Kolumne: Das Altpapier am 9. April 2024: Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels 4 min
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Kolumne: Das Altpapier am 9. April 2024 Wie einst Franz Alt und Bednarz

09. April 2024, 10:36 Uhr

Das jüngste ÖRR-Manifest überzeugt kaum jemanden richtig. Und setzt vielleicht gerade deshalb tatsächlich eine Debatte in Gang. Die ARD-Radios wollen Champions League-Fußballspiele, aber auch Opern gemeinsamer als bisher live übertragen. Der Bundeskanzler beginnt ausgerechnet vor seiner China-Reise zu tiktoken. Heute kommentiert Christian Bartels die Medienberichterstattung.

Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels
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Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Manifests-Debatte auf Hochtouren

Seit sechs Tagen ist das pompös betitelte "Manifest für einen neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland" in der Welt (Altpapier). Seither zeigt sich: Im länglichen Manifests-Text finden viele Sätze, die sie ganz bestimmt nicht unterschreiben würden ... und allerhand Sätze, die womöglich doch. Vielleicht liegt derzeit gerade darin ein Geheimnis echter Breitenwirkung. Dieses Manifest scheint tatsächlich eine Debatte anzustoßen. 

Gut hören lässt sich das zum Beispiel im RBB-"Medienmagazin" (Audio). Da kommen vier Leute nacheinander zu Wort: erst der Initiator Ole Skambraks mit einer wortreichen "Audiobotschaft", in der er auch selber nochmals die Corona-Berichterstattung als Ausgangspunkt benennt (wie im eingangs verlinkten Altpapier schon kritisch vermutet wurde). Dann widerspricht der ZDF-Journalist Hubert Krech als Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Redakteursausschüsse "dem sogenannten Manifest" "in ganz wesentlichen Punkten"; nachlesen lässt sich die AGRA-Stellungnahme z.B. bei "Telepolis".

"Minderheitenmeinungen werden sehr schnell abgestempelt", widerspricht wiederum Michael Schmidt, der einst noch für den Deutschen Fernsehfunk, also das DDR-Fernsehen tätig war, und nun als Rentner dem NDR-Rundfunkrat angehört. Besonnen erklärt er, warum er dieses Manifest unterschrieb. Zwar gebe es tatsächlich einen "Widerstreit der Meinungen innerhalb der Redaktion", bloß erführe das Publikum davon zu wenig. Zum Beleg führt er den vor einem Jahr veröffentlichen "Klimabericht" zum Arbeitsklima im NDR (Altpapier) an. Dann widerspricht Steffen Grimberg seitens des Berlin-Brandenburger Verbands der Journalistengewerkschaft DJV: Das Manifest käme "aus einer zu fragwürdigen Ecke"; die Forderung, dass im "neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunk" "neutral, multiperspektivisch und zensurfrei im Rahmen des Grundgesetzes berichtet" werden soll, unterstelle, dass derzeit zensiert würde.

Im Deutschlandfunk war das Manifest gestern gleich doppelt Thema. Am Morgen traten die ehemalige HR-Chefredakteurin Luc Jochimsen (Jahrgang 1936) und der umso jugendlichere Kraftmeier Mika Beuster für den Bundes-DJV gegeneinander an. "Es ist nicht alles falsch, was im Manifest drin steht", sagte später in der Mediensendung "medias@res" dann der WDR-Chefredakteur Stefan Brandenburg. Es sei bloß "manches ... sehr diffus", anderes "rückwärtsgewandt" oder doch auch "schlicht falsch". Brandenburg geht es da wie vielen Medienmenschen oder überhaupt Zeitgenossen: Sie fühlen sich bestätigt. "Wir sind uns zu ähnlich", hatte er neulich in der "Zeit" geschrieben. "Dass wir uns zu schnell einig sind", gesteht er nun zu (und das "Wir" meint den öffentlich-rechtlichen Rundfunk). Ralf Heimann hatte den "Zeit"-Essay hier im Altpapier kritisiert. Für meinen Geschmack hat Brandenburg da recht. Angesichts der Tatsache, dass der deutsche öffentlich-rechtliche Rundfunk aus mindestens zwei Senderfamilien mit jeweils sehr vielen Programmen besteht, die sich nach eigenen Angaben ja sogar publizistischen Wettbewerb liefern, gibt es viel zu viel vom Gleichen. Und sehr wenige unterschiedliche Perspektiven darauf. (Wobei ebenfalls zum Bild gehört, dass auch ich diese Meinung hier in einem Internetauftritt des öffentlich-rechtlichen Rundfunks äußere).

Einen einzelnen, sonst wenig beachteten Satz aus dem Manifest griff dann noch die "Welt" auf, und zwar diesen: "Die Archive des neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunks sind frei zugänglich". "Das wäre für die Zeitgeschichte ein wichtiger Fortschritt", argumentiert Geschichts-Redakteur Sven Felix Kellerhoff:

"Ob Nachrüstung oder Kernenergie, Waldsterben oder Umweltverschmutzung: Das bundesdeutsche Publikum schaltete die Fernseher ein, wenn in den 1970er- und 1980er-Jahren 'Report' mit Franz Alt oder 'Monitor' mit Klaus Bednarz auf Sendung gingen. Denn die beiden betont linken Moderatoren und ihre Redaktionen brachten immer wieder Beiträge, die für Tage, manchmal Wochen die öffentliche Diskussion in der Bundesrepublik prägten – oft mehr als Debatten im Bundestag. Wer freilich dieser Wirkung als Historiker nachforschen will, muss sich in Geduld üben ..."

Dann nennt er Beispiele, wie die "Welt" und er selbst beim Nutzen-Wollen der Archive behindert worden seien. Klar polemisiert Kellerhoff da auch ein wenig im Springer-Stil ("Ist es vielleicht die Sorge, nachträglich der Manipulation oder gar der Lüge überführt zu werden?"). Aber beiläufig trifft er einen größeren Punkt: Alt und Bednarz hatten Biss und besaßen Überzeugungskraft, weil zu ihren Zeiten andere Meinungen in den eigenen Anstalten und erst recht in der ARD stark vertreten waren, und sie gegen diese argumentieren mussten. Das hatte ihre Argumentation geschärft und ihnen Nimbus verschafft. Auch deswegen konnten sie wesentlich und vor allem nachhaltig zur Meinungsbildung beitragen. So etwas fehlt heute. Oder argumentiert noch irgendeine der inzwischen sehr zahlreichen öffentlich-rechtlichen Sendungen regelmäßig gegen andere an, vom notorischen Dieter Nuhr mal abgesehen?

Sportrechte, Champions League, Opern

Die Öffentlich-Rechtlichen sollen, müssen und wollen ja auch sparen. Aber wieviel und woran, dazu herrscht dann wieder schönste Meinungsvielfalt.

Zum Beispiel, was die immer teureren Sportrechte angeht. Im kommenden Sommer, wenn sowohl eine Fußball-EM als auch Olympische Spiele auf dem Programm stehen, drängt die Frage wieder. "FAZ"-Autor Helmut Hartung, der sie gerade schon mal auf die Tagesordnung setzte (Altpapier),  hat für sein Portal medienpolitik.net nun den RTL-Deutschland-Chef befragt. Stephan Schmitter lobt natürlich ausgiebig das RTL-Programm, klagt aber auch:

"Ein Überbieten der Angebote privater Sender befeuert die Preisspirale im internationalen Sportrechtemarkt und verstetigt den Preisdruck auch für kommende Rechteausschreibungen. Diese Entwicklung führt dazu, dass attraktive Sportrechte künftig verstärkt nur noch in internationalen, hochpreisigen Sport-Abo-Paketen oder eben im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zugänglich wären, der ohne Refinanzierungsdruck agiert. Diese Dynamik sollte auch durch die Politik durchbrochen werden ..."

Wobei sich dafür die Medienpolitiker aus den Staatskanzleien der Bundesländer einigen müssten, die andererseits naturgemäß Interesse daran haben, dass ihre Ministerpräsidenten oft vor großem, gut gelauntem Fernsehpublikum zu sehen sind. Was eignete sich da besser als Nachrichtensendungen im Umfeld großer Sportereignisse? Eine schon länger angekündigte Einspar-Initiative, die in Kürze wirksam wird, klingt nicht so, als würde die ARD bei Sportübertragungen sparen wollen:

"... Dienstags und mittwochs hält der 'ARD Infoabend' über die Entwicklungen des Tages auf dem Laufenden und überträgt Spiele der Champions League mit deutscher Beteiligung und des DFB-Pokals. Freitags startet mit 'Sportschau live - Der ARD-Sportabend' ebenfalls ein neues kooperiertes Format, das ausführlich von der Fußball-Bundesliga, der 2. Bundesliga sowie über nationalen und internationalen Spitzensport berichtet - live und hintergründig",

teilt die ARD mit. Wohlgemerkt, da geht es um Radio. Übertragungen, also Livesendungen von Champions League-Fußballspielen im Fernsehen sind selbst für den bestausgestatteten öffentlich-rechtlichen Rundfunk der Welt zu teuer. Ergänzen ließe sich, dass die deutschen Clubs aktuell um einen fünften Startplatz für diesen teuersten Fußball-Wettbewerb spielen. Vielleicht wäre das schön für einen Verein aus Dortmund oder Leipzig (der andernfalls zwar live im frei empfangbaren RTL-Fernsehen, aber für klar weniger Geld spielen müsste). Für die Sender kostenneutral dürften noch mehr deutsche Champions League-Spiele kaum abgehen ... Das ist vorläufig nur ein Randaspekt. Vor allem also kündigen sowohl die Info- als auch die Kultur-Radiowellen der ARD-Anstalten gemeinsame Abendprogramme an. Außer einem neuen "Debattenformat" namens "Mitreden! Deutschland diskutiert" soll sogar die Kultur im klassischeren Sinne, in Form eines gemeinsamen Opernabends ebenfalls mit Live-Übertragungen, zu ihrem Recht kommen.

Kanzler-Tiktok, Drohnen zur Reporter-Überwachung (China)

Sehr viele herausragende Medienauftritte legt Bundeskanzler Scholz nicht hin. Was immerhin zur Hoffnung verleiten mag, dass er mehr Wert auf gutes Regieren legt als auf Medienauftritte, oder sich Klügeres denkt, als er medienöffentlich so sagt. Was er nun jedenfalls sagte: "Ich tanze nicht. Versprochen". Da geht es um den Tiktok-Account, den die Bundespresseamts-Behörde nun startete

"Dass das Bundespresseamt sich auf die chinesische Plattform, bei der die Sorge vor staatlicher Einflussnahme besteht, ausgerechnet in der Woche begibt, an deren Ende Kanzler Scholz zu einer längeren Chinareise aufbricht, sei Zufall",

zitiert die "FAZ" (Abo) Regierungssprecher Steffen Hebestreit. Wobei die Chinesen es vielleicht doch als vertrauensbildende Maßnahme begreifen, wenn deutsche Behörden Datenmassen genauso schulterzuckend nach China strömen lassen wie nach Kalifornien, sofern es nur der eigenen Partei im Wahlkampf helfen könnte. Was aber nur für Nutzerdaten gilt, nicht für solche vom Regierungschefs-Smartphone:

"... für den Betrieb des kanzlereigenen Tiktok-Kanals gelten laut Bundespresseamt besondere Sicherheitsvorkehrungen. Um zu gewährleisten, dass die Tiktok-App keinerlei Zugriff auf behördeninterne Daten erhalte, werden Tiktok-only-Telefone angeschafft. Die Geräte seien ausschließlich für die Nutzung der App und das Veröffentlichen von Inhalten auf dem Kanal vorgesehen, heißt es aus dem Amt. Auf seinem Diensthandy wird sich der Bundeskanzler also nie beim Regieren zuschauen, geschweige denn auf Kommentare reagieren können",

beruhigt die "taz". Zwar wird neues Equipment angeschafft, aber neue Arbeitsplätze würden nicht geschaffen, ergänzt "epd medien":

"Der TikTok-Account des Bundeskanzlers werde von neun Social-Media-Redakteuren des Bundespresseamtes betrieben, die sich um alle Social-Media-Auftritte des Bundespresseamtes gemeinsam kümmerten, teilte Regierungssprecher Hebestreit mit".

Vielleicht ist es Zufall, dass @teambundeskanzler ausgerechnet vor Scholz' großer China-Reise zu tiktoken beginnt. Vielleicht ist es keiner, dass der Foreign Correspondents’ Club of China just seinen neuesten Bericht zur weiter verschlechterten Lage internationaler Reporter in China veröffentlichte. Darüber berichten netzpolitik.org mit vielen Links und der Pekinger Korrespondent Jochen Stahnke in der "FAZ". Z.B.:

"Neuerdings werden gegen Reporter auch Drohnen eingesetzt. 'Auf einer kürzlichen Reise in zwei Provinzen über den Zusammenhang zwischen Klimawandel und extremen Wetterereignissen wurden wir von Wagenladungen von Zivilbeamten verfolgt', berichtet ein Journalist. 'Drohnen wurden geschickt, um uns zu verfolgen und zu beobachten, wenn wir für Interviews aus unserem Fahrzeug stiegen. Wenn wir uns zu Fuß zu einem bestimmten Ort bewegten, folgten uns die Drohnen.' Besonders eingeschränkt blieb die Arbeit in der von muslimischen Uiguren bewohnten Region Xinjiang ..."

Wenn es dem Social-Media-Team des Bundeskanzleramts gelingt, ein Video mit statisch stoischem Kanzler im Vordergrund und einer oben im Bildhintergrund tanzenden Kamera-Drohne zu posten, das wäre mal ein echter aufklärerischer Coup.


Altpapierkorb (SWR-gefeuerte Moderatorin, Haldenwang-Kritik, RBBs Radio 3, Talkshowmoderatoren-Schlagzeilen)

+++ "Die Analogie zur Nazi-Propaganda mag in manchen Fällen ein Holzhammer sein, der mit zunehmender Nutzung brüchig wird und irgendwann keine Wirkung mehr hat, nur noch ein Schulterzucken hervorruft. In diesem Fall allerdings ist er nötig", kommentierte die "Welt" (Abo). Und tatsächlich, sehr schnell, nachdem der X/Twitter-Account "ÖRR Antisemitismus Watch", der von Öffentlich-Rechtlichen-Aficionados oft kritisiert wird, aber halt nicht selten recht hat, den Vergleich "'Kauft nicht bei Juden' in der 2024er Version" geposted hatte, trennte der SWR sich von seiner Moderatorin Helen Fares. Das Selfievideo, in dem Fares in einem Supermarkt Milchprodukte zu boykottieren empfahl, deren Hersteller mit Israel zu tun haben sollen, ist im Antisemitismuswatch-Post noch zu sehen. +++ Fares hatte für die Sendung "MixTalk" moderiert, die die ARD nicht völlig exklusiv für die Amazon-Plattform twitch.tv produziert, sondern auch für ihre Mediathek .... nee, für die Mediathek offenbar nicht. Aber auf mixtalk-swr.de wäre die Sendung auch zu sehen. +++ "Wer sich selbst als "Aktivistin" beschreibt, sollte vllt. grundsätzlich nicht im ÖRR moderieren", meint "Tagesspiegel"-Reporter Julius Betschka.

+++ Unter der Überschrift "Wo bleibt der Aufschrei?" kritisiert der ehemalige SWR-Intendant Peter Voß auf der "FAZ"-Medienseite (Abo) das "Gebaren eines wahrscheinlich rechtlich, gewiss aber ordnungspolitisch und moralisch seine Zuständigkeit überdehnenden Geheimdienstchefs", nämlich des Verfassungsschutz-Präsidenten Thomas Haldenwang. Um Pläne der Bundesministerinnen Faeser und Paus, die Meinungsfreiheit nach ihren parteipolitischen Vorstellungen zu kanalisieren, geht es.

+++ Geduldig ins frisch umbenannte und -formatierte RBB-Radio 3 (um das es vorigen Mittwoch hier ging) hat Joachim Huber für den "Tagesspiegel" gehört: "Der RBB hat mit dem hörenswerten 'Radio 3 am Morgen' Beachtliches gestartet. Das Bemerkenswerte darf noch dazukommen", meint er enigmatisch. Ich selbst hatte auch ein paar Mal reingehört und halte die statt Klassik eingesetzte Pausenmusik für ein Um- bzw. Ausschaltsignal allererster Güte. +++ "Auch von der aktuellen 'Reform' erwartet die Kulturszene der Hauptstadtregion nichts Gutes. 'Mit dem erneuten Namenswechsel könnte eine erneute Sparrunde bei den Beschäftigten und im Programm einhergehen', fürchtet ein Bündnis verschiedener Verbände, dem neben ver.di  unter anderem der Landesmusikrat, der VS und der bbk (Bildende Künste) angehören", schrieb Günter Herkel bei mmm.verdi.de. +++

+++ "Leser:innen bekommen von Online-Medien die ohnehin schon oft nicht besonders ausgeprägte Restfähigkeit abtrainiert, zu unterscheiden, was wirklich relevant ist und was bloß ein schmutziger Trick zur Klickgenerierung. Am Ende sieht ja alles gleich aus", schließt Peer Schader in seiner dwdl.de-Kolumne zu den zahlreichen Talkshowmoderatoren-Schlagzeilen des "zum Werbevermarkter Ströer gehörenden Jekyll-&-Hyde-Portals T-Online, wo gleichzeitig seriöse Recherchen und als Service-Journalismus getarnter Clickbait erscheinen". +++

Das nächste Altpapier schreibt am Mittwoch René Martens.

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