Kolumne: Das Altpapier am 14. August 2024 Elon Musks Laberpodcast
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14. August 2024, 09:45 Uhr
... mit Donald Trump geht die EU nichts an. Wie doof man auch immer die Gesprächspartner findet. Neue Pläne für polizeiliche Gesichtserkennungs-Software erregen Aufmerksamkeit. Außerdem: eine erschütternde "FAZ"-Überschrift. Heute kommentiert Christian Bartels die Medienberichterstattung.
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Testballon aus Faesers Ministerium
"Sie lesen uns, ob sie wollen oder nicht", heißt anregend rätselhaft der Slogan, mit dem netzpolitik.org gerade seinen 20. Geburtstag begeht (und dabei natürlich zu Spenden aufruft, aus denen das Portal sich finanziert). Und man liest sie wirklich ziemlich oft.
Z.B. den Gründer Markus Beckedahl kürzlich im Überblicksbericht von Madsacks RND zu frischen Plänen aus Nancy Faesers Bundesinnenministerium, Gesichtserkennungs-Software einzuführen. Manche finden das gut, etwa der Bund Deutscher Kriminalbeamter. Beckedahl gehört mit der Einschätzung "Ich gehe davon aus, dass das Vorhaben nicht verfassungskonform ist ..." zu den prominenten Gegenstimmen.
Offenbar wurde ein Referentenentwurf aus dem Innenministerium allerhand Medien "zugespielt", fasst nun netzpolitik.org selber zusammen, nennt etwa "Spiegel", "taz" und Deutschlandfunk und versucht dann aufzudröseln, "was Nancy Faeser offenbar explizit nicht will", etwa "'Echtzeit'-Überwachung", und was sie will. Was die SPD-Ministerin will, reicht bereits, um Erik Tuchtfeld vom Digitalverein D64, der nach eigenen Angaben "der sozialdemokratischen Idee nahe" steht, von "Totalüberwachung des öffentlichen Raums" sprechen zu lassen.
Andererseits darf die Polizei "seit mehr als 15 Jahren" Gesichtserkennungssoftware nutzen, bei der es sich um ein entsprechend altes Gesichtserkennungssystem handelt. Zum Abgleichen darf sie Bilder aus polizeilichen Datenbanken verwenden. Nun soll es um die laufend weiter wachsende Menge im Internet "öffentlich zugänglicher" Gesichter-Fotos gehen. Und die wird ja längst von kommerziellen Unternehmen ausgewertet, außer mutmaßlich von den Datenkraken selbst, denen die Plattformen gehören, auch von kleineren, zweifelhaften Firmen. Da kommt die Rede auf PimEyes, ein ursprünglich polnisches, später auf den Bahamas und nun, wie Christian Rath in der "taz" schrieb, auf den Seychellen registriertes Unternehmen. Das kam, via netzpolitik.org, im Altpapier öfter vor. Seine Gesichter-Datenbank wächst nicht zuletzt dadurch, dass sie in weniger datenschutzsensiblen Milieus (die vermutlich auch im deutschsprachigen Internet die Mehrheit darstellen) als praktische Gesichtersuchmaschine empfohlen wird, bei der man einfach eigene und andere Fotos raufladen kann.
Mit solcher Software arbeiten Journalisten und eigentlich alle, zu guten Zwecken und zu weniger guten (was sich ja gar nicht immer trennscharf unterscheiden lässt). Nur der (deutschen) Polizei sollen solche Techniken ausdrücklich verboten bleiben? Schwierige Frage, die offen diskutiert werden sollte. Der spektakuläre Fall der ehemaligen RAF-Terroristin Daniela Klette, die auf diese Weise schon früher hätte verhaftet werden können als es dann geschah, arrondiert alle Berichte prominent. Vermutlich wurde er mit dem Gesetzentwurf mitgeliefert. "In welchem Stadium ist der Gesetzesvorschlag?", fragt netzpolitik.org dann noch. Siche ist er innerhalb der Bundesregierung noch nicht abgestimmt. Er widerspricht ja eindeutig dem Koalitionsvertrag, titelt auch heise.de. Sowohl Grüne als auch FDP sind dagegen (wobei die beiden Parteien andererseits selten gemeinsam gegen irgendwas sind, also sich vielleicht auseinander dividieren lassen ...). Offenkundig hat Faesers Ministerium da einen Testballon fliegen lassen, um dann zu schauen, ob es diese Idee noch in die Reihe derer aufnehmen sollte, die die Ampelregierung zu verwirklichen versuchen will.
Schnell haben sich viele Stimmen angesammelt. In den Medien äußern sich wenige positiv (die "FAZ" war dafür, in der sehr seltenen Form nicht aufgelöster Ironie!). Dass das Gefühl, bei der inneren Sicherheit sei alles in Ordnung, in nicht sehr vielen Bereichen der deutschen Gesellschaft so verbreitet ist wie unter Journalisten, wird in die Bewertung sicher einfließen.
Über zweistündiges Musk-Trump-Audio
Elon Musk klickt gut. Bei denen, denen der superreiche multiple Unternehmer unsympathisch ist, vielleicht noch besser als bei seinen Anhängern. Denen erscheint, wenn sie das Ex-Twitter X weiter nutzen und nicht vom voreingestellten "Für dich"-Modus zu "Folge ich" umschalten, Musk ja sowieso arg oft.
Deutsche Journalisten haben das über zweistündige Gespräch, das Musk mit Donald Trump führte, intensiv angehört und beschrieben. Und das, obwohl es wegen des verzögerten Starts sogar noch mehr Zeit kostete. Andererseits, Musks Behauptung eines Hacker-Angriffs und Gegenstimmen ergeben eine eigene Meldung (z.B.).
"Am Ende hörten laut Angaben von X 1,2 Millionen Menschen das Space-Gespräch", informiert die "taz", und auch, dass Space das aktuelle "Audiogesprächsformat von X" heißt. Eigentlich ist es live gedacht, aber wer sucht, findet natürlich Aufzeichnungen (z.B.).
"'60 Millionen' Menschen würden zuhören, behauptet Trump nun. Musk nahm die krasse Fehlaussage mit einem giggelnden Lachen hin",
heißt es in der eigentlichen Gesprächs-Besprechung von spiegel.de (Abo). "Es sollte das 'Interview des Jahrhunderts' werden. So kündigte das Wahlkampfteam von Donald Trump" es an, beginnt der große Bericht im "FAZ"-Wirtschaftsressort (Abo) unter der Überschrift "Donald Trumps 'Yeah'-Sager". "Stattdessen gab es den längsten Gratis-Wahlkampfspot aller Zeiten", ergänzt das "FAZ"-Feuilleton (Abo), das das Gespräch nicht ungeheuer anders betrachtet. Pointiert urteilt Nicholas Potter im schon verlinkten "taz"-Artikel:
"Tatsächlich wirkte das Gespräch wie ein Laberpodcast zweier selbstgefälliger Bros – wobei Musk kaum zu Wort kam."
Und den Spaß "Nun dürfte Kamala Harris, bekannt für ihre Heiterkeit, laut lachen", gestattet die "taz" sich auch.
Schon schade, dass der US-amerikanische Wahlkampf nicht in den deutschen Leitmedien entschieden wird. Dann hätte Harris das Weiße Haus schon in der Tasche (Wobei dann Trump sowieso niemals Präsident geworden wäre und bei den Wahlkämpfen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg erst recht alles viel einfacher wäre ...)
Die EU sorgt für Ärger. Oder Heiterkeit
Einen originär EU-europäischen Aspekt hat das Musk/Trump-Gelaber aber. Er wurde gestern schon hier gestreift: das proaktiv gedachte Eingreifen des EU-Kommissars Thierry Breton. Der Franzose wird, so wie der vorigen, auch der nächsten EU-Kommission unter Ursula von der Leyens Leitung angehören. Bloß muss noch ausgekungelt werden, in was für einer Funktion. Das hängt in der zweifellos einflussreichen EU-Kommission zwar nicht von Wahlen ab, und von Kompetenzen auch nicht unbedingt, aber ja doch von einigen Faktoren.
Breton hatte mit in einem "With great audience comes greater responsibility"-Post auf X (inklusive laangem Schriftbrief) Musk noch mal wieder aufs europäische Digitale-Dienste-Gesetz DSA hingewiesen. Musks Meme-Reaktion generierte einige Meldungen, darum ging's gestern hier kurz. Sie verdient aber noch mehr Aufmerksamkeit: Die
"... von Musk eingesetzte X-Chefin Linda Yaccarino ... sprach auf der Plattform von einem 'beispiellosen' Versuch, ein für Europa gedachtes Gesetz auf politische Aktivitäten in den USA auszuweiten. Außerdem sei es eine 'Bevormundung' europäischer Bürger, die eigene Schlüsse aus einer Unterhaltung ziehen könnten",
heißt es am Ende des "Welt"-Berichts zum Trump-Musk-Geplänkel. Da hat Yaccarino recht. Sicher muss die Rolle von X bei den Ausschreitungen nach den Mädchenmorden in England, von denen Breton zunächst schreibt, kritisch gesehen werden (Altpapier). Auch wenn England nicht zur EU gehört und die Frage, ob da viel reichweiten-stärkere Plattformen wie Tiktok nicht zugleich unterschätzt werden, naheliegt. Was aber die EU-Kommission qualifiziert, sich anhand ihrer Gesetze vorab mit live gestreamtem Gelaber zu Wahlkämpfen auf anderen Kontinenten zu befassen, müsste sehr gut erklärt werden, falls es überhaupt Gründe dafür gibt. Am besten von jemandem, der sich praktisch mit den Details befasst ...
Wie doof man auch immer Elon Musk (und seine Gesprächspartner) findet, Thierry Breton macht die EU noch lächerlicher als nötig. Dass es auch bei wohlwollender Betrachtung bislang wenige Gründe gibt, die groß gemeinten Digitale-Dienste-, Digitale-Märkte-Gesetze DSA, DMA undsoweiter ernstzunehmen, stellt gegenwärtig vielleicht noch kein Problem dar. Neuartige Maßnahmen rechtssicher durchzusetzen, dauert eben. Es wird aber eins, je unprofessioneller von der Leyens Truppe herumperformt.
Launig-distanziert sieht die "Süddeutsche" die Chose. "Elon Musk hält sich für wichtig – Thierry Breton sich aber auch", schreibt Brüssel-Korrespondent Josef Kelnberger und glaubt, dass Breton Musksche Beleidigungen "eher als Auszeichnung" empfinde.
Richard Rogler, Reyhaneh Jabbari
Nachrufe gehören nicht in den Altpapierkorb, lautet eine der wenigen festgehaltenen Regeln dieser Kolumne. Nachrufe auf Richard Rogler müssen in einer Medienkolumne vielleicht nicht vorkommen. In Roglers großen Zeiten waren die Sphären von Kabarett und Fernsehen noch ziemlich getrennt, und nicht jeder, äh, Comedian haute in sämtlichen Mediengattungen immerzu Formate raus. Andererseits zählt das zu Roglers Verdiensten:
"Mochte diese seine Form ... nach der Jahrtausendwende auch langsam aus der Zeit fallen, bis dahin hatte sie, dekoriert mit allen namhaften Kleinkunstpreisen bis hin zum Grimme-Preis, prägend gewirkt, ihm in Fernsehsendungen wie den 'Mitternachtsspitzen' und dem 'Scheibenwischer' - sogar in der 'Lindenstraße' hatte er eine kleine, feine Rolle - ein Millionenpublikum verschafft ...",
schreibt die "Süddeutsche" (Abo). Was jetzt noch hier Aufmerksamkeit verdient, ist kein Nachruf, sondern viel schlimmer.
"Ich bin Reyhaneh Jabbari. Ich bin 26 Jahre alt. Ich soll erhängt werden", heißt die Überschrift auf der "FAZ"-Medienseite (Abo). Darunter, bzw. gedruckt darüber ist Reyhaneh Jabbari zu sehen. Und sie wurde vom islamistischen Folter-Regime des Iran tatsächlich erhängt, weil sie sich gegen einen Vergewaltiger gewehrt hatte.
"Heute, leider erst um 22.50 Uhr, zeigt die ARD die mit zahlreichen Preisen ... ausgezeichnete deutschfranzösische Dokumentation 'Sieben Winter in Teheran' von Steffi Niederzoll",
schreibt Oliver Jungen dann. Vielleicht ließe sich zum "erst" ergänzen, dass 22.50 Uhr im Ersten ziemlich früh ist. Nur in Talkshow-Sommerpausen finden sich in der ARD ja Plätze für einige wenige lange Dokumentarfilme. Wie auch immer, hier gibt's "Sieben Winter in Teheran" in der ARD-Mediathek.
Altpapierkorb (Kartellamt & KI, BDZV-Austritt, Journalismus in Mexiko, RBB & FDP)
+++ "KI verschärft bei der Wettbewerbsaufsicht im Grunde alles, worüber wir bisher gesprochen haben. Das Thema kam ja erst so richtig auf, als der DMA schon fertig war. Die technische Entwicklung ist hier so rasant, da müssen wir erstmal Schritt halten", sagt Bundeskartellamts-Präsident Andreas Mundt im ausführlichen Interview mit Jana Ballweber vom KNA-Mediendienst (Abo). Heißt auch: Schon weil es solange dauerte und dauert, bis die oben schon erwähnten EU-Gesetze ausformuliert waren und umgesetzt werden, hinken sie Plattformen wie X, Tiktok und vielen anderen hinterher. Später im Mundt-Interview geht's etwa auch noch um den "Google News Showcase" ...
+++ Und an diesem Angebot des Datenkraken Google an Presseverlage, dem viele zustimmten, könnte sich der jüngste Streit beim Zeitungsverlager-Verband BDZV entzündet haben, schreibt Anna Ernst bei medieninsider.com (Abo). Dort tritt nach Springer mit "Bild" ein weiteres Mitglied aus. +++
+++ "Sie werden zusammengeschlagen oder mit Messern angegriffen, ihre Häuser werden in Brand gesteckt und am Straßenrand hängen Plakate mit Drohungen gegen sie und ihre Familien": Auch erschütternd (und das ist längst nicht die erschütterndste Passage), was die "Süddeutsche" (Abo) anhand der weiterhin nicht eingeschüchterten Reporterin Maricarmen Aguilar Franco über die Lage der Journalisten in Mexiko berichtet. +++
+++ Sollte die in Brandenburg besonders kleine FDP im RBB-Fernsehduell zur Landtagswahl vertreten sein oder nicht? Nö, meint außer dem RBB auch Kurt Sagatz im "Tagesspiegel". Doch!, meint Micha Hanfeld in der "FAZ". +++
Das nächste Altpapier schreibt am Donnerstag Ralf Heimann.