Kolumne: Das Altpapier am 27. Mai 2024 Rezepte gesucht
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27. Mai 2024, 10:46 Uhr
Im Kochshow-Fernsehen versuchen sich überambitionierte Laien an komplizierten Gerichten. Aber was wollen die Leut’? Unambitionierte Gerichte auf Instagram! – Kein Wunder, dass ARD und ZDF die jungen Leute verstärkt auf Social Media umgarnen. Heute kommentiert Klaus Raab die Medienberichterstattung.
Inhalt des Artikels:
- Kochformate: Fernsehen vs. Instagram
- Wie die jüngere Zielgruppe jetzt neu umgarnt wird
- Marktliberale Evergreens zu ÖRR-Reformen
- KI gut, KI böse? KI Tamtam!
- Altpapierkorb (Arnd Zeigler und die Verwechselbarkeit von Radiosendungen, WDR-Intendanz, Herkunft von Tatverdächtigen, Fall Föderl-Schmid, "Münchner Geschichten")
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Kochformate: Fernsehen vs. Instagram
Am Wochenende sind zwei Artikel erschienen, die sich mit einem ähnlichen Thema befassen: Peer Schaders Betrachtung der TV-Kochshows bei dwdl.de, gespeist von vielen Stunden Fernsehbeobachtung. Und Tobias Rüthers von Instagram-Kochvideos inspirierter Selbstversuch in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (Abo). Zwei unterschiedliche Autoren mit unterschiedlichen Zugängen zu ihren Themen schreiben da unterschiedliche Dinge – aber man beendet die Lektüren dann doch mit einem Gesamteindruck: Kochen im Fernsehen ist derzeit sehr langweilig. Kochen auf Instagram kann dagegen einigermaßen originell sein, selbst wenn die Rezepte Mist sind. Hier zwei Zitate.
Zum Kochen im Fernsehen, so Peer Schader:
"In jeder, wirklich jeder Sendung versuchen sich anstrengend überambitionierte Kochlaiinnen und -laien gegenseitig mit ihren am durchschnittlichen Mittagstisch der Deutschen völlig vorbeigeplanten Kreationen auszustechen, um Tages- bzw. Wochensiege davon zu tragen."
Dazu gibt es die "pflichtmäßigen Smalltalks mit den Kandidat:innen, die notwendig sind, um beim Schnippeln, Anschwitzen und Aufbacken die Zeit rumzukriegen".
Zum Kochen auf Instagram, so Tobias Rüther:
"Die sozialen Medien haben das Kochen verändert. Das ist nichts Neues. Aber die Pandemie hat diese Veränderung dann noch einmal verändert – weil zu dem Drang, die eigenen Erfolge am Herd für die Außenwelt am Smartphone zu dokumentieren (also: Nudelsoßen zu fotografieren), jetzt auch das Bedürfnis nach Austausch und Gemeinsamkeit kam."
Kann es also vielleicht sein, dass das Kochfernsehen die ewige Leistungsschau der Social Media nachkocht, aber dabei das versäumt, was "die Leute" auch mögen, wenn sie Instagramvideos gucken: nämlich den Austausch und die Anbindung an den eigenen Alltag?
Wie die jüngere Zielgruppe jetzt neu umgarnt wird
Ähnliche Fragen könnte man auch in ganz anderen Programmbereichen stellen: Warum nutzen viele Jüngere bevorzugt Social Media, um sich zu informieren? Sind Medien, die nicht explizit social sind, einfach zu langweilig? Triggern sie zu wenig Lebensweltinteraktion?
Der Hohenheimer Kommunikationswissenschaftsprofessor Wolfgang Schweiger wird im "Spiegel" (Abo) mit dem Befund zitiert, nämlich dass sich die meisten seiner Studentinnen und Studenten über das Tagesgeschehen auf Instagram und TikTok informieren würden. Das ist freilich kein exklusiver Befund, aber die Frage ist ja: Warum tun sie das? Und wie können journalistische Medien darauf reagieren?
Was jedenfalls am Wochenende gehäuft thematisiert wurde, sind neue Versuche der Öffentlich-Rechtlichen, sich der Ideenwelt der Social Media weiter anzunähern.
- Da gab es etwa die Ankündigung, dass sich die ARD-Politikmagazine "Report Mainz", "Kontraste", "Fakt", "Report München" und "Panorama" bei Instagram zum "Team Recherche" verbünden wollen, um die 25- bis 34-Jährigen besser zu adressieren. Inhalte von "exactly" und "Vollbild" sollen ebenfalls eingespielt werden. (Falls jemandem aufgefallen ist, dass "Monitor" vom WDR – nun nicht das unbekannteste Politikmagazin – nicht genannt ist: Das liegt daran, dass es nicht im Boot ist. dwdl.de schreibt, wie der WDR das auf Anfrage begründet habe – nämlich damit, dass "Monitor" "eine Traditionsmarke des WDR mit einem Alleinstellungsmerkmal" sei, "auch auf Instagram, wo der Kanal erfolgreich läuft". "Monitor" habe, so ordnet DWDL die Sache ein, die meisten Instagram-Follower der Politikmagazine. "Das als Basis für die gesamte Investigativ-Power der ARD zu nehmen, kam für den WDR aber offensichtlich nicht infrage.")
- Bei der heute beginnenden re:publica-Konferenz sind ARD und ZDF pfiffigerweise als "ARD Perspective Lab" und "ZDF Meet Up Corner" vertreten. Sie schicken also "funk" vor, die jungen Programme. Es geht in den Veranstaltungen um die jungen Leute aka Gen Z und wie man ihr "präzise, gesicherte Informationen" zugänglich macht und sie mit Auslandsberichterstattung für die Welt begeistert. (Eher nicht mit Oliver-Pocher-Auftritten jedenfalls, aber das weiß man zumindest bei "funk" gewiss.)
- Und WDR-Programmdirektor Jörg Schönenborn hat dem "Tagesspiegel" (Abo) ein Interview gegeben, in dem er über den weitergehenden und in seinen Augen notwendigen Ausbau der WDR-Präsenz auf TikTok spricht.
Hätte man vorher noch nie etwas von den Öffentlich-Rechtlichen gehört und am Wochenende nun erstmal Artikel über sie gelesen, man könnte womöglich annehmen, es handle sich um Social-Media-Unternehmen.
Marktliberale Evergreens zu ÖRR-Reformen
All diese Bemühungen finden statt im Rahmen der laufenden ÖRR-Reformprozesse. Die sind in vielen Anstalten, wie man hört, deutlich spürbar. Aber es ist eine Frage der Perspektive – außerhalb dieser Anstalten fallen sie längst nicht allen tiefgreifend genug aus. Etwa dem "Kronberger Kreis", dem Beirat der Stiftung Marktwirtschaft, der ein neues Acht-Punkte-Papier (pdf) vorgelegt hat. Das greifen die Bootsleute von "The Pioneer" auf und reichern es mit ergänzenden marktliberalen Evergreens an – etwa dem Zitat des Ko-Autors und Wettbewerbsökonomen Justus Haucap, eine "Zusammenlegung von ARD und ZDF" solle geprüft werden, weil "die Notwendigkeit für zwei bundesweite Sender des öffentlich-rechtlichen Rundfunks kaum zu erkennen" sei.
Weil jeder fordern darf, was er will, sei auch Haucaps Gedanke hiermit zur Kenntnis gegeben, auch wenn er womöglich doch schon leichte Fernsehkochshow-Vibes auslöst – man hat diese Forderung ja schon häufiger gehört. 2021 etwa kam auch Justus Haucap mit seinen Reformideen für die Öffentlich-Rechtlichen schon einmal hier im Altpapier vor, und sie klangen ganz ähnlich.
Damals wurde er hier auch mit einem etwas merkwürdigen Äpfel-und-Birnen-Vergleich zitiert, der gerade heute aber noch einmal hervorholenswert ist:
"Die Reform von ARD und ZDF ist und bleibt ein sehr dickes Brett, und wenn ich darauf wetten sollte, dann kommt die Legalisierung von Cannabis sicher schneller zustande."
Was soll man sagen? Die Wette hat er nicht verloren. Wer es besser mit ARD und ZDF meinte, könnte aber natürlich auch sagen: "Die Reform von ARD und ZDF ist und bleibt ein sehr dickes Brett, und wenn ich darauf wetten sollte, dann kommt sie trotzdem schneller als die vergleichsweise simple Einführung eines Tempolimits auf Autobahnen."
KI gut, KI böse? KI Tamtam!
Wer bei der in dieser Woche stattfindenden Digitalkonferenz re:publica dabei ist: viele KI-Fachleute. Aber weil es sich um eine auch politische Netzkonferenz handelt und nicht um die "Höhle der Löwen", sind es nicht nur solche, die Künstliche Intelligenz bejubeln oder verdammen. Sondern auch Leute wie Matthias Spielkamp von AlgorithmWatch, der in seinem Vortrag der Vorankündigung nach kritisieren wird, dass die Debatte über KI im Sinne der KI-Unternehmen geführt werde. Statt mit einem gesellschaftspolitischen Blick.
Schaden tut den besagten Unternehmen die schwarz-weiße Himmel-Hölle-Debatte über Künstliche Intelligenz tatsächlich sicher nicht. Schon deshalb, weil Aufmerksamkeit eine wichtige Währung ist, wenn es um Innovationen geht, und die bekommen KI-Anwendungen derzeit zur Genüge. Nicht nur, aber vor allem wegen der Popularität und breiten Annahme von OpenAIs Bot ChatGPT und ein paar weiterer Sprachdienste anderer Konzerne.
Dass der Ruf von ChatGPT in den vergangenen Tagen gelitten hat, liegt an der Schauspielerin Scarlett Johansson, die im Film "Her" einst eine KI sprach und sich nicht gefallen lassen will, dass die sprechende ChatGPT-Variante wie sie klingt – obwohl sie eine Kooperation doch abgelehnt hatte. Philipp Bovermann hat in der Samstagsausgabe der "Süddeutschen" (Abo) die seit Tagen immer wieder aufgegriffene Geschichte noch einmal gebündelt via Autorenstück aufgeschrieben:
"Open-AI-Chef Sam Altman (der übrigens nach der Vorstellung der sprechenden Chat-GPT-Variante auf X das Wort 'her’ postete – aber die Ähnlichkeit der Stimmen sei angeblich reiner Zufall, schon klar) inszeniert sich gern als eine Art KI-Oppenheimer. In Interviews spricht er über explodierendes Wirtschaftswachstum, wenn die KI erst so weit sei, sich selbst verbessern zu können, die Entwicklung zur Supersuperintelligenz werde sich dann von selbst beschleunigen; dann wieder gibt er sich wie jemand, der kaum gehen kann unter der Last der Verantwortung, derartige Kräfte zu entfesseln. Wie ein Beschwörer, der sich nicht sicher ist, ob da ein Engel oder ein Dämon durchs Portal treten wird – aber auf jeden Fall etwas ganz, ganz Großes."
Es rieche alles ziemlich nach Werbetamtam, so steht’s im "SZ"-Text. Oder wie es das spezialisierte Social-Media-Watchblog vergangene Woche nannte:
"OpenAI ist auch nur ein stinknormales Tech-Unternehmen. Sam Altman inszeniert sich und seine Firma gern als etwas Besonderes. Dabei verkörpert OpenAI vieles, was im Silicon Valley schiefläuft."
Dass der Journalismus für Innovations-Tamtam wie ein Verstärker wirkt, weil das Ventilieren von Neuem zur journalistischen Arbeit gehört, ist natürlich ein Problem. Aber keines, für das es eine einfache Lösung gäbe. Vielleicht braucht es eine KI, die virale Effekte vorausberechnet und Redaktionen vor womöglich unbeabsichtigten Medienwirkungen warnt?
Altpapierkorb (Arnd Zeigler und die Verwechselbarkeit von Radiosendungen, WDR-Intendanz, Herkunft von Tatverdächtigen, Fall Föderl-Schmid, "Münchner Geschichten")
+++ Apropos ÖRR-Reformen: Arnd Zeigler, bekannt aus Radio und Fernsehen nicht nur, aber vor allem dank "Zeiglers wunderbare Welt des Fußballs", beendet nach mehr als drei Jahrzehnten seine Radio-Bremen-Radiokolumne, "eine Komposition aus Zitaten, Versprechern, immer wieder aufgegriffenen Sprüchen und Kuriositäten des Fußballbetriebs", so fasst es Holger Gertz in der "SZ" (Abo) zusammen. Der Abschied habe mit einer Programmreform im ARD-Hörfunk zu tun. Zeigler soll eine Musiksendung verlieren – also lasse er die Fußballsendung eben auch. Gertz schreibt, das Aus der Formate reihe sich ein "in eine vielerorts mit großer Berechtigung beklagte Entwicklung im öffentlich-rechtlichen Radiobetrieb: dass alles immer mainstreamiger wird, verwechselbarer".
+++ Die Findungsphase für die Nachfolge von WDR-Intendant Tom Buhrow läuft (Altpapierkorb vom Donnerstag), und der "Tagesspiegel" verbreitet die Info, dass Programmdirektor Jörg Schönenbörn die besten Chancen habe. Als favorisiert gilt er jedenfalls, auch der "SZ". Die allerdings schon am Freitag auch fragte: "(W)äre er der Mann, der den WDR reformiert in einer Zeit, in der sich die ARD radikal neu erfinden muss?"
+++ "Immer wieder kommt es vor, dass die Brandenburger Polizei ohne ersichtlichen Grund Angaben zur Herkunft von Tatverdächtigen macht, die dann von Medien aufgegriffen werden", schreibt David Will bei "Übermedien" (Abo): "Die Polizei ermittelt tatsächlich häufig gegen Ausländer, deutlich häufiger aber noch gegen Deutsche. Wenn sie diese Arbeit dann allerdings kommuniziert, dreht sich das Verhältnis um." Die Suche nach Gründen führt Will zum Pressekodex: "Vielleicht hat die Antwort mit jenem schwammigen Begriff zu tun, den der Pressekodex zur Begründung seiner Ausnahmeregelung anführt: dem 'öffentlichen Interesse'. In den Pressekodex wurde diese Formulierung im Jahr 2017 aufgenommen, als Reaktion auf die Kritik nach der Kölner Silvesternacht 2015/16." Auch die Polizei berufe sich mittlerweile auf diese Ausnahmeregelung.
+++ Was aus dem "Fall" Föderl-Schmid und dem Gutachten darüber (Altpapier) zu lernen ist, bespricht Stefan Niggemeier mit Holger Klein im "Übermedien"-Podcast "Holger ruft an".
+++ Vor 50 Jahren liefen Helmut Dietls "Münchner Geschichten" zum ersten Mal. Der Bayernkorrespondent der "taz", Dominik Baur, schrieb eine recht liebevolle Würdigung.
Am Dienstag schreibt das Altpapier René Martens.