Kolumne: Das Altpapier am 8. April 2024: Porträt des Altpapier-Autoren Klaus Raab 4 min
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Der ultrarechte Fake-News-Stratege Steve Bannon denkt sich ein abwegiges AfD-Wählerpotenzial aus – und wird damit prompt in Überschriften zitiert.

Mo 08.04.2024 11:48Uhr 03:54 min

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Kolumne: Das Altpapier am 8. April 2024 Desinformationsvielfalt

08. April 2024, 10:41 Uhr

Der ultrarechte Fake-News-Stratege Steve Bannon denkt sich ein abwegiges AfD-Wählerpotenzial aus – und wird damit prompt in Überschriften zitiert. Und auch sonst geht es heute um Debatten entlang der Fronten von Kulturkämpfen. Heute kommentiert Klaus Raab die Medienberichterstattung.

Porträt des Altpapier-Autoren Klaus Raab
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Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Steve Bannon kündigt etwas an

Die Berichterstattung darüber, wie vielfältig Desinformation und Propaganda sind, ist derzeit einigermaßen vielfältig. Wer etwa wissen möchte, was Voice of Europe für ein Laden ist, dessen Name im Zusammenhang mit den Vorwürfen an den AfD-Abgeordneten Petr Bystron immer wieder fällt, könnte sich 28 Minuten Podcast des Bayerischen Rundfunks anhören. Wer wissen will, wie die "Epoch Times", die manche womöglich für ein ernstzunehmendes Medium halten, Entertainment und propagandistische Aufwiegelung zusammenmengt, kann dem Rat von Christian Stöcker (bei BlueSky) folgen und einen Forschungsartikel aus "New Media & Society" darüber lesen. Um Fragen rund um TikTok geht es später im Altpapierkorb…

Und die Nachricht, dass der Desinformationsverbreitungsexperte, Rechtsaußen und frühere Trump-Stratege Steve Bannon seinen unter Ultrarechten, Nationalradikalen und anderen Fake-News-Fans verbreiteten Podcast auch nach Deutschland bringen möchte, um die AfD zu pushen, ist in einen längeren "Spiegel"- und, marginal verändert, spiegel.de-Artikel (Bezahlinhalt) eingebettet.

Diese Ankündigung hat es als Nachricht in diverse andere Medien geschafft. Dass der Podcast wirklich auf Deutsch erscheint, ist aber natürlich nicht ausgemacht, nur weil Bannon es im Gespräch mit einem deutschen Journalisten ankündigt. Zumal durch rein gar nichts gedeckt ist, was Bannon im "Spiegel"-Text als AfD-Wählerinnen- und Wählerpotenzial in Deutschland behauptet ("50 bis 60 Prozent") – er behauptet hier lediglich die potenzielle Existenz einer Mehrheit, die es nicht gibt. Man muss mit solchen strategischen Behauptungen also sehr vorsichtig umgehen. Mit Artikelüberschriften, in denen diese Behauptungen einfach reproduziert werden ("…will AfD-Werte auf 60 Prozent hochtreiben", so etwa der "Kölner Express" online) geht man Bannon schon auf den Leim.

Das Format des "Spiegel"-Texts ist immerhin keine Homestory und kein Wortlaut-Interview, sondern ein Fließtext mit Zitaten, was klare und einordnende Worte über die reine Zitatwiedergabe hinaus ermöglicht. Was zu Bannons Medienstrategie gehört, steht auch im Text:

"In einem Interview mit dem Journalisten Michael Lewis im Jahr 2018 sagte Bannon, beim Kampf um die Macht seien die etablierten Medien der eigentliche Feind. 'Man bekämpft sie, indem man das ganze Gebiet mit Scheiße flutet.' Flood the Zone with Shit – dieser Spruch Bannons wurde auch deshalb berühmt, weil er die innere Logik für Trumps Aufstieg offenbarte."

Über pinken Schleim

Wie gesagt, das war 2018. Um eine Weiterentwicklung von Bannons "Flood the Zone"-Strategie geht es in einem Text von Lenz Jacobsen bei Zeit Online: Er handelt von pinkem Schleim.

"Pink-Slime-Seiten werden Websites genannt, die so tun, als seien sie seriöse Nachrichtenseiten, tatsächlich aber im Dienst von Lobbygruppen, geheimen Geldgebern oder radikalen politischen Akteuren stehen. Gemeint sind also nicht Donald Trumps Propagandaschleuder Truth Social oder deutsche Portale wie Tichys Einblick und Multipolar. Diese machen aus ihrer Weltsicht und ihren Absichten schließlich kein Geheimnis. Bei Pink-Slime-Seiten handelt es sich hingegen um böswillige Nachahmungen, um pseudojournalistischen Schleim, der die Öffentlichkeit verklebt".

Das erstmal zur Erklärung, worum es geht. Für die Medienbildung – nicht nur, aber auch die an Schulen – sind diese Nachahmungen eine (weitere) Herausforderung. Wie kann man Sechzehnjährigen quellenkritisches Arbeiten vermitteln, wenn der Berg, vor dem sie stehen, derart groß ist?

Jacobsen:

"Je regelmäßiger öffentliche Debatten mit den Begriffen und entlang der Fronten eingespielter Kultur- und Identitätskämpfe geführt werden, desto eher sind Menschen bereit, alles zu glauben, was ihre Meinung stärkt – egal, wie unseriös die Quelle ist. Gegen Wokeness kommt dann jedes noch so dubiose Infohäppchen recht. Auch viele seriöse Medien werden längst als Akteure in diesen Kämpfen wahrgenommen und gelesen, statt als deren aufklärende Beobachter. Die Neutralitäts- und Objektivitätsvermutung ist bei vielen Leserinnen und Lesern eh schon großflächig ramponiert, da werden die Pink-Slime-Seiten nur als weitere parteiische Stimme hingenommen. So sorgen KI, Journalismuskrise, Polarisierung und mangelnde Medienbildung im weltweiten Superwahljahr für einen perfekten Desinformationssturm: Von flood the zone with shit, der berühmten Strategie des einstigen Trump-Strategen Steve Bannon, zu flood the zone with slime."

Über stinkendes Papier

Dass öffentliche Debatten mit den Begriffen eingespielter Kulturkämpfe geführt werden, wie Lenz Jacobsen es nennt, gilt nicht nur für ausgewiesene Schwachsinnsseiten. Es gibt auch in journalistischen Medien kleine Formulierungen, die entsprechende Kulturkampf-Trigger in sich bergen. Ein Beispiel aus der "Berliner Zeitung", die, wie der "taz" aufgefallen ist, zu den Medien gehört, die "Teile oder das gesamte Manifest als Zeichen ihrer Zustimmung" übernommen hätten.

Manifest? Gemeint ist das papierlos verbreitete Papier zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk, das als "Manifest" seit Tagen herumgeistert (Altpapier vom Donnerstag und Freitag). "DLF-Intendant: Es gibt ein Gefühl, dass nicht die ganze Wahrheit ans Licht kommt" – so lautet die Online-Überschrift über einem Interview, das die "Berliner Zeitung" mit diesem Intendanten, Stefan Raue, geführt hat. Unterzeile: "Stefan Raue, Intendant des Deutschlandradios, bezieht Stellung zum neuen Manifest, das eine Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks fordert."

Wie man darauf kommt, dass das eine Kernaussage dessen sein könnte, was Raue über dieses papierlos verbreitete Papier gesagt hat, ist ein Rätsel. Das heißt, eigentlich ist es kein Rätsel. Die Überschrift scheint halt eher eine Zusammenfassung dessen zu sein, was die "Berliner Zeitung" offenbar gerne verbreiten möchte: dass dieses Gefühl auch laut dem Deutschlandradio-Intendanten existiert; dass es also so unberechtigt und abwegig nicht sein kann, wenn sogar ein hohes Tier von den Öffentlich-Rechtlichen einräumt, dass es dieses Gefühl gibt. Es ist nur weit entfernt davon, tatsächlich Raues Stellungnahme zu diesem papierlos verbreiteten Papier zu sein.

Raue sagt den zitierten Satz nur als Teil einer abwägenden Antwort. "Kann es sein, dass die Verfasser ein Unbehagen artikuliert haben, mit dem man sich beschäftigen sollte?", suggestiv fragt Michael Maier für die "Berliner" an einer Stelle. Raue antwortet:

"Den Vorwurf, dass man etwas zu viel betont und etwas anderes zu wenig, den hat es immer schon gegeben, das ist nicht neu. Aber das Gefühl, dass nicht die ganze Wahrheit ans Licht kommt, das ist schon bei vielen Menschen durchaus verbreitet. Das müssen wir als Medienleute ernst nehmen. Insoweit findet so ein Aufruf auch das Interesse bei einem gewissen Publikum. Aber für eine konkrete Auseinandersetzung mit dem Manifest fehlen mir da jetzt die konkreten Vorwürfe."

Welche Überschrift man aus einem Absatz wie diesem generiert, sagt eher etwas über das Medium als über den Interviewten. Möglich wäre auch:

  • "Der Vorwurf ist nicht neu"
  • "Das Papier findet Interesse – bei einem gewissen Publikum"
  • "Papier enthält keine konkreten Vorwürfe"

Die "Berliner Zeitung" entscheidet sich aber für den besagten "Es gibt ein Gefühl…"-Titel. Das darf sie natürlich. Aber es ist halt eher das, was die Zeitung verbreiten möchte, als das, was Raue meint. Und deshalb ist die Überschrift über dieses Interview handwerklich schlecht. Was Raue meint zu diesem papierlosen Papier, steht eigentlich auch im Interview: "Mit der generellen Stoßrichtung – im Öffentlich-Rechtlichen werden Themen ausgeblendet oder nicht gehört oder gesendet – kann ich wenig anfangen. Das ist in unserem Haus eine ganz andere Praxis."

"FAZ"-Medienredakteur Michael Hanfeld, der die Öffentlich-Rechtlichen ganz gewiss nicht ohne Not schont, fand am Samstag gewohnt kritische Töne: "Die breite Kritik an ARD, ZDF und Deutschlandradio und die Entfremdung zwischen Publikum und Sendern haben Gründe; die Sender haben allen Anlass, sich selbst zu prüfen und ihre Arroganz abzulegen", schrieb er auf der Feuilleton-Eins in seinem Kommentar zum papierlos verbreiteten Papier aka "Manifest". Aber dieses Dokument nimmt auch Hanfeld nicht ernst: "Das ominöse 'Manifest' liegt trotzdem daneben. Es formuliert nebulös Richtung 'Lügenpresse’. Kurz gesagt: Es stinkt."

Nachrufe auf Peter Sodann

Peter Sodann ist im Alter von 87 Jahren gestorben. Und natürlich widmeten ihm Medien deshalb am Sonntag und in den Montagszeitungen Nachrufe (MDR, epd medien, spiegel.de…). Wer in einem prominenten Krimi einen Kommissar gespielt und als Bundespräsidenten-Zählkandidat der Linken antrat, hatte eine gewisse Bedeutung. Vor allem im Osten Deutschlands hatte er die. "1989, als die Mauer fiel, war Sodann schon Anfang 50, ein pralles Leben hatte er im Land diesseits der Mauer verbracht", schreibt bei zeit.de Martin Machowecz, dessen Text konsequent aus einer ostdeutschen Perspektive verfasst ist, was für Sodann eine ganz schöne Würdigung ist. Zum Beispiel an einem Machowecz-Satz wie diesem sieht man das: Die DDR sei ein Land gewesen, "in dem aus Sicht mancher Westdeutscher nie die Sonne aufging oder jedenfalls immer hinter irgendwelchen Rußschwaden verborgen blieb".

In diesem Land wurde Sodann also ein Star, ohne alles mitzumachen, wie hier und da zu lesen ist, etwa in Stefan Lockes Nachruf im "FAZ"-Feuilleton, der davon erzählt, wie Sodann einem Plüschhund namens Pfeffi eine Ausgabe des "Neuen Deutschland" in den Hintern geschoben und so die Unverdaulichkeit der SED-Parteizeitung demonstriert haben soll.

Lesenswert ist, abgesehen von Holger Gertz’ Nachruf "Ehrlicher als die meisten" in der "Süddeutschen" (Bezahlinhalt) – Ehrlicher natürlich, weil der "Tatort"-Kommissar so hieß, den Sodann spielte –, die auch medienhistorische Einordnung von Machowecz. Sodann habe als Politiker, oder eher Politikdarsteller, "einigen Käse" erzählt, ob über den Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann oder über Sozialismus, aus heutiger Sicht aber vergleichsweise harmloses Zeug, für das Sodann 2009 eher zu hart kritisiert worden sei, so Machowecz:

"Man ertappt sich beim Gedanken, ob die AfD vielleicht nicht so groß geworden wäre im Osten, wenn die Linke diesen Sodann-Kurs, dieses leise Wutbürgern, aber im voll demokratischen Spektrum, diese Unzufriedene-Ossis-Fixiertheit, nicht irgendwann aufgegeben hätte. Wenn man Leute wie Sodann nicht verbal vermöbelt hätte für ihre, aus heutiger Perspektive, zarten Versuche der Gegenwehr."

Andererseits ist Käse Käse, und auch leises Wutbürgern ist halt schon Wutbürgern gewesen. Was sich jedenfalls in den Nachrufen vermittelt, ist Sodanns ambivalentes Verhältnis zur DDR, aber auch sein späterer Ärger über herablassende Blicke auf den Osten.


Altpapierkorb (Thüringer TV-Duell, Hetze gegen Antonio Rüdiger, TikTok-Regulierung, Raabs Kalkül)

+++ Was ganz anderes: "Manifest" hat keine guten Quoten (dwdl.de).

+++ In dieser Woche steht bei "Welt TV" das auch hier schon diskutierte "Duell" zwischen den Spitzenkandidaten der CDU und der AfD für die Landtagswahl in Thüringen an, Mario Voigt und Björn Höcke. Ein "Duell" ist ein Format, das einen Wahlkampf auf zwei Personen eindampft. Dass Cornelius Pollmer von der "SZ" (Bezahltext) zur Vorbereitung mit einigen Journalisten gesprochen hat, die Höcke schon interviewt haben, geht daher etwas am Punkt vorbei: Es geht ja hier nicht um ein Interview, sondern um die formatbedingte Adelung eines Faschisten zu einem ganz normalen Politiker. Dennoch kann sich, wer möchte, bei Pollmer über die Bedingungen informieren, unter denen ein Interview mit einem Stück Seife stattfinden kann, in das potenziell Stacheldraht eingearbeitet ist. Zu Wort kommt, unter anderem, der MDR-Journalist Lars Sänger, der nach seinem letzten Sommerinterview mit Höcke (Altpapier) viel Kritik einstecken musste.

+++ Zum "Fall" Antonio Rüdiger, der ein Fall "Nius" ist (Altpapier), gibt es weitere Nachbetrachtungen. Der Jurist Thomas Fischer schreibt etwa in seiner online veröffentlichten "Spiegel"-Kolumne (eventuell Bezahlinhalt) etwas sehr Richtiges:

 "Die von dem Journalisten Reichelt erhobene Behauptung, der Fußballspieler Rüdiger habe den 'Islamistengruß' gezeigt (mit der unausgesprochenen, aber erkennbaren Konnotation, er hänge der gewalttätigen Ideologie des IS an), ist rein äußerlich zutreffend, allerdings in der Sache so sinnlos wie eine Behauptung, der Papst habe an Ostern mittels Bekreuzigen zum Kampf gegen Muslime aufgerufen. Die Aufregung zeigte allerdings einmal mehr die verbreitete Bereitschaft, unter bestimmten Umständen 'Außenseiter' oder von der Mehrheit als fremd wahrgenommene Menschen pauschal auszugrenzen und als Gefahr wahrzunehmen. Insoweit war die Sache lehrreich. Die von Rüdiger gegen Reichelt gestellte Strafanzeige unter anderem wegen Volksverhetzung hat, soweit erkennbar, wenig Aussicht auf Erfolg. Man kann auch straflos wirksam hetzen."

+++ "Das Problem: Eine internationale Plattform soll mit nationalstaatlichen Gesetzen reguliert werden. Dabei stoßen die Landesmedienanstalten, die unter anderem dafür zuständig sind, Kinder und Jugendliche vor für sie ungeeigneten Inhalten im Netz zu schützen, bereits bei der Sprache an ihre Grenzen. Nur deutschsprachige Inhalte können auf Tiktok strafrechtlich verfolgt werden": In der Samstags-"FAZ" (Bezahlinhalt) schrieb Mina Marschall über TikTok. Laura Braam, Leiterin der Rechtsabteilung der Medienanstalt NRW, wird zitiert: "In den letzten Jahren hat sich die Qualität und Quantität von desinformierenden Inhalten im Netz grundlegend verändert. Es braucht daher unserer Meinung nach ein Verbot manipulativer Verbreitungstechniken."

+++ Der Medienmensch, der Raab heißt, fasziniert das Land seit vielen Jahren; ich glaube, ich habe auch mal einen oder fünf Texte über ihn geschrieben. Nun kommt er bekanntlich eventuell wahrscheinlich zurück, und bitte schön: "Kalkuliertes Raab-Spektakel" (dwdl.de). Weiteres in kleiner Auswahl: "Kein Mann wie Steffi Graf" (zeit.de), "Warnung vor Raab-Comeback" (spiegel.de).

Am Dienstag schreibt das Altpapier Christian Bartels.

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