Kolumne: Das Altpapier am 15. August 2024: Porträt des Altpapier-Autoren Ralf Heimann 4 min
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Kolumne: Das Altpapier am 15. August 2024 von Ralf Heimann Es ist wieder da

Kolumne: Das Altpapier am 15. August 2024 – Es ist wieder da

Ist die "Compact"-Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts eine krachende Niederlage für Nancy Faeser? Oder ein Sieg für den Rechtsstaat? Oder beides?

Do 15.08.2024 11:03Uhr 03:53 min

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Kolumne: Das Altpapier am 15. August 2024 Es ist wieder da

15. August 2024, 10:52 Uhr

Ist die "Compact"-Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts eine krachende Niederlage für Nancy Faeser? Oder ein Sieg für den Rechtsstaat? Oder beides? Heute kommentiert Ralf Heimann die Medienberichterstattung.

Porträt des Altpapier Autoren Ralf Heimann
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Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Verhältnismäßig unverhältnismäßig

Jürgen Elsässers antisemitische Propagandaillustrierte "Compact" darf vorübergehend wieder erscheinen (hier, hier oder hier im Altpapier). Und da stellt sich natürlich die Frage: Wer steckt dahinter? Hat eine sozialdemokratische Echsenmensch-Allianz unter Führung von Franz Müntefering das Magazin wieder zugelassen, um davon abzulenken, dass zurzeit durch einen geheimen Tunnel Flüchtlinge aus dem All nach Europa transportiert werden?

Nein. Es war einfach das Bundesverwaltungsgericht. Es hat am Mittwoch über einen Eilantrag entschieden und die Entscheidung in einer Pressemitteilung begründet.

In Kurzform: Es gebe zwar Anhaltspunkte auf verfassungsfeindliche Inhalte, aber die Erfolgsaussichten der Klage, also des Verbots, seien noch offen, denn es sei nicht klar, ob das Verbot verhältnismäßig ist. Das ist das zentrale Wort der Entscheidung: die Verhältnismäßigkeit.

Laut dem Gericht gäbe es mildere Maßnahmen. Man könnte mit dem Presse- und Medienrecht gegen einzelne Veröffentlichungen vorgehen, Veranstaltungen verbieten oder bei bestimmten Veranstaltungen bestimmte Äußerungen. Das Gericht hat also Zweifel daran, ob es gleich das größte Messer sein musste, mit dem das Ministerium hier hantiert hat. Daher kommt es zu dem Ergebnis: Die Presse- und Meinungsfreiheit ist erst mal wichtiger. Das öffentliche Interesse daran, die Verbreitung der zweifelhaften Inhalte zu verhindern, kann warten.

Der Rechtsanwalt Chan-jo Jun analysiert die Entscheidung in einem knapp fünf Minuten langen Video auf "X" und greift dabei die beiden gängigsten Deutungen auf, nämlich: "Voller Sieg, Nancy Faeser muss zurücktreten." Und: "Na ja, war doch nur das Eilverfahren, die Hauptsache ist doch weiterhin anhängig."

Jun stellt fest, für Nancy Faeser sei es schwierig, denn für die vom Gericht vorgeschlagenen Maßnahmen seien die Länder zuständig, und die seien möglicherweise nicht bereit, die Maßnahmen umzusetzen.

Dass das Gericht hier überhaupt die Verhältnismäßigkeit als Kriterium heranzieht, sieht Jun kritisch. In einem Tweet schreibt er:

"Dass Compact zwar die Menschenwürde verletzt, trotzdem aber vor dem BVerwG im Eilverfahren gewinnt, braucht man nicht kleinreden. Das Gericht hatte Zweifel an der Verhältnismäßigkeit, da es (angeblich) mildere Mittel als ein Komplettverbot gegeben hätte, auf die die Bundesregierung jedoch kaum Zugriff hat."

Laut Jun hätte das Gericht die Sache auch anders bewerten und so "zu einer Alternative zum AfD-Verbotsverfahren werden können". Dann hätte es, so Jun, das Signal ausgesendet, "dass Verletzungen der Menschenrechte und Verfassungsordnung wirksam gegenüber einzelnen Organisationen bekämpft werden".

Radikale Parteien und Organisationen wägten genau ab, "ob sie mit verfassungsfeindlichen Positionen neue Wähler gewinnen oder staatliche Sanktionen riskieren", schreibt Jun. Je sicherer diese Organisationen sich fühlten, desto radikaler und kämpferischer gingen sie gegen Regime, Staat und Demokratie vor.

Der Graben zwischen Gericht und Ministerium

Alexander Kissler hält es für "bemerkenswert", wie unterschiedlich Gericht und Innenministerium den Charakter des Magazins einschätzen. Das schreibt er in einem Beitrag für die "Neue Zürcher Zeitung". Für Faeser sei die Sache eindeutig gewesen. "'Compact' hetze als Ganzes 'auf unsägliche Weise gegen unsere parlamentarische Demokratie'", hatte das Ministerium mitgeteilt und die Formulierung gefunden, es sei "ein harter Schlag gegen die rechtsextremistische Szene".

Die Frage ist allerdings, ob das Gericht die Sachlage tatsächlich grundlegend anders sieht, oder ob es sich einfach Zeit nehmen will, um eine dem Eindruck nach vorschnelle Einschätzung zu prüfen, zu bewerten und sauber zu belegen. Theoretisch kann es immer noch sein, dass die Richter am Ende zu einem ähnlichen Ergebnis kommen.

Dagegen spricht allerdings ihre Bewertung, dass die Magazinbeiträge "mit Blick auf die Meinungs- und Pressefreiheit in weiten Teilen" nicht zu beanstanden seien. An dieser Stelle tut sich laut Kissler "ein Graben" auf.

Unter anderem um diese Frage wird es im Hauptsacheverfahren gehen, also darum, ob es hier um ein mit Blick auf die Presse- und Meinungsfreiheit in weiten Teilen unkritisches Magazin mit einzelnen kritischen Inhalten geht, gegen die man mit anderen Mitteln vorgehen kann; oder ob der Anteil der kritischen Inhalte so groß ist, dass die gesamte Publikation beziehungsweise die dahinter stehende Vereinigung verboten werden kann, beziehungsweise dann muss.

Bestätigt sich der Eindruck des Gerichts, hätte Nancy Faeser "das Grundgesetz auf unzulässige Weise ausgelegt, ja gedehnt", schreibt Kissler. Und warum das nicht nur fragwürdig, sondern auch gefährlich ist, hatte Andrej Reisin im Juli bereits bei "Übermedien" erklärt, als er schrieb:

"Die aktuelle Bundesregierung, insbesondere in Gestalt von Nancy Faeser, ist dagegen eifrig darum bemüht, die 'wehrhafte Demokratie' mit immer neuen Befugnissen auszustatten und die Grenzen des Erlaubten immer enger zu ziehen. Es scheint ihr dabei nicht aufzugehen, dass die Präzedenzfälle, die sie schafft, dereinst anderen für ihre Zwecke dienen könnten. Grundrechte auszuhöhlen wird am Ende sicher nicht der liberalen Demokratie nutzen, sondern ihren Feinden."

In anderen Worten: Irgendwann könnten die Sympathisanten derer, gegen die das Innenministerium hier vorgeht, das Sagen haben und die von Faeser zusammengeschluderten Werkzeuge ihrerseits einsetzen, nur dann eben nicht mehr gegen Elsässers Verschwörungspostille.

In einem Thread bei "X" schreibt Reisin nun, die Gefahr, die von Elsässer und seinem Magazin ausgehe, stehe außer Frage, und dass die Hauptsache noch nicht im Eilverfahren entschieden wurde, na ja, das sei nun mal immer so.

"Aber den vorläufigen Rechtsschutz gegen eine Bundesbehörde erhältst Du vom BVerwG auch nicht alle Tage",

so Reisin. Er sieht massive Hürden, über die das Ministerium im Hauptverfahren springen müsste. Eine dieser Hürden ist eben die Einschätzung, dass die Inhalte des Magazins in weiten Teilen nicht zu beanstanden seien.

Würde das Gericht nicht daran zweifeln, dass es gelingen kann, am Ende trotz der in weiten Teilen zu beanstandenden Inhalte ein komplettes Verbot sauber zu begründen, hätte es laut Reisin "auch keinen einstweiligen Rechtsschutz gewährt". Seine Einschätzung:

"Klar sind laufende Verfahren immer offen und vor Gericht und auf hoher See usw., aber meine Meinung: Never fucking ever gewinnt das BMI den Fall. The bets are off, ich nehme welche an."

Was ist das denn für eine Diktatur?

Benjamin Lück, Rechtsanwalt bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte, hält es in jedem Fall für "überraschend", dass das Bundesverwaltungsgericht so schnell über den Eilantrag entschieden hat, sagt er im Interview mit Antje Allroggen für das Deutschlandfunk-Medienmagazin "@mediasres". Aus seiner Sicht ist die Entscheidung allerdings inhaltlich nachvollziehbar. Das Gericht werfe mit seiner Entscheidung Fragen zur Verhältnismäßigkeit und den Grenzen staatlicher Eingriffe auf.

Auf Antje Allroggens Frage, wie demokratiegefährdend es denn sei, wenn ein rechtsextremistisches Magazin wie "Compact" mit der Rücknahme des Verbots Erfolg habe, antwortet Lück mit einer Gegenfrage:

"Wie demokratiegefährdend ist es denn, dass das Bundesinnenministerium dieses Magazin, das unbestreitbar im Medium ist, mit all diesen rechtsextremen, rassistischen Inhalten, aber ein Medium ist, wie demokratiegefährdend ist es, dass das Bundesinnenministerium das verbieten kann?"

Die Perspektive dieser eigentlich berechtigten Frage nutzt auch Jürgen Elsässer, um die Dinge ins Absurde zu verdrehen. In einem Video, das er bei "X" veröffentlicht hat, sagt er neben anderen Falschheiten: "Die Demokratie siegt über die Diktatur." Und wer einigermaßen bei Verstand ist, fragt an dieser Stelle natürlich: Was ist denn das für eine jämmerliche Diktatur, in der ein dahergelaufenes Bundesverwaltungsgericht die Exekutiventscheidungen der Diktatoren einfach rückgängig machen kann?

Man könnte auch sagen: Das ist das genaue Gegenteil einer Diktatur. Und sogar, wenn sich am Ende herausstellen sollte, dass Nancy Faeser mit ihrem Verbot so sehr daneben lag, dass sie als Innenministerin nicht mehr haltbar ist, dann wäre auch ihr Rücktritt ein Hinweis darauf, dass man von einer Diktatur glücklicherweise immer noch sehr weit entfernt ist.

Altpapierkorb (Staat will einbrechen, WDR Möbel, International Journalists Association, Journalisten in Afghanistan, FDP vs. RBB)

+++ Okay, das klingt jetzt schon ein bisschen seltsam. Aber immerhin gibt es ja noch Gelegenheit, darüber zu berichten: Ein Gesetzentwurf des Innenministeriums sieht vor, dass das Bundeskriminalamt (BKA) künftig heimlich in Wohnungen einbrechen darf, um Staatstrojaner auf Computern zu installieren, berichtet Constanze Kurz für "netzpolitik.org". Das soll Online-Durchsuchungen und Telekommunikationsüberwachung leichter machen, betrifft aber den "Kernbereich privater Lebensgestaltung", in den der Staat eigentlich nicht eingreifen darf. "Staatliches Hacken schafft keine Sicherheit, sondern Unsicherheit. Da fragt man sich langsam, ob beim staatlichen Hacken nicht längst alle Maßstäbe verloren gegangen sind", schreibt Kurz.

+++ Nachdem die Ausschreibung für die Möbel im WDR-Filmhaus nicht so gut ankam, startet der Sender einen neuen Versuch, berichtet Matthias Hendorf für den "Kölner Stadtanzeiger". In der ersten Ausschreibung hatte der WDR viele teure Design-Möbelstücke als Referenzen genannt, zum Beispiel einen Sessel für 4.500 Euro. In diesen Preisklassen kamen dann auch Angebote rein. Kritisiert hatte das unter anderem der CDU-Politiker Gregor Golland, der Mitglied im WDR-Rundfunkrat ist. Der Sender verteidigte die Entscheidung unter anderem mit Qualitätsstandards, die man einhalten müsse. Interessant ist, dass durchweg von "der Geschäftsleitung" die Rede ist. Eigentlich sind die Zuständigkeiten hier klar. Für Ausschreibungen verantwortlich ist die WDR-Verwaltungsdirektion. Und deren Chefin ist die zukünftige Intendantin Katrin Vernau.

+++ Alexandra Welsch berichtet für die taz über die "International Journalists Association" (IJA), eine Organisation, die von Exiljournalisten gegründet wurde, um anderen Exiljournalisten zu helfen. Laut Welsch macht sie das erfolgreich. Inzwischen hat die Organisation 420 Mitglieder aus 20 Ländern und betreibt mehrere Online-Medien und ein Print-Magazin.

+++ Drei Jahre nach der Machtübernahme der Taliban kritisiert Reporter ohne Grenzen das Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan (BAP) der Bundesregierung, das gefährdete Personen, vor allem Journalisten, nach Deutschland bringen soll, schreibt Ole Kaiser auf der FAZ-Medienseite. Eigentlich sollten monatlich 1.000 Menschen aufgenommen werden, bisher sind es lediglich 540. Reporter ohne Grenzen kritisiert, dass die Prüfung zu lange dauert und warnt davor, dass Tausende Menschen in Afghanistan ihrem Schicksal überlassen werden könnten, wenn das Programm endet.

+++ Die FDP in Brandenburg kritisiert den RBB dafür, dass sie nicht zur Elefantenrunde vor der Landtagswahl eingeladen wurde. RBB-Chefredakteur David Biesinger rechtfertigt im Gespräch mit Antje Allroggen für "@mediasres" die Kriterien des Senders, die von der FDP nicht erfüllt würden. In den Umfragen liege sie bei nur drei Prozent, und sie sei nicht im Landtag vertreten. In anderen Formaten werde die Partei aber berücksichtigt.

Das Altpapier am Freitag schreibt Christian Bartels.

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