Kolumne: Das Altpapier am 2. Juli 2024: Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels. 5 min
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Neu auf der Agenda: die Schlagworte "Datenkolonialismus" und "Extraktivismus". Und mal wieder das Digitalradio: In einem halben Jahr wird das größte europäische Experiment damit beginnen.

Di 02.07.2024 12:21Uhr 05:06 min

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Kolumne: Das Altpapier am 2. Juli 2024 Digital ist besser?

02. Juli 2024, 10:13 Uhr

Neu auf der Agenda: die Schlagworte "Datenkolonialismus" und "Extraktivismus". Und mal wieder das Digitalradio: In einem halben Jahr wird das größte europäische Experiment damit beginnen. Außerdem: Der Meta-Konzern überflügelt das Fernsehen. Heute kommentiert Christian Bartels die Medienberichterstattung.

Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels
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Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Kolonialismus, Kapitalismus ... und die EU

Postkolonialismus, also kritische Betrachtung des Kolonialismus und seiner Folgen, liegt langfristig im Trend (und wird wie alle Trends von vielen so gedreht, wie es passt, zum Beispiel auch von Antisemiten ...). Mit einem Sujet, das bislang noch nicht so oft unter Kolonialismus-Aspekten betrachtet wurde, setzen die New Yorker Kommunikationswissenschaftler Ulises Mejias und Nick Couldry sowie der Feuilletonist Andrian Kreye an. Erstere schrieben das nun auf deutsch erschienene Buch "Datenraub – Der neue Kolonialismus von Big Tech ...", letzterer bespricht es unter der hübsch provokanten Überschrift "Eingeborene, gebt uns eure Daten" (Abo) in der "Süddeutschen".

"Datenkolonialismus" lautet die Spitzmarke. Soll heißen: Insbesondere Europa wird von den Datenkolonialmächten USA und zusehends China durch "Suchmaschinen ..., soziale Netzwerke, Gesundheits- oder Bildungs-Apps" kolonisiert. Kreye zitiert Mejias so,

"dass die sogenannten Datenterritorien genauso wie die alten Kolonien den Zweck haben, kontinuierlich Rohstoffe - in diesem Falle Daten - zu extrahieren, um damit Profit und soziale Kontrolle zu schaffen."

Weshalb dann auch noch der neue Fachbegriff "Extraktivismus" (nicht mit dem drin enthaltenen "Aktivismus" verwandt!) fällt. Eine überzeugende Parallele besteht jedenfalls darin, dass die Fähigkeit zum Nutzen der Daten in den "Datenterritorien" ähnlich gering ist wie die, Rohstoffe zu verwerten, oftmals in den kolonisierten Ländern war:

"Nur die Kolonialmächte hatten die Möglichkeit, Rohstoffe zu verwerten, auch da sehen die Forscher eine Parallele: Für die Nutzer sind Daten ein Abfallprodukt. Was soll man schon mit dem eigenen Persönlichkeitsprofil anfangen? 'Sie haben keinen großen Wert für uns. Warum sollte man sie also nicht den Unternehmen überlassen und sie so umwandeln, wie man es zum Beispiel bei alten natürlichen Ressourcen wie Öl gemacht hat', sagt Mejias. 'Öl musste raffiniert und verarbeitet werden. Das Gleiche gilt für Daten.'"

Tatsächlich kommen europäische Unternehmen, abgesehen vielleicht vom an der New Yorker Börse notierten schwedischen Spotify, im globalen Datenkapitalismus schon deshalb auf keinen grünen Zweig, weil sie nicht nur über weniger Daten verfügen als die Plattformkonzerne, sondern deren sowieso uneinholbarer Vorsprung sekündlich weiter wächst.

Dann geht es in Kreyes Besprechung noch um die mit Künstlicher Intelligenz verbundenen preiswerten Versprechungen und um die "besonders unglückliche Rolle", die Deutschland spielt, weil es einst sowohl bei Computern wie auch bei Netzen, die Computer miteinander verbanden, vorne dabei war und inzwischen immer weiter hinterherhinkt. Sowie um die Frage, ob die EU mit ihren Digitalgesetzen "digitalen Antikolonialismus" entfalten kann. Sie legt sich zumindest, obwohl die Postenvergabe für die neue Kommission weiter andauert, in der Auseinandersetzung mit dem Facebook-/Instagram-Konzern Meta (Altpapier) weiter ins Zeug und im Verfahren mit Bezug aufs noch junge Digitale-Märkte-Gesetz (DMA) nach, melden spiegel.de und heise.de. Nun geht es ums "Werbefrei-Abo für Facebook und Instagram" bzw. um das "Zustimmen oder Bezahlen"-Modell:

"Das Abo-Modell 'zwingt die Nutzenden, der Verarbeitung ihrer persönlichen Daten zuzustimmen und beraubt sie einer weniger personalisierten, aber gleichwertigen Version der sozialen Netzwerke von Meta', erklärten die Wettbewerbshüter. Nutzende der Plattformen Facebook und Instagram könnten damit nicht frei entscheiden, ob Meta ihre Daten für personalisierte Werbung verwenden darf."

Wobei der, wenn man es lustig nehmen möchte: Fun-fact, dass der Meta-Konzern 2025 "erstmals höhere Werbeeinnahmen ... als alle Fernsehsender zusammen", also alle Fernsehsender der Welt, erzielen werde, die Größenverhältnisse verdeutlicht. Das entnahm "Netzökonom" Holger Schmidt gerade für die "FAZ" (Abo) frischen Marktforschungen. Dass Meta dabei insbesondere "der größte Nutznießer der Werbeoffensive chinesischer Onlinehändler wie Temu" sei, die mit billigen Preisen unterhalb der in der EU gültigen Zoll-Mindestgrenzen für Wirbel sorgen (Altpapier), kann die Kolonisierungs-Metapher befeuern.

Ob einzelne Maßnahmen der EU und ihres DMA Wirkungen erzielen und welche, bleibt spannend. Bevor Euphorie ausbricht: Beim ähnlich neuen Digitale-Dienste-Gesetz DSA hakt's, schon weil die Arbeitsteilung zwischen der EU-Kommission, die für "Very Large Online Platforms" (VLOPs) zuständig ist, und den Digital Services Coordinators der Mitgliedsstaaten, die für weniger große, dafür sehr viele Plattformen zuständig sein sollen, vorerst nicht funktioniert: "In vielen EU-Ländern, darunter Deutschland, hat sich die Ernennung der DSCs verzögert", meldet netzpolitik.org. Und ob die Bundesnetzagentur, die "hierzulande knapp 1.500 Onlineplattformen, die sich an die Regeln halten müssen", kontrollieren soll, während sie die Gasnetze, das Schienennetz sowie künftige Wasserstoff-Infrastrukturen und so was ja auch im Blick haben möchte, damit zurande kommt – unklar.

Ist Digitalradio schlechter?

"Digital ist besser" hießen einmal, noch im vorigen Jahrtausend, ein Lied und eine Platte der oft hellsichtigen Band Tocotronic. Das war zumindest leicht ironisch getönt. Heute wäre Bereitschaft zu hinterfragen, ob digital immer besser ist, gewiss vorhanden. Aber gibt es noch nicht-digitale Techniken jenseits des Faxens (Altpapier)? Doch, im Radio!

Der schweizerische Medien-Zampano Roger Schawinski, der in den Nuller Jahren auch mal in Deutschland wirkte (als Geschäftsführer des Privatsenders Sat.1, als der noch halbwegs wichtig war) wirft in der "Neuen Zürcher Zeitung" mit einem spannungschürenden einleitendem Disclaimer ("... werde ich Äusserungen machen, die für mein eigenes Unternehmen geschäftsschädigend sind") die Ist-Digitalradio-besser?-Frage wieder auf. Der Anlass ist einer, den der "Tagesspiegel" via KNA-Agentur nüchtern vermeldet: "Der öffentlich-rechtliche Rundfunk der Schweiz stellt zum Jahresende die Verbreitung über Ultrakurzwelle ein", und das zwei Jahre früher als vorgesehen.

Schawinski hält das für einen großen Fehler, weil er Digitalradio (das wenn, dann unter der Abkürzung DAB+ bekannt ist) für schlechter hält als die analoge UKW:

"DAB+ weist im Vergleich zu UKW kaum Vorteile, dafür viele Nachteile auf. Deshalb konnte sich DAB+ als Nachfolgetechnologie nie richtig durchsetzen. Überlebt hat sie allein darum, weil sie während Jahrzehnten mit gewaltigen staatlichen Subventionen künstlich beatmet wurde."

Und vergleicht die schweizerische Entscheidung mit denen angrenzender Länder:

"Kein anderes Land in Mitteleuropa denkt daran, sich von UKW zu verabschieden. So wurden etwa in Bayern die UKW-Konzessionen vor kurzem bis 2035 verlängert. Österreich hinkt in Sachen DAB+ noch weiter hinterher. Gleiches gilt auch für Frankreich und Italien. Ohne Not wird es also schon bald im Herzen von Europa ein riesiges schwarzes UKW-Loch geben. Dieses kann von ausländischen Stationen wegen der freiwilligen Weggabe unserer kostbaren Frequenzen für eine noch bessere Verbreitung ihrer Programme in unserem Land genutzt werden.

Wobei das "kein anderes Land" nicht ganz stimmt. Ein Bundesland, ganz am anderen, nördlichen Ende des deutschen Sprachraums, hat gerade auch was zur Radio-Zukunft beschlossen. "Schleswig-Holstein schaltet UKW ab", meldete die "FAZ" gerade. Dieses Abschalten beginnt im kommenden Jahr 2025 und soll 2031 abgeschlossen sein. Und auch in dieser eher knappen Meldung wimmelt es von Zahlen, die man so oder so bewerten kann: "2013 war ein UKW-Radio in 78,6 Prozent der Haushalte der meistgenutzte Apparat. 2023 war das nur noch in 53 Prozent der Haushalte der Fall", was natürlich eine ganze Menge Haushalte weniger sind, aber immer noch mehr als die Hälfte. Und: "In ganz Deutschland gibt es geschätzt 140 Millionen Radiogeräte, die nach einem UKW-Ausstieg nicht mehr funktionieren werden."

Der Elefant im Raum, der nicht unbedingt tabuisiert werden müsste, aber das Thema derart kompliziert macht, dass es niemand gern ansprechen möchte: Radiohören via Internet, was mit sehr vielen Geräten möglich funktioniert, also Streaming ist die dritte Alternative. Das läuft ebenfalls digital, ist allerdings technisch gesehen kein Rundfunk (und dürfte insgesamt mehr Energie verbrauchen, weil der Rundfunk-Vorteil, dass viele gleichzeitig hören, was gerade gesendet wird, entfällt). Wer sich noch ins hoch komplexe, aber interessante Themenfeld reinhören möchte, kann das – nun per Streaming, da die Livesendungen am Wochenende liefen – im aktuellen RBB-"Medienmagazin" tun. Da, ab Min. 15:15, scherzen Jörg Wagner und Reporter Philipp Nitzsche darüber, dass die analoge UKW in Deutschland ja eigentlich schon 2010 hätte abgeschaltet werden sollen. Ungefähr seither werden viele Radioprogramme sowohl analog als auch digital ausgestrahlt und überdies gestreamt, was insgesamt teuer ist, aber die Öffentlich-Rechtlichen über den Rundfunkbeitrag finanziert bekommen. "Die Privaten halten das nicht mehr lange durch", sagt Nitzsche, während Deutschlandradio-Intendant Stefan Raue als Vorreiter des Digitalradios wiederum warme Worte für dessen Vorzüge findet ...

Ach so, ist Digitalradio denn nun besser oder schlechter? Das hängt im ganz wörtlichen Sinne vom jeweiligen Standpunkt ab. Wer in Ballungsräumen lebt und dort in Wohnhäusern weiter oben, empfängt Radio wie Fernsehen ganz gut über Antenne. Wer sich weiter unten im selben Haus oder sonst in ungünstigen Winkeln zu den Funktürmen befindet, schon weniger. Wenn die Schweizer SRG nun verfährt wie angekündigt, ergibt sich für den deutschen Flickenteppich-Föderalismus zumindest der Vorteil, ein aussagekräftiges, großflächiges Beispiel, aus dem sich endlich valide Lehren ziehen lassen müssten, vor Augen bzw. in den Ohren zu haben.

Lob für den neuen Hauptstadtstudio-Chef

Kleine Pointe bei Schawinski: Er teilt die nicht zuletzt von Vertretern privatwirtschaftlicher Medien oft erhobenen Forderungen, dass die Öffentlich-Rechtlichen gefälligst sparen sollen, mal nicht (während die SRG in Anspruch nimmt, "weitere Investitionen in eine veraltete Verbreitungstechnologie" jetzt schnell zu streichen).

Dass die deutschen Öffentlich-Rechtlichen zu wenig sparen, zumindest an den richtigen Stellen, dafür aber oft, wenn es konkret wird, zu viel an falschen Stellen, ist oft Thema an dieser Stelle. "Man muss die ARD auch mal loben", schreibt heute Peter Voß gönnerhaft in einem "FAZ"-Gastbeitrag. Voß war Intendant des SWR und gehört zu den nicht wenigen Veteranen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die, bestens versorgt im Ruhestand, gerne mal Kritikpunkte ansprechen, die zu lösen ihnen in ihrer aktiven Zeit irgendwie die Zeit fehlte. (Oder früher war vieles besser, klar ...). Nun aber lobt Voß die ARD-"Tagesschau" für ihren Umgang mit dem AfD-Parteitag am Wochenende und den großen, teilweise gewaltsamen Protesten dagegen, und konkret den aus Essen berichtenden neuen ARD-Hauptstadtstudio-Leiter Markus Preiß. Wobei Voß dann seine Sicht derart ausbreitet, dass für eine konkretere Würdigung als "Die nüchterne Einordnung des Geschehens vor Ort durch Markus Preiß war schon mal ein Lichtblick" kaum Platz bleibt.

Warum das trotzdem erwähnen? Weil es für Preiß kürzlich schon mal Lob gab: im wesentlich dichter formulierten "Politico"-Newsletter. Da ging es um die kürzlich wieder angelaufene Reihe von Sommerinterviews, die ARD wie ZDF sonntags mit Politikern zu führen pflegen, und die meist wenig Aufmerksamkeit erregen, weil diese Politiker sowieso so oft interviewt werden und alles so vorhersehbar bleibt. Da schrieb Gordon Repinski:

"Der heimliche Gewinner des Abends: Markus Preiß, neuer Hauptstadtstudio-Chef der ARD. Souveräne Interviewführung mit guten Nachfragen, ohne das stammelige Abgelese seiner Vorgängerin Tina Hassel. Jahrelang war die ARD bei Interviews weit hinter dem ZDF, jetzt ändert sich etwas."

Womöglich ändert sich in der Hauptstadt-Berichterstattung der ARD, die ja oft in der Kritik steht (und oft nicht zu Unrecht), tatsächlich mal was zum Positiven.


Altpapierkorb (Landesrechnungshof, "Hart aber fair", "Spiegel"-Meldungen, EU-Posten, Gehalt-Symbolgehalt)

+++ Der Brandenburger Landesrechnungshof, der schon früh, bloß wenig beachtet, vor RBB-Fehlentwicklungen gewarnt hatte (Altpapier), soll die Rundfunkanstalt und "weitere Medieneinrichtungen" wie die Landesmedienanstalt und die Filmförderung künftig immer im Blick haben, meldet "epd medien". +++

+++ "Die Entscheidung zur Zukunft von 'Hart aber fair' wird auf der nächsten Videoprogrammkonferenz der ARD im Mitte Juli diskutiert", ließ sich Madsacks RND von einer ARD-Sprecherin sagen, nachdem Volker Nünning bei mehreren (im RND-Text verlinkten) Mediendiensten nochmals auf die der Talkshow gemachten Vorgaben für lineare Einschalt-, aber auch nonlineare Abrufquoten hingewiesen hatte. +++

+++ Auch wer Meldungen des renommierten "Spiegel" weitermeldet oder kommentiert, müsste schon noch mal auf deren Stimmigkeit draufschauen. Das zeigte Sebastian Wilken bei uebermedien.de anhand der Meldung "Bahn plant offenbar, Fernzüge zu streichen – besonders im Osten", bei der eigentlich schon ein Blick auf die darin enthaltene Landkarte genügt hätte, um stutzig zu werden. +++

+++ Noch bis übermorgen Mittag um 12.00 kann man sich auf den Posten der/des Europäischen Datenschutzbeauftragten bewerben, entdeckte der netzpolitik.org/ticker auf der Webseite der EU-Kommission. +++

+++ "Den hohen Symbolgehalt von [Tom] Buhrows außerirdischen Bezügen haben die ÖRR spät kapiert, ARD-Chef Gniffke ging schließlich mit gutem Beispiel voran und bat den Verwaltungsrat, sein niedrigeres Gehalt noch mal zu senken. Verwaltungsdirektorin Vernau bezieht derzeit rund 200.000 Euro jährlich, bekam als RBB-Saniererin 300.000, und vielleicht wird die neue Zahl im Vorabendprogramm gelost", scherzte Friedrich Küppersbusch dann noch in der "taz".

Das nächste Altpapier schreibt am Mittwoch René Martens.

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