Kolumne: Das Altpapier am 22. August 2024 Kulturelle Kränkungen
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22. August 2024, 11:18 Uhr
Die AfD lädt kritische Medien mal wieder aus. Der Schwäbische Verlag driftet nach rechts. Was ist da los? Und woher kommt der Rechtsdrall im Osten? Heute kommentiert Ralf Heimann die Medienberichterstattung.
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
AfD-Wahlparty: Kein Platz für kritische Medien
Die AfD hat "Spiegel", "Bild", "Welt" und "taz" von ihrer Wahlparty zur Landtagswahl in Thüringen ausgeschlossen, berichtet unter anderem die "Tagesschau". Der Grund ist laut der als gesichert rechtsextrem geltenden Partei: zu wenig Platz. Thüringens Co-Vorsitzender Stefan Möller hat der Nachrichtenagentur dpa gesagt, der Veranstaltungsort fasse 200 Menschen, 50 seien für Journalisten vorgesehen. Möller:
"Wir müssen irgendwo Grenzen einziehen. Sonst brauchen wir keine Wahlkampfveranstaltungen mehr machen, wenn wir keine eigenen Leute mehr reinnehmen dürfen, weil wir nur noch Journalisten aufnehmen müssen."
Einfache Idee wäre natürlich: anderer Veranstaltungsort. Aber es ist nicht so unwahrscheinlich, dass es hier in Wirklichkeit nicht um fehlende Stehtische geht und es kein Zufall ist, dass ausgerechnet für die Medien kein Platz ist, die üblicherweise kritisch berichten. Deniz Yücel von der "Welt" schreibt bei "X":
"(…) Diejenigen, die am lautesten angeblich fehlende Meinungsfreiheit beklagen, würden, wenn sie denn könnten, mit unliebsamen Journalisten so umspringen wie ihr Idol Putin."
Yücel hatte umgekehrt auch kritisiert, dass AfD-Politikerinnen und Politiker bei der Berlinale ausgeladen worden waren. Das sei ein Fehler, hatte er gesagt, schließlich seien sie Vertreter ihrer Wähler.
"Dafür allein dürfen sie ein Mindestmaß respektvollen Umgangs erwarten (…) Eine repräsentative Demokratie darf eine Partei, die fünf, zehn, zwanzig und mehr Prozent der Wählerstimmen gewinnt, nicht behandeln wie Leprakranke im Mittelalter."
Es ist natürlich ein Unterschied, ob ein Filmfestival Politiker nicht einlädt oder eine Partei Journalisten den Zutritt zu einer Wahlveranstaltung verwehrt. Das erkennt man schon daran, dass die AfD die Einladung zur Berlinale nicht einklagen kann. Genau das wollen die zur Wahlparty nicht eingeladenen Medien jetzt probieren, wie unter anderem die "Welt" in einem Beitrag in eigener Sache erklärt. Sie haben beim Landgericht Erfurt gemeinsam eine einstweilige Verfügung beantragt.
Das eine fällt unter: Meinungsfreiheit der Veranstalter. Das andere unter Umständen unter: Einschränkung der Pressefreiheit. Daher kann die AfD sich auch nicht auf die alte Geburtstagsregel "Die laden uns nicht ein, dann laden wir die auch nicht ein" berufen.
Dass es so nicht läuft und auch eine Abqualifizierung als Begründung nicht ausreicht, könnte die AfD jetzt verstanden haben. Das hatte nämlich beim letzten Mal schon nicht funktioniert.
Im Januar hatte die Landtagsfraktion der Partei in Sachsen-Anhalt einem Team des Magazins "Kontraste" den Zugang zu einer Partei-Veranstaltung verwehrt und das damit begründet, dass nur "seriöse Journalisten" zugelassen seien, daran erinnert die "Welt" in ihrem Artikel. Diese Begründung hatte das Gericht nicht überzeugt. Das Wort "seriös" bedeutet im AfD-Kosmos, das muss man wissen, in etwa: uns zugetan oder wohlgesonnen.
Als die bayerische AfD dem beim Bayerischen Rundfunk für die AfD-Berichterstattung zuständigen Reporter den Zugang zu allen Partei-Veranstaltungen verwehrte, nannte der Sender das auch hier einen "Angriff auf die Pressefreiheit" und forderte, das sofort rückgängig zu machen, und zwar frei nach Günter Schabowski "unverzüglich".
Ach ja, und dann war da noch der Bundespresseball im Frühjahr, zu dem die Hauptstadtjournalisten der AfD keine Einladung schickten. Begründung von Mathis Feldhoff, dem Vorsitzenden des Vereins Bundespressekonferenz, damals:
"Die Partei passt nicht zu uns. Mit denen kann man kaum die Demokratie verteidigen."
Auch hier käme die AfD per einstweiliger Verfügung nicht rein. Und auch, wenn es sich wirklich ungerecht anfühlt, muss eine Partei wie die AfD es hinnehmen, dass sie Medien einladen muss, obwohl sie von den denen nicht eingeladen wird. Über die Bundespresseball-Einladung berichtete im April unter anderem der "Nordkurier". Und Moment, wer war das noch mal?
Schwäbische Zeitung: Immer rechts halten
Der "Nordkurier", das war eine der Zeitungen aus dem von Lutz Schumacher geführten Schwäbischen Verlag, der in der Medienberichterstattung zuletzt vorkam, weil er sich mit der "Südwest Presse" darüber stritt, wer seine Zeitung "Zollern Alb-Kurier" nennen darf, vor Gericht gewann – und weil der vor zwei Jahren vom "Nordkurier" nach Ravensburg gekommene und im Juli überraschend gestorbene Chefredakteur Jürgen Mladek das Meinungsspektrum bei der "Schwäbischen Zeitung" sehr weit geöffnet hatte, vor allem allerdings in die eine Richtung, nach rechts (Altpapier), was dazu führen könnte, dass der Blick nach links nun immer enger wird, wie Josef-Otto Freudenreich beobachtet hat, der in der Wochenzeitung "Kontext" darüber schreibt, was beim Schwäbischen Verlag so vor sich geht.
Kurz zusammengefasst: Mladek war nicht der Einzige, der aus dem Norden kam, um in Ravensburg Kurse nach rechts zu nehmen. Laut Freudenreich gibt eine "Wessi-Truppe aus dem Osten", also vom "Nordkurier" bei der Schwäbischen Zeitung die neue Richtung vor. Im Wesentlichen sind das:
Gabriel Kords, als neuer Chefredakteur der "Schwäbischen Zeitung", laut Freudenreich, "der Wichtigste auf Schumachers Schachbrett".
Philippe Debionne, neuer Chefredakteur des "Nordkurier", laut Freudenreich, häufiger Gast im anti-linksgrünen Internetradio "Kontrafunk".
Jan David Sutthoff, neuer Digitalchef des Verlags, vorher Chefredakteur von Julian Reichelts Krawallverstärker "Nius".
Armin Petschner-Multari, Gründer des rechten Internetportals "The Republic".
Robin Halle, früher Leiter der Anzeigenblätter des Verlags, jetzt in der Chefredaktion zuständig für das zentrale Themenmanagement.
Eher linkes Personal wie der Kolumnist Wolfram Frommlet haben laut Freudenreich dagegen keine so guten Aussichten mehr. Frommlet teilte man mit, dass man seine Kolumnen nicht mehr brauche. Aus ökonomischen Gründen? Oder auch wegen seiner politischen Überzeugung? "Womöglich ist es von allem etwas", schreibt Freudenreich.
Interessant ist das alles, weil hier eine Entwicklung sehr klar erkennbar wird, die anderswo eher in der Luft liegt: eine Verschiebung nach rechts, die Entfernung von linken und nach linker Deutung progressiven Idealen, die Hinwendung zum Konservativen und eben womöglich sogar noch weiter nach rechts, zum Nationalkonservativen, Rechtsextremen.
Warum im Osten so viele rechts wählen
Kurz vor den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg beschäftigen sich fast täglich Medien mit der Frage, wie sich der Erfolg der Rechtsextremen, vor allem der AfD im Osten Deutschlands erklären lässt (Altpapier).
Der für seine extrem rechten Positionen bekannte Schriftsteller Uwe Tellkamp hat im Interview mit Ralf Schuler für das Wutportal "Nius" erklärt, wie der Trend aus seiner Sicht zustandekommt, nämlich vor allem durch den "Freiheitswillen" der Menschen, der seine Wurzeln in der DDR-Vergangenheit habe. Viele Ostdeutsche lehnten nicht die Demokratie als Staatsform ab, sie wollten sich lediglich gegen "Restriktionen" und "Übergriffigkeiten" wehren, die sie in ihrem Alltagsleben wahrnehmen. Das erinnere sie an die Zeiten der DDR. Dadurch entwickle sich ein "Anti-Reflex" gegen staatliche Eingriffe und Vorschriften.
Die Menschen empfänden politische Entwicklungen wie die Migrationspolitik oder die Energiepolitik und die damit verbundenen Eingriffe in ihr Leben als irritierend oder verstörend. Die Folge: "Man wendet sich einer Partei zu, die das am deutlichsten auch im Programm nicht will."
Was dieser medialen Erzählung gelingt, ist: Sie lädt die Verantwortung für das politische Ergebnis bei den Parteien ab, die mit ihrer Politik Menschen der Erklärung nach irritieren oder verstören, und sie entlastet die Menschen, die rechtsextrem und autoritär wählen, indem sie das Verhalten als plausibel darstellt und Verständnis aufbringt.
Ein Journalist müsste an dieser Stelle auf Widersprüche hinweisen. Die AfD ist eine autoritäre Partei, die Freiheit nur in eine Richtung gewährt und auch nicht unbedingt dafür bekannt ist, dass sie auf "Restriktionen" und "Übergriffigkeiten" verzichtet. Im Gegenteil. Siehe ihr Umgang mit Medien.
Bei "Nius" passiert das erwartungsgemäß nicht. Keine kritischen Fragen. Ralf Schuler schwingt bereitwillig emotional mit. Daher noch mal der Hinweis: "Nius" sieht zwar auf den ersten Blick aus wie Journalismus, ist aber tatsächlich nichts anderes als ein rechter Meinungsverstärker.
Der Religionssoziologe Detlef Pollak hat sich heute in einem Essay in der FAZ damit beschäftigt, warum im Osten tatsächlich so viele Menschen AfD wählen. Drei häufige Erklärungen sind nach seiner Analyse falsch.
Erstens: Die Menschen lehnten die Demokratie nicht ab. Es gebe keinen signifikanten Unterschied zwischen Ost- und Westdeutschen in der Zustimmung zur Demokratie als Staatsform.
Zweitens: Die persönliche wirtschaftliche Lage der Menschen erkläre die Tendenz nicht.
Drittens: Die Annahme, dass Ostdeutsche aufgrund ihrer DDR-Vergangenheit autoritäre Neigungen haben, sei nicht zutreffend.
Aber was ist dann die Erklärung? Laut Pollack spielen tief verwurzelte Ressentiments eine Rolle, die sich über Jahrzehnte aus Erfahrungen von politischer Ohnmacht, Institutionenskepsis und der Wahrnehmung von Marginalisierung entwickelt hätten.
Viele Ostdeutsche fühlten sich von der Politik nicht anerkannt und sähen sich in einer benachteiligten Position. Das mache sie für rechtspopulistische Parteien empfänglich, denn bei genau diesem Gefühl setzen sie an.
Laut Pollack ist also nicht die Ampel schuld am großen Erfolg der AfD im Osten. Die Ursache ist deutlich hartnäckiger und sitzt deutlich tiefer. Es sind historische und kulturelle Kränkungen. Die ernüchternde Erkenntnis daraus ist: Mit einer anderen Energiepolitik in Berlin bekommt man die leider nicht weg. Allein mit Verständnis aber eben auch nicht.
Altpapierkorb (Rundfunkreform, Mögliches Ampel-Ende, Wikipedia, britische Medien, Cora Schumacher)
+++ Helmut Hartung gibt auf der FAZ-Medienseite einen Überblick über die Reformideen für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, vor allem für die ARD, auf die man sich in der Rundfunkkommission geeinigt hat (Altpapier gestern). Das Ziel der Reformen, grob umrissen: eine stärkere Kontrolle, weniger Selbstbedienung. Das Programmangebot soll besser überprüft, Hörfunkwellen und Spartenprogramme reduziert werden. Die Intendantengehälter sollen sinken. Und die ARD soll nicht, wie der Zukunftsrat es vorgeschlagen hatte, zentral organisiert werden, sondern dezentral, allerdings mit einer stärkeren Rolle des ARD-Vorsitzes bei der Koordinierung. Hartung betont allerdings, dass sich noch täglich etwas ändere und Formulierungen sich noch ändern könnten.
+++ Im Gespräch mit Isabelle Klein für das Deutschlandfunk-Medienmagazin "@mediasres" betont Hauptstadt-Korrespondent Jörg Münchenberg, man solle die aktuellen Schlagzeilen über das mögliche Ende der Ampelkoalition, insbesondere nach den Äußerungen von Grünen-Chef Omid Nouripour über eine "Übergangsregierung", nicht überbewerten. Es seien vor allem die politischen Akteure selbst, die durch gezielte Aussagen und öffentlich ausgetragene Konflikte den Diskurs bestimmen. Vor allem die "Bild"-Medien spielten dabei eine Rolle.
+++ Anna Nowaczyk schreibt auf der FAZ-Medienseite über einen Rechtsstreit zwischen einem Psychotherapeuten-Verband und Wikipedia. Der Verband klagt, weil sein Wikipedia-Eintrag für nicht relevant genug gehalten und gelöscht wurde. Dabei geht es um eine grundsätzliche Frage: Wie entscheidet Wikipedia, welche Themen und Artikel als relevant genug gelten, um dauerhaft in der Enzyklopädie zu bleiben?
+++ Die Schriftstellerin A.L. Kennedy kritisiert in einem Essay auf der SZ-Medienseite die britische Medienlandschaft. Pressebarone wie Rupert Murdoch und Populisten nutzten ihre mediale Macht, um Manipulation und Desinformation zu normalisieren und trügen so dazu bei, dass die Gesellschaft destabilisiert werde, schreibt sie.
+++ Stefan Niggemeier diskutiert in seiner "Übermedien"-Kolumne "Notizblog" am Beispiel der "Spiegel"-Geschichte über Cora Schumacher die problematische Beziehung zwischen Prominenten und der Öffentlichkeit. Niggemeier: "Die 'Spiegel'-Geschichte handelt davon, wie es überhaupt möglich ist, erst eine Beziehung unter diesem extremen Blick der Öffentlichkeit zu führen und dann eine Ex-Beziehung. Dieses Thema seriös in der Öffentlichkeit zu verhandeln, ist wahnsinnig schwer. Das liegt zum einen daran, dass wir alle – und womöglich auch die 'Spiegel'-Journalisten – vermutlich nicht die ganze Geschichte kennen, was wirklich alles zwischen diesen Personen vorgefallen ist und was sie juristisch öffentlich überhaupt sagen dürfen. Zum anderen liegt es daran, dass es im Kern eben doch um zutiefst Privates geht."
Das Altpapier am Freitag schreibt Christian Bartels.