Kolumne: Das Altpapier am 16. September 2024: Porträt des Altpapier-Autoren Klaus Raab
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Kolumne: Das Altpapier am 16. September 2024 Aktive Lebehilfe

16. September 2024, 10:02 Uhr

Eine Boxveranstaltung als Unboxing-Video: Stefan Raab lässt sich mal wieder verkloppen – um Aufmerksamkeit für eine neue RTL+-Show zu generieren. Und die "taz" geht voran und stellt die gedruckte Werktagsausgabe ein. Ein Altpapier von Klaus Raab.

Porträt des Altpapier-Autoren Klaus Raab
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Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Raab-Exegesen: It’s the economy

Stefan Raab ist zurück im Fernsehen. Vor einigen Jahren hatte er sich zurückgezogen aus der ersten Reihe, was ein kluger Move gewesen ist damals. Mit Ende vierzig war er noch nicht zu alt, um dem Medium als jung gebliebener Wilder in Erinnerung zu bleiben, der es verstanden hatte, es mit seinen Showideen zu prägen. Und nun ist er wieder da. Leider führte er sich bei seiner Rückkehr auf wie ein handelsüblicher, von früher auf heute schließender Boomer.

Die Aufmerksamkeit gibt ihm freilich recht, einerseits:

"Sein 'Final Fight' gegen Ex-Profiboxerin Regina Halmich lockte ab 20.15 Uhr im Schnitt 5,90 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer (25,8 Prozent) zu RTL. In der für Werbeumsätze wichtigen Zielgruppe zwischen 14 und 49 Jahren erreichte die Show herausragende 52,9 Prozent (2,95 Millionen), wie RTL aus den Erhebungen der AGF Videoforschung zitierte. Demnach schalteten in der Spitze bis zu 7,54 Millionen Leute (bis zu 36,9 Prozent Marktanteil) ein",

meldet via dpa, in einem von drei Texten, die Raabs Rückkehr gewidmet sind, tagesspiegel.de. Die ausführliche Nachlese der Onlineportale dürfte man in seinem Umfeld ebenfalls als Beleg verstehen, dass er immer noch machen kann, was er will: Aufmerksamkeit ist eh da. Vor-Ort-Reportage bei Zeit Online (Abo-Text), ausführliche Inhaltswiedergabe plus Analyse bei faz.net, heute auch gedruckt (Abo-Text), Liveblog bei spiegel.de, Kritiken ohnehin allüberall, und je Boulevardmedium, desto mehr Dies-das-Meldungen drumherum.

Andererseits hatten auch die jährlich hinterhergeklapperten "Wetten, dass..?"-Ausgaben tolle Quoten und waren trotzdem kein gutes Unterhaltungsfernsehen. Und auch Raab, nun nicht mehr bei ProSieben, sondern bei RTL, bekam nicht nur von Regina Halmich zum mittlerweile dritten Mal die Rippen poliert, sondern auch in vielen Reaktionen, die eher von ungläubigem Grausen geprägt waren als von Begeisterung darüber, dass endlich, endlich mal jemand auf die Idee kommt, seinen alten Käse aufzuwärmen.

Gut, Ausnahmen gibt es. Die mit Raabs neuem Sender RTL verwandten Portale wären hier zuvorderst zu nennen: "Ja, Stefan Raab ist wieder da, zurückgekehrt, um uns Brot und Spiele zu bringen. Halleluja!", jubelte zum Beispiel stern.de, allerdings steht unter dem Text dankenswerterweise der "Transparenzhinweis: Der stern gehört zu RTL Deutschland." (Ein Hinweis, der unter der länglichen Lobeshymne von ntv.de fehlt.) Marlene Knobloch ist in der nicht mit RTL verwandten "Süddeutschen" (Abo-Text) zudem einigermaßen hin und hergerissen ("Man kann auch sehr niedrige Messlatten bombastisch inszenieren, das hat Raab an diesem Abend wieder mal eindrucksvoll bewiesen").

Allgemeine Tendenz allerdings: Hätte er’s doch einfach gelassen. Axel Brüggemann etwa, ein nicht generell zum Verriss neigender, sondern, im Gegenteil, dem Entertainment gegenüber aufgeschlossener Kritiker, schreibt auf freitag.de (Abo-Text):

"Seit seinem 'Comeback' gestern ist nun auch Raab einer dieser Fernseh-Dinos zum Fremdschämen, die es einfach nicht lassen können. Einer, der uns seine Alters-Midlife-Crisis mindestens die nächsten fünf Jahre auf RTL+ vorführen wird".

Und Anja Rützel, die im Unterhaltungsfernsehen wahrscheinlich nichts nicht gesehen hat, nails it bei spiegel.de (Abo-Text):

"Nach der erschreckend innovationsarmen, vor allem von Eingewecktem zehrenden Box-Show ist der Glaube an eine echte Unterhaltungsrevolution überschaubar."

Exakt: Dass Stefan Raab bei RTL das Unterhaltungsfernsehen noch einmal neu erfindet, scheint nach diesem Auftritt eine abwegige Vorstellung.

Gleichwohl geht es bei Raabs Comeback im Kern nicht um Neues, sondern um auf dem Markt Funktionierendes. It’s the economy. Christian Meier hatte das in seinem vorab erschienenen Text auf welt.de auf dem Schirm, und nicht erst in einem hinten drangeleimten Absatz. "Der Boxkampf hat eine große wirtschaftliche Dimension", schrieb er: weil er ein Angriff RTLs auf ProSieben sei. Tatsächlich startet Raabs neue Show am Mittwoch um 20.10 Uhr, fünf Minuten bevor bei ProSieben Raabs Erfindung "TV total" mit Sebastian Pufpaff läuft.

Dennoch, schreibt Alexander Krei bei dwdl.de, werde man "bei Raabs altem Arbeitgeber (…) womöglich aufatmen", weil Raab nicht im linearen Fernsehen läuft, sondern im Streaming des teils kostenpflichten Portals RTL+. Anders gesagt: Dieses seltsam große, seltsam leere Fernsehereignis, dem am Samstagabend Millionen beiwohnten, war unter dem Strich keine Box-, sondern eine Unboxing-Show: eine Werbemaßnahme für eine Streamingplattform.

(Ach so, und nein, ich bin nicht mit Stefan Raab verwandt oder verschwägert.)

Die "taz" stellt 2025 die gedruckte Werktagsausgabe ein

Wer übrigens bis zum späten Sonntagabend nichts über die Show geschrieben hat: taz.de. Man kann das als Beitrag zu einer vielfältigen Medienlandschaft deuten, in der nicht alle dasselbe gleich relevant finden. Es kann aber auch sein, dass es keine freie Mitarbeiterin und keinen freien Mitarbeiter gab, die Bock hatten, sich für kleines Honorar stundenlanges Nichts anzutun.

Gut denkbar wäre zudem, dass am Samstag die "taz" generell mit Besserem beschäftigt waren, zum Beispiel mit ihrer Genossenschaftsversammlung, auf der Einschneidendes beschlossen wurde: das Ende der gedruckten Werktagsausgabe. Sie soll, wie der "Spiegel" (Abo-Text) schon vorab angekündigt hat, in knapp 13 Monaten, am 17. Oktober 2025, zum letzten Mal gedruckt und danach ausschließlich in verschiedenen digitalen Darreichungsformen erscheinen.

Das Datum ist eine Neuigkeit. Der Schritt selbst nicht. 2011 kursierte in der taz bereits ein Szenario, demzufolge es zehn Jahre später keine gedruckten Tageszeitungen mehr geben werde. Das hat sich nicht als zutreffend herausgestellt; die taz ist auch im Oktober 2025 noch eine der ersten, die ihre gedruckte Tageszeitung aufgeben wird. In einem sehr viel konkreteren "Szenario 2022" allerdings bereitete der Verlag im Jahr 2018 den Schritt bereits konkret vor (Altpapier), für 2022 eben. Wie damals schon diskutiert, soll nur die Werktagsausgabe betroffen sein; die "Wochentaz", die aus der Wochenendausgabe hervorgegangen ist, soll weiter als Printausgabe bundesweit verkauft werden (siehe etwa auch "SZ"-Abo-Text).

Anton Rainer schreibt im "Spiegel":

"Am Ende dauerte es länger mit dem Szenario, was an Corona lag, aber auch daran, dass die Kennzahlen über die kurze Frist besser waren als erwartet. Die Kosten nicht so hoch, die Lieferung nicht so kompliziert wie heute. Print rechnete sich noch, trotz des erkennbaren Schwunds: Rund 2000 Abonnenten verliert die gedruckte 'taz’ pro Jahr, es ist ein konstantes Minus, wie es viele Zeitungen kennen. Und bei derzeit 16.000 Print-Abos (von 85.000 Zahlern insgesamt) kann man sich ausrechnen, wie lang das noch gut ginge. Man müsste bald rote Zahlen schreiben, oder den Preis so drastisch erhöhen, dass er nicht mehr verträglich wäre (…). Also tritt man lieber die Flucht nach vorn an."

An anderer Stelle schreibt er über die Gerüchte, auch die Druckausgabe der "Welt" könnte irgendwann eingestellt werden; "anders als die 'taz' brachte Springer die aktive Sterbehilfe bisher nicht übers Herz". Ich würde allerdings nicht ausschließen, dass es sich um aktive Lebehilfe handelt.

Die "taz" selbst schreibt im Nachgang zu ihrer Genossenschaftsversammlung von einer "lebhaften Aussprache". Da war also wohl schon Feuer unterm Dach. Die Chefredaktion redet in ihren öffentlichen Äußerungen das emotionale Moment nicht klein ("vergleichbar in etwa mit der Abschaffung des Speisewagens im 'Knödelexpress' zwischen Hamburg und Prag", so fasst es der "Spiegel" zusammen). Sie stellt aber selbstredend etwas anderes nach vorne – eine Pioniertat, um die es sich tatsächlich handeln könnte. Es handle sich um einen "Schritt, der längst in allen Verlagen diskutiert wird", weiß jedenfalls Michael Hanfeld (faz.net).

Zitat "taz"-Ko-Chefredakteurin Barbara Junge im dpa-Interview auf horizont.net:

"Wir waren schon immer Medienpioniere. Wir haben die Genossenschaft 1992 gegründet. Heute rufen alle irgendwelche Clubs und Mitgliedschaften aus. Wir waren früh im Netz. Und jetzt wollen wir wieder Mediengeschichte schreiben. Wenn wir uns nicht veränderten, sähen wir – wie alle anderen auch – ein Minus auf uns zukommen. Und im Gegensatz zu anderen Verlagen nutzen wir nicht das Instrument, Leute zu entlassen."

Dass die Resonanz in Medien, die über den Schritt der taz berichten, bisher sachlich bis wohlwollend ist, könnte damit zu erklären sein: Der Verdacht, aus Profitmaximierungsinteresse die eigene Belegschaft und das Tafelsilber gleich mit zu verkaufen, liegt bei der "taz" jedenfalls wirklich nicht nahe.

(Für die Transparenz: Ich war bis 2017 Redakteur der damaligen Wochenendausgabe und bin seitdem taz-Genosse, war aber am Samstag nicht bei der Genossenschaftsversammlung. Und ich arbeite frei für spiegel.de.)


Altpapierkorb (Entwaldungsverordnungs-Aussetzung, "Doppelgänger"-Kampagne, Zuhör-Reisereportagen, fehlende Korrespondenten in Zentralasien)

+++ Andere Verlage als jener der "taz" trafen sich zum Kongress der Zeitungsverlage. Der Bundeskanzler, der einst übrigens direkt mit der Gründung der taz-Genossenschaft zu tun hatte, war auch da und forderte laut Katholischer Nachrichten-Agentur (nur mit Login) die Medien zu "mehr Meinungsvielfalt statt Berliner Blase" auf. Wohl wichtiger für die Verlage: was er medienpolitisch anzubieten hatte. KNA: "Konkrete Geschenke für die Verlagsbranche, die aktuell eine Senkung der Mehrwertsteuer für Zeitungen und Zeitschriften fordert, hatte Scholz nicht im Gepäck. In Sachen Medienpolitik sprach Scholz lediglich die von der EU geplante Entwaldungs-Verordnung an, die er ausgesetzt habe, 'bis die Bedenken des BDZV ausgeräumt sind.'" Dabei handelt es sich um das Verbot unter anderem von Druckerzeugnissen, wenn diese mit Waldschädigung in Verbindung stehen. Die Verleger kritisieren unter anderem "nicht erfüllbare Nachweispflichten".

+++ Ronen Steinke (in der "SZ" vom Samstag, Abo-Text), Jens Wohlgemuth in der Samstags-"FAZ" und Alexander Graf im "Übermedien"-Newsletter (Abo) beschäftigen sich noch einmal mit dem "Doppelgänger"-Projekt russischer Geheimdienstler, die vom Bayerischen Verfassungsschutz analysiert worden ist. Dass Redaktionen wie die des "Freitag" oder der "Berliner Zeitung" kein Verständnis dafür äußerten, in dem Zusammenhang erwähnt worden zu sein, stand an dieser Stelle schon. Graf findet deren Reaktionen allerdings nicht auf den Punkt: Die Chefredaktionen hätten sich in ihren Stellungnahmen so verteidigt, "als hätte der Verfassungsschutz tatsächlich ihre Inhalte als Desinformation präsentiert". Stimmt nicht, schreibt auch Steinke, der vor allem die Erwähnung der rechtskonservativen "Jungen Freiheit" in der Analyse der Behörde thematisiert: "Der Vorwurf ist nicht, dass diese Medien von russischer Seite gesteuert würden. Der Vorwurf ist nicht einmal, dass diese Medien ausschließlich aus prorussischem Blickwinkel schreiben würden." Er schreibt aber auch: "Wenn man über einen überaus schmutzig geführten Krieg wie den in der Ukraine auf eine solche Weise schreibt, dass Applaus von einem Regime wie dem von Putin kommt, dann sollte man vielleicht dennoch mal nachdenken." Graf kritisiert die Behörde jedoch: "(W)enn ein Verfassungsschutz Medien in einem Bericht über russische Desinformation nennt, dann sollte er dabei keinen Raum für Missverständnisse lassen."

+++ Lesenswert, wie so oft: Peer Schaders Kolumne zur Gegenwart des deutschen Fernsehens auf dwdl.de. Diesmal: "(D)as deutsche Fernsehen hat ein neues Lieblingsgenre: die politisch-gefühlige Zuhör-Reisereportage! In der geht es ausnahmslos um Themen, die gerade das Land bewegen. Das Land, dem Journalist:innen neuerdings immerzu erst den Herzschlag und dann die Temperatur messen wollen, um festzustellen, in welche Krisen es sich als nächstes hineinfiebert."

+++ Gute Frage von Gemma Pörzgen bei "Übermedien" (Abo): "Wer berichtet eigentlich aus Kasachstan?" Gute Frage, denn "die Region ist (…) ein weitgehend weißer Fleck in der deutschen Berichterstattung. In den fünf Ländern Kasachstan, Kirgistan, Usbekistan, Tadschikistan und Turkmenistan mit rund 82 Millionen Menschen gibt es heute keinen einzigen Auslandskorrespondenten aus Deutschland mehr." Auch ARD und ZDF, die mit den großen Korrespondentennetzen, würden mit ihren Moskauer Studios ein zu großes Territorium abdecken.

Am Dienstag schreibt das Altpapier Christian Bartels.

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