Kolumne: Das Altpapier am 5. August 2024 Eine neue Zeitung für Ostdeutschland?
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05. August 2024, 10:38 Uhr
Um die "Geheimplan"-Recherche entsteht zwischen "Übermedien", "Correctiv" und X eine Debatte, die es zu ordnen gilt. Und: "Katapult" hat mal wieder ein neues Projekt, zu dem es noch ein paar Fragen gibt. Heute kommentiert Johanna Bernklau die Medienberichterstattung.
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Eine Debatte zwischen X-Threads und anderen Posts
Ein Thema, das Ende vergangener Woche so richtig an Fahrt aufgenommen hat, ist die "Übermedien"-Kritik an dem Artikel von "Correctiv" zur "Geheimplan"-Recherche in Potsdam.
Da ich selbst für "Übermedien" arbeite, werde ich das Thema zwar nicht kommentieren. Aber es gibt mittlerweile so viele Reaktionen auf die Kritik der Kritik, die irgendwo in den Sphären von X herumschwirren, dass ich zumindest eine kleine Übersicht darüber bieten möchte. Also der Reihe nach:
Am Dienstag veröffentlichten "Übermedien"-Gründer Stefan Niggemeier, LTO-Chefredakteur Felix Zimmermann und Henri-Nannen-Leiter Christoph Kucklick ihre Kritik am Text von "Correctiv": Trotz der großartigen Wirkung des Textes, sei er journalistisch schwach und nicht des "Leuchtturm"-Preises würdig, mit dem er auf der Konferenz von Netzwerk Recherche ausgezeichnet worden war (siehe Altpapier von Mittwoch).
Das Ziel der "Übermedien"-Autoren: Eine Debatte über einen Text zu öffnen, der bislang nur von "konservativen und vor allem rechten Medien" kritisiert wurde.
Und die Debatte wurde in der Tat geöffnet. Die ersten Reaktionen von "Correctiv"-Publisher David Schraven und Reporter Jean Peters waren aber erstmal emotional und persönlich statt sachlich. Peters hat sich dafür mittlerweile entschuldigt und auf X einen ausführlichen Thread zu der Übermedien-Kritik geschrieben (auf den Nannen-Leiter Kucklick ebenfalls mit einem Thread entgegnete).
Am Ende seines Posts lädt Peters die drei Autoren zu einem persönlichen Austausch ein. So einer dürfte tatsächlich auch relativ realistisch sein, sobald die Urlaubssaison vorbei ist.
Währenddessen hatte Jörg Wagner im rbb-Medienmagazin schon mal Christoph Kucklick und "Correctiv"-Chefredakteur Justus von Daniels zu Gast – allerdings nicht in einer Diskussion miteinander, sondern zeitlich hintereinander.
"Correctiv" hat mittlerweile sowohl auf Instagram als auch auf der eigenen Homepage (da muss man allerdings ein bisschen suchen) eine Stellungnahme in eigener Sache online gestellt, die sich mit der Kritik an ihrem "Geheimplan"-Text befasst.
Von "Übermedien" kam derweil noch keine Reaktion zur Kritik an ihrer Kritik. Dafür veröffentlichte "Übermedien" einen Kommentar ihres Autors Andrej Reisin, der der Kritik von Niggemeier & Co. stark widerspricht.
Eine Debatte – auch außerhalb des beteiligten Personenkreises – hat die Kritik also auf jeden Fall ausgelöst. Im "Spiegel" veröffentlichte Niggemeier noch einmal zusätzlich einen Gastbeitrag zum Thema, die "taz" griff die Kritik und die Kritik der Kritik unter der Überschrift "Peinliches Penisfechten" auf und die "Süddeutsche" versuchte sich an einem Für und Wider der beiden Seiten.
"Katapult" goes Sachsen, Thüringen und Brandenburg
Dass die Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg immer näher rücken, merkt man jetzt auch vermehrt am journalistischen Output, das sich damit befasst (siehe dazu auch Altpapierkorb). "Katapult" etwa gab Mitte Juli bekannt, dass es mit "Katapult Sachsen", "Katapult Thüringen" und "Katapult Brandenburg" (mal wieder) ein neues Projekt auf die Beine stellt.
Diesmal: "Wir werden Brandenburg [bzw. Thüringen und Sachsen] mit einer aufklärerischen Zeitung überschütten." Die offenbar einmalige Ausgabe pro Bundesland wird mit Spenden finanziert und durch Freiwillige vor Ort verteilt. Dazu reist "Katapult" mit ihrer gedruckten Zeitung durch das Land – anscheinend mit Erfolg: Die Termine in Freiberg, Chemnitz und Zwickau mussten schon verschoben werden, um Exemplare des Sachsen-"Katapults" nachzudrucken.
Die Auflage der drei Zeitungen wird durch die Höhe der Spendenbeiträge bestimmt, in Sachsen beträgt sie momentan über 200.000 Zeitungen, in Thüringen knapp über 100.000 und in Brandenburg knapp 70.000. Damit wurde "Katapult Ost" "am Wochenende für einen Tag die auflagenstärkste Zeitung Ostdeutschlands", schreibt Steffen Grimberg in seiner Kolumne bei der "taz".
Das Leipziger Stadtmagazin "kreuzer", das die Sachsen-Ausgabe seinem Magazin beilegen wird, hat den ehemaligen "Katapult"-Chefredakteur und Ideengeber des Projekts, Benjamin Fredrich, zu seiner Motivation interviewt:
"Ich glaube, es ist die Ohnmacht und die ständige Frage: Was kann man tun, wenn gewählt wird und es droht, dass uns die Demokratie entgleitet?"
Journalismus hätte da eine Schlüsselrolle, sagt Fredrich und verweist auf die vielen Recherchen rund um die AfD, die "dazu geführt haben, dass die AfD bei der Europawahl im Vergleich zu Umfragen vier bis sechs Prozentpunkte verloren hat." Fredrich geht es hier also vor allem um den Impact seiner Arbeit. Oder? Auf katapult-magazin.de wird klar: Es geht bei diesem Projekt vor allem um Benjamin Fredrich. Er schreibt, wie immer, betont lustig-aggressiv:
"Ob wir damit die AfD aufhalten, weiß ich nicht – aber ich weiß eins: Wenn die Nazis noch mal an die Macht kommen, werde ich nicht derjenige sein, der nichts unternommen hat. Ich werde der sein, der alles versucht hat, der sich den Arsch aufgerissen hat, der mit euch die beste Sachsen-Zeitung der Welt gebaut und mit allen Mitteln versucht hat, die Feinde der Demokratie aufzuhalten! Und wenn wir nur eine einzige verdammte Person überzeugen – es ist mir scheißegal –, dann war es das bereits wert!"
Die Grenze zwischen Journalismus und Aktivismus scheint, wie so oft bei "Katapult", auch hier nicht ganz klar gezogen. Aber es ist ja für eine gute Sache, möchte man sagen, und landet damit thematisch wieder am Anfang des heutigen Altpapiers.
Grimberg schreibt in seiner Kolumne:
"Ein bisschen mehr Pressevielfalt und ambitionierte Aktion wäre ohnehin überall im Osten nett. In den drei Wahlländern erscheinen großzügig gerechnet noch gut zwei Handvoll regionale Titel, die alle großen westdeutschen Medienkonzernen gehören."
Das stimmt. Aber trotzdem frage ich mich: Wie finden das denn die Zeitungen vor Ort, wenn "Katapult" eine (!) "demokratische" bzw. "aufklärerische" Zeitungsausgabe ankündigt, so als gäbe es sowas noch gar nicht. Währenddessen berichten zum Beispiel in Sachsen die "Leipziger Volkszeitung" oder die "Freie Presse" ebenfalls über die AfD und klären auf – und zwar beständig über einen längeren Zeitraum.
Ja, die Regionalzeitungen in den drei Bundesländern gehören großen Medienkonzernen wie Funke oder Madsack. "Demokratisch" dürften sie aber trotzdem sein. Ja, die Pressevielfalt im Osten ist absolut ausbaufähig. Aber das kann nicht mit einer katapultschen Eintagsfliege geändert werden.
Trotzdem kann die Aktion von "Katapult" Mut machen – vor allem denjenigen, die die AfD sowieso schon doof finden und sich hilflos fühlen.
Wer sich jetzt fragt, was eigentlich genau in den Ausgaben von "Katapult Ost" steht, muss wohl zu den angekündigten Verteilaktionen nach Gera, Chemnitz oder Cottbus kommen und sich selbst eine Ausgabe abholen. Oder auf eine E-Paper-Version hoffen.
Altpapierkorb (Neues ZDF-Politikformat, MDR in Thüringen, Schlesinger-Prozess verschoben)
+++ Ebenfalls neu ist das Politikformat mit der großen Frage "Deutschland, warum bist du so?", das Eva Schulz (vom ehemaligen "funk"-Format "Deutschland3000") im ZDF moderieren wird. Laut der Pressemeldung soll es in den ersten drei Folgen erstmal um die drei Bundesländer gehen, in denen im September gewählt wird. Ab heute, 10 Uhr, sind die Folgen bereits in der ZDF-Mediathek zu sehen. +++
+++ Nicht in einem neuen Format, dafür aber thematisch setzt sich auch die "Süddeutsche" mit den anstehenden Landtagswahlen auseinander. Dabei geht es um die mittlerweile altbekannte Frage: Was wird aus dem MDR, wenn Höcke an die Macht kommt? +++
+++ Der Prozess gegen Ex-rbb-Intendantin Patricia Schlesinger am Landgericht Berlin wurde von November auf den 15. Januar 2025 verschoben, wie der rbb meldet. +++
Das Altpapier am Dienstag schreibt Christian Bartels.