Kolumne: Das Altpapier am 11. Juli 2024 Ihre Beschwerde können Sie hier einlegen!
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11. Juli 2024, 10:00 Uhr
Die Bundesregierung hat eine Entscheidung zum Umgang mit chinesischer Hardware in deutschen Mobilfunknetzen getroffen. Der allergrößte Trackingdaten-Händler, Microsofts Xandr, heißt zwar gar gar nicht mehr so, könnte nun aber Datenschutz-Ärger bekommen. Und wie läuft es in Serbiens Medienlandschaft? Heute kommentiert Christian Bartels die Medienberichterstattung.
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Endlich Antwort auf die Huawei-Frage
Oh là là, "jahrelanger Streit", der schon während Angela Merkels Kanzlerinschaft vor sich hin schwelte und zuletzt noch mal in "monatelange Kontroversen" zwischen Bundesinnenministerium, weiteren Ministerien und Mobilfunkanbietern (darunter die zu knapp einem Drittel bundeseigene Deutsche Telekom) mündete, scheint beendet. Das meldet die Recherchekombi "Süddeutsche"/NDR/WDR. Es geht um Geräte des chinesischen Herstellers Huawei. "Huawei soll weitgehend aus 5G-Netz entfernt werden", lautet die Überschrift bei tagesschau.de. 5G heißt der derzeit gängige Mobilfunkstandard. "Spätestens von 2029 an sollen" Produkte chinesischer Hersteller, von denen es noch weitere gibt, aus dem deutschen Mobilfunk-Netz "weitgehend verschwunden sein, im kritischen Kernnetz sogar schon von 2026 an", schreibt sueddeutsche.de.
Bei den langwierigen Diskussionen ging es den Berichten zufolge besonders auch darum, "ob ein staatlich angeordneter Rückbau von Huawei-Komponenten erhebliche Schadensersatzzahlungen des Bundes auslösen könnte". Neuerdings achtet die Bundesregierung ja darauf, nicht an zu vielen Stellen sehr viel Geld auszugeben. Das "SZ"-Team, zu dem auch "Spiegel"-Ex Georg Mascolo gehört, meint dann:
"Die Vereinbarung bedeutet trotz längerer Fristen einen harten Einschnitt und starke Einschränkungen bei Geschäften mit Huawei und ZTE."
Das "Netzwelt"-Ressort von spiegel.de, das nicht zur Recherche-Kombi gehört, sieht die Einigung skeptischer:
"Es ist ein Kompromiss auf kleinem Nenner, den praktisch alle Beteiligten zumindest als Teilerfolg verkaufen können. Bundesinnenministerin Faeser wird darauf verweisen, dass auch dies ohne ihre Initiative kaum stattgefunden hätte. ... Sogar für die Hersteller der sogenannten kritischen Komponenten hätte es weitaus schlimmer kommen können: Huawei und der zweite wichtige chinesische Hersteller ZTE werden nach diesem Stand sogar weiter Hardware wie Antennen nach Deutschland verkaufen können."
Ob die USA, deren amtierender Präsident schon 2022 schärfere Schritte gegen Huawei unternahm (und dessen Mobiltelefone quasi vom Google-dominierten Smartphone-Markt ausschloss) und Ähnliches von Deutschland forderte, damit zufrieden ist, oder was der einen Tick jüngere andere mutmaßliche Präsidentschaftskandidat dazu sagen würde – dazu gibt es noch keine Einschätzungen.
Zufällig, zumindest ganz ohne die hinter den Kulissen verhandelte Einigung zu erwähnen, hatte gestern die "FAZ" (Abo) die neue, noch wenig bekannte Bundes-Cyberagentur in Sachsen-Anhalt und deren Forschungsdirektor, den IT-Forensiker Christian Hummert, porträtiert. Dieser wurde da so zitiert:
"Die Debatte über Huawei-Technik im deutschen Mobilfunknetz wird nach Auffassung Hummerts zu rückwärtsgewandt geführt. Aus europäischer Sicht wäre es viel klüger gewesen, eigene 5-G-Router zu entwickeln, statt nun chinesische 5-G-Router gegen amerikanische 5-G-Router auszutauschen. Die EU habe sich aus dieser Entwicklung vor einigen Jahren zurückgezogen. 'Und wenn Europa schon jetzt entschlossen in die Entwicklung von 6-G- oder 7-G-Routern investieren würde, könnten wir uns solche Debatten zumindest in der Zukunft sparen.'"
Dass US-amerikanische Geräte solches Auslesen von Datenströmen, welches durch chinesische Hersteller nicht ohne Grund befürchtet wird, womöglich schon jetzt oder aber künftig beherrschen könnten, gehört zum Hintergrund der Diskussion. Sehr weit in die Zukunft gedacht wurde und wird offenbar weder in deutschen Ministerien, noch auf entsprechenden EU-Positionen. (Und in der Wirtschaft wurde wohl leider auch nirgends vorausgeahnt, wie wichtig kritische Telekominfrastrukturen werden würden.)
Dazu passt eine tagesaktuelle Meldung, die normalerweise kaum hier auftauchen würde. Aber die Berliner Firma AVM stellt ebenfalls Router her, freilich weniger elaborierte "Fritzboxen" für Internetzugang in Büros und Wohnungen. Nun wird sie verkauft. Das "FAZ"-Wirtschaftsressort schaut nett zurück auf die "Erfolgsgeschichte" der einst studentischen Gründer, die nun "auf die 70" zugehen und die Mehrheitsanteile an Imker Capital Partners verkaufen (was nicht heißt, dass diese im auch schwierigen Geschäft mit Honig tätig sind, sondern eher ein Eigenname ist). Ob das Bekanntwerden des Handels über eine Mitteilung der österreichischen Bundeswettbewerbsbehörde, wovon golem.de berichtet, ob der "Investor aus Luxemburg", von dem heise.de schreibt, während das "Handelsblatt" von einem "Finanzinvestor" spricht, tatsächlich Anlass für den Optimismus bietet, den die "FAZ" verströmt ... entscheiden Sie bei Interesse selbst.
EU-Gesetze vs. Microsoft, nächste Runde
Kann die EU dem "Digitalkolonialismus" (zum Begriff vgl. dieses Altpapier aus der Vorwoche) aus den USA und China zumindest etwas Einhalt gebieten? Das bleibt eine offene Frage, schon weil bei der EU vieles lange dauert.
Gespür für die, äh, Zeitläufte verströmt ein selber langes Gespräch bei netzpolitik.org (das sich auch als Folge des Podcasts "Dicke Bretter" anhören ließe). Da spricht Constanze Kurz u.a. mit Svea Windwehr, die für die Gesellschaft für Freiheitsrechte arbeitet (und sozusagen von einer Gegenseite, Google Deutschland, kam).
"EU-Verordnungen wie der DSA gelten in der Theorie sofort, aber tatsächlich nur in der Theorie. Denn es müssen Strukturen auf nationaler Ebene geschaffen werden, um sie überhaupt umsetzbar zu machen. Etwa die Frage: Wer ist denn die nationale Aufsichtsbehörde? ... Dafür braucht es ein deutsches Gesetz. Das war in Deutschland das Digitale-Dienste-Gesetz, das mit ziemlich viel Verspätung in Kraft getreten ist",
sagt Windwehr etwa. Sie gehört auch zum inzwischen bestehenden Beirat des deutschen DSC (Digital Service Coordinator), also der Bundesnetzagentur. Darin sitzen die "Wunschmitglieder" aller Bundestagsfraktionen bis auf eine (behoerden-spiegel.de). Und hier geht's zum "Beschwerdeportal" des deutschen DSC. Trotz putzigen Sounds ("Ihre Beschwerde können Sie hier einlegen!", steht auf einem hellgrau unterlegten, klickbaren Button) ist es nicht sehr leicht zugänglich designt. Dennoch nicht auszuschließen, dass sich allmählich funktionierende Arbeitsgänge einpendeln werden. Immerhin scheint die EU aus den Fehlern ihrer Datenschutz-Grundverordnung gelernt (Windwehr: "... Irland ist im Kontext der DSGVO nicht so wahnsinnig viel tätig geworden, im Gegenteil." – Kurz: "Das war die Untertreibung des Jahrzehnts. Die Iren gelten als Nullnummer bei ihren DSGVO-Aufsichtsbehörden"). Nun will ja die EU-Kommission selber gegen die großen Plattformen vorgehen.
Das führt immer wieder zu aufmerksamkeitsheischenden Überschriften ("EU-Kommission wünscht Porno-Transparenz"). Mehr Interesse verdient ein anderer Fall, bei dem wieder Max Schrems' österreichische NGO NOYB die Initiative übernahm. Da geht es um Klagen gegen Xandr. Dieses Xandr kam vor gut einem Jahr im Altpapier "Moms Who Shop Like Crazy" vor. Darin ging es um die besonders verdienstvolle netzpolitik.org-Recherche "Verlierer, Liebhaber, Junkies: In diese absurden Schubladen steckt dich die Werbeindustrie". Nun argumentiert noyb.eu (deepl.com-übersetzt): Xandr
"sammelt und teilt die persönlichen Daten von Millionen von Europäern für gezielte Werbung. Dies ermöglicht es Xandr, Werbeflächen an Tausende von Werbetreibenden zu versteigern. Aber: Obwohl den Nutzern letztlich nur eine Anzeige gezeigt wird, erhalten alle Werbetreibenden ihre Daten. Diese können persönliche Angaben über ihre Gesundheit, Sexualität oder politischen Ansichten enthalten ...",
Und dennoch lehnte es im Jahr 2022 "alle 1294 von 1294 Auskunftsersuchen ab", die nach der – weiterhin gültigen – DSGVO gestellt wurden, "ebenso wie alle 660 Löschanträge", schreibt wieder netzpolitik.org. Seinen einprägsamen Namen hat Xandr übrigens schon im Juni 2023 schon abgelegt, erfährt man am Rande, nämlich wenn man zu adzine.de klickt. Wie Xandr inzwischen heißt?
"Microsoft Monetize (Supply-Side-Plattform), Microsoft Invest (Demand-Side-Plattform) und Microsoft Curate (Marktplatz für Daten plus Inventar)"
Der wohl allergrößte Trackingdaten-Händler gehört also (weiterhin) zu Microsoft, das ja schon als Quasi-Monopolist auf allen stationären Nicht-Apple-Computern immer noch mehr über sehr viele Nutzer erfährt. Außerdem gehört ihm Netzwerk Linkedin, und beim kommerziellen Arm des ChatGPT-Anbieters Open AI ist Microsoft größter Aktionär. Seine "hauseigene generative Künstliche Intelligenz" auf die laufend weiterwachsenden Trackingdaten-Bergen anzusetzen, war schon 2023 bei der Umbenennung angekündigt worden.
Ob die EU Microsoft ein paar europäische Regeln auferlegen kann oder sich vom ganz großen Datenkraken am Ring durch die Manege führen lässt – an solchen Fragen wird sich zeigen, was die ambitiöse DSA-DSM-usw.-Gesetzgebung der EU taugt.
Was geht in Serbiens Medienlandschaft?
Eine der großen Schwächen der EU, dass sehr viele mitreden, ist auch eine ihrer im Prinzip schönen Stärken, Vielfalt halt. Wenn schon nicht die Digitalwirtschaft, diese Vielfalt könnte weiterwachsen. Zum Beispiel um Serbien. Warum das einstweilen keine gute Idee wäre?
"Die serbische Regierung besteht aus Amateuren, Kriminellen, Trotteln und Arschlöchern, die komplett unfähig sind, ihren Job zu machen. Sie alle wissen das. ... Wer diese Wahrheit aber ausspricht, den machen sie fertig."
So antwortet der Kolumnist und Podcaster Marko Vidojković auf Doris Akraps Einstiegsfrage ins "taz"-Interview, warum er aus Belgrad an wechselnde ungenannte europäische Orte fliehen musste. Er teilt also ganz schön aus. Serbiens Regime tat und tut das aber nicht weniger:
"Gegen mich laufen dutzende Slapp-Klagen, also Einschüchterungsklagen seitens der höchsten Repräsentanten des Landes: von Premier Aleksandar Vučić über den Chef des Geheimdienstes, vom Minister für Polizei und Militär bis zum Bürgermeister von Belgrad. Inzwischen aber habe ich eben auch Hunderte Todesdrohungen, die reichen von Zunge rausschneiden, Hände abhacken bis erschießen."
Der aktuelle Aufhänger ist der Fußball. Weil bei großen Turnieren stets viele zeitweise jugoslawisch gewesene Staaten mitspielen, drängen ethnische Konflikte zumindest dann auf die größere Bühne. Und gar so schlimm wie auch nicht weit entfernte Staaten sei Serbien doch nicht, sagt Vidojković:
"Serbien ist nicht die Türkei, wo Zehntausende im Knast sitzen. Bei uns reicht es, 50 oder 100 Kritiker mundtot zu machen, um das ganze Land zum Schweigen zu bringen."
Die Türkei steht übrigens auch weiterhin auf der Außenministeriums-Liste der "(potentiellen) Beitrittskandidaten der Europäischen Union". Das "taz"-Interview zu lesen, schärft den Blick für eine Menge (potenzieller) Dilemmata in Europa.
Der "Schwäbische Zeitungs"-Chefredakteur ist gestorben
Jürgen Mladek ist zweimal in dieser Kolumne erwähnt worden, zuletzt Ende Juni kritisch unter der Zwischenüberschrift "Unmut über Tendenz zu rechtem Aktivismus bei der 'Schwäbischen'". Nun ist der Chefredakteur der "Schwäbischen Zeitung" mit 56 Jahren gestorben, meldet "epd medien".
"Mladek hat sich wie kein Zweiter für die Transformation des regionalen Journalismus eingesetzt und in den vergangenen 13 Jahren maßgeblich zum journalistischen Erfolg des Hauses beigetragen. 'Seine Freude am Diskurs, an vielfältigen Perspektiven und nicht zuletzt seinen Humor werden wir schmerzlich vermissen'"
wird in der Meldung Lutz Schumacher zitiert, der Geschäftsführer des Schwäbischen Verlags (zu dem auch Zeitungen im deutschen Nordosten, in Mecklenburg, gehören, für die Mladek auch arbeitete). Hier geht es zum Nachruf auf schwaebische.de.
Altpapierkorb ("heute-journal"-Kritik, Madsack-Abos, Streiks, Anlage-Tipps, ARD-Talkshows)
+++ Gestern gab's hier noch Lob fürs "heute-journal" des ZDF. "In Deutschlands wichtigster TV-Informationssendung werben Bundeswehrpiloten mit ihren Kampfnamen. Offenbar ist die Luft in Mainz etwas dünn geworden", kritisiert die "SZ"-Medienseite (Abo) heute feuilletonistisch. Wobei das ZDF mitteilte, es habe halt "den Luftwaffenpilot Gerald Groß mit dem Zusatz insertiert, der auf seinem Namensschild steht". +++
+++ "Von 1,4 Millionen Abos und der damit verbundenen publizistischen Relevanz hätten wir zu Printzeiten nur träumen können", teilt die Madsack-Mediengruppe mit, die im Altpapier zuletzt mit der weiterhin nicht offiziell bestätigten Meldung, "künftig alle Zeitungen zentral von Hannover aus" produzieren zu wollen, vorkam.
++ Bei vielen Medien wird gerade gestreikt. Vom Streik von "rund 150 Beschäftigten des Bundesanzeiger-Verlags" in Köln, der zu DuMont gehört, berichtet der WDR. +++ Dass beim WDR ein weiterer, 48-stündiger Warnstreik läuft, berichtet dwdl.de. +++
+++ "Das Instagram-Profil von 'The Pioneer'-Journalistin Anne Schwedt weckt bei mir massive Selbstzweifel. Wo genau bin ich bei meiner Karriereplanung so falsch abgebogen, dass Medienjournalismus dabei herausgekommen ist? Börsenberichterstatterin an der Wall Street hätte ich werden sollen!", schreibt Ex-Altpapier-Autorin Annika Schneider (uebermedien.de/ Abo), bevor sie dann, statt sich in herzförmigen Strandkörben zu sonnen, medienjournalistisch den "schmalen Grat zwischen Journalismus und Anlage-Tipps" vermisst. +++
+++ Gestern war ARD-Videoprogrammkonferenz. "Sofern die ARD-Gremien nicht doch noch mit einer überraschenden Wendung um die Ecke kommen", werden "hart aber fair" und die übrigen ARD-Talkshows erst mal so weiterlaufen wie bisher, schreibt dwdl.de. Wobei die Ankündigungen Interpretationsspielräume belassen. Und jetzt auch bei Springer (u.a. "Welt") Listen mit den nicht so hohen Online-Abrufzahlen der Klamroth-Show vorliegen. +++ Die kühne Idee, ihren täglichen Telenovela-Eskapismus zwar ebenfalls weiterlaufen zu lassen, aber ab 2025 nunmehr halb so lang, war der ARD dann doch zu kühn (wiederum dwdl.de). +++
Das nächste Altpapier schreibt am Freitag René Martens.