Kolumne: Das Altpapier am 22. April 2024: Porträt des Altpapier-Autoren René Martens 4 min
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Kolumne: Das Altpapier am 22. April 2024 von René Martens Der Kontext ist im Arsch

Kolumne: Das Altpapier am 22. April 2024 – Der Kontext ist im Arsch

Begreifen zu viele Journalisten nicht, dass die Demokratie am Abgrund steht? Sollten jene Journalisten, die es begreifen, die Demokratie verteidigen?

Mo 22.04.2024 12:49Uhr 03:51 min

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Kolumne: Das Altpapier am 22. April 2024 Der Kontext ist im Arsch

22. April 2024, 12:36 Uhr

Begreifen zu viele Journalisten nicht, dass die Demokratie am Abgrund steht? Sollten jene Journalisten, die es begreifen, die Demokratie verteidigen? Sind die Versuche antidemokratischer Kräfte, Berichterstattung zu verhindern, massiver geworden? Heute kommentiert René Martens die Medienberichterstattung.

Porträt des Altpapier-Autoren René Martens
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Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Die Wut auf "New York Times" und "Washington Post"

"Am Mittwoch besuchte Jeff Jarvis bild.de und sprach mit den Redakteuren über die Chancen des Online-Journalismus", lautete vor nun auch schon fast 14 Jahren eine Passage über den Journalismus-Professor Jeff Jarvis. In den Nuller-Jahren und zu Beginn der Zehner-Jahre war er regelmäßig Gast auf hiesigen Kongressen zu Medienzukunftsfragen, galt manchen als "Internet-Guru". Heute fällt er vor allem dadurch auf, dass er massiv die Faschismus-Verharmlosung und einen Anti-Biden-Bias in den US-amerikanischen Medien kritisiert. Dass er heute noch von Springer eingeladen wird, ist nicht sehr wahrscheinlich.

"Selbst unsere beste Zeitung, die New York Times, frustriert mich enorm, weil sie nicht weiß, wie sie über den Aufstieg des Faschismus berichten soll, und das ist die eigentliche Story."

Mit diesen Worten zitiert Michaela Haas Jarvis auf der Meinungsseite der Wochenend-SZ. Angesichts dessen, was man von Jarvis sonst zu lesen bekommt, etwa bei Threads, wirkte das auf mich beim ersten Lesen eher moderat. Und tatsächlich, im Original hat er gesagt: "The New York Times (…) has been our best".

Die Überschrift von Haas' Kolumne in der Online-Ausgabe lautet:

"Die Demokratie steht am Abgrund, aber sie begreifen es nicht."

Mit "sie" sind die US-amerikanischen Medien bzw. die Journalisten gemeint. Über einem Text zur Lage des deutschen Politikjournalismus würde diese Headline aber auch nicht deplatziert wirken.

Haas kritisiert:

"Wenn Trump ankündigt, er werde 'das Militär einsetzen, um politischen Widerspruch zu ersticken', verharmlost die Nachrichtenagentur Associated Press diesen Angriff auf die Meinungsfreiheit mit der Schlagzeile: "Trump deutet umfassendere Rolle für das Militär an."

Die Autorin zitiert neben Jarvis auch noch Tara Setmayer, die früher für die Republikanische Partei gearbeitet hat und 2020 nach 25-jähriger Mitgliedschaft austrat:

"Die Medien haben immer noch nicht ihre Lektion aus den Jahren 2016 und 2020 gelernt. Indem sie Biden und Trump gleich behandeln, spielen sie Trumps verstörendes Verhalten, seine Kommentare und Zukunftspläne herunter."

Vor rund drei Wochen sind wir an dieser Stelle ausführlich auf einen Beitrag des "Cleveland Plain Dealer"-Chefredakteurs Chris Quinn eingegangen, in dem er begründet, warum seine Regionalzeitung bei der Trump-Verharmlosungs-Strategie großer nationaler Medien nicht mitmacht. Gegenüber dem Blog presswatchers.org spricht er nun über die Reaktionen der Leser:

"Es gibt viel Wut auf die nationalen Medien, insbesondere auf die New York Times und die Washington Post. Die Menschen haben das Gefühl, dass (NYT und Co.) den Fox-News-artigen Medien erlaubt haben, die Agenda zu bestimmen."

Das gelte zum Beispiel für die ständige Beschäftigung mit Joe Bidens vermeintlich Besorgnis erregenden Aussetzern. Quinn:

"Jeder, der ein ausführliches Interview mit Joe Biden gelesen hat, weiß, dass er kein sabbernder Idiot ist, der nicht sprechen kann. Er ist immer noch im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte. Aber Fox News reiht die Stellen, an denen er stolpert und dumme Dinge sagt, aneinander und versucht, ihn als einen Vollidioten darzustellen, und die Leute, die das sehen, glauben das wirklich."

Auch für seine durch eine Rezension des Buchs "Takeover: Hitler's Final Rise to Power” inspirierten Äußerungen wie "Our nation does seem to be slipping down the same slide that Germany did in the 1930s" - zugespitzt gesagt: seinen Trump-Hitler-Vergleich  - habe er überwiegend Zustimmung bekommen, sagt Quinn. Er geht dann noch einmal darauf ein, was gegen diesen Vergleich spricht, kommt aber zu folgendem Schluss:

"Wir können diese Parallelen gar nicht oft genug ziehen, denn ich denke, dass wir uns in Amerika gerade an diesem Rand befinden."

"Wir sind zu tolerant"

Am Freitag stand beim Kolloquium zum diesjährigen Roman-Brodmann-Preis in Berlin, veranstaltet vom Stuttgarter Haus des Dokumentarfilms und dem Institut für Medien- und Kommunikationspolitik, eine Frage auf der Tagesordnung, die in den von Haas und Quinn beschriebenen Kontext passt (und die im Altpapier oft umkreist und gelegentlich auch direkt gestellt wurde): "Letzte Bastion? Muss Journalismus die Demokratie verteidigen?" So lautete der Titel eines Panels, moderiert von KNA-Mediendienst-Leiter Steffen Grimberg, (der Altpapier-Lesenden bestens bekannt ist).

Als Impuls gab Grimberg ein aktuelles Zitat aus dem "Volksverpetzer" in die Runde. Frederik Mallon schrieb dort Anfang der vergangenen Woche:

"Die demokratische Gesellschaft kann sich nicht darauf beschränken, immer nur hinterherzurennen, Fakten zu checken und Fakes zu widerlegen. Wir müssen selbst unsere eigenen Narrative setzen. Nicht immer nur die falsche Empörung der Springermedien beschwichtigen, sondern uns auch einmal selbst empören."

Man könnte hier von einer Variante der von Chris Quinn erwähnten Kritik sprechen, dass sich etablierte Medien die Agenda aus dem rechten Lager vorgeben lassen.

Inwiefern könnte der Journalismus denn eigentlich die "Demokratie verteidigen", wenn er es denn wollte? Scrollen wir doch mal rein in eine nicht besonders explosive, im allgemeinen Tenor aber natürlich nicht falsche Erklärung, die die Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Redakteursausschüsse nach ihrem Treffen in Bremen (das teilweise parallel zum Roman-Brodmann-Kolloquium stattfand) veröffentlicht hat:

"Unserem Informations- und Bildungsauftrag müssen wir auch in Zukunft gerecht werden (…) In Zeiten gesellschaftlichen Umbruchs und angesichts des Erstarkens demokratiefeindlicher Bewegungen halten wir diesen Auftrag für wichtiger denn je. Durch die Sparmaßnahmen der vergangenen Jahre und die nicht an die Inflation angepasste Finanzierung droht eine Erosion journalistischer Qualität. Wir als redaktionell Mitarbeitende sehen durch diese Einschränkungen damit zunehmend die Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Kernauftrags bedroht."

In einer finanziellen Hinsicht steht der ÖRR wiederum vergleichsweise gut da. Das stellte während der Diskussion beim Brodmann-Kolloquium der NDR-Justiziar Klaus Siekmann heraus. Bei Tageszeitungen sei es "mittlerweile gang und gäbe, dass es gar keine Budgets für Rechtsstreitigkeiten gibt". Der ÖRR sei auch deshalb wichtig, weil er diese Budgets habe.

Und die brauche es angesichts dessen, dass Medien "aus dem blauen Umfeld" dank finanzkräftiger Hinterleute für juristische Auseinandersetzungen prächtig ausgestattet sind. Haben die Berichterstattungsverhinderungsversuche aus diesem Milieu in den vergangenen Jahren zugenommen, fragte Grimberg. Ja, sagte Siekmann - und nannte in dem Kontext eine "Kanzlei aus Köln", die "mit dem erkennbaren Ziel" agiere, "den Betrieb lahmzulegen oder zumindest zu behindern". Teil der Strategie seien ausufernde Schriftsätze, so Siekmann. Aus 35 Seiten gelte es dann erst einmal jene halbe Seite herauszufiltern, auf der es um den eigentlichen Inhalt gehe.

Was nicht für die im Panel-Titel thematisierte Verteidigungsbereitschaft spricht: Dass "wir" nicht laut genug reagieren, wenn Journalistinnen und Journalisten sich Hate Speech und anderen Angriffen ausgesetzt sehen. Das kritisierte die Medienjournalistin Sissi Pitzer aus dem Auditorium heraus. "Wir sind viel zu tolerant", sagt sie in dem Kontext. Und an alle Anwesenden richtete sie die Frage, ob diese sich "vor zehn Jahren" hätten vorstellen können, dass Journalisten von Demos teilweise gar nicht mehr berichten könnten, wenn sie nicht eigene Security-Leute dabei hätten (Altpapier).

Was Deutschland angeht, wäre schon viel gewonnen, wenn Journalisten, die die Demokratie nicht verteidigen wollen, sie zumindest nicht aktiv beschädigen. Ein herzliches Hallöchen an dieser Stelle an den für die Sendung "Caren Miosga" verantwortlichen Norddeutschen Rundfunk.

Eine Anregung zur Frage, wie es anders ginge, liefert Charles Sykes in einem Newsletter für "The Atlantic":

"In our digitally chaotic world, relying on the reporting strategies of the past is like bringing the rules of chess to the Thunderdome."

Frei übersetzt: Die Schachregeln gelten nicht beim Wrestling.

Stattdessen setzt ein zu großer Teil der Journalisten noch auf Politikberichterstattung wie bei Muttern. Es fehlt die Bereitschaft, mit einer Adaption der alten Regeln darauf zu reagieren, dass sich die Welt verändert hat.

An dieser Stelle bietet es sich auch an, aus einem fast ein Vierteljahrhundert alten Stück der HipHop-Gruppe Freundeskreis zu zitieren, die in einem ganz anderen, tja, Kontext rappte:

"Wir tun, was wir immer taten, nur der Kontext ist im Arsch."

Diese Selbsterkenntnis fehlt im deutschen Journalismus.


Altpapierkorb (Streik-Berichterstattung, vergessene Kriege, noch ein Buhrow-Nachfolgekandidat, DuMonts Rotstift-Taktik, SZ-Pauschalisten, Ökojournalismus vom rechten Rand, Klusmanns Mails)

+++ Simon Sahner und Daniel Stähr haben für Zeit Online einen Beitrag geschrieben, basierend auf ihrem Buch "Die Sprache des Kapitalismus" (siehe Altpapier) und nehmen dabei die derzeit populären Narrative beim Thema Streik in den Blick:  "Politik und Unternehmen kritisieren in solchen Fällen häufig die Streikenden: Die Politik 'fürchtet um den Wirtschaftsstandort' und das 'Ansehen unseres Landes', Medien kommentieren, die Streikenden nähmen 'ein ganzes Land in Geiselhaft'. Das ist besonders merkwürdig, wenn man bedenkt, dass in Deutschland im europäischen Vergleich extrem selten gestreikt wird. Sind es hierzulande nicht einmal 20 Streiktage pro Jahr und 1.000 Einwohner, kommen Belgien oder Frankreich im Schnitt auf fast 100."

+++ Ladislaus Ludescher hat seine zuletzt fürs "European Journalism Observatory" verfasste Kritik an der vernachlässigten Berichterstattung über die Kriege des Globalen Südens (Altpapier, Altpapier) nun in der Wochenendausgabe des ND untergebracht. Der Autor kritisiert zum Beispiel: "Als 'tödlichster Krieg des 21. Jahrhunderts' gilt der Zeitung 'El Pais' zufolge der Bürgerkrieg in der nordäthiopischen Region Tigray, in den auch Eritrea verwickelt war und der zwischen 2020 und 2022 schätzungsweise bis zu 600 000 Menschenleben forderte. In den Nachrichten wurde hierüber aber ebenso spärlich wie über die dokumentierten Kriegsverbrechen berichtet." Es wäre aber hilfreich, wenn Ludescher deutlicher machte, ob er, wenn er von "Tagesschau"-Sendungen spricht, die 20-Uhr-Ausgabe meint (was sehr wahrscheinlich ist) oder die Gesamtheit der "Tagesschau"-Ausgaben (pro Werktag acht, nachts drei).

+++ Die "Süddeutsche" greift einen Bericht des "Kölner Stadt-Anzeigers" auf, demzufolge als Tom-Buhrow-Nachfolgekandidat beim WDR auch Tobias Schmid, der Direktor der Landesanstalt für Medien NRW (LfM), im Gespräch sei. Auf SZ-Nachfrage sagt Schmid: "Ich glaube, dass ich in meiner jetzigen Funktion einen ganz guten Beitrag für eine demokratische Medienordnung leisten kann." Humor hat der Mann immerhin.

+++ "Da nähert sich Journalismus der Schweinefütterung", sagte in der vergangenem Woche Friedrich Küppersbusch in der taz zu den Folgen von Sparmaßnahmen der DuMont-Mediengruppe (siehe Altpapier). Zu den Hintergründen nun erneut die taz:"Eingeweihte vermuten, dass die Rotstift-Taktik des Medienhauses auch mit einem kostspieligen Engagement auf anderen Geschäftsfeldern zu tun hat: Die DuMont-Tochter United Marketing Technologies zum Beispiel erwirbt Start-ups wie etwa die Censhare AG, einem Anbieter für Cloud Services, in der Hoffnung, zukünftig damit Gewinne zu erzielen."

+++ "Ein Teil der Aufgaben von Pauschalist*innen bestehe mittlerweile darin, Redakteur*innen zu trösten, die aufgrund der Arbeitsbelastung 'am Untergehen sind', sagt Luca König." Worum geht es? Um die Lage der Pauschalistinnen und Pauschalisten der SZ. Ich habe für "Übermedien" darüber geschrieben. Luca König heißt tatsächlich natürlich anders. Keine für den Text befragte Person wollte mit richtigem Namen genannt werden.

+++ Leon Holly hat sich für die taz mit dem rechtsrandigen Magazin "Die Kehre" beschäftigt. Die habe "zwei langfristige Ziele: den gesamten ökologischen Diskurs nach rechts zu verschieben und die AfD zu begrünen".

+++ Irgendjemand hat an die FAZ Mails durchgestochen, die der SZ-Dienstleister Steffen Klusmann dem berüchtigten "Plagiatsjäger" Stefan Weber geschrieben hat. Was natürlich die Frage aufwirft, wem daran gelegen ist, dass wir alle mitlesen dürfen.

Das Altpapier am Dienstag schreibt Klaus Raab.

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