Kolumne: Das Altpapier am 12. April 2024: Porträt der Altpapier-Autorin Johanna Bernklau 4 min
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G
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Über konstruktiven Journalismus in der "tagesschau", Björn Höcke auf "Welt TV" und Faktenchecks und wo sie zu finden sind.

Sa 13.04.2024 08:25Uhr 04:16 min

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Kolumne: Das Altpapier am 12. April 2024 Ein Faschist im Fernsehen

12. April 2024, 10:20 Uhr

Über konstruktiven Journalismus in der "tagesschau", Björn Höcke auf "Welt TV" und Faktenchecks und wo sie zu finden sind. Heute kommentiert Johanna Bernklau die Medienberichterstattung.

Porträt der Altpapier-Autorin Johanna Bernklau
Bildrechte: MEDIEN360G

Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

"Herr Höcke, nur zu"

Wie und ob man mit der AfD beziehungsweise einem Faschisten medial sprechen sollte, darüber wurde bereits ausführlich diskutiert, zum Beispiel hier. "Welt TV" hat sich dafür entschieden, gestern Abend lief dort das TV-Duell zwischen Björn Höcke und CDU-Mann Mario Voigt.

"Welt TV"-Chefredakteur Jan Philipp Burgard sagte zu der Entscheidung, mit Höcke zu reden, in der "FAZ", dass das TV-Duell "der Versuch einer neuen Form der inhaltlichen Auseinandersetzung" sei, da die "Strategie des Totschweigens und Nichtbeachtens sowie der Pauschalkritik an der AfD erkennbar nicht funktioniert". Auf die Frage, ob es denn nicht gefährlich sei, der AfD eine solche Plattform zu bieten, antwortete Burgard:

"Ein 'Forum' hat die AfD auch ohne TV-Sender. Über die sozialen Medien erreicht die AfD ungefiltert Millionen von Menschen, allerdings ohne sich Widerspruch oder kritische Nachfragen gefallen lassen zu müssen. Deshalb unternehmen wir diesen Versuch eines neuen Umgangs mit der AfD in der direkten Konfrontation mit dem politischen Gegner."

Die direkte Konfrontation gelang den beiden Moderatoren mal mehr und mal weniger gut. Doch so weit, wie der vom MDR interviewte Theologe Frank Hiddemann, würde ich nicht gehen. Hier ein Auszug aus dem Text:

"Den eigentlichen Skandal des Abends machte Hiddemann aber beim Moderationsteam aus: 'Die sind zum Teil auf Höcke losgegangen. Das war unprofessionell und ein kapitaler Fehler', urteilte Hiddemann. 'Da wird sich die AfD jetzt wieder als Opfer stilisieren und sagen können, es gäbe keine unabhängige Presse mehr.'"

Widerspricht man als Moderator seinem Gegenüber hart, macht man seinen Job richtig. Ein "Skandal" ist das also nicht. Schlimmer wäre es, wenn man seinem Gegenüber nicht widerspricht. Auch das ist bei einigen Punkten passiert. Inwiefern es auch schlau ist, eine Frage an einen Faschisten mit "Herr Höcke, nur zu" einzuleiten, wie es "Welt"-Chefmoderatorin Tatjana Ohm gestern getan hat, muss man nicht diskutieren. Die Einschätzung Hiddemanns zeigt damit aber wieder genau das, was wir doch eigentlich schon längst wissen: Bei Interviews mit der AfD macht man immer etwas falsch.

Genau deswegen gibt es sie doch: die heiß geliebten Faktenchecks. "Welt", "Spiegel" und Höcke himself haben bisher einen veröffentlicht – jetzt muss man sich nur noch den aussuchen, der einem am besten in den Kram passt. Höcke verweist während des TV-Duells mehrmals auf den "alternativen Faktencheck" auf seinem X-Account.

Dass im Nachhinein bei weitem nicht alle Leute, die das Duell gesehen haben, die factchecks checken, ist klar. Doch selbst, wenn man sich die Artikel von "Welt" und "Spiegel" anschaut, fällt gleich zu Beginn das nächste Problem auf.

Der "Spiegel" schreibt: "Ein Überblick über die wichtigsten Punkte – ohne Anspruch auf Vollständigkeit." 

Die "Welt" schreibt: "WELT macht den Faktencheck zu bemerkenswerten Behauptungen von Björn Höcke und Mario Voigt".

Konstruktiver Journalismus in der "tagesschau"

Die "tagesschau" arbeitet daran, ihre 20-Uhr-Ausgabe zu verändern, um wieder mehr Zuschauer zu erreichen. Das berichtet die Leiterin des Innovationslabors von "ARD-aktuell", Sara Maria Manzo, in der aktuellen "journalist"-Folge "Mein Blick auf den Journalismus". Wie das gehen soll? "Mehr Schwerpunkte mit Hintergründen und lebensnahen Beispielen", "höhere Erkläranteile" und "konstruktive Ansätze". So weit, so solide. Besonders positiv überrascht war ich beim konstruktiven Journalismus, den sich die "tagesschau" nun offenbar auf die Agenda schreibt.

Noch im Januar (Altpapier) gab es von "Zeit"-Redakteurin Anna Mayr harte Kritik an der "tagesschau", die "als Format gescheitert" sei. Ein Format, das seit 1961 mehr oder weniger gleich sei. Jetzt soll es sich offenbar ändern – doch die vierte angekündigte Veränderung in Manzos Text wirft Fragen auf:

"Meldungen aus Kultur, Sport oder beeindruckenden Wetterbilder zum Schluss, damit man am Ende der Sendung lacht oder staunt. Ein Bericht über den neuen Beatles-Song oder die Darts-WM zum Beispiel."

Damit man am Ende der Sendung lacht oder staunt? Genau hier liegt der Trugschluss, den viele Journalisten aus dem Begriff "Konstruktiver Journalismus" ziehen: Am Ende des Berichts nochmal auf Teufel komm raus eine positive Wendung hinbekommen.

Ellen Heinrichs, Gründerin des "Bonn Institutes", das sich für die Vermittlung von konstruktivem Journalismus einsetzt, hat genau darüber im "BR24"-Medien-Podcast im vergangenen Oktober gesprochen:

"Konstruktiver Journalismus ist absolut kein Format. Das ist auch nicht die gute Nachricht am Ende einer Sendung oder der bemüht positive Ausblick, den man dann noch wagen möchte. Nein, konstruktiver Journalismus ist insgesamt eine […] nutzerfreundliche oder menschenfreundliche Grundhaltung von Journalistinnen und Journalisten."

Auf die Nachfrage, ob sie nicht glaubt, dass es die Aufgabe von Journalisten ist, gerade über die Sachen zu berichten, die schlecht laufen, antwortet sie:

"Es ist eine journalistische Grundhaltung, die ich zum Teil verwunderlich halte, dass wirklich automatisch immer geglaubt wird, dass in dem Moment, wo wir ausschließlich über Dinge berichten, die nicht funktionieren oder die nicht gut sind, dass das dann in irgendeiner Form eine besondere Relevanz hat."

Es könne dagegen auch relevant sein, über Überraschendes zu berichten, etwa, wenn Menschen auf eine Art zusammenhalten würden, die man so noch nicht gesehen hat. Diese Argumentation passt auch dazu, was Kommunikationspsychologin Michaela Maier, die ich für "Übermedien" interviewt habe, zum Klickverhalten von Rezipienten sagt:

Grundsätzlich habe der Mensch ein positives Setup, weshalb negative Nachrichten davon erstmal abweichen würden. Hat der Mensch den Tag über aber vor allem negative Nachrichten konsumiert, ist der positive Beitrag das, was vom gewohnten Tenor abweicht, weshalb man dann eher auf das überraschende Positive klicken würde als auf einen negativen Beitrag.

Insofern: Tolle und längst überfällige Pläne bei der "tagesschau" – das beeindruckende Wetterbild zum Schluss aber wird eher nicht der Faktor sein, der die Zuschauerzahlen steigen lässt.


Altpapierkorb (Rügen vom Presserat, PKS, RSF-Mitarbeiterin ausgewiesen, rbb, Anne Will)

+++ Neue Rügen vom Presserat gingen unter anderem an die "B.Z." für ein heimlich erstelltes Foto, an die "Bild" für die Veröffentlichung eines Fotos von einem Mordopfer und an den "Focus" für ein sensationsgeiles Foto.

+++ Über die Polizeiliche Kriminalstatistik, eines der immer wiederkehrenden Lieblingsthemen im Journalismus, hat Andrej Reisin bei "Übermedien" geschrieben. Dass die Statistik weder die Realität begangener Straftaten abbildet, noch objektiv sinnvolle Kategorien bildet, schreckt Medien nicht davon ab, trotzdem darüber zu berichten.

+++ Einer Mitarbeiterin von "Reporter ohne Grenzen" wurde am Donnerstag die Einreise nach Hongkong verwehrt. Bei ihrer Ankunft wurde sie laut RSF "sechs Stunden lang festgehalten, durchsucht, verhört und schließlich ausgewiesen" – unter einem "nebulösen Vorwand", wie sie sagt.

+++ Katrin Günther wird nach Martina Zöllner nun neue Programmdirektorin beim rbb. Das berichtet unter anderem dwdl.de.

+++ Anne Will macht "was Neues" – ihrem wenig aussagekräftigen YouTube-Video nach zu urteilen, wird es sich wahrscheinlich um einen Podcast handeln. Start dafür ist nach eigenen Angaben der 18. April. +++

Das Altpapier am Montag schreibt Christian Bartels. Schönes Wochenende!

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