieler wirkt bei Anti-AfD-Sendung mit". Doch anstatt sich zu entschuldigen, die Unwahrheit zu korrigieren oder den Artikel wenigstens zu löschen, wurden die Fake News mit gestrigem Datum erneut publiziert. Irgendwie auch ein offensiver Umgang mit Kritik.


Altpapierkorb (Poschardt verbreitet Lügen, Raabs ProSieben-Angriff noch nicht erfolgreich, Laude-Porträt, die modische Stilkritik im Polit-Zirkus, Deutsches Dusch-Fernsehen)

+++ Und weil wir eh schon beim Wohlfühlthema "rechte Desinformation gegen die Öffentlich-Rechtlichen" sind, gleich noch eine Meldung hinterher: Auf X hat der Account "ÖRR-Blog" eine gefälschte Grafik geteilt, die belegen soll, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht ausgewogen berichten würde. Angeblich sollte die Grafik aus einer Studie stammen, tatsächlich war sie aber ausgedacht. Auch "Welt"-Chefredakteur Ulf Poschardt hat die Grafik geteilt "und erst nach Kritik kommentarlos und anscheinend ohne Richtigstellung wieder gelöscht", wie der "Volksverpetzer" schreibt.

+++ Stefan Raab hat beim Streamingdienst "RTL+" einen neuen Rekord aufgestellt. Noch nie habe eine Sendung so viele Neukunden akquiriert wie seine Show "Du gewinnst hier nicht die Million bei Stefan Raab", schreibt "RTL" in einer Pressemitteilung. Trotzdem ist der Frontalangriff gegen ProSieben, den Raab eigentlich plante (siehe Altpapier vom 19. August), nicht vollends gelungen. Seine Ex-Show "TV Total", gegen die die neue Raab-Show programmiert ist, hatte keine nennenswerten Quoteneinbrüche, meldet "DWDL".

+++ Phil Laude ist einer der dienstältesten deutschen YouTuber. Der "Spiegel" widmet dem 34-jährigen, der mit dem Comedy-Trio "Y-Titty" zum Star wurde, ein Porträt. Und fragt: "Was macht ihn so ausdauernd?"

+++ Der "modischen Stilkritik" von Politikerinnen und Politikern widmet das Portal genderleicht.de einen interessanten Artikel. Immerhin: Dieses Genre müssen längst nicht mehr nur Frauen über sich ergehen lassen: "Sie nimmt das politische Personal jeden Geschlechts und jeder Partei unter die Lupe, im In- und Ausland."

 +++ "Kann mal bitte jemand das Wasser abdrehen?", fordert Kathrin Hollmer bei "Übermedien". Sie geht der Frage nach, warum in deutschen Filmen so wahnsinnig viel geduscht wird. Die ernüchternde Antwort: "Der 'Vorteil' von Duschszenen ist, dass man eine nackte Figur zeigen kann, ohne es begründen zu müssen. [...] Duschszenen sind also ein Anlass, schöne nackte Frauenkörper zu zeigen. Die hinterfragt das Fernsehpublikum nicht, es hat sich längst an sie gewöhnt."

Das Altpapier am Dienstag schreibt Christian Bartels.

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