Kolumne: Das Altpapier am 18. April 2024 Was die Medien-Bubble so bewegt
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18. April 2024, 10:28 Uhr
In Leipzig finden gerade die Medientage Mitteldeutschland statt, wozu nicht nur gern gesehene Gäste der Medienelite eingeladen sind. Außerdem gibt es neue Zahlen zum Medienvertrauen in Deutschland. Heute kommentiert Johanna Bernklau die Medienberichterstattung.
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Medien-Elite in Leipzig
Gestern und heute hat sich die Medien-Bubble in Leipzig versammelt. Der Grund: Die Medientage Mitteldeutschland. Wer gerne name-dropping betreibt, kann ja mal einen Blick auf die Liste der Speaker werfen – dort wird man vor allem in ÖRR-Sphären gewiss nicht enttäuscht.
Apropos ÖRR-Sphären: Dort schwebte man zumindest am Mittwochvormittag zum Auftakt der Medientage. Medienpolitiker, ZDF-Gremienvorsitzende und ARD-Intendanten diskutierten mit "Zukunftsrats"-Vorsitzender Julia Jäkel und KEF-Vorsitzendem Martin Detzel über die Zukunft der Sender und – natürlich – über den Rundfunkbeitrag. Oliver Schenk, Chef der Sächsischen Staatskanzlei, machte deutlich, dass er es nicht beabsichtige, der Empfehlung der KEF, den Rundfunkbeitrag um 58 Cent zu erhöhen, zum 1. Januar 2023 nachzukommen.
Daraufhin bekam er scharfe Kritik von Marlehn Thieme, der Vorsitzenden des ZDF-Fernsehrats und KEF-Vorsitzendem Martin Detzel zu hören, die beide die Rechtsstaatlichkeit des Beitragsverfahrens betonten und den Ländern stark davon abrieten, diesen Weg zu gehen. Steffen Grimberg hat das für den KNA-Mediendienst nochmal detaillierter aufgeschrieben.
Ich verstehe, dass dieses Thema gerade viele in der Medienbranche umtreibt und der ÖRR qua Definition immer ein viel besprochenes Thema ist. Das darf und muss er aber nicht alleine sein: Zweimal musste etwa Heike Raab, Staatssekretärin von Rheinland-Pfalz, daran erinnern, dass zum dualen Rundfunksystem auch private Qualitätsmedien gehören. Und ich möchte an dieser Stelle auch daran erinnern, dass man sich in der Medienbranche zwar oft hinstellt und den Lokaljournalismus als Grundstock der Demokratie in Deutschland lobt, aber ihn häufig nur als Nebenaspekt auf Konferenzen wie diesen behandelt.
Kritik an der Auswahl der Speaker zu den Medientagen gab es übrigens bereits im Vorhinein – bzw. zur Auswahl eines ganz bestimmten Speakers: Julian Reichelt spricht heute in der letzten Talkrunde Seite an Seite mit "Falter"-Journalistin Barbara Tóth und dem Journalisten Hans Demmel, der ein Buch über rechte Medien veröffentlicht hat. Das Thema: "Mehr als Nische? Journalismus von außen". Man könnte auch sagen, es geht um "alternative Medien", wobei das Wort "alternativ" ja mindestens zwei Bedeutungen hat.
Auf Twitter/X kritisierte unter anderem der DJV Thüringen die Einladung Reichelts und fragte, was "nius" mit "gemeinwohlorientiertem Journalismus" zu tun hätte. Ganz im Gegensatz nämlich zu der ebenfalls eingeladenen und durch Spenden finanzierten Wochenzeitung "Kontext". Deren Chefredakteurin sagte laut dem MDR ihre Teilnahme zu ebendieser Gesprächsrunde mit Reichelt ab. Ihre Begründung: "Reichelts Medium 'Nius' verbreite Desinformation und halte journalistische Standards nicht ein".
Verständlich, mit Reichelt nicht auf einer Bühne sein zu wollen. Es aber grundsätzlich schlecht zu finden, Reichelt auf einem Podium auf den Medientagen zu sehen, ist auch zu kurz gedacht. Immerhin trifft er dort auf ein Fachpublikum, das ihn und sein "Wutportal" (Stefan Niggemeier) sehr wohl einzuschätzen weiß. Und eine Bühne außerhalb dieses Fachpublikums gibt man ihm erst dann, wenn außerhalb der Medien-Bubble darüber berichtet wird.
Wie der MDR schreibt, haben die Veranstalter der Medientage Reichelts Teilnahme damit verteidigt, dass sie sich "als Plattform für einen lebendigen und vielfältigen Diskurs" verstehen würden. Naja, ich bin gespannt auf heute Nachmittag – wer nicht in Leipzig ist, konnte die Gesprächsrunden übrigens zumindest gestern (und bestimmt auch heute) auf Phoenix mitverfolgen.
Qualitätskriterium: Glaubwürdigkeit
Ebenfalls Thema auf den Medientagen, aber darüber hinaus auch interessant, sind die neuen Befragungs-Ergebnisse der Mainzer Langzeitstudie zum Medienvertrauen für das Jahr 2023.
Streng genommen gibt es hier nicht wirklich einen News-Faktor, denn das Medienvertrauen ist bei den großen Themen wie Umwelt, Gesundheit oder politischen Skandalen, verglichen mit den vergangenen Jahren, weitgehend stabil geblieben. Die Forschenden stellten bereits nach den Befragungen der Vorjahre fest, dass das Vertrauen während der Corona-Pandemie einen Höchststand erreichte, der nur von kurzer Dauer sein könne.
Und so ist es auch: Die neuen Zahlen fallen leicht auf den Stand vor Corona zurück. Damit vertrauen 44 Prozent der Deutschen den Medien eher oder voll und ganz, 31 Prozent nur teilweise. Bei jedem vierten Bürger ist die Glaubwürdigkeit der Medien jedoch tendenziell verloren gegangen. Die Forschenden der Uni Mainz schreiben: "Der harte Kern an Menschen, der Medien nicht vertraut, ist mittlerweile fester Bestandteil der Nutzerinnen und Nutzer."
Von dieser eher großen Einschätzung nach dem Mediensystem insgesamt kommt die Studie zu einer kleinteiligeren Frage: Erstmals fragen die Forschenden die Studienteilnehmer offen nach konkreten Medienangeboten, denen sie vertrauen. Auffallend dabei ist der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk: Nimmt man sämtliche Nennungen zusammen, die zum ÖRR gehören, wird er bei 1200 Befragten über 700 Mal genannt. 76 Mal finden Befragte keine Antwort auf die Frage nach einem vertrauenswürdigen Medienangebot, 57 Mal (also 5% der Befragten) heißt es explizit, dass es kein vertrauenswürdiges Medium gebe.
Trotzdem zeigten die Ergebnisse deutlich, "dass die meisten Menschen in dem sehr vielfältigen Medienangebot in Deutschland ihre Nische finden" würden. Die Forschenden halten in Bezug auf die erste Frage auch fest:
"Dem Mediensystem insgesamt nicht zu vertrauen, bedeutet demnach nicht automatisch, gar kein Medienangebot zu finden, das vertrauenswürdig erscheint.
Altpapierkorb (DFL-Auktion gestoppt, 45 Jahre taz, Studie über Heizungsgesetz, neue "Zeit"-Ressorts, TikTok, Scholz auf WhatsApp)
+++ Die Auktion um die Fußballübertragungsrechte der Deutschen Fußballliga wurde frühzeitig gestoppt. Der Grund: Streamingdienst "Dazn" wirft dem DFL in einem Anwaltsschreiben vor, dass der DFL in der Entscheidung, wer die beliebtesten Übertragungsrechte aus Paket B erhalten soll, gegen das Kartellrecht verstoße. Genaueres bei der Frankfurter Rundschau.
+++ "Happy Midlife-Crisis”: Die "taz” feiert ihren 45. Geburtstag mit einem langen Selbstreflexions-Interview unter Kollegen und fragt sich, für was sie eigentlich noch steht. Ist sie noch links genug? Für wen werden die Texte geschrieben? Wird intern noch genug gestritten? Der (leider mit einigen Flüchtigkeitsfehlern gespickte) Text ist erfrischend zu lesen – und allein, wegen der öffentlichen Selbstreflexion Beweis genug dafür, dass die "taz" immer noch anders ist als die anderen.
+++ Heute erscheint eine Studie zu der Berichterstattung zum Gebäudeenergiegesetz aka "Heizungsgesetz" aka "Heiz-Hammer" und inwiefern Medien unfair darüber berichtet haben. Der "SZ" lag sie schon vorab zur Analyse vor.
+++ Während "SZ", der "Kölner Stadtanzeiger" und die "Hamburger Morgenpost" Stellen abbauen, gründet die "Zeit" gemeinsam mit "Zeit Online" zwei neue Ressorts und schafft Stellen im Datenjournalismus und für ein KI-Technik-Team (via Twitter/X).
+++ Die neue App "TikTok Lite", die in Europa aktuell nur in Spanien und Frankreich verfügbar ist, fällt mit noch mehr Suchtpotenzial auf als das "normale" TikTok. Der "Spiegel" berichtet, dass die neue Version ein Punktesystem beinhalte, mit dem User für mehrere Stunden Videokonsum mit digitalen Münzen belohnt werden, die sie dann z.B. in Amazon-Gutscheine umwandeln können.
+++ Nach TikTok ist jetzt auch der eigene WhatsApp-Channel dran: Olaf Scholz hat dort gestern mit einer Sprachnachricht, die zum Einschlafen auch gut geeignet wäre, den neuen Kanal der Bundesregierung offiziell eingeweiht ("Spiegel").
Das Altpapier am Freitag schreibt Ralf Heimann.