Kolumne: Das Altpapier am 4. März 2024 Meister Popanz
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04. März 2024, 10:36 Uhr
Der Popanz gehört zum Kerngeschäft von "Nius" – warum machen Politiker da mit? Björn Höcke und Mario Voigt bekommen ihr TV-Duell – bei "Welt TV". Und: Ungereimtheiten und Cliffhanger in der RBB-Aufklärung. Heute kommentiert Klaus Raab die Medienberichterstattung.
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Über den Popanz von "Nius"
Welch wunderhübsche Begrifflichkeit erspähen da unsere auf Anmut getrimmten Sehorgane: In einem "Übermedien"-Text (Abo) kommt das gute alte Wort "Popanz" vor. Wir schlagen prontofanti nach in der orange-rot eingedeckelten Fremdwörterausgabe des Dudens:
Popanz, der, -es, -e (slaw.): 1. a) etwas, was aufgrund vermeintlicher Bedeutung, Wichtigkeit einschüchtert, Furcht o.Ä. hervorruft; b) (veraltet) Schreckgestalt, Vogelscheuche. 2. (abwertend) jmd., der sich willenlos gebrauchen, alles mit sich machen lässt.
Benutzt wird das Wort von Stefan Niggemeier bei "Übermedien" (Abo) in der Bedeutung 1a: "Der Popanz, den Reichelt aufbaut, könnte größer nicht sein", kommentiert er, und mit Reichelt meint er Julian vom Portal "Nius". Ex-"Bild"-Chef Julian Reichelt baut auf dem milliardärsfinanzierten Portal demnach also etwas auf, was aufgrund vermeintlicher Wichtigkeit einschüchtert und/oder Furcht hervorruft. Konkret: dass die Grünen daran arbeiten würden, "eine eigene, der Partei unterstellte Polizei aufzubauen, deren Aufgabe es ist, gegen politische Gegner vorzugehen". Das ist natürlich Bullshit, aber Julian Reichelt behauptet es halt trotzdem.
Man kann den Vorwurf der Popanzarchitektur nicht nur an diesem einen Beispiel festmachen. Der Popanz gehört zum Kerngeschäft von "Nius". "Schwer zu sagen, wen man bei Julian Reichelts Ressentimentschleuder 'Nius' mehr verachtet: den öffentlich-rechtlichen Rundfunk oder die RAF", schreibt an anderer Stelle, nämlich in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung", Harald Staun in seinem Wochenrückblick. Darin geht’s um die jahrzehntelang untergetauchte RAF-Terroristin Daniela Klette und den RBB-Podcast "Legion: Most Wanted", der sie, wie sich nun herausstellte, zwar tatsächlich gefunden hatte – ausreichende Belege dafür aber nicht. Erzählt wurde deshalb die Geschichte einer gescheiterten Recherche. Was "Nius" nicht daran hinderte, "unglaublich" zu finden, dass die Podcaster nicht die Behörden über die Erkenntnisse informiert hätten, die sie letztlich nicht hatten. Wie sagt man? Ach ja, Popanz.
Grundsätzlich wird Stefan Niggemeier im zweiten Teil seines Texts:
"'Nius' ist kein seriöses journalistisches Medium, das lässt sich an vielen einzelnen Beispielen zeigen: 'Nius' denkt sich Dinge aus, 'Nius' schreibt ab, 'Nius' stellt Menschen bloß. Tatsachen werden verdreht, bis sie ins eigene Weltbild passen und sich als Empörungmacher einsetzen lassen. Man kann fragen, in welchem Maß 'Nius' überhaupt ein journalistisches Medium ist: Vor allem bei Formaten wie 'Achtung, Reichelt' ist das Geschäft von 'Nius' offenkundig nicht die Produktion von Journalismus, sondern von Wut. Es wird Stimmung gemacht gegen die Regierung, gegen die Grünen, gegen Flüchtlinge, gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, gegen Trans-Menschen."
Und nun könnte man sagen: Das weiß man doch alles. Kurz nachdem "Nius" im Sommer 2023 an den Start gegangen war (Altpapier), schrieb die "taz" darüber, bald darauf die "Frankfurter Rundschau". In öffentlich-rechtlichen Mediensendungen war "Nius" mehrfach Thema, zuletzt bei "Zapp" in einem Aufwasch mit dem "ÖRR Blog" (Altpapierkorb vom Freitag). Der Politikwissenschaftler Markus Linden bezeichnete "Nius" kürzlich als "rechtspopulistisches Agitationsformat mit journalistischem Anstrich". Die "SZ" beschäftigte sich mit dem Portal, als ein bekannter Kolumnist Gründe gegen eine Zusammenarbeit mit "Nius" anführte (Interview mit Jan Fleischhauer, €). Schlagzeilen machten ein Prüfverfahren wegen Beschwerden über Verstöße gegen die journalistische Sorgfalt (t-online.de) und Nius’ Rolle bei der Finanzierung eines Plagiatsgutachtens (spiegel.de, €). Alles Linke und Grüne, werden "Nius"-Fans gewiss sagen, stimmt aber nicht. "Nius" ist ein antilinksgrünes Kampagnenmedium, die radikalere Fortsetzung von "Bild" mit Mitteln und Methoden von "Fox News" und einem IT-geschulten Milliardär im Hintergrund, der was mit Medienmacht machen will. Das sagt über alle anderen erstmal gar nichts.
Trotzdem bekommt "Nius" immer wieder auch höherrangige Gäste aus der Politik, die demnach kein zu großes Problem damit zu haben scheinen, dass dort bisweilen keine Auseinandersetzung auf dem Boden von Tatsachen stattfindet, sondern "Diffamierung und Dämonisierung ohne jedes Maß" (Niggemeier). Warum werten sie das mit ihrer Präsenz auf? Sind sie Popanze in Bedeutung 2 des Duden-Eintrags: "jmd., der sich willenlos gebrauchen, alles mit sich machen lässt?".
Boris Rosenkranz hat für einen zweiten Text (Abo) bei "Übermedien" einige von ihnen unter anderem nach ihren Motiven gefragt. Es gibt diskutable Argumente. Zum Beispiel dass man möglichst viele Menschen erreichen wolle und deshalb "überall" für die eigenen Positionen werbe. Aber das von mehreren, speziell von CDU-Politikern vorgetragene Argument, man trete für "Pressefreiheit" ein: Das ist ganz schön schwach. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Christoph de Vries wird von Rosenkranz zitiert:
"Ich muss Ihnen ganz offen sagen, dass ich derartige Anfragen noch nie bekommen habe und diese mich auch etwas irritiert in einem demokratischen Staat, in dem die Pressefreiheit aus gutem Grund verfassungsrechtlich geschützt ist."
Dass die Pressefreiheit tangiert sein könnte, wenn man einen Politiker fragt, wie viel Hass und Hetze er akzeptiert, bevor er einer Krawallbude mal kein Statement gibt: Was für ein Popanz.
Über ein TV-Duell mit Mario Voigt und Björn Höcke
Es ist Landtagswahljahr, also kommt es wohl vermehrt zu sogenannten TV-Duellen. Eines zwischen zwei Thüringer Spitzenkandidaten ist offenbar nun angesetzt: zwischen Mario Voigt (CDU) und Björn Höcke (AfD), die sich vor Wochen dazu verabredet hatten (mdr.de). Dass es tatsächlich dazu kommen soll, wusste am Samstag die "FAZ", die auch Termin und Kanal nannte: am 11. April um 19 Uhr auf "Welt TV".
Die Frage ist: warum? Warum lädt Springers "Welt TV" zu diesem Format? Ein TV-Duell in den Öffentlich-Rechtlichen ohne eine Partei, die – wie in Thüringen die AfD – Chancen auf das Amt des Ministerpräsidenten hat, das ginge nicht (siehe dazu dieses Altpapier). Aber erstens ist "Welt TV" nicht öffentlich-rechtlich, und zweitens gibt es keine Vorschrift, die Sender überhaupt zur Veranstaltung von Wahlduellen verpflichten würde. Duelle sind kein Verfassungsorgan.
Dass es Kritik an der Ansetzung gibt, versteht sich. Eine bezieht sich darauf, dass man einem als gesichert rechtsextremistisch eingestuften Landesverband ohne Not eine Bühne biete (via faz.net). Eine andere auf den Termin – es ist der Tag der Befreiung der Konzentrationslager Buchenwald und Mittelbau Dora, beide in Thüringen (via rnd.de).
Der Chefredakteur von "Welt TV", Jan Philipp Burgard, begründet laut "FAZ" die Duell-Veranstaltung dagegen so:
"CDU und AfD sind laut Umfragen die derzeit stärksten Parteien in Thüringen. (…). Aussagen kritisch zu hinterfragen, die nicht unseren eigenen Werten entsprechen, gehört zu unserer journalistischen Arbeit. Wir sind ein Nachrichtensender, aber verstehen uns auch als Debattenmedium."
Eine Position in der komplizierten Diskussion darüber, wie journalistisch mit der AfD umzugehen sei, ist damit abgebildet: Man dürfe sie nicht anders behandeln als alle anderen. Müsse im Gespräch bleiben. Sie stellen. Ins Licht ziehen. Anne Hähnig von der "Zeit" hat im "Medium Magazin"-Interview (Ausschnitt bei newsroom.de) gerade zumindest ähnlich argumentiert: Die Frage, ob man einer Partei eine Bühne geben solle, stelle sich nicht, wenn sie "in Umfragen bei 20 Prozent liegt". Medien seien längst keine Gatekeeper mehr.
Dass Jan Philipp Burgards Statement allerdings kaum viel anders klingen müsste, wenn es sich bei Höcke um irgendeinen Graffiti sprayenden Andersdenkenden handelte und nicht um den Kandidaten eines als gesichert rechtsextremistisch eingestuften AfD-Verbands: Das sei als zwiespältiger Eindruck doch zur Kenntnis gegeben.
Über Ulrike Demmer und den RBB-Untersuchungsausschuss
RBB-Intendantin Ulrike Demmer hat einen kleinen Beitrag für ein "Tagesspiegel"-Format geschrieben. Er beginnt mit einem Satz, wie ihn eine mit gebrauchten Formeln gefütterte KI kaum schöner hingekriegt hätte: "Wenn es den RBB nicht gäbe, müsste man ihn jetzt erfinden." Klingelt da etwas? Wenn es xy nicht gäbe, müsste man’s erfinden: Die Formulierung findet man vielfach, wenn man für ein paar Sekunden ins Internet taucht. Gerne für xy eingesetzt werden zum Beispiel: Gott. Der Kirchentag. Und der öffentlich-rechtliche Rundfunk insgesamt.
Aber Demmer muss ja irgendwie versuchen, die RBB-Wahrnehmung zu drehen. Die ist immer noch geprägt von der "Skandalintendantin", wie der "Tagesspiegel" gerade Demmers Vorgängerin Patricia Schlesinger etwas unelegant nannte. Wen nochmal? Ach ja, Essensabrechnungen, Beraterverträge, Boni, digitales Medienhaus (Altpapier)… DIE Intendantin.
Sogar die RBB-eigene journalistische Aufklärungsarbeit wurde am Sonntag vom "Business Insider" angezählt: "RBB löscht kritischen Beitrag zur Schlesinger-Affäre", hieß es dort. Ein Kommentar aus der "Medienmagazin"-Sendung vom 17. Februar sei in der Audiothek nicht mehr zu finden; der RBB-Finanzchef soll sich mit einem Anwaltsschreiben dagegen gewehrt haben. Die gute Arbeit der RBB-Redaktionen in eigener Sache, die garantiert in keinem Lexikon unter "unterwürfig" steht, steht dadurch allerdings nicht infrage. Der Berliner DJV-Gewerkschafter und ehemalige MDR-Kollege Steffen Grimberg meint gar, ebenfalls im "Tagesspiegel": Es sei diese Arbeit gewesen, die den RBB "gerettet" habe.
Anlass der verschiedenen Beiträge ist der RBB-Untersuchungsausschuss im Brandenburger Landtag. Dort sagte nun die ehemalige Leiterin der Hauptabteilung Intendanz aus, Verena Formen-Mohr. "In der Vernehmung zerpflückte Formen-Mohr gleich mehrfach Aussagen, die andere Zeugen zuvor vor dem Ausschuss gemacht hatten", schreibt der "Tagesspiegel" – vor allem zur Frage, wer darüber informiert gewesen war, dass der Bau des geplanten Digitalen Medienhauses "ein hohes finanzielles Risiko darstellte". Formen-Mohr zufolge, so berichtet auch der RBB selbst aus dem Ausschuss: "allen in der Senderleitung". Also auch jenen, die nur bruchstückhaft informiert gewesen sein wollen. Tja. Was stimmt? Im Journalismus fasst man sowas, weil’s sonst unüberblickbar wird, gerne als "Ungereimtheiten" zusammen.
Am Ende dieser neuen RBB-Skandal-Nachbereitungslektüren hängt man als Leser ein wenig in der Luft. Es sind Wasserstandsberichte mit Cliffhangern, aber ohne das Versprechen, dass sich beim nächsten Mal schon alles aufklären wird. Zunächst soll, so ist zu lesen, der frühere RBB-Verwaltungsratschef Wolf-Dieter Wolf vor dem Ausschuss erscheinen; er solle, heißt es bei epd Medien, "per Zwang" vorgeladen werden, nachdem er am Freitag trotz Vorladung nicht erschienen sei.
Altpapierkorb (Correctiv, RTL-Vorschlag, Pressefreiheit, Sharenting)
+++ David Schraven von "Correctiv" wurde in der "FAS" interviewt (bei Abgabe dieser Kolumne nur in der Zeitungsausgabe) und gefragt, ob er es als Erfolg werten würde, dass zuletzt die Klagen von Teilnehmern des Potsdamer Geheimtreffens, über das "Correctiv" berichtet hatte, in den meisten Punkten abgewiesen worden sei. Er meint: "Der Kern unseres Artikels ist damit bestätigt worden: dass bei diesem Geheimtreffen über einen Masterplan gesprochen wurde, mit dem 'Remigration’ betrieben werden sollte, und dass das auch Menschen mit Zuwanderungsgeschichte betrifft." Um den Kern ging es vor Gericht allerdings nur bedingt. Es ging um Details, wie er selbst auch sagt: "Uns ist sehr wichtig, dass wir diesen Nebenpfad verlassen. Wir müssen zu der wesentlichen Diskussion zurückkehren. Deshalb ist dieses Urteil so hilfreich, weil es klarstellt, dass der Versuch gescheitert ist, auf diese Nebengleise abzugleiten."
+++ Was einer der Kläger, Ulrich Vosgerau, zu Treffen und Gerichtsentscheidung sagt, darüber schreibt die "taz".
+++ Die ARD stelle ihre Inhalte auf TikTok und YouTube, aber RTL+ habe keine: Das kritisierte RTL-Deutschlandchef Stephan Schmitter auf einer Podiumsdiskussion. Warum nicht mit RTL kooperieren? Die Idee ist nicht taufrisch, aber einen Punkt hat Schmitter. Der ARD-Vorsitzende Kai Gniffke habe in seiner Reaktion das Wort "interessant" benutzt, schreibt dpa, aber auch sinngemäß erklärt, dass er mit dem Zweiten erstmal besser fahre. "Wir werden – das muss der erste Schritt sein – diese Streamingplattform mit dem ZDF ganz stark machen (…). Und dann fände ich es unglaublich interessant, über eine Erweiterung einer solchen Plattform zu sprechen, nämlich um kommerziell betriebene Medienhäuser."
+++ Pressefreiheit: Nein, sie ist nicht in Gefahr, wenn man als Politiker "Nius" mal kein Statement gäbe. Sonst könnte jede Lokalzeitung jede Woche empört auf den Bundeskanzler zeigen. Die Freiheit der Berichterstattung ist aber sehr wohl ein Thema, wenn in Brandenburg im laufenden Landtagswahljahr Medienvertreter von der AfD schikaniert werden oder in Dessau, wie im Januar, nicht bei einem Bürgerdialog drehen dürfen. Dazu gibt es einen "@mediasres"-Radiobeitrag. Oder wenn ein Mitarbeiter des Bayerischen Rundfunks Hausverbot bei der AfD bekommt. Zur Begründung gibt es unterschiedliche Darstellungen. Aber "(f)ür BR-Chefredakteur Christian Nitsche liegt (…) die Vermutung nahe, dass der BR-Kollege, der seit fünf Jahren über die Partei berichtet, 'mundtot und sein Informationsnetzwerk in der AfD kaputt gemacht werden soll'", steht auf horizont.net via dpa.
+++ Sharenting, ein Kunstwort aus Sharing (Teilen) und "Parenting" (Elternschaft bzw. Erziehung), beschreibt den Trend, Kinderfotos im Internet zu teilen. Unsere MDR-Redaktion MEDIEN360G hat sich des Themas angenommen und erklärt Risiken. Ein dynamisches Thema – Stichwort Künstliche Intelligenz: "Mit den heutigen Möglichkeiten von KI bietet selbst die Verpixelung von Bildern keinen Schutz mehr, sie kann damit sogar schlicht rückgerechnet werden."
Am Dienstag schreibt das Altpapier Christian Bartels.