Kolumne: Das Altpapier am 14. März 2024 Der Markt ist kein zerbrechliches Wesen
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14. März 2024, 13:19 Uhr
Wir sollten über Wirtschaft künftig anders sprechen, denn bisher tun wir es auf eine Art, "die die Funktionsweise ökonomischer Prozesse verschleiert". Das ist die Botschaft eines gerade erschienenen Buchs. Außerdem: Der BGH hat ein Urteil aufgehoben, das Neonazis mit milden Strafen für brutale Attacken auf Journalisten davonkommen ließ. Heute kommentiert René Martens die Medienberichterstattung.
Inhalt des Artikels:
- Wenn die "Tagesschau" "Preisexplosionen" meldet
- Der lange Schlaf der medienpolitischen Stakeholder
- Fretterode-Verfahren: Neue Hoffnung auf Gerechtigkeit
- Ein weibliches Preisjahr
- Altpapierkorb (unseriöser Umgang mit psychologischen Themen, unseriöse Interviewkürzungen bei der "Berliner Zeitung", literarisches Debüt eines früheren G+J-Hierarchen)
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Wenn die "Tagesschau" "Preisexplosionen" meldet
"Die haben doch die Technologie offen", lautet eine meine Lieblings-Überschriften der jüngeren Vergangenheit. Sie fand sich im vergangenen Jahr in der August-Ausgabe des "Manager Magazins". Es geht um eine der Lieblings-Nebelkerzen deutscher Freidemokraten.
In der neuen Ausgabe der Vierteljahreszeitschrift "taz futurzwei", die am Dienstag erschienen ist, und in dem Buch "Die Sprache des Kapitalismus", das der S. Fischer Verlag am Mittwoch veröffentlicht hat, gibt es nun einige weitere angemessene Worte zur "Technologieoffenheit".
Bei "taz futurzwei" haben Autorinnen und Autoren im Rahmen eines "Bullshit-Wort-Check" 19 Wörter oder Redewendungen seziert. Die Wirtschaftswissenschaftlerin Claudia Kemfert schreibt hier:
"Wer (…) 'Technologieoffenheit’ proklamiert, will lediglich die Modernisierung blockieren und auf diese Weise die alte Technologie möglichst lange im Spiel halten."
Simon Sahner und Daniel Stähr argumentieren in "Die Sprache des Kapitalismus" folgendermaßen:
"Der Ausdruck 'Technologieoffenheit' (…) soll (…) suggerieren, dass stetes ökonomisches Wachstum und die scheinbar grenzenlose Innovationskraft des Kapitalismus die eigentlichen Antriebskräfte des Klimaschutzes sein könnten. Begriffe wie 'Offenheit', das 'Erkunden’ alternativer Mobilitätskonzepte und Floskeln der Art von 'Ein Denken, das nach vorne gerichtet ist und nicht im Status quo verharrt' spannen sprachlich-assoziative Netze: (…) Vor allem liberale Sprecher*innen erwecken so den Eindruck, dass sich die größten Herausforderungen der Menschheit von alleine auflösen, wenn die Politik die Märkte nur machen lässt und sich mit Vorschriften und Richtlinien möglichst zurückhält. Dass sich die größten Innovationen der Menschheitsgeschichte allerdings zuverlässig aus staatlich finanzierter Forschung ergeben und politische Institutionen als aktiv handelnde Akteure benötigen, wird so verschleiert. Ein solcher Sprachgebrauch liefert insbesondere Politiker*innen ein Alibi, selbst nichts unternehmen zu müssen, um die Klimakatastrophe aufzuhalten."
Grundsätzlich stellen Sahner/Stähr fest:
"Wir sprechen in einer Sprache über unser Wirtschaftssystem, die die Funktionsweise ökonomischer Prozesse verschleiert."
Am leichtesten lässt sich das deutlich machen am Beispiel der "steigenden" Preise. Eine Formulierung, die verschleiert, dass Preise nicht "steigen" wie der Wasserstand eines Flusses, sondern erhöht werden. Sahner/Stähr schreiben:
"Wenn wir davon sprechen, dass Preise steigen, wird verschleiert, dass es Gründe dafür gibt und jemand oder etwas die Verantwortung trägt. Steigende Preise verbergen im Gegensatz zu Preisen, die erhöht werden, dass es Menschen gibt, die davon profitieren und vielleicht sogar ein Interesse daran haben, dass Konsument*innen sich nicht fragen, wer für die hohen Preise verantwortlich ist."
Im Idealfall brächte eine Redaktion in einer Meldung nicht nur unter, dass Preise erhöht wurden, sondern benennt auch so detailliert wie möglich jene, die die Preise erhöht haben. Ein weiterer Kritikpunkt des Autorenduos:
"Heutzutage reicht es vielen Medien nicht mehr, Preise steigen zu lassen. Nein, inzwischen explodieren die Preise sogar. Selbst die Tagesschau hat in den vergangenen Jahren in ihrer Berichterstattung über die Preise für Zucker, Baumaterialien oder Gas Preisexplosionen heraufbeschworen."
Der Begriff "Explosion" weckt ja unter anderem Assoziationen an Unfälle, und damit wird der Zuschauer noch stärker in die Irre geführt als durch "steigende Preise".
Im Blick haben die Autoren schließlich auch noch das Sprechen über den sogenannten Markt:
"Der Markt (wird) oft als ein eigenes Wesen charakterisiert wird. Wir müssen ihn beruhigen, wenn er in Aufruhr ist. Wir beobachten seine Entwicklung, um die Wirksamkeit politischer Maßnahmen zu bewerten, immer in der Angst, ihn wieder zu verschrecken. In dieser Logik erscheinen Markteingriffe durch den Staat als etwas äußerst Heikles. Als die Energiepreise im Winter 2022/2023 extrem stark erhöht wurden und es in den politischen Diskussionen um mögliche Reaktionen darauf ging, mahnte Wirtschaftsminister Robert Habeck 'vorsichtige Markteingriffe' an. Ganz so, als handele es sich bei einem staatlichen Eingriff in die Struktur des Marktes um eine riskante medizinische Operation an einem lebendigen Organismus."
Warum sind Habecks Formulierung und andere ähnliche abwegig?
"Die Behauptung, es gebe 'freie Märkte', weshalb 'Markteingriffe' durch den Staat etwas Widernatürliches seien, das minimiert werden sollte, gehört zu den wirkmächtigsten Lügen der Sprache des Kapitalismus. Da jede marktwirtschaftliche Handlung (…) auf den Staat und sein juristisches System angewiesen ist, ist es irrwitzig, Märkte und Staaten sprachlich voneinander trennen und staatliche Eingriffe in den Markt als etwas Außergewöhnliches markieren zu wollen."
Ein Interview mit den Autoren ist bereits erschienen: bei fluter.de.
Wünschenswert wäre natürlich, wenn Journalistinnen und Journalisten regelmäßig ihr Standardvokabular hinterfragen und den Verschleierungscharakter von Politikerinnen- und Politiker-Formulierungen öfter benennen würden.
Zwei weitere Einträge aus dem Bullshit-Wort-Check von "taz futurzwei" - leider fehlt "überforderte Kommunen", das wäre mein wesentlicher Einwand - würde ich noch hervorheben wollen. Zu "Auf Augenhöhe" (von Bernhard Pörksen) zum Beispiel. Pörksen schreibt:
"Im Öffentlichen ist diese Formel zumeist bloße Behauptung und taugt zur unverbindlichen Simulation von Anteilnahme und Dialogbereitschaft. Meine Diagnose: ein besonders schwerer Fall von Kommunikationskitsch, gepaart mit strategischer Motivation und einer Portion Paternalismus."
Das Stichwort "Paternalismus" scheint mir besonders wichtig zu sein - jedenfalls mit Blick auf Debatten um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Wenn deren Strategen die Formulierung "auf Augenhöhe" verwenden, dann bedeutet das de facto allzu oft: Wir müssen das Niveau senken, damit der Zuschauer uns "versteht".
Samira El Ouassil wiederum checkt die mittlerweile sehr oft auftauchende Formulierung "hart arbeitende Bevölkerung". Diese poppt dann auf der Bildfläche auf, wenn eine Politikerin oder ein Politiker
"Beschlüsse (…) kritisieren (will), welche die angeblich weich Arbeitenden und Unbeschäftigten bevorzugen würden, wie zum Beispiel Bürgergeldempfangende oder Asylsuchende. Mit dem meritokratischen Märchen von der erstrebenswerten 'harten Arbeit' wird eine Hierarchie der menschlichen Wertigkeit suggeriert, welche die Ungerechtigkeit des Kapitalismus durch Gruppengefühligkeiten erträglicher machen soll. Dabei bedeuten weder 'viel' noch 'harte’ Arbeit automatisch mehr individuellen Wohlstand."
Auch hier gilt: Solche Auseinandersetzungen mit Begriffen vermisse ich in der aktuellen Berichterstattung.
Der lange Schlaf der medienpolitischen Stakeholder
Das große medienpolitische Thema ist auf globaler Ebene aktuell "Tiktok’s last dance" (Oliver Darcy für CNNs "Reliable Sources") bzw. das gerade vom US-Repräsentantenhaus verabschiedete Gesetz zu Tiktok (siehe dazu u.a. diesen ZDF-Bericht und einen Kommentar von Lorenz Meyer bei Radio Eins).
Das medienpolitische Thema, das in Deutschland die größte Rolle spielen müsste, sind die Versäumnisse der hiesigen Verantwortlichen. Christian Bartels ist an dieser Stelle am Dienstag auf einen Beitrag von MDR-Rundfunkrat Heiko Hilker eingegangen, den am Mittwoch vergangener Woche die Deutsche Akademie für Fernsehen veröffentlicht hat. Der Beitrag unter der Überschrift "Wenn die AfD an die Macht kommt – was passiert dann mit den Medienschaffenden?" basiert auf einem Vortrag, den Hilker bei einer Podiumsdiskussion der Akademie gehalten hatte.
Hilker geht hier unter anderem darauf ein, dass der Ministerpräsident eines Bundeslandes jederzeit alle Medienstaatsverträge kündigen könnte, die Zustimmung des Parlaments braucht er dafür nicht. 2024 steht nun die Gefahr im Raum, dass ein Ministerpräsident der AfD (oder ein Ministerpräsident, der von der Tolerierung der AfD abhängig ist) das tut (siehe zum Beispiel dieses Altpapier). Fatal ist allerdings, dass diese Gefahr erst viel zu spät bemerkt wurde. Hilker dazu:
"Die Debatte über die Kündigung aller Medienstaatsverträge scheint neu und aktuell zu sein. Doch sie erscheint deshalb neu, weil sich nur wenige mit der Medienpolitik der AfD beschäftigen. Es war im Jahr 2016, da stellte die AfD in zehn Landtagen einen weitgehend gleich formulierten Antrag. In diesem ging es darum, dass die jeweilige Landesregierung alle Medienstaatsverträge kündigen solle. Dasselbe wiederholte die AfD, dann sechs Jahre später im Jahr 2022. Man kann über Björn Höcke und dessen medienpolitische Positionen diskutieren, die dieser im Herbst 2023 dargelegt hat. Doch daran ist nichts neu. Die Partei hat sich schon lange zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk positioniert und nur wenige Veränderungen vorgenommen."
Theoretisch ließe sich das Problem lösen:
"Wenn man nicht möchte, dass ein Ministerpräsident Staatsverträge einfach und ohne Zustimmung des Parlaments kündigen kann, dann muss man das in der Landesverfassung verankern",
schreibt Hilker. Siehe dazu auch ausführlich dieses Altpapier von Ende Januar. Aber, so Hilker weiter:
"Um Landesverfassungen zu ändern, braucht man (…) eine Zweidrittelmehrheit im Parlament. Wenn man in Sachsen, Thüringen oder Brandenburg dies umsetzen möchte, steht man unter Zeitdruck. In den drei Ländern sind im September Landtagswahlen. Und so hätte man nur noch maximal fünf Monate für eine Verfassungsänderung Zeit. Derzeit zeichnet sich dies jedoch nicht ab."
Den "Zeitdruck", den Hilker konstatiert, gäbe es jetzt nicht, hätte 2016 oder 2022 jemand Konsequenzen gezogen aus dem, was die AfD fordert. 2016 ließ sich möglicherweise noch nicht vollständig abschätzen, wie groß die Gefahr ist, die von der AfD von der Demokratie ausgeht. Das wäre eine Erklärung dafür, dass man sich zu diesem Zeitpunkt nicht ausreichend mit ihren medienpolitischen Positionen beschäftigt hat. Aber 2022?
Mit anderen Worten: Warum wurde nicht vorher darüber nachgedacht, in den Landesverfassungen die Rolle der Parlamente zu stärken? Warum haben die medienpolitischen Sprecher der Parteien nicht entsprechend eingewirkt auf ihre Fraktionen? Oder es zumindest versucht? Warum haben auch andere Stakeholder, die an die Politik hätten appellieren können (Medienunternehmen, Journalisten), gepennt? Das ist auch durchaus selbstkritisch gemeint - ohne damit den Eindruck erwecken zu wollen, dass wir heute in einer anderen Situation wären, wenn ich nicht geschlafen hätte.
Ich will ja nicht behaupten, dass bundesdeutsche Medienpolitiker in den vergangenen Jahren untätig geblieben sind. Aber verglichen mit dem, was sie hätten tun müssen, haben sie bloß in der Sandkiste gespielt.
Fretterode-Verfahren: Neue Hoffnung auf Gerechtigkeit
Der Prozess gegen zwei Neonazis, die 2018 im thüringischen Fretterode zwei Journalisten in Lebensgefahr gebracht hatten, war lange verschleppt worden (siehe zum Beispiel dieses Altpapier). Als das Landgericht Mühlhausen Mitte September 2022 dann sein Urteil fällte (Bewährungsstrafe für den einen Neonazi, Arbeitsstunden für den anderen), sprach zum Beispiel die FAZ von einem "Skandal" und fragte:
"Warum kommen die Täter mit einem milden Urteil davon?"
Die implizite Botschaft des damaligen Urteils lautete, dass der Rechtsstaat nicht viel übrig hat für Journalisten, die wegen ihrer Arbeit von Neonazis brutal angegriffen werden. Nun hatten die Revision der Staatsanwaltschaft und eines Nebenklägers beim Bundesgerichtshof Erfolg. Dieser hob, wie es in der Pressemitteilung des Gerichts heißt, das Urteil am Mittwoch wegen "sachlich-rechtlicher Fehler" auf. Jetzt muss eine andere Strafkammer des Landgerichts Mühlhausen den Fall neu verhandeln.
Joachim Tornau, der für die "Frankfurter Rundschau", fürs ND und für "Endstation Rechts" über die BGH-Entscheidung berichtet, blickt noch einmal darauf zurück, was vor mittlerweile fast sechs Jahren genau vorgefallen war:
"Im April 2018 hatten zwei Männer aus dem nächsten Umfeld des Neonazi-Führers Thorsten Heise – der eine sein Sohn, der andere so etwas wie sein politischer Ziehsohn – zwei Göttinger Journalisten erst im Auto über die Straßen rund um das Dorf Fretterode im thüringischen Eichsfeld gejagt und sie schließlich mit einem Messer und einem gewaltigen Schraubenschlüssel schwer verletzt."
In Madsacks "Eichsfelder Tageblatt" zitiert Michael Brakemeier nun die Opfer-Anwälte Rasmus Kahlen und Sven Adam mit ihrer Einschätzung der BGH-Entscheidung:
"Das Urteil sei seitens der Nebenklage im Punkt der 'rechtswidrig unterbliebenen Verurteilung wegen schweren Raubes’ angreifbar, so Kahlen. Sein Mandant sei Eigentümer der Kamera, mit der die Bilder des Angriffs gefertigt wurden und die im Zuge des Angriffs unter Anwendung von Gewalt mit Waffen entwendet wurde. 'Das Gericht erkennt mit dem Urteil den Raub nicht an', so Kahlen. Nebenkläger Kahlen fand schon in seiner Revisionsankündigung deutliche Worte gegen ein, wie er sagt, 'skandalöses Urteil'. Es reihe sich leider ein in eine Tradition von milden Strafen gegen Neonazis. Er kritisierte den mangelnden Willen der Richter, die Täter in ihrem organisatorischen Umfeld zu betrachten. Heute merken Kahlen und Adam an: 'Die Verurteilung wegen schweren Raubes hatte das Landgericht verweigert, weil es die Aussagen der Nebenkläger hinsichtlich des Raubes einer Spiegelreflexkamera in Zweifel gezogen hat und stattdessen insoweit den Neonazis mehr Glauben geschenkt hat, die den Raub und weite Teile des Tatgeschehens insgesamt bestritten.'"
Ein weibliches Preisjahr
Heute Vormittag hat das Grimme-Institut die diesjährigen Grimme-Preisträger bekannt gegeben. Um die Aufmerksamkeit auf das Thema Ukraine zu lenken, würde ich einen in der Kategorie Information & Kultur prämierten Film (Offenlegung: Ich war Mitglied der Nominierungskommission, die für die Jury eine Vorauswahl vornimmt) hervorheben, nämlich "Ukraine - Kriegstagebuch einer Kinderärztin". Der Film ist mittlerweile wieder in der Mediathek abrufbar.
Kein anderer Dokumentarist aus Deutschland setzt sich auf eine so eindringliche, aufklärerische und immer auch respektvolle Art mit den Themen Krankheit und Alltag in Krankenhäusern auseinander wie Carl Gierstorfer (siehe die mit vorher bereits mit dem Grimme-Preis ausgezeichneten Produktionen "Ebola - Das Virus überleben" und "Charité intensiv: Station 43"). Das zeigt er nun auch im Kontext des Ukraine-Kriegs - mit Hilfe einer außergewöhnlich einnehmenden Protagonistin, die Anästhesistin Vira Primakova, die er bei ihrer täglichen Arbeit auf der Intensivstation des Okhmatdyt Kinderkrankenhauses im westukrainischen Lwiw begleitete.
Gierstorfers Dokumentarfilm kommt ohne Musik aus - und verzichtet überhaupt auf alles, was ablenken könnte von dem Alltag der Mitarbeitenden in der Klinik und den Schicksalen der im Krieg verletzten Kinder und ihrer Familien.
Die Preisverleihungen sind auch Thema der neuen Ausgabe des Grimme-/epd-Medien-Podcasts "Läuft". Preisleiterin Lucia Eskes sagt dort:
"(Es ist) das erste Mal, dass wir mehr weiblich gelesene Personen unter den Preisträger*innen haben als männlich gelesene. Das Verhältnis ist ungefähr 60:40. Das finde ich beachtlich und erstaunlich, wenn man bedenkt, wie die Zahlen in der Branche sind. Die sehen ja (…) ganz anders aus."
Die generelle Lage des Grimme-Instituts ist dann auch noch Thema in dem Podcast: Michael Ridder von "epd Medien" äußert sich zu dem Einfall der Gesellschafter, fürs Finden einer Nachfolgerin für die nur noch wenige Wochen amtierende Direktorin Frauke Gerlach eine Personalberatung zu beauftragen:
"Da würde ich (…) ein leichtes Fragezeichen machen, ob das der richtige Weg ist (…) Grimme-Chefin, Grimme-Chef - das ist eine sehr spitze Profilanforderung, da gibt es gar nicht so viele in Deutschland, die das überhaupt können. Da führt man doch eigentlich eher individuelle Gespräche von Seiten der Gesellschafter und guckt dann, was passt."
Was natürlich die Frage aufwirft, ob die Gesellschafter diesen von Ridder beschriebenen kleinen Markt vielleicht gar nicht kennen.
Altpapierkorb (unseriöser Umgang mit psychologischen Themen, unseriöse Interviewkürzungen bei der "Berliner Zeitung", literarisches Debüt eines früheren G+J-Hierarchen)
+++ Für "Übermedien" hat Kathrin Hollmer mit Tanja Michael, Professorin für Psychologie und Psychotherapie, über den fragwürdigen medialen Umgang mit psychologischen Themen gesprochen. Michael sagt: "In Artikeln und Interviews (dazu) wimmelt es von Pseudo-Experten. Leute, die Psychologie studiert haben, werden oft automatisch als Experten für Gefühle hingestellt. Im Psychologie-Studium lernt man ein bisschen was über Emotionen, aber nur theoretisch, nicht praktisch. Da frage ich mich: Was befähigt diese Kollegen, dazu Interviews zu geben? Im ZDF sprach vergangenes Jahr eine Kollegin über Selbstwert, die noch nie zu dem Thema geforscht hat. Da waren Aussagen dabei, die nichts mit moderner Psychologie zu tun haben. Das ist, als würde ich mich über Soziologie oder Politikwissenschaft äußern. Dazu habe ich eine Privat-, aber keine Expertenmeinung. Doch leider gilt oft: prominenter Name vor Expertise." Dass Medien prominente Pseudo-Experten als Experten verkaufen, ist ja auch in anderen Bereichen der Berichterstattung ein Problem, besonders eklatant war es in der jüngeren Vergangenheit beim Thema Corona.
+++ "Lassen wir diesen Putinfreund mal nicht als Antisemiten erscheinen", lautet die Überschrift eines Textes auf der heutigen Medienseite der FAZ. Gemeint ist der Musiker Roger Waters. Hintergrund: Am Wochenende hat Sebastian Leber im "Tagesspiegel" aufgedeckt, dass die "Berliner Zeitung" 2023 ein Interview mit dem Musiker Roger Waters veröffentlicht, aus dem jemand kurz vor der Veröffentlichung dessen antiisraelische Äußerungen gestrichen hat. Leber fiel das auf, nachdem er eine von Waters auf seiner eigenen Website veröffentlichte Fassung gelesen hatte. "Das ist, als würde man ein Interview mit einem AfD-Funktionär führen und vor Veröffentlichung dessen Ausführungen zu geplanten Massendeportationen streichen, sodass der Rechtsradikale am Ende lediglich über Heimatverbundenheit und Naturschutz spricht. Es widerspricht jeder journalistischen Logik. Und es täuscht dem Leser Harmlosigkeit vor." Die FAZ greift Lebers Recherchen nun auf: "Wir haben das nachgeprüft. In der Tat fehlt etwa diese Frage aus dem Interview: 'Sie haben den Staat Israel einmal mit Nazideutschland verglichen. Stehen Sie immer noch zu diesem Vergleich?’ Ebenso fehlt die Antwort, die, es ist Anfang 2023, mit der Aussage beginnt: 'Ja, natürlich. Die Israelis begehen einen Völkermord.’"
+++ Stephan Schäfer war einst Chefredakteur mehrerer Titel bei Gruner + Jahr (bei mehreren gleichzeitig, wohlgemerkt), später "überführte" er, wie die SZ heute schreibt, den Verlag "in die Herrschaft von RTL", wo er dann selbst kurzzeitig als Co-CEO wirkte. Der Grund dafür, dass die SZ jetzt über ihn schreibt: Schäfer hat sein literarisches Debüt vorgelegt, es heißt "25 letzte Sommer". "Das Buch ist der Wahnsinn", schreibt SZ-Redakteurin Claudia Tieschky, und ich versuche hier mal, halbwegs offen zu lassen, wie das gemeint ist. Ein bisschen Spoilern muss dann aber auch sein. Tieschky schreibt in ihrer Rezension unter anderem: "Hier kommt die sanfte Hamburger Seelenwellness-Kompetenz von 'Brigitte’ aufs Schönste zusammen mit dem Genießerblick von 'Schöner Wohnen' und den Entschleunigungsseufzern bei der Lektüre von 'Landlust.'"
Das Altpapier am Freitag schreibt Ralf Heimann.